Der Roman ist in erster Linie eine Liebeserklärung an Bücher und Wissen und erinnert an jene Zeiten vor der Erfindung des Buchdruckes, wo dieses sehr leicht verloren gehen konnte, das besonders, wenn die Inhalte gewissen Personen nicht genehm waren …
Poggio (eine bekannte historische Figur) und Protagonist dieses Romans gehört zu einer Gruppe von Menschen, die unabhängig von einander, eines verbindet. Sie alle versuchen Bücher und Wissen zu bewahren. Wer Bücher liebt und schätzt, dürfte sich daher mit der Hauptfigur leicht identifizieren können, es ist doch wirklich schlimm, wenn ein Bucheinband beschädigt wird, nur weil jemand um des "schnöden" Geldes willen oder für politische Pläne ein Buch stehlen will.
Bücher müssen in dieser Geschichte überhaupt einiges erleiden, zwei von ihnen landen regelrecht auf dem Scheiterhaufen - eine Art Feuerprobe … Ein weiteres Buch muss geopfert werden, um jemanden das Leben zu retten, und es war für mich eigentlich ein sehr berührender Moment, dass der Held, das ist Poggio wohl, dieses für ihn schwere Opfer bringt, also letztlich, das Leben eines Menschen doch höher schätzt, als ein Buch. Dieses Thema ist konsequent umgesetzt, die Rollen, die einigen historischen Akteuren hier zugeteilt werden, sind unter diesem Aspekt durchaus gut durchdacht und das Ende des Romans, das hier aber natürlich nicht verraten werde, eindeutig schlüssig.
Daneben bietet der Roman jedoch noch eine ganze Reihe weiterer Themen und Hinweise. Da gibt es zum Beispiel eine heute sehr umbestrittene Theorie, die hier vorkommt, aber auch die naheliegende, doch in diesem Kontext gewöhnlich in der Forschung bisher nicht wirklich gestellte Frage, ob es denn tatsächlich die behauptete Katastrophe ist, wenn sie stimmen würde.
Eigentlich sind "Die Bücherjäger" ein sehr ernstes und philosophisches Buch, das allerdings mit viel (subtilen) Humor und dank abenteuerlicher und anderen unterhaltsamer Elemente als lockerer "Lese-Ritt" umgesetzt ist. Bei den humorvollen Stellen ist besonders hervorzugeben, dass die Komik keineswegs platt und durchaus angemessen eingesetzt wird.
Sehr deutlich ist das an den beiden Anfangsszenen zu erkennen. Wenn der Gegenpapst Johannes XXIII. (Baldassare Cossa) um sein Leben rennt, dann ist das zwar durchaus mit viel Komik dargestellt (gerade die Papstwürde ist hier besonders hinderlich, will doch jeder gesegnet werden etc.), nichtsdestoweniger werden jedoch die Situation und der Akteur, der zumindest im Roman zu Recht um sein Leben fürchtet, keineswegs dem Hohn und Spott preisgegeben.
In der zweiten Szene, die zeitgleich spielt, ist Poggio in Begleitung von Oswald von Wolkenstein zu einem Kloster unterwegs, wo er ein besonders Buch zu finden hofft. Auch diese Szene beginnt zunächst sehr komisch, denn Poggio ist von seinem Begleiter genervt, dessen Gesang - Oswald ist schließlich nicht nur Ritter, sondern auch ein bedeutender Minnesänger - ihm gehörig auf den Geist geht. Wenn aber wenig später beide über einen Abgrund müssen und Oswald dabei vorübergehend vor Furcht abschaltet und gerade deshalb abzustürzen droht, ist das keineswegs als eine spaßige Situation auf Kosten Oswalds umgesetzt, sondern die Lage, dass ein Mensch in Lebensgefahr schwebt, wird ernst genommen. Komisch wird es erst wieder, als beide das Kloster erreichen, und der Vorsteher erstaunt ist, dass dieser Weg überhaupt noch existiert, wo sein Kloster doch seit vielen Jahren über eine Straße von Bregenz aus erreichbar ist, die auch mit Fuhrwerk sehr leicht zu befahren ist.
Husemann mischt in seinem Roman mehrere Genres und Motive: ein historischer Hintergrund, wenn gleich mit einigen fiktiven Elementen, ein wenig Detektivgeschichte, ein wenig Liebesgeschichte, meistens geht es sehr abenteuerlich zu, einige Szenen erinnern an den Schelmenroman, auch die "Gothic Novels" lassen in einer Szene direkt grüßen, und Schauplätze wie Klöster, Burg, Bordell etc. verweisen darauf. Es gibt eine Männerfreundschaft, es gibt sehr, sehr böse Schurken, in den beiden ersten Rückblenden ergibt sich für Poggio, wenn gleich nur ansatzweise so etwas wie ein Entwicklungsroman.
An einigen Stellen geht es allerdings sehr brutal zu, wenn die beiden Handlanger (fiktive Figuren, deren Namen in die Literatur verweisen) des "Oberschurken" (eine historische Figur) agieren. Die sind nur böse und sadistisch, sie sind aber wie dieser Nebenfiguren. Die tatsächliche Brutalität wird wenigstens nicht vollständig gezeigt, sondern nur der Beginn, wenn diese Schurken auf ihre Opfer losgehen, dann wird weggeblendet oder entscheidende Details hinter die Kulissen verlegt.
Insgesamt sind "Die Bücherjäger" ein sehr abwechslungsreiches Buch, das eine Menge für unterschiedliche Leserinnen und Leser bietet und das jedenfalls gut unterhält, sowohl die, welche nur Unterhaltung suchen, aber auch die, welche etwas Tiefgang oder Entdeckungen, Zitate, Anspielungen oder Verweise lieben. "Die Bücherjäger" gehören zu jenen im 21. Jahrhundert äußerst seltenen historischen Romanen, die zum Nachdenken anregen, die Lust auf die Hinterfragung gängiger Sichten und der angeblich einzigen wahren Sicht machen und die zur selbständigen Auseinandersetzung und Weiterbeschäftigung mit einem Thema einladen.
Gerade Menschen, die geschichtlich tatsächlich versiert sind, dürfte der Roman sogar sehr gut gefallen, bietet er doch eine interessante Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Themen und Zugängen zur Geschiche wie Historizität, geschichtliche Fakten (Zuverlässlichkeit), geschichtliche Wertungen / Maßstäbe etc., nicht belehrend, aber sehr unterhaltsam.
Der Autor selbst beansprucht für sich keineswegs die Deutungshoheit. (Das hat er nicht notwendig.) Er tritt keineswegs mit dem ausdrücklichen Anspruch auf, die wahre Geschichte über das Konzil zu erzählen, sondern er selbst bezeichnet seine Geschichte als eine fiktive Episode zum Konzil von Konstanz, betont die Fiktivität der von ihm erzählten Geschichte über das Konzil von Konstanz also ausdrücklich. Wobei gerade seine fiktiven Details bei näherer Betrachtung zeigen, dass er mit historisch tatsächlich belegten Fakten sehr vertraut ist - also einer jener Autoren, die es sich leisten können, mit geschichtlichen Fakten eigenwillig umzugehen, gerade weil sie sich sehr gut mit Geschichte auskennen. Aufgrund seiner Geschichtskenntnisse kann sich Husemann ein Spiel mit den historischen Fakten oder dem, was dem Zeitgeist als Fakten gegolten hat, noch immer gilt oder heute gilt, erlauben. Dabei ist er durchwegs innovativ, wie auch in seinen anderen Buch, den "Seidendieben", das ich gelesen habe. Ist es dort der Bau der Haggia Sophia, wird in den "Büchernjägern" die Bedeutung des Konzils von Konstanz sehr einfallsreich auf die Schippe genommen und in ihrer tatsächlichen Bedeutung kritisch hinterfragt. Gerade für Menschen, die sich gerne ihre eigenen Meinung bilden und die kritisch denken und Spaß an einer Entdeckungsreise (im Sinne des "Was wäre wenn"),dürfte der Roman, sehr ergiebig sein.
Vor allem Leserinnen und Lesern, denen die eher philosophischen, aber kurzweiligen Romane des vielseitig gebildeten Schriftstellers Robert Löhr gefallen haben, könnte auch dieser Roman gut gefallen. Husemann ist zwar sprachlich keineswegs so versiert wie Löhr, abgesehen davon aber bietet er wie dieser eine gelungene Mischung aus Fiktion mit Tiefgang und Wissen aus unterschiedlichen Forschungsbereichen, das er sehr unterhaltsam und scheinbar leicht und kurzweilig aufbereitet.
Insofern ist sein Roman aber nichts für eine Leserschaft, die sich nur auf bequeme und unterhaltsame Weise "bilden". Diese wird wohl mit den "Bücherjägern" nicht viel anfangen können.
Mir selbst hat der Roman (wie auch "Die Seidendiebe" von Husemann) sehr gut gefallen, er war nicht nur gute Unterhaltung, wobei Handlung und Figuren trotz Komik und Kurzweil ernst genommen werden, sondern hatte auch einiges an interessanten Anspielungen und versteckten Hinweisen und "Zitaten" zu bieten. Außerdem - als ich fertig gelesen hatte, kamen mir eine ganze Menge Gedanken und Fragen - und es spricht für ein Buch, wenn es zum Nachdenken anregt ...