'Die Erfindung der Flügel' - Teil 1

  • Ich habe dieses Buch vorgeschlagen, weil meine Tochter es geschenkt bekam und von mir wissen will, ob es ein Buch für sie ist.

    Und das Buch hat mich sofort gepackt.


    Selten mache ich mir gleich zu Anfang Gedanken zur Bedeutung des Titels. Hier kann man sich schon erahnen, in welche Richtung es gehen könnte. Aus Maumas Erzählungen wissen wir von den alten Legenden des aus Afrika eingewanderten Volkes, dass alle Menschen einst fliegen konnten. Unsere Schulterblätter sind Reste der Flügel, eine interessante Idee:grin

    Ich glaube, dass beide Mädchen, die wir hier kennenlernen, die privilegierte Sarah und die Sklavin Handful, ihre Flügel ausbreiten werden oder es zumindest versuchen, auf die eine oder andere Art, aber die Suche nach diesen Flügeln beginnt gerade erst.


    Es gibt so viele kleine Szenen, die ich mir notiert habe, dass ich sie nicht alle nennen will. Ich habe auch noch nicht viele Romane über Sklaverei gelesen. Mit Sicherheit ist das nicht eins der härteren Bücher.


    Ich lese nicht vorrangige Gesellschafts- und Sklavereikritik, sondern eher das Empfinden zweier unterschiedlicher Mädchen, die damit leben müssen, auf gegensätzlichen Seiten, und das finde ich bis jetzt sehr gelungen.

  • Es gibt so viele kleine Szenen, die ich mir notiert habe, dass ich sie nicht alle nennen will. Ich habe auch noch nicht viele Romane über Sklaverei gelesen. Mit Sicherheit ist das nicht eins der härteren Bücher.

    Vielleicht wirkt es nicht so hart, weil zwei Mädchen quasi erzählen. Aber das Auspeitschen war schon hart. Und auch, wie Handful sofort heftig auf den Kopf geschlagen wird. Und natürlich die ganze Situation. Wie ein Hund vor dem Zimmer schlafen müssen. Das wirkt für mich nur deshalb nicht so schlimm, weil die Mädchen es ja nicht anders kennen. Umso schöner, dass Sarah trotzdem spürt, dass sie das nicht will.

    Ich hatte ja erst eine garstige Mutter in der Greifenau-LR. Die hier ist auch nicht von Pappe. Auch sie ist erpicht darauf, dass alles bleibt wie es ist und dass die Mädchen ihre vorgesehene Rolle perfekt ausfüllen.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Schade, die sind doch gerade das Salz in der Suppe.


    Das Sarah nach der Auspeitschung zu stottern anfängt, finde ich sehr bezeichnend für die Dramatik des Geschehens. Es wird immer wieder beschrieben, wie ihr die Worte stecken bleiben und sie innerlich doch brennt.

    Das sie Anwältin werden möchte - sicherlich ein unerfüllbarer Wunsch - beschreibt schon mal ihr Wesen und wie ihr Leben verlaufen könnte. Im Kampf gegen Unterdrückung der Sklaven und für Frauenrechte.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Ah, da bist du ja schon liebe Clare  :-]!


    Von dieser Autorin habe ich schon zwei andere Bücher gelesen, die mir sehr gut gefallen haben. Die Bienenhüterin mit etwa der gleichen Thematik, aber auch die Meerfrau, wo es um etwas ganz anderes geht. Die Erfindung der Flügel steht schon seit dem Erscheinen auf meiner "Muss-ich-lesen-Liste" und deshalb hab ich mich gefreut, als du es vorgeschlagen hast :bluemchen.



    Ich glaube, dass beide Mädchen, die wir hier kennenlernen, die privilegierte Sarah und die Sklavin Handful, ihre Flügel ausbreiten werden oder es zumindest versuchen, auf die eine oder andere Art, aber die Suche nach diesen Flügeln beginnt gerade erst.

    Das hast du sehr schön formuliert :anbet.

    Ich bin aktuell im zweiten Abschnitt und kann das bestätigen.

    Aber wie so oft, gerade in dieser Zeit und in dieser Gesellschaft, ist es hart für diejenigen, die den Platz verlassen möchten, an den sie gestellt wurden. Rückschläge und Kummer pflastern ihren Weg.


    Mich fasziniert auch Hettys Mauma, mit ihrem stillen, aber hartnäckigen, mal mehr, mal weniger subtilem Widerstand gegen die "Herrin". Und ich genieße mit ihr die kleinen Siege, die sie erringt.

    Sie ist sicher in vielem prägend für Hetty/Handful.


    Es gibt so viele besondere, leise und berührende Momente in dieser Geschichte. Ich hab mir da jede Menge Notizen gemacht, kann aber eigentlich nicht alles aufzählen. Ich bin sicher, euch wird es da ganz ähnlich gehen.

  • Clare schrieb:

    Es gibt so viele kleine Szenen, die ich mir notiert habe, dass ich sie nicht alle nennen will. Ich habe auch noch nicht viele Romane über Sklaverei gelesen. Mit Sicherheit ist das nicht eins der härteren Bücher.


    Genau.

    Das Sarah nach der Auspeitschung zu stottern anfängt, finde ich sehr bezeichnend für die Dramatik des Geschehens. Es wird immer wieder beschrieben, wie ihr die Worte stecken bleiben und sie innerlich doch brennt.

    Hier ist das Grauen subtiler verpackt als z. B. bei Roots. Das ist eines der härtesten Bücher über Sklaverei, das ich je gelesen habe. Ich glaube, heute könnte ich das garnicht mehr.


    Manchmal habe ich hier schon gedacht, Sarah leidet fast noch mehr als Handful unter den Gegebenheiten, obwohl sie ja auf der privilegierten Seite steht.


    Und die Grimkés scheinen zu den gemäßigteren Haushalten zu zählen, hart und fest an die Richtigkeit des Status Quo glaubend, aber nicht so grausam wie andere.

  • Und die Grimkés scheinen zu den gemäßigteren Haushalten zu zählen, hart und fest an die Richtigkeit des Status Quo glaubend, aber nicht so grausam wie andere.

    Wobei man nicht weiß, wie es den Arbeitern auf den Feldern geht. Die Herrschaften werden in ihrem eigenen Haus natürlich versuchen, es nicht zu blutig zu gestalten, denke ich. Und was passiert, wenn ein Sklave sich auflehnt oder gar flieht? Da könnte durchaus noch Gewalt eine Rolle spielen.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Wobei man nicht weiß, wie es den Arbeitern auf den Feldern geht. Die Herrschaften werden in ihrem eigenen Haus natürlich versuchen, es nicht zu blutig zu gestalten, denke ich. Und was passiert, wenn ein Sklave sich auflehnt oder gar flieht? Da könnte durchaus noch Gewalt eine Rolle spielen.

    Stimmt natürlich. Mal sehen, was noch kommt.

    Aber es gibt auch Herrschaften, die Grausamkeit im eigenen Haus nicht scheuen.

  • Das sie Anwältin werden möchte - sicherlich ein unerfüllbarer Wunsch - beschreibt schon mal ihr Wesen und wie ihr Leben verlaufen könnte. Im Kampf gegen Unterdrückung der Sklaven und für Frauenrechte.

    Als sie das alles noch will, ist sie ein Kind. Man mag es naiv nennen. Das Leben und die gesellschaftlichen Konventionen haben sie noch nicht zurechtgestutzt. Ich hoffe sehr, dass sie sich dieses Empfinden von Recht und Unrecht erhält und aufbegehrt.

  • Mich fasziniert auch Hettys Mauma, mit ihrem stillen, aber hartnäckigen, mal mehr, mal weniger subtilem Widerstand gegen die "Herrin". Und ich genieße mit ihr die kleinen Siege, die sie erringt.

    Mauma ist eine Mutter, eine Könnerin, eine, die sich etwas traut, die sich kleinere und einen großen Diebstahl herausnimmt, weil die Herren alles haben und sie nichts. Den aufrechten Gang hat sie Handfüllte vererbt. Mir gefiel, wie H. den Blick hebt und der Herrin direkten die Augen blickt, der Trotz, der beginnende Stolz.

    Es gibt so viele besondere, leise und berührende Momente in dieser Geschichte. Ich hab mir da jede Menge Notizen gemacht, kann aber eigentlich nicht alles aufzählen. Ich bin sicher, euch wird es da ganz ähnlich gehen.

    Genau:)

  • Wobei man nicht weiß, wie es den Arbeitern auf den Feldern geht. Die Herrschaften werden in ihrem eigenen Haus natürlich versuchen, es nicht zu blutig zu gestalten, denke ich. Und was passiert, wenn ein Sklave sich auflehnt oder gar flieht? Da könnte durchaus noch Gewalt eine Rolle spielen.

    Mir gefällt ganz gut, dass sich der Rahmen unserer Geschichte in so einem begrenzten Bereich abspielt. Das Große und Ganze klingt an, aber es geht um konkrete Einzelschicksale, die Beziehungen untereinander und die Entwicklungen ,die einzelne Figuren nehmen.

  • Mir gefällt ganz gut, dass sich der Rahmen unserer Geschichte in so einem begrenzten Bereich abspielt. Das Große und Ganze klingt an, aber es geht um konkrete Einzelschicksale, die Beziehungen untereinander und die Entwicklungen ,die einzelne Figuren nehmen.

    Im Augenblick gefällt mir die Welt der KInder - die ja immer eine begrenzte ist - auch sehr gut. Ich denke aber, da tut sich noch was, vor allem wenn Sarah älter wird.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Mich fasziniert auch Hettys Mauma, mit ihrem stillen, aber hartnäckigen, mal mehr, mal weniger subtilem Widerstand gegen die "Herrin". Und ich genieße mit ihr die kleinen Siege, die sie erringt.

    Sie ist sicher in vielem prägend für Hetty/Handful.


    Es gibt so viele besondere, leise und berührende Momente in dieser Geschichte. Ich hab mir da jede Menge Notizen gemacht, kann aber eigentlich nicht alles aufzählen. Ich bin sicher, euch wird es da ganz ähnlich gehen.

    Notizen hab ich mir auch gemacht. Im Kopf. Handfuls Mama leistet den Widerstand, den sie aufbringen kann. Ich hoffe, es wird ihr nicht zum Verhängnis. Sie hat natürlich ein Talent, das die Missus zu schätzen weiß. Aber ob es ihre, wenn auch noch unterschwellige Aufsässigkeit aufwiegt??? In den Augen der Herrin sicher nicht.


    Wer"Fackeln im Sturm" kennt, weiß wie mit den Sklaven umgegangen wurde. Dass die Grimkés da anders handeln glaube ich eher nicht. Vielleicht sind sie nicht ganz so grausam aber sie beharren auf ihrer Einstellung.

    Man sieht ja, dass sie Sarah verbieten, Handful das Lesen beizubringen.

    Ihre vermeintliche Großzügigkeit ist nur Makulatur.

    Was ich mal wieder bezeichnend fand ist die Predigt und das Verhalten des Pfarrers. Er sieht es als gottgegeben an, dass es Sklaven gibt. Ah, ich wusste garnicht, dass das in der Bible steht.

  • Mir gefällt ganz gut, dass sich der Rahmen unserer Geschichte in so einem begrenzten Bereich abspielt. Das Große und Ganze klingt an, aber es geht um konkrete Einzelschicksale, die Beziehungen untereinander und die Entwicklungen ,die einzelne Figuren nehmen.

    Vielleicht gibt es das noch, dass es sich weiter entwickelt. Aber Einzelschicksale kann man besser aufnehmen, mit den Personen mitfühlen oder sie verabscheuen, als müsste man da für ein ganzes Volk fühlen oder einstehen.

  • Was ich mal wieder bezeichnend fand ist die Predigt und das Verhalten des Pfarrers. Er sieht es als gottgegeben an, dass es Sklaven gibt. Ah, ich wusste garnicht, dass das in der Bible steht.

    Im 2. Buch Mose steht etwas über die Rechte von hebräischen Sklaven, aber das ist nicht gemeint, glaub ich.

    Im Text, der mitnimmt Kopf rumgeht, geht es um Herren und Diener.

    Ich habe jetzt keine Zeit, schaue aber später Mal nach.

  • http://www.bibelkritik.ch/kirchenkritik/e8.htm Hier ist es, nun ja altes Testament ist ja noch vorvorsinntflutlich. Agypten hatte ja viele Sklaven, sonst gäbe es keine Pyramiden. Gut, aber dass ein angeblich aufgeklärtes Land, deren Besiedler ja zum Teil aus der alten Welt ausgewandert sind wegen Religionsfreiheit etc. dem alten Glauben bereitwillig anhängen, das will mir nicht in den Kopf. Egal, ist ja nicht Thema.

    Es ist zumindest noch ein weiter Weg bis zur Befreiung. Handful muss noch 60 Jahre warten, sofern sie es überlebt.

  • Ich fand das Buch von der ersten Seite an total toll und finde, dass die Erzählung von den Mädchen aus gesehen genau richtig ist.

    An die Mutter aus Greifenau musste ich auch sofort denken. Schade, dass es damals üblich war, andere Menschen so zu behandeln.

    Genau, die Idee mit den Schulterblättern als Reste der Flügel fand ich ganz toll. Das muss ich Mitautor jeden Fall merken. Ich bin gespannt, was es im Zusammenhang mit dem Buchtitel auf sich hat.

  • Ich hab den ersten Abschnitt auch durch und bin ebenso wie ihr sehr beeindruckt von dem Buch. Zwei kleine Mädchen, in grundverschiedenen Positionen, aber doch beide nicht frei.


    Mir hat besonders gut gefallen, dass mit der grausamen Rolle der Mutter gebrochen wurde und sie in Sarahs Zimmer kam, um mit ihr zu reden, nachdem ihr Vater und die Brüder sie wegen ihres Berufswunsches verspottet haben. Da hat sie mir für einen Moment auch ein wenig leid getan. Natürlich ist ihre grausame Art schwer erträglich - aber man hat für einen Moment hinter ihre Fassade geblickt und das kleine Mädchen gesehen, das sich ihr Leben auch anders vorgestellt hat.

  • Mir hat besonders gut gefallen, dass mit der grausamen Rolle der Mutter gebrochen wurde und sie in Sarahs Zimmer kam, um mit ihr zu reden, nachdem ihr Vater und die Brüder sie wegen ihres Berufswunsches verspottet haben. Da hat sie mir für einen Moment auch ein wenig leid getan.

    Das war eben die Erwartung damals an Mädchen und Frauen. Für uns schwer verständlich. Und auch damals gab es ja, wie wir hier lesen durchaus Mädchen, die sich dagegen, leider meistens hoffnungslos, aufgelehnt haben. Der Mutter durfte es vermutlich nicht anders gegangen sein, deshalb ihr Verständnis für Sarah. Aber in Sarahs Fall können wir ja noch hoffen.

  • Ich hab den ersten Abschnitt auch durch und bin ebenso wie ihr sehr beeindruckt von dem Buch. Zwei kleine Mädchen, in grundverschiedenen Positionen, aber doch beide nicht frei.


    Mir hat besonders gut gefallen, dass mit der grausamen Rolle der Mutter gebrochen wurde und sie in Sarahs Zimmer kam, um mit ihr zu reden, nachdem ihr Vater und die Brüder sie wegen ihres Berufswunsches verspottet haben. Da hat sie mir für einen Moment auch ein wenig leid getan. Natürlich ist ihre grausame Art schwer erträglich - aber man hat für einen Moment hinter ihre Fassade geblickt und das kleine Mädchen gesehen, das sich ihr Leben auch anders vorgestellt hat.

    Die Szene hat mir auch gut gefallen. Auch wenn die Mutter ihr nicht helfen kann und wohl auch nicht will, ist sie die Einzige, die Sarah wirklich als vollfertigen Menschen mit Träumen und Wünschen sieht, für die älteren Brüder und den Vater war sie in ihrer Wissbegierde wenig mehr als ein Spielzeug.

    Vor allem von Thomas hätte ich das nciht erwartet.