Takis Würger - Stella

  • Titel: Stella

    Autor: Takis Würger

    Verlag: Hanser

    Erschienen: Januar 2019

    Seitenzahl: 218

    ISBN-10: 3446259937

    ISBN-13: 978-3446259935

    Preis: 22.00 EUR


    Das sagt der Klappentext:

    Es ist 1942. Friedrich, ein stiller junger Mann, kommt vom Genfer See nach Berlin. In einer Kunstschule trifft er Kristin. Sie nimmt Friedrich mit in die geheimen Jazzclubs. Sie trinkt Kognak mit ihm und gibt ihm seinen ersten Kuss. Bei ihr kann er sich einbilden, der Krieg sei weit weg. Eines Morgens klopft Kristin an seine Tür, verletzt, mit Striemen im Gesicht: "Ich habe dir nicht die Wahrheit gesagt." Sie heißt Stella und ist Jüdin. Die Gestapo hat sie enttarnt und zwingt sie zu einem unmenschlichen Pakt: Wird sie, um ihre Familie zu retten, untergetauchte Juden denunzieren?


    Der Autor:

    Takis Würger, geboren 1985, hat an der Henri-Nannen-Journalistenschule das Schreiben gelernt und Ideengeschichte in Cambridge studiert. Er arbeitet als Redakteur für das Nachrichtenmagazin Der Spiegel. 2017 erschien sein Debütroman Der Club, der mit dem Debütpreis der lit.Cologne ausgezeichnet wurde und für den aspekte-Literaturpreis nominiert war. Takis Würger lebt in Berlin.


    Meine Leseeindrücke:

    Dieser Roman von Takis Würger führte im literarischen Feuilleton zur gemeinsamen Schnappatmung, sogar über einen kollektiver Selbstmord wurde nachgedacht – was im Übrigen sicher kein Unglück gewesen wäre. Denn wenn man die einzelnen Kritiken zu diesem Buch durchliest, dann wird mehr als deutlich, wie abgehoben und selbstverliebt diese Kritiker doch sind. Auch hier verfestigt sich wieder der Eindruck, dass man, wenn man nichts verstanden hat – und sie haben nichts verstanden- sich möglichst elitär gebärdet – auch wenn dieses Gehabe nur pseudoelitär ist und bei genauem Hinsehen die Sinnleere der einzelnen Kritiken manifestiert.

    In diesem Zusammenhang sei noch auf die Kritik von Antonia Baum in der ZEIT verwiesen, eine 2,9-Promille-Rezension (denn einen solchen Unsinn kann man nur im Suff raushauen) – diese Dame hat das Buch offenbar gar nicht gelesen – sondern hat einen Text geschrieben, wo deutlich wird, dass sie sich am eigenen Geschreibsel berauscht.


    Leider zeigen diese Kritiken aber auch, dass der Antisemitismus in den deutschen Redaktionstuben auf dem Vormarsch zu sein scheint.


    Takis Würger hat einen beeindruckenden Roman geschrieben, dem man schon anmerkt, das Würger von der Journallistenseite kommt (was ja nun wahrlich kein Negativpunkt ist). Er schreibt beobachtend, wirkt eher wie ein Chronist denn wie ein Beteiligter – obwohl der Roman in der Ich-Form geschrieben ist.


    Es geht auch um die Frage, ob Liebe alles verzeihen kann, ob Liebe die Sicht auf die eigene Schuld nicht verändert bzw. verschleiert.

    Wo beginnt Schuld? Ist alles Handeln immer rational erklärbar?


    Sehr gut hat Hannah Lühmann in der WELT ihre Kritik formuliert und trifft es damit ziemlich punktgenau und hebt sich wohltuend von den Dümmlichkeiten in der taz, in der FAZ und in der Süddeutschen Zeitung ab:


    „Rezensionsnotiz zu Die Welt, 12.01.2019

    Hannah Lühmann versteht die Verrisse von Takis Würgers neuem Roman nicht. Für sie ist Würgers Geschichte der Jüdin Stella Goldschlag, die für die Nazis Juden denunzierte, unterhaltsam und verdammt gut geschrieben (im Stil Hemingways, findet sie). Ob historisches Grauen in dieser Form in einem Roman behandelt werden darf, ist laut Lühmann eine der Fragen, die hinter der Ablehnung des Textes stehen könnten. Kitsch ist der Text für sie nicht unbedingt, eher schon die durchaus gekonnte Übertragung filmischer Dramatik ins Literarische. Auf die Debatte darüber freut sich die Rezensentin schon.“ (Quelle: Perlentaucher)


    Wie das Handeln der Protagonistin Stella Goldschlag zu bewerten ist muss jede/jeder für sich sebst entscheiden, Würger überlässt die Antwort auf diese Frage seinen Lesern, erhebt sich nicht – wie viele dieser Literaturkritiker-Blase moralisch über die Stella Goldschlag.


    Vielleicht wäre es gar nicht schlecht, wenn sich unsere Literaturkritiker einfach mal mit den Realitäten beschäftigen würden – und sich nicht eine Welt bauen würden, die es so gar nicht gibt.


    Takis Würger hat ein Buch geschrieben, dass gerade auch durch seine Sachlichkeit die ganze Grausamkeit der des Dritten Reiches deutlich macht. Denn auch hier passt der Satz des Neuen Testamentes: Wer ohne Schuld ist – der werfe den ersten Stein.

    Dieses Buch stellt auch die Frage: Ist Moral immer schwarz oder weiß – oder kann Moral auch in verschiedenen Grautönen auftreten?


    Takis Würger schildert Menschen in emotionalen Extremsituationen, Situationen von denen man nur hoffen kann, dass man selbst sich nicht einmal in einer solchen Lage befindet.


    Ein beeindruckender Roman der mir wieder einmal gezeigt hat, das es immer sinnvoller ist sich eine eigene Meinung zu bilden – indem man das Buch liest – als sich von Meinungen aus dritter oder vierte Hand beeinflussen zu lassen. 8 Eulenpunkte.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Danke für die Rezi.

    Gerade die Person der Stella Goldschlag hat mich schon länger interessiert.

    In einem Bericht über in Berlin untergetauchte Juden, der gerade vor einigen Tagen im Fernsehen lief, spielte sie eine wichtige Rolle.

    Ebenso in einem Buch, das ich vor einigen Jahren gelsen habe - auch über eine in Berlin versteckte Jüdin, die ebenfalls über Stella berichtete.

    Sie war wohl eine berühmt berüchtigte Persönlichkeit, über die ich gerne mehr wissen möchte.


    Fazit - ich werde demnächst die Bücherhalle abkappern

  • Danke für die Rezi!:)

    Ich werde im März zusammen mit hollyhollunder zu einer Lesung von Takis Würger gehen, darauf freue ich mich schon sehr.Wir waren auch schon bei einer Lesung zu seinem ersten Buch "Der Club" . Der Autor ist ein sehr sympathischer, lustiger und natürlicher Typ. Ich möchte dieses neue Buch von ihm auch unbedingt bald lesen.

  • Ixh stimme hier zu! Und ich bin froh, dass ich das Buch gelesen habe, bevor ich von dieser peinlichen Kritiker-Eskapade überhaupt gehört habe.

    Meiner Meinung nach ein sehr gutes Buch und stimmig durch die Erzählfigur! Wäre es aus Sicht von Stella geschrieben, hätte ich vielleicht Probleme gehabt, aber so wie es gemacht ist, funktioniert es.


    Kein Ruhmesblatt des deutschen Feuilleton, aber die Lesermeinungen sind anscheinend überwiegend positiv!

  • Berlin im Kriegsjahr 1942: Friedrich, ein stiller junger Mann aus wohlhabendem Haus, kommt nach Nazi-Deutschland. In einer Kunstschule trifft der Schweizer, dessen Mutter sich als Künstlerin definiert, die attraktive Kristin. Die Blondine nimmt Friedrich mit in die verbotenen Jazzclubs. Sie singt. Beide trinken und feiern zusammen. Bei ihr kann er sich einbilden, der Krieg sei weit weg. Die beiden werden zu einem Paar. Doch eines Morgens klopft Kristin an seine Tür, verletzt, mit Striemen im Gesicht. Sie gesteht: „Ich habe dir nicht die Wahrheit gesagt." Sie heißt Stella, ist Jüdin und hat ein furchtbares Geheimnis…


    „Stella“ von Takis Würger ist ein sehr besonderer historischer Roman.


    Meine Meinung:

    Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Friedrich. Jedes Kapitel beginnt mit einer Aufzählung von historischen Ereignissen in diesem Monat. Eingebettet sind Briefe und die protokollierten Zeugenaussagen aus einem Prozess. Darüber hinaus endet der Roman mit einem Epilog. Dieser Aufbau funktioniert gut.


    Der Schreibstil wirkt recht reduziert und schnörkellos, aber dennoch intensiv und fesselnd. Mit nur wenigen Worten und Sätzen entfaltet sich immer wieder eine Sprachgewalt, die das Können des Autors eindrucksvoll demonstriert. Viel wörtliche Rede, eine dichte Atmosphäre und pointierte Formulierungen kennzeichnen den Roman.


    Mit Friedrich und Stella stehen zwei reizvolle, recht unterschiedliche Charaktere im Mittelpunkt. Beide habe ich als interessant empfunden. Auch die übrigen Personen wirken authentisch.


    Fakten und Fiktion werden auf gekonnte Weise miteinander verwoben. Gut gefallen hat mir, dass der Roman mit Stella Goldschlag eine historische Persönlichkeit in den Fokus nimmt: die jüdische Gestapo-Kollaborateurin, die während des Zweiten Weltkriegs versteckte Juden in Berlin aufspürte und sie denunzierte. Der Roman hat mich dazu inspiriert, mehr über diese Frau erfahren zu wollen.


    Darüber hinaus bietet die Geschichte viel Stoff zum Diskutieren und Nachdenken. Es geht um Schuld, Verrat, Moral, Liebe und den Kampf ums Überleben in einer grausamen Zeit. Immer wieder wird die Frage aufgeworfen: Wie hätte ich selbst gehandelt? Das macht den Roman zu einer anspruchsvollen und schwer verdaulichen, aber auch lohnenden Lektüre.


    Das kontrastreiche Cover und die tolle Aufmachung des Hardcovers sind äußerst gelungen. Auch der prägnante Titel passt gut zum Inhalt und trifft meinen Geschmack.


    Mein Fazit:

    „Stella“ von Takis Würger ist ein sprachlich herausragender, aufwühlender und berührender Roman. Eine beeindruckende Lektüre, die ich wärmstens empfehlen kann und die noch eine Weile bei mir nachhallen wird.


    Ich vergebe 5 von 5 Sternen.

  • Um "Stella" von Takis Würger ist eine große Literaturdebatte entbrannt. Das macht neugierig. Würger nimmt die Leser mit ins Jahr 1942, ein Jahr der Wende, in der der Massenmord an den Juden so richtig Fahrt aufnahm, mit Stalingrad auch eine entscheidende Wende im Zweiten Weltkrieg kam.


    Friedrich, ein junger, privilegierter Schweizer mit einem guten Herz, erzogen dazu, ehrlich zu sein, nützt das Auseinanderfallen seines Elternhauses (seine Mutter, eine alkoholkranke Künstlerin, zugehörend den Nazis; sein Vater, ein erfolgreicher Händler mit Samtstoffen, beschließt, in die Fremde zu gehen), um nach Berlin zu gehen. Er möchte wissen, ob das Gerücht, dass Juden in Möbellaster abgeholt werden überprüfen, da er sich nicht vorstellen kann, dass Menschen verschwinden. Außerdem zieht ihn die Liebe zur Kunst nach Berlin.


    Er ist reich und nimmt sich in einem Hotel ein Zimmer. Mit dem Kriegsalltag kommt er kaum in Kontakt und Entbehrungen kennt er nicht. Dann lernt er beim Aktzeichen das Modell Kristin kennen. Er verliebt sich in sie und lernt durch sie Tristan von Appen kennen, in dem er einen guten Freund findet. Naiv wie er ist, und wahrscheinlich auch, weil nicht alles so schwarz/weiß war, wie wir uns das heute vorstellen, kommt er erst sehr spät drauf, wer Kristin und von Appen wirklich sind.


    Da ich die Geschichte nicht kannte, verwirrten mich die vielen Protokolle, die im Buch immer wieder auftauchen. Es dreht sich viel um die Fragen der Treue, der Schuld und der Familie. Und natürlich auch um die Frage, wie und ob man sich aus Diktaturen heraushalten kann.

    Unglaublich spannend geschrieben, sehr vielschichtig. Genau deshalb auch so umstritten. Ich möchte es an dieser Stelle nicht werten, sondern einfach dazu aufmuntern, das Buch zu lesen.

  • Friedrich, ein Schweizer, wächst mit einem Vater auf, der den Nazis skeptisch gegenüber steht, aber oft nicht zu Hause und mit einer Mutter, die mit den Nazis sympathisiert und sich um ihren Sohn kümmert. Mehr als das. Ihren eigenen Traum vom Malen konnte sie sich nicht erfüllen, so dass sie diesen auf ihren Sohn projiziert. Doch nach einem schrecklichen Unfall verliert ihr Sohn die Fähigkeit Farben zu unterscheiden. Um Distanz zu seiner Familie zu gewinnen und weil er neugierig auf die unfassbaren Ereignisse in Berlin ist, beschließt er nach Berlin zu fahren. Dort macht er die Bekanntschaft mit Kristin, einer Frau, die ihn sofort in ihren Bann schlägt mit ihren vielseitige Facetten.


    Würger beschreibt die Geschichte in knappen Sätzen, die oftmals maximal aus einem Haupt- mit Nebensatz bestehen. Auch haben die aufeinander folgenden Sätze nicht immer einen Bezug zum nächsten Satz. So startet er jedes Kapitel mit einer Aufzählung von mehr oder weniger historischen Ereignissen, die in diesem Monat passieren. Das können Nazierlässe sein oder Geburten von heutigen hochrangigen Politikern oder auch ganz andere gesellschaftliche Veränderungen. So vermittelt Würger oftmals relevanten Informationen in Nebensätzen oder sie müssen sich erschlossen werden. Eine schnelle Identifikation mit den Personen wird auf jeden Fall erschwert und oftmals bleiben Handlungshintergründe unklar. Positiver formuliert lässt Würger viel Raum für eigene Interpretation.


    Wirken tut das Buch dennoch. So begleitete mich die Geschichte im Alltag und auch nachts in meinen Träumen. Durch den Mix an Realität und Fiktion bekommt das Buch eine ganz eigene Dynamik und Spannung. Auch weil alleine durch den Titel schon viel vorweg genommen wird, was sich erst im letzten Drittel des Buches aufklärt. So war das Buch ein interessantes Lesevergnügen, auch wenn ich am Ende ein wenig verwirrt zurück gelassen wurde. Zum einen was die Intention des Autors anging und zum anderen wo nun Fiktion anfing und Realität aufhörte. Leider gab es dazu auch kein informatives Nachwort. Der Epilog könnte ggf. damit gemeint sein, aber da ein solcher eigentlich immer zur Geschichte gehört, würde ich ihn ungern als bare Münze nehmen.

  • Ein beeindruckender Romander mir wieder einmal gezeigt hat, das es immer sinnvoller ist sicheine eigene Meinung zu bilden – indem man das Buch liest – alssich von Meinungen aus dritter oder vierte Hand beeinflussen zulassen.

    Genau deshalb habe ich mir das Buch heute gekauft. Ich bin sehr gespannt darauf. Danke für eure wirklich interessanten Leseindrücke.

  • Hat es dir gefallen? Ich habe das Hörbuch auf dem Merkzettel.


    Ich fand es sehr gut, irgendwie eine Mischung aus Spannung, Tragik und einer konfliktbelasteten Liebesgeschichte, alles in einer runden Sprache geschrieben. Keine Hochliteratur, aber sehr lesenswert. (bezieht sich auf Takis Würger - Der Club)

  • Danke, das klingt ja gut. Aber ich werde wohl erst "Stella" lesen (irgendwann demnächst).


    Edit: "Stella" passt thematisch zu "Shoah" von Claude Lanzmann, das ich gerade lese.

  • Meine Meinung


    Warum noch ein Buch über die Zeit des Nationalsozialismus?

    Weil das wichtig ist! Weil es wichtig ist, dass wir nicht vergessen!


    "Stella" ist kein Buch, das Schuld zuweist. Man wird nirgendwo mit der Nase darauf gestoßen, was für unmenschliche, schreckliche Dinge sich ereignet haben und welches Grauen sie zur Folge hatten. Trotzdem werden sie in jeder Zeile klar. Der Autor lässt den Ich-Erzähler hochemotionale Ereignisse in einer eher nüchternen Weise berichten. Die Gefühle, das Entsetzen entstehen im Kopf des Lesers.


    Takis Würger kann schreiben. Das steht außer Zweifel. In seinen Romanen wird man nicht von ausschmückenden Adjektiven erschlagen, kein Dialog klappert und Längen zwischendrin, Füllkapitel oder Ähnliches, konnte ich nirgendwo entdecken. Von Anfang bis Ende ist man als Leser mitgenommen und gefesselt. Die Zeitleiste mit Ereignissen aus ausgewählten Ereignissen des jeweiligen Jahres holt immer wieder zurück aus der komplizierten Liebesgeschichte in historisch verbürgte Fakten, genau wie die kursiv gedruckten Prozessprotokollzitate.


    Die Freiheiten, die sich Würger in seinem Roman in Bezug auf Stella Goldschlags Leben nimmt, haben mich nicht gestört, denn sie machen das Buch zu einer runden Geschichte, und wir haben hier einen Roman vor uns, keine historische Abhandlung.

    Darf man so ein Buch über eine reale Person schreiben?

    Ich finde, man darf!

    Ein Roman, der nachdenklich macht, der die Frage nach dem "Wie hätte ich mich verhalten?" im Kopf des Lesers entstehen lassen soll und kann. So viel Intelligenz sollte man den Lesenden schon zutrauen können!


    Für mich ein sehr lesenswertes, nachdenklich machendes Buch!


    10 von 10 Punkten

  • Greifer


    Stella, Historischer Roman von Takis Würger, 224 Seiten, erschienen im Hanser –Verlag.
    Ein Buch welches stark polarisiert und zu kontroversen Meinungen oder auch Streitgesprächen herausfordert.
    Friedrich ist Schweizer, er ist ein armer, reicher Junge. Seine Mutter wünscht sich sehnlichst, dass er eines Tages ein berühmter Maler wird. Nach einer Gesichtsverletzung wird er farbenblind, von da an ist er für seine Mutter „uninteressant“, sie verfällt immer mehr dem Alkohol. Sein Vater ein Industrieller, ist viel unterwegs und so verbringt er seine Jugend in Einsamkeit, die einzige Bezugsperson ist die Köchin. Mit 21 Jahren beschließt er sich in der Welt umzusehen, er beginnt seine Reise in Berlin, wo er in einer Kunstschule, die junge Kristin trifft. Die beiden verlieben sich. Eines Tages steht sie schwerverletzt und misshandelt vor seiner Zimmertür und gesteht: „Ich heiße Stella und bin Jüdin.“ Um ihre Eltern zu retten, verrät sie untergetauchte Juden an die Gestapo. Und Friedrich steht vor der Entscheidung, was ist ihm wichtiger, sein Gewissen oder Stella.
    Dieses Buch wird beworben mit dem Slogan: „ Man beginnt dieses Buch mit Skepsis, man liest es mit Spannung und Erschrecken, man beendet es mit Bewunderung. Ich muss gestehen, nachdem dieses Buch in den Medien so hohe Wellen geschlagen hat, habe ich es mit Spannung begonnen, es mit Verwunderung gelesen und mit Enttäuschung beendet. Bei den kursiv gedruckten Textstellen, handelt es sich um Briefe, Liedtexte, Gedanken und vor allem um die Auszüge aus den Feststellungen eines sowjetischen Militärtribunals. Von einer moralischen Stellungnahme möchte ich hier unbedingt absehen. Niemand kann von sich sagen, wie er in Stellas Situation gehandelt hätte, um geliebte Menschen zu retten. Takis Würger erzählt emotionslos und ohne moralisch zu werten, in kurzen Sätzen und völlig sachlich, diese Geschichte. Die Figuren bleiben blass, Spannung ist kaum vorhanden. Es liest sich wie ein Tatsachenbericht, ohne viel sprachliches Niveau. Der Protagonist im Roman ist kein Held, er ist unsicher und unbeholfen. Das zeigt auch, seine Racheaktion beim „Gärtner“, dass er dabei so glimpflich davonkommt, gerade in dieser Zeit, ist einfach unglaubwürdig. Würger bedient sich der Ich-Erzählsituation aus der Sicht Friedrichs. Da es sich in diesem Roman eigentlich – siehe Titel, um die Person Stella handelt, bleibt bei dieser Erzählform die eigentliche Hauptperson leider sehr blass. Was waren Stellas Gedanken, ihre Gefühle, ihre Ängste? Hatte sie womöglich Gewissensbisse bei ihrem Tun? Und vor allem fehlte mir die Handlung aus Stellas Sicht, wenn sie und Friedrich getrennt unterwegs waren. Da es sich bei Stella um eine reale Person handelt, hätte ich mir einfach mehr Informationen zu ihrem Tun gewünscht. Da hätte der Autor anstatt Stella Goldschlag, auch eine weitere fiktive Person wählen können. Weil keine besondere Spannung vorhanden war, konnte ich das Buch jederzeit aus der Hand legen. Sogar die letzten 50 Seiten konnte ich einen Tag lang liegen lassen. Sowas passiert mir sehr selten. Gefallen hat mir allerdings der Anfang der jeweiligen Leseabschnitte, die jeweils den Zeitraum eines Monats im Jahre 1942 zusammenfassten. Würger hat einige Informationen einfließen lassen, Alltäglichkeiten, Weltgeschehnisse, geschichtliche Fakten und natürlich die zehn Gebote des Propagandaleiters Dr. Joseph Goebbels. Einige gute Sätze, z. B. „Wir machten uns schuldig, jeder auf seine Art“, oder: „Ich weiß nicht ob es richtig ist, einen Menschen zu verraten, um einen anderen zu retten“, machten mich nachdenklich. Betroffen gemacht hat mich auch die Dekadenz der Reichen und der Wehrmachtgrößen, in einer Zeit in der die Soldaten an der Front und auch die Bevölkerung darben mussten. Dieses Buch wird als Bestseller bezeichnet, obwohl es weder sprachlich noch inhaltlich besonders ausdrucksvoll erscheint. Alleine durch die dadurch losgetretene Diskussion, findet es seine Abnehmer. Eine Leseempfehlung möchte ich nicht aussprechen, wer sich ein eigenes Bild machen will oder neugierig geworden ist, kann es wie auch ich, in einer Bibliothek ausleihen.

  • Ich habe das Buch heute Nacht zu Ende gelesen. Ich muss dazu sagen, dass ich mich kurz vorher mit Claude Lanzmanns "Shoah" beschäftigt habe (die Dokumentation kannte ich schon, ich habe das dazugehörige Buch gelesen), die erschütternden Eindrücke daraus haben auch Einfluss auf meine Meinung zu "Stella", deshalb ist das hier auch keine Rezi im eigentlich Sinn.

    Erst einmal finde ich die Sprache und Konstruktion dieses Buches herausragend und vor allem wichtig, um diese Geschichte überhaupt angemessen erzählen zu können.

    Jedes Kapitel beginnt mit einem Ausschnitt aus der Prozessakte der Stella Goldschlag und einer zeitlichen Einordnung der Geschichte. Hier zählt Takis Würger nacheinander bedeutende und unbedeutende weltweite historische Ereignisse zusammen mit Aussagen von Josef Göbbels und anderen regimebezogenen Ereignissen auf. Auf mich wirken Letztere dadurch umso erschreckender und alles andere als verharmlosend.
    Das hat auch einen entsprechenden Einfluss auf die Romanhandlung. Und das ist gut so, denn ohne diesen Zusammenschluss von Fakten und Fiktion bzw. der Bewusstmachung der zeitlichen und politischen Einordnung, könnte man Würger durchaus Verharmlosung der Taten der nicht fiktiven Figuren vorwerfen.


    Mit der fiktiven Handlung und vor allem mit der Figur des Fritz als Erzähler hatte ich persönlich nämlich so meine Probleme. Schon die Motive, dieses naiven jungen Mannes, 1942 überhaupt nach Berlin zu gehen, wirkten auf mich zu weit hergeholt. Aber das dürfte Würger durchaus so beabsichtigt haben. Die Idee einen naiven jungen Mann, der nur noch in der Lage ist, Grautöne zu sehen, ins Berlin der damaligen Zeit zu schicken, ihn auf "Greifer", SS-Männer, die große Liebe treffen zu lassen, ist eigentlich genial und ermöglicht einen gewissen Interpretationsspielraum.


    Ich habe mich beim Lesen hier deshalb auch oft gefragt, wie wohl Lanzmanns Interviewpartner, sowohl Opfer als auch Täter, auf diese Geschichte reagiert hätten. Ich konnte gar nicht anders. Ganz persönlich denke ich, dass die Opfer mit der Darstellung der "Stella" und vor allem auch von Tristan von Appen, Probleme gehabt, so wie die Täter wahrscheinlich die Opferrolle hervorgehoben hätten.

    An diesen Stellen hat mir das Buch immer wieder "Bauchschmerzen" verursacht. Das führt dazu, dass ich die Kritik und Befürchtungen mancher LeserInnen an "Stella" durchaus nachvollziehen kann. Takis Würger betritt hier einen manchmal schmalen Grat, auf den ich ihm nicht immer folgen konnte oder wollte.


    Das Buch ist also eine Herausforderung. Grau ist eben nicht nur schwarz und weiß, sondern hat viele Schattierungen. Ich denke, dass Takis Würger ganz klar zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Thema seines Buches auffordert. So wie Clare oben den LeserInnen ein Maß an Intelligenz zutraut, so unterstelle ich ihm, dass er den Interpretationsspielraum bewusst so weit gesteckt hat. "Stella" fordert zum (Nach-)Denken heraus.
    Der Zweck heiligt nicht die Mittel, das erläutert Takis Würger ganz klar, zumindest finde ich hier keine andere Möglichkeit der Interpretation. Aber kann und darf Liebe alles verzeihen? Kann man auf Dauer die Augen verschließen? Wie geht man mit diesem Dilemma um? Das muss jeder für sich selbst entscheiden.


    Takis Würgers nüchterne Art zu schreiben hat mir sehr gut gefallen. Ich werde ihn im Auge behalten.

    8 Punkte