Meine

  • Meine


    Sie sitzt unter den Bäumen auf einer der Bänke, baumelt mit ihren Beinen und lächelt ihren Gesprächspartner an. Ihre Zähne blitzen weiß zwischen ihren Lippen hervor. Er sagt etwas und sie kichert, schiebt dabei ihr Zungenpiercing kurz zwischen die Zähne, gerade so lange, daß man es kurz aufblitzen sieht. Genau so lange, daß man eine schwache Vorstellung davon bekommt, wie es wohl wäre sie zu küssen. Ich will nicht, daß sie sieht, daß ich sie beobachte. Ich dreh mich um und spüle weiter Biergläser unter einem Gartenschlauch ab. Ich höre ihre Stimme aus dem Stimmengemisch heraus. Sie ist ein wenig rauher als normale Frauenstimmen, irgendwie rauchig, verschlafen. Beim Gedanken an ihre Stimme und die Art, wie sie sich anhört, wenn sie morgens wach wird, bekomme ich Gänsehaut.


    Aus dem Augenwinkel sehe ich wie sie aufsteht. Wie der Arsch, mit dem sie schon die ganze Zeit quatscht, einen Arm um ihre Schultern legt und beide den Grillplatz verlassen. Ich seh ihnen nach. Mir dreht sich der Magen um und ich schaffe es nur, ihnen nicht hinterher zu rennen, weil mir eine Tussi auf die Schulter tippt und fragt, ob sie noch ein Würstchen haben kann. Ich klatsche ihr Würstchen auf den Teller, schmeiß die Grillschürze weg und laufe ihnen nach. Auf dem Parkplatz stehen ihre Autos, leer. Ich sehe mich panisch um. Sehe sie nicht. Ich versuche ruhig zu bleiben, atme tief durch, gehe in die Umkleiden, bin mir sicher, sie dort zu finden. Eng umschlungen, knutschend, halb nackt. Mein Hirn schlägt Purzelbäume. Ich balle meine Hände zu Fäusten, bin mir sicher, ich schlage ihn zu Brei, scheiß egal, ob er mein Kumpel ist oder nicht. Die Umkleiden sind leer, ich blicke aus dem Fenster und sehe sie näher kommen. Sie gehen über den Parkplatz, kommen von der Tankstelle, tragen einen Kasten Bier zwischen sich und in ihrem Hosenbund stecken zwei neue Schachteln Kippen. Meine Hände hängen schlaff herunter. Die Anspannung fällt von mir ab.
    Langsam geh ich zurück zum Grillplatz.


    Sie liegt jetzt auf einer der Bänke. Der Spinner sitzt neben ihr und hat ihre Füße auf dem Schoß. Massiert und streichelt sie. Neben ihr bleib ich stehen. Sie öffent die Augen, blinzelt gegen die Sonne. Ich halte ihr mein Bier hin, sie legt den Kopf in den Nacken, öffnet den Mund und ich kippe die Flasche leicht, so daß das Bier in ihren Mund läuft. Sie hebt den Kopf wieder und zieht mich auf die Bank. Ich setze mich, sehe, daß die Pfeife immer noch ihre Beine streichelt. Sie sieht meinen Blick, aber das ist mir jetzt auch egal. Ihr Kopf liegt auf meinem Schoß. Ich spiele geistesabwesend mit ihren langen blonden Locken, während ich mich mit dem Kerl mir gegenüber über Autos unterhalte. Sie ist still, hat die Augen geschlossen, ich fühle ihren Atem an meinem Bein. Ich könnte ewig so sitzen bleiben. Ihr Kopf schwer in meinem Schoß, ein Bier in der Hand und ihr Atem auf meinen Beinen.

    Irgendwann steht sie auf, drückt mir einen Kuß aufs Ohr und geht. Einfach so. Die Pfeife guckt genauso irritiert hinter ihr her wie ich. Er weiß plötzlich nicht mehr, was er mit seinen Händen tun soll, jetzt wo sie ihre Füße nicht mehr bei ihm im Schoß hat. Er lallt ein bißchen, als er mich fragt, ob ich ihn nach Haus fahren kann. Klar kann ich. Er sitzt auf meinem Beifahrersitz, tippt auf sein Handy ein wie wild. Ich weiß, daß er ihre Nummer als Empfänger der SMS eingibt. Er blickt mich scheel von der Seite an. „Die Alte fick ich heute noch.“ lallt er. Ich würde ihm am Liebsten in die Fresse schlagen. Tue es aber nicht, ich setze ihn ab und fahr nach Hause. Parke mein Auto, stelle mich auf einen Abend alleine mit weiteren Flaschen Bier ein und gehe mit gesenktem Blick auf die Haustür zu. Ich hebe den Kopf, will den Schlüssel ins Schloss stecken und sehe sie vor mir. Sie lehnt an meiner Türe, lächelt mich an und wirft ihre Zigarette weg.


    Ich atme auf. Klar, wo sollte sie sonst sein.

  • Zitat

    Original von magali
    Ja.
    Willkommen unter den SchriftstellerInnen..



    Zitat

    Original von magali
    PS.: Nicht 'schäl', sondern 'scheel'.


    schön geändert... :anbet

  • Super, @BJ!! :anbet


    Und da es nur noch um Mini-Kleinkram geht, meld ich mich auch mit ein paar Korinthen. ;-)


    Streich das zweite "kurz" im dritten Satz. Es ist doppelt, und "aufblitzen" reicht eh, finde ich.


    Im zweiten Absatz ist das "kommen" doppelt. Vielleicht einfach: "... sehe sie über den Parkplatz gehen. Sie kommen von der Tankstelle..."?


    Vielleicht "fallen" die Hände lieber schlaff herunter?


    Bei "öffnet" im dritten Absatz ist ein Tipperli.


    "Die Pfeife" und danach zweimal "sie", aber eigentlich ist das erste der Mann und das zweite die Frau..... kannst du beim ersten Mal einfach schreiben "er sieht meinen Blick..."? (Hast du im vierten Absatz auch gemacht, und ich finde, das passt.)


    Wo hat "ich" eigentlich das Bier her, das er ihr hinhält? :gruebel Er ist doch panisch von der Theke weggerannt...


    Und der Satz mit der SMS klingt noch ein bisschen konstruiert. :gruebel



    Oje... das klingt jetzt so viel! :wow (Aber mit dem Kleinkram kann man eben erst anfangen, wenn es sich lohnt ;-) )


    Übrigens........ ich hab die Geschichte mit einer Frau als Ich-Erzählerin gelesen. :-)


    Und der letzte Satz ist perfekt!

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Sehr, sehr schön, BJ! :knuddel
    Ich bin wirklich schwer beeindruckt. :anbet


    Man erkennt deutlich, daß sich die Übung bemerkbar macht, daß du inzwischen eine ganze Menge gelernt hast (ob bewußt oder unbewußt ist völlig wurst).


    Schön auch, daß das "Erzählergeschlecht" offen bleibt.


    Eine Kleinigkeit, die bei mir einen Stolperer ausgelöst hat:

    Zitat

    Aus dem Augenwinkel sehe ich wie sie aufsteht. Wie der Arsch, mit dem sie schon die ganze Zeit quatscht, einen Arm um ihre Schultern legt und beide den Grillplatz verlassen.


    Den "Arsch" würde ich gegen etwas anderes, vergleichbares austauschen. Im ersten Moment könnte es ihr Hintern sein, und erst im Laufe des Satzes wird klar, daß der (andere) Mann gemeint ist. Das stört ein klitzekleines Bißchen, weil es vom Bewegungsfluß ablenkt.


    Schön weitermachen!!!

  • Brav Änderungen durchgeführt:


    Meine


    Sie sitzt unter den Bäumen auf einer der Bänke, baumelt mit ihren Beinen und lächelt ihren Gesprächspartner an. Ihre Zähne schimmern weiß zwischen ihren Lippen hervor. Er sagt etwas und sie kichert, schiebt dabei ihr Zungenpiercing kurz zwischen die Zähne, gerade so lange, daß man es aufblitzen sieht. Genau so lange, daß man eine schwache Vorstellung davon bekommt, wie es wohl wäre sie zu küssen. Ich will nicht, daß sie sieht, daß ich sie beobachte. Ich dreh mich um und spüle weiter Biergläser unter einem Gartenschlauch ab. Ich höre ihre Stimme aus dem Geplauder heraus. Ein wenig rauher, tiefer , irgendwie rauchig, verschlafen klingt sie. Beim Gedanken an ihre Stimme und die Art, wie sie sich anhört, wenn sie morgens wach wird, bekomme ich Gänsehaut.


    Aus dem Augenwinkel sehe ich wie sie aufsteht. Wie der Idiot, mit dem sie schon die ganze Zeit quatscht, einen Arm um ihre Schultern legt und beide den Grillplatz verlassen. Ich seh ihnen nach. Mir dreht sich der Magen um und ich schaffe es nur, ihnen nicht hinterher zu rennen, weil mir eine Tussi auf die Schulter tippt und fragt, ob sie noch ein Würstchen haben kann. Ich klatsche ihr Würstchen auf den Teller, schmeiß die Grillschürze weg und laufe ihnen nach. Auf dem Parkplatz stehen ihre Autos, leer. Ich sehe mich panisch um. Sehe sie nicht. Ich versuche ruhig zu bleiben, atme tief durch, gehe in die Umkleiden, bin mir sicher, sie dort zu finden. Eng umschlungen, knutschend, halb nackt. Mein Hirn schlägt Purzelbäume. Ich balle meine Hände zu Fäusten, bin mir sicher, ich schlage ihn zu Brei, scheiß egal, ob er mein Kumpel ist oder nicht. Die Umkleiden sind leer, ich blicke aus dem Fenster. Sie gehen über den Parkplatz, kommen von der Tankstelle, tragen einen Kasten Bier zwischen sich und in ihrem Hosenbund stecken zwei neue Schachteln Kippen. Meine Hände fallen schlaff herunter. Die Anspannung fällt von mir ab.
    Langsam geh ich zurück zum Grillplatz, greife mir im Vorbeigehen ein Bier aus dem Kasten.


    Sie liegt jetzt auf einer der Bänke. Der Spinner sitzt neben ihr und hat ihre Füße auf dem Schoß. Massiert und streichelt sie. Neben ihr bleib ich stehen. Sie öffnet die Augen, blinzelt gegen die Sonne. Ich halte ihr mein Bier hin, sie legt den Kopf in den Nacken, öffnet den Mund und ich kippe die Flasche leicht, so daß das Bier in ihren Mund läuft. Sie hebt den Kopf wieder und zieht mich auf die Bank. Ich setze mich, sehe, daß die Pfeife immer noch ihre Beine streichelt. Er sieht meinen Blick, aber das ist mir jetzt auch egal. Ihr Kopf liegt auf meinem Schoß. Ich spiele geistesabwesend mit ihren langen blonden Locken, während ich mich mit dem Kerl mir gegenüber über Autos unterhalte. Sie ist still, hat die Augen geschlossen, ich fühle ihren Atem an meinem Bein. Ich könnte ewig so sitzen bleiben. Ihr Kopf schwer in meinem Schoß, ein Bier in der Hand und ihr Atem auf meinen Beinen.


    Irgendwann steht sie auf, drückt mir einen Kuß aufs Ohr und geht. Einfach so. Die Pfeife guckt genauso irritiert hinter ihr her wie ich. Er weiß plötzlich nicht mehr, was er mit seinen Händen tun soll, jetzt wo sie ihre Füße nicht mehr bei ihm im Schoß hat. Er lallt ein bißchen, als er mich fragt, ob ich ihn nach Haus fahren kann. Klar kann ich. Er sitzt auf meinem Beifahrersitz, tippt wie wild eine SMS. Natürlich an sie. Er blickt mich scheel von der Seite an. „Die Alte fick ich heute noch.“ lallt er. Ich würde ihm am Liebsten in die Fresse schlagen. Tue es aber nicht, ich setze ihn ab und fahr nach Hause. Parke mein Auto, stelle mich auf einen Abend alleine mit weiteren Flaschen Bier ein und gehe mit gesenktem Blick auf die Haustür zu. Ich hebe den Kopf, will den Schlüssel ins Schloss stecken und sehe sie vor mir. Sie lehnt an meiner Türe, lächelt mich an und wirft ihre Zigarette weg.


    Ich atme auf. Klar, wo sollte sie sonst sein.

  • Zitat

    Original von MaryRead
    Super, @BJ!! :anbet


    Bei "öffnet" im dritten Absatz ist ein Tipperli.!


    Himmel ich hab jetzt 10 Minuten das Wort öffnet angestarrt und mich gefragt was ich falsch geschrieben hab.....dann hab ich gesehen, daß in der Zeile darüber noch ein *öffnet* steht und da war der Fehler drin... *AUTSCH*


    Zitat

    Original von MaryRead
    "Die Pfeife" und danach zweimal "sie", aber eigentlich ist das erste der Mann und das zweite die Frau..... kannst du beim ersten Mal einfach schreiben "er sieht meinen Blick..."? (Hast du im vierten Absatz auch gemacht, und ich finde, das passt.).!


    Eigentlich war beide Male die Frau gemeint, also dass sie seinen Blick sieht, aber ich finde deinen Gedanken besser, hab es also geändert.


    Zitat

    Original von MaryRead
    Wo hat "ich" eigentlich das Bier her, das er ihr hinhält? :gruebel Er ist doch panisch von der Theke weggerannt...


    Bierbeschaffungssatz wurde eingefügt.



    Zitat

    Original von MaryRead
    Und der Satz mit der SMS klingt noch ein bisschen konstruiert. :gruebel


    Ja das fand ich auch, aber mir kam einfach kein besserer Gedanke... meine Schwester hat dann grade mal dran rumgestrichen und hatte eine Formulierung, die ein bißchen stimmiger ist, aber wirklich gut gefällt mir die Stelle immer noch nicht.... einfach weglassen will ichs aber auch nicht...




    Zitat

    Original von MaryRead
    Oje... das klingt jetzt so viel! :wow (Aber mit dem Kleinkram kann man eben erst anfangen, wenn es sich lohnt ;-) )


    *rotwerd* dankeschön



    Zitat

    Original von MaryRead
    Übrigens........ ich hab die Geschichte mit einer Frau als Ich-Erzählerin gelesen. :-)


    Vielleicht war sie ja sogar so gedacht? :wow :grin



    Zitat

    Original von MaryRead
    Und der letzte Satz ist perfekt!


    Hihi.......ja auf den bin ich auch schwer stolz. :lache

  • Zitat

    Original von Iris
    Eine Kleinigkeit, die bei mir einen Stolperer ausgelöst hat:


    Den "Arsch" würde ich gegen etwas anderes, vergleichbares austauschen. Im ersten Moment könnte es ihr Hintern sein, und erst im Laufe des Satzes wird klar, daß der (andere) Mann gemeint ist. Das stört ein klitzekleines Bißchen, weil es vom Bewegungsfluß ablenkt.!!!


    Ja, die Stelle hab ich im Nachhinein auch als komisch empfunden, aber ich wollte ihn nicht schon wieder Pfeife nennen... :lache


    Zitat

    Original von Iris
    Schön weitermachen!!!


    ....eyeye...SIR! *grüßt und geht tippen*

  • Wie MaryRead schon sagte: Korinthen lohnen sich nur bei einer soliden Grundlage. Ich könnte jetzt auch noch ein paar nachlegen ... z.B., daß am Ende des ersten Absatzes dreimal "S/stimmen" vorkommt -- leicht zu lösen, indem man den Vergleich mit "normalen Frauenstimmen" einfach wegläßt, ebenso das -- m.A.n. -- Unwort "irgendwie" ...
    Ach herrje ... das sind jetzt schon stilistische Feinheiten.
    Kurzgeschichten sind Miniaturen; wie die Illuminationen mittelalterlicher Handschriften wirken sie am besten, wenn sie präzise und feint ziseliert ausgearbeitet sind.


    Leg den Text ein paar Tage in die Schublade, und dann lies ihn dir laut vor. Ich finde, daß er wirklich gut klingt, und diese Erfahrung wirst du dabei auch machen. Beim lauten Lesen wirst du die letzten Sandkörnchen von Wiederholungen, unnötigen Füllwörtern etc. finden.
    Manchmal lohnt es sich auch, die Wortstellung im Satz mal zu variieren, Betontes an den Anfang zu ziehen -- diese wunderbare Möglichkeit gibt es im Deutschen, und es lohnt sich, mit ihr zu experimentieren!


    Allerdings ist bei dieser Vorgehensweise, Satz für Satz zu feilen und zu polieren, immer eine sehr wichtige Sache im Auge zu behalten: der Kontext. Die Sätze müssen ineinander fließen, einer muß zum nächsten führen. Ein Erzähler nimmt die Seele des Zuhörers damit quasi bei der Hand und führt ihn durch die Wunderwelt seiner eigenen Phantasie, in der die Geschichte sich entfalten soll:


    »The chief duty of a narrative sentence is to lead to the next sentence. Beyond this basic, invisible job, the narrative sentence can do an infinite number of beautiful, surprising, powerful, audible, visible things [...]. But the basic function of the narrative sentence is to keep the story going and keep the reader going with it.«
    (Ursula K. LeGuin, Steering the Craft)

  • @BJ
    Normalerweise mag ich Kurzgeschichten nicht so besonders,
    aber die hier gefällt mir richtig gut. :anbet
    Der letzte Satz ist ganz toll!


    Leider wiederholst du dich im ersten Absatz mit "blitzen" (Zähne und
    Piercing) und den "Stimmen" (hat Iris ja schon erwähnt) und das
    finde ich ein wenig störend.


    Viele Grüße
    Kalypso