Graeme Macrae Burnet: Der Unfall auf der A35
Europa Verlag 2018. 304 Seiten
ISBN-10: 3958901549
ISBN-13: 978-3958901544, 17,90€
Verlagstext
Eigentlich gibt es nichts Außergewöhnliches an dem tödlichen Autounfall auf der A35 unweit des elsässischen Städtchens Saint Louis. Doch eine Frage treibt Kommissar Georges Gorski um: Wo war das Unfallopfer Bertrand Barthelme in der Nacht, in der er mit seinem Wagen frontal gegen einen Baum krachte? Als Barthelmes Spuren zu einer jungen Prostituierten in Straßburg führen, die just in jener Nacht erdrosselt wurde, ist der kauzige Provinzkommissar alarmiert. Schnell verstrickt sich Gorski in einem mysteriösen Rätsel um den Toten, das tief hinter die harmlose Fassade der verschlafen wirkenden Kleinstadt Saint Louis blicken lässt. Und auch Barthelmes Sohn Raymond beginnt dem Geheimnis seines verstorbenen Vaters nachzuspüren, das die wohlgeordnete Welt des 17-Jährigen schon bald gehörig ins Wanken bringt … Bestsellerautor Graeme Macrae Burnet meldet sich mit einem außergewöhnlichen literarischen Kriminalroman zurück, der die Fans von Sein blutiges Projekt und Das Verschwinden der Adèle Bedeau begeistern wird. Gewohnt raffiniert und voller schwarzem Humor blickt er in Der Unfall auf der A35 erneut tief in die Psyche seiner Charaktere und spürt den dunklen Seiten des elsässischen Kleinstadtlebens nach. Ein meisterhafter Kriminalroman, der das Genre ebenso geschickt wie sprachlich brillant neu erfindet.
Der Autor
Graeme Macrae Burnet, geboren 1967 in Kilmarnock, Schottland, studierte Englische Literatur in Glasgow. Er schreibt seit seiner Jugend und wurde 2013 mit dem Scottish Book Trust New Writer’s Award ausgezeichnet. Mit seinem einzigartigen historisch-literarischen Krimi Sein blutiges Projekt schaffte er 2016 den Sprung auf die Shortlist des renommierten Man Booker Prize und gehört seitdem zu den außergewöhnlichsten Stimmen der internationalen Krimiszene. Er lebt und schreibt in Glasgow.
Inhalt
Ein Verlag erhält lange nach dem Tod eines Autors zwei unveröffentlichte Manuskripte, eins davon ist „Der Unfall auf der A35“. Darin geht es um den tödlichen Unfall des Anwalts Bertrand Barthelme, auf den Ehefrau und Sohn merkwürdig ungerührt reagieren. Mutter und Sohn hätten beide von Barthelmes Tod profitiert. Der erfolgreiche, wohlhabende Anwalt Barthelme saß allein im Fahrzeug und kam von der Fahrbahn ab. Ein unfallanalytisches Gutachten scheint es in dem Fall nicht zu geben. Der Anwalt hatte offenbar keine Freunde, und sein Sohn Raymond entsprach so gar nicht den väterlichen Vorstellungen von einem würdigen Nachfolger und Teilhaber in der Kanzlei. Der junge Mann, der in der Schule gerade mit Zola geplagt wird, hat sich durch Faulheit und Selbstsabotage praktisch zwischen alle Stühle gesetzt.
Im Stil von Simenons Maigret ermittelt Georges Gorski, der Leiter der örtlichen Polizei im elsässischen Saint Louis. Gorski wurde vor Jahren von seiner Frau verlassen und ist mit der zunehmenden Altersdemenz seiner Mutter spürbar belastet. Ein Mord in Straßburg zwingt Gorski, nach Verbindungen zwischen dem Fall der Straßburger Kollegen und seinem Fall Barthelme zu fahnden. Gorski ist ein erfahrener Ermittler mit Sinn für Ironie. So ist er der Meinung, die Polizei hätte in erster Linie dem Sicherheitsgefühl der Bürger zu dienen und müsse erst in zweiter Linie Ganoven aufspüren. Gorskis Arbeitsweise wirkt wie eine erfolgreiche Kombination aus Beobachtungsgabe, Menschenkenntnis und Schuhsohlenverbrauch. Bei ihm kann ich mir gut vorstellen, dass Verdächtige ihm mehr Verborgenes offenbaren als gut für sie ist.
In einem parallelen Handlungsfaden folgt man als Leser dem 17-jährigen Raymond, der eigene Ermittlungen anstellt und sich durchaus sonderbar benimmt.
Das Szenario wirkt, als wäre in Saint Louis seit des fiktiven Maigrets Epoche die Zeit stehen geblieben; Tintenfass, Füllhalter und ein textilummanteltes Telefonkabel vermitteln diesen Eindruck. Die Lebensverhältnisse der Figuren wirken äußerst gediegen. Häuser erbt man, auch wenn sie sich später als Klotz am Bein erweisen können; Geld scheint keine Rolle zu spielen. Das Sprachniveau ist dem Lebensstil der Figuren angemessen, so ist Raymonds Vater z. B. „zugegen“.
Fazit
Durch die Rahmenhandlung und die sehr sachliche Darstellung wirkt der Plot authentisch; Burnet kann seinen Lesern in beeindruckend glaubwürdiger Weise suggerieren, dass die Ereignisse genau so gewesen sein müssen. Überzeugender fand ich seine Schreibweise allerdings in „Sein blutiges Projekt: Der Fall Roderick Macrae“. Kern des Kriminalromans ist ein Nachwort, das danach fragt, ob Ereignisse authentisch, wahr oder glaubwürdig wirken müssen, damit Leser in sie eintauchen können.
Wer Sympathien für klassische Ermittler-Krimis mitbringt, kann sich hier von einer Hommage an Maigret überraschen lassen.
7 von 10 Punkten