Moby-Dick erzählt die alte Geschichte vom Kampf Mensch gegen Natur, und doch so vieles mehr. Dieser Pottwal unter den Klassikern, mit seinen über 860 Seiten Handlung, den man durchaus auch als sperrig bezeichnen kann, hat mich den letzten Monat meines Lebens begleitet und mein Wissen über Wale, Walfänger und nicht zuletzt auch die Zeit in der er spielt um ein vielfaches erweitert.
Der Leser begleitet den Ich-Erzähler Ismael, der sich in das Abenteuer seines Lebens stürzt und auf einem Walfänger anmustert. Doch sobald die "Pequod" in See sticht, wird immer deutlicher, dass dieses Schiff eine völlig andere Agenda verfolgen wird: Die persönliche Vendetta des finsteren Kapitäns Ahab, der von dem Weißen Wal Moby-Dick an Leib und Seele versehrt wurde und nur noch von seinem Hass vorwärtsgetrieben wird. Da er aber mit dem eingeschlagenen Kurs etwa eine Fangzeit warten muss, bis er voraussichtlich auf seinen Erzfeind trifft, hat Ismael in der Zwischenzeit genug Möglichkeiten Erfahrungen in diesem tranigen Handwerk zu sammeln und diese, mit diversen zoologischen, kunsthistorischen, religiösen und philiosophischen Kommentaren versehen, an seine Leser weiterzugeben. Der Geist des "Schulmeisterleins" Melville durchweht diese Kapitel.
Der Stil ist ein, nicht nur für die damalige Zeit, ungewöhnlicher. Beginnt er noch wie ein einfacher Abenteuer- oder Adoleszenz -Roman, so tritt die Figur des Ismaels bald zurück hinter dem Drama, dass sich an Bord abspielt. Er wird zum Erzähler, der das Schicksal seiner Protagonisten bis zum bitteren Ende begleitet. Dazwischen gibt es aber immer wieder auch Kapitel die in diese Erzählstruktur nicht so recht hineinpassen wollen, schildern sie doch Ereignisse oder Gespräche, von denen Ismael gar nichts wissen kann. Meist sind diese Kapitel wie Dialoge oder Monologe aus einem Theaterstück verfasst (inklusive Tätigkeitsbeschreibungen). Auch die Handlung wird nicht durchgängig fortgesetzt. Immer wieder unterbricht Ismael seine Geschichte, um den Leser mit, in seinen Augen für das Verständnis absolut unverzichtbaren, Informationen zu versorgen. Genau diese Kapitel, die manchmal zwischen Sachbuch und philosophischer Streitschrift schwanken, haben für mich die Sperrigkeit des Romans ausgemacht.
Die einzelnen Figuren die Melville auf seiner Bühne aufmarschieren lässt sind jede für sich beeindruckend und glaubwürdig. Keiner ist ohne Fehler, keiner ist nur ein vom Wahn getriebener. Es sind Menschen. Und gerade in den fast schon shakespearhaften Monologen wird dies offenbar.
Fazit: "Moby-Dick", das wohl bekannteste Werk von Herman Melville gilt nicht umsonst als Klassiker der Weltliteratur. Auch wenn ich durch die beiden Filme bereits die Handlung kannte, ist die Intensität mit der das Buch diese schildert etwas besonderes und sicherlich Wert gelesen, vielleicht sogar erarbeitet zu werden. Es ist nicht ganz einfach und verwöhnt den Leser nicht beständig mit unterhaltsamen "Schnorren", wie es damals so nett genannt wurde. Aber es ist auch nicht ganz ohne Humor, manchmal sogar von beißendem Spott, zum Beispiel gegen die Herrschenden, durchzogen. Es ist ein Abenteuer, ein Erlebnis- und Zeitzeugenbericht und ein zutiefst menschliches Drama.
Zu meiner Ausgabe: Ich habe die von Matthias Jendis neu übersetzte und neu bearbeitete Gesamtfassung gelesen, die sowohl die amerikanische als auch die englische Erstausgabe berücksichtigt und sprachlich möglichst originalgetreu (sprich altmodisch) gehalten ist. Diese Ausgabe verfügt außerdem über einen ausführlichen Anhang mit Texterläuterungen, ein informatives Nachwort und einen Glossar nautischer Begriffe. Ich kann sie wirklich nur empfehlen!