Der Platz an der Sonne - Christian Torkler

  • ASIN/ISBN: 3608962905

    Christian Torkler: Der Platz an der Sonne
    Verlag: Klett-Cotta 2018. 592 Seiten

    ISBN-10: 3608962905

    ISBN-13: 978-3608962901. 25€


    Verlagstext

    Berlin, 1978: Die Hauptstadt der Neuen Preußischen Republik liegt in Trümmern, die Kinder klauen Kohlen und in der Politik geben sich die Halunken die Klinke in die Hand. In dieser Welt entfaltet sich die faszinierende Lebensgeschichte von Josua Brenner – ein wagemutiger Tausendsassa, der sich nicht so leicht unterkriegen lässt. Doch als ihn die Ereignisse überrollen, wird der Gedanke an eine Flucht ins reiche Afrika plötzlich real.

    Josua Brenner kennt sich aus im Leben der kleinen Leute. Im zerbombten Berlin fährt er Suppe aus, schachert auf dem Schwarzmarkt und holt sich Ratschläge fürs Leben bei Opa Lampbrecht. Eine Zeitlang scheint er die Nase vorn zu haben. Die Umstände sind ihm gewogen, seiner kleinen Familie geht es prächtig und auch die Geschäfte laufen gut. Die Strippenzieher in der Neuen Preußischen Republik versuchen zwar, ihm das Leben schwerzumachen, doch so leicht gibt Josua Brenner nicht auf. Ihn treibt ein unbezwingbarer Wille zum Glück, egal wie oft ihm der Teufel ins Handwerk pfuscht. Erst als es für ihn so richtig knüppeldick kommt, bricht er auf in Richtung Süden. Wie all die anderen vor ihm hat er vor allem ein Ziel: ein besseres Leben in einer besseren Welt. Wunderbar leichtfüßig erzählt Christian Torkler von einem modernen Helden, der sein Schicksal herausfordert und sich niemals geschlagen gibt.


    Der Autor

    Christian Torkler stammt gebürtig aus Greifswald und wuchs im Pfarrhaus auf. Sein Studium der Theologie, Philosophie und Kulturwissenschaften absolvierte er in Berlin. 2002 zieht er nach Afrika und lebt einige Jahre in Dar es Salaam in Tansania und bereist im Laufe der Zeit verschiedene Orte des Kontinents. Mittlerweile lebt er teils in Berlin und teils in Phnom Penh in Kabodscha.


    Inhalt

    Nach einem Dritten Weltkrieg in den 50ern gehört Berlin zur Neuen Preußischen Republik, die Teil der Afrikanischen Union ist. Die Stadt ist nie wieder auf die Füße gekommen, Verkehr und Energieversorgung sind ein einziges Chaos und die Berliner hangeln sich durch einen Verhau aus Korruption und florierender Schattenwirtschaft. In den Ruinen suchen elternlose Kinder nach Verwertbarem. Mancher Leser wird bis dahin nur geringe Unterschiede zur Gegenwart feststellen. Doch „die Bongos“ aus Kinshasa scheinen wie eine neue Kolonialmacht zu regieren, das Sagen im Land haben Partei und Militär. 1978 wird Joshua Brenner geboren als Sohn einer gottgläubigen Mutter. Joshua schuftet anfangs als Handlanger auf dem Bau, bis er sich zum Taxifahrer hocharbeitet und schließlich eine Bar eröffnet. Die Bar entsteht praktisch aus dem Nichts, weil viele Leute Joshua gern einen Gefallen tun. Er verkennt allerdings, dass jeder Gefallen eine Verpflichtung ist und er allen Helfern Gegenleistungen schuldet. Joshua arbeitet praktisch Tag und Nacht, sieht Frau und Kind kaum noch, kann den Kampf gegen die herrschende, leistungsfeindliche Parteidiktatur jedoch nur verlieren. Wie jemand in Behörden von Pontius zu Pilatus geschickt wird, haben Uderzo/Goscinny bereits unvergesslich dargestellt – und genauso ergeht es Joshua. Als er feststellt, dass seine Kosten für Miete, Gehälter, Schutzgelder + alle Gefallen, die er noch schuldet, weit über 100% betragen, hat Joshua endgültig die Nase voll. Einem nackten Mann sollte auch die korrupteste Diktatur nicht noch in die Tasche greifen. Eine Ansichtskarte seines Kumpels Roller von einem Strand irgendwo in Afrika hatte Joshua schon länger den Floh von einer Flucht in den Süden ins Ohr gesetzt. Auch im postapokalyptischen Berlin gibt es Vermittler für Schlepperleistungen – für Flüchtlinge aus Europa nach Afrika. Mitten im europäischen Winter macht Joshua sich gemeinsam mit Willi auf den Weg Richtung Westen, immer abhängig davon, dass Informanten und Helfer ihn nicht übers Ohr hauen. Als Kind seiner Zeit hat Joshua keine anderen Informationsmöglichkeiten, als das, was andere Menschen behaupten. Wenn der Roman auch sonst kaum etwas zu meiner Horizonterweiterung beigetragen hat, fand ich diesen Zusammenhang sehr einprägsam. Wer die Glaubwürdigkeit von Nachrichten selbst nicht überprüfen kann, wird zwangsläufig zum Spielball obskurer Interessen.


    Viel später wird Joshua irgendwo auf der anderen Seite des Planeten geraten, sein Leben niederzuschreiben, um seinen Frieden damit zu machen.


    Fazit

    Joshua ist es nicht gegeben, in seinem Erlebnisbericht Ereignisse zusammenzufassen, Wichtiges hervorzuheben und seine eigenen Fehler zu erkennen. Dass die „Neue Preußische Republik“ jeden Respekt vor ihren Bürgern vermissen lässt und das Fass irgendwann überlaufen muss, wäre in kürzerer Form vermutlich wirkungsvoller dargestellt. Wer sich unter der Redensart „Von Pontius zu Pilatus laufen“ etwas vorstellen kann, muss Joshuas Marathon um eine Kneipenlizenz nicht wörtlich nacherzählt bekommen. Allein die Vorgeschichte, die zu Joshuas Flucht führte, umfasst mehr als die Hälfte der knapp 600 Seiten. Die Idee, den Istzustand der Armutsflucht umzudrehen, finde ich zwar pfiffig, Christian Torklers Kombination aus Postapokalypse und alternativer Weltgeschichte gerät durch die Ichperspektive allerdings sehr schlicht nacherzählt und entschieden zu weitschweifig.


    6 von 10 Punkten

  • Der Platz an der Sonne

    Autor: Christian Torkler

    Verlag: Klett-Cotta

    ISBN 978-3-608-96290-1

    592 Seiten

    erschienen am 2. September 2018

    2. Auflage



    Christian Torkler - Der Platz an der Sonne







    Personen und Inhalt



    In Der Platz an der Sonne berichtet uns Josua Brenner von seinem Leben. Josua Brenner hat sein Schicksal, sein Leben immer gern selbst in die Hand genommen. In dem Moment, in dem er uns seine Geschichte erzählt, erscheint er niedergeschlagen und doch vertraut er auf sein Glück, dass sich letztlich alles zum Guten wenden wird. In der Zwischenzeit, um die Dauer seines Aufenthaltes nicht einfach zu vertrödeln, erzählt er, wie es ihm bisher ergangen ist. Von seiner Geburt an.




    Geboren ist Josua Brenner in der Hauptstadt der Neuen Preußischen Republik - in Berlin. Die Stadt ist zerstört, die Menschen, die das Sagen haben, sind korrupt und dennoch versucht Josua Brenner sich eine Zukunft aufzubauen. Er arbeitet viel, doch als auch das keine Früchte mehr trägt und ihm schlicht keine Zukunft in der Heimat erstrebenswert erscheint, bricht er auf. Sein Ziel ist Afrika. Dort soll es geordnete Lebensverhältnisse geben, Arbeit, Geld und eine wohnliche Bleibe. Doch einfach in einen Bus, in einen Zug, in ein Flugzeug steigen kann er nicht. Josua Brenner ist auf der Flucht.




    Meine Meinung



    Der Autor stellt ganz klar in dieser Dystopie darauf ab, dass eine Flucht - sei sie wirtschaftlicher oder politischer Natur - immense Probleme in sich birgt. Sei sie nun menschlicher oder finanzieller Art.


    Das Buch stellt ganz klar heraus, dass ein logisch denkender Mensch zunächst bemüht ist, in seiner Heimat Fuß zu fassen, eine lohnenswerte Arbeit abzuliefern und damit entsprechend Früchte zu tragen. Kann man auf lange Sicht sich und seinem Land nicht dienen, muss ein Ausweg gefunden werden. Auch wenn sich dieser als teuer und beinahe aussichtslos erweist.


    So schickt der Autor unseren Protagonisten Brenner auf eine Reise. Es ist die Flucht in ein süßes Leben. In ein Leben, in dem das Arbeiten Früchte trägt. Ein Leben, in dem man ein Auskommen mit dem Einkommen hat. Ein Leben, das würdevoll ist. Ein Leben, das Angst von außen entbehrt. Ein Leben in sozialer und finanzieller Sicherheit.


    Wer würde sich das nicht wünschen?


    Der Autor Christian Torkler stellt hier ganz klar heraus, dass auch wir, keiner Minderheit angehörig, keinem Krieg ausgesetzt, so einer Situation ausgeliefert sein könnten. Einer Situation, die Hilfe von außen bedarf. Einer Situation, der man nicht selbst durch eigene Leistung entfliehen kann.


    Diese Ausweg- und Aussichtslosigkeit, die sich einstellt, während man selbst versucht Fuß zu fassen und sich und seinen Liebsten eine Zukunft aufzubauen. Eine Zukunft, die man selbst weitestgehend beeinflussen kann. Sei es durch eigene Arbeit, Eigenleistung, Nachbarschaftshilfe, Versicherungen, staatliche Zuwendungen. Doch all dies ist dem Protagonisten hier verwehrt.


    Wir müssen aufpassen, dass uns das nicht wieder passiert. Das uns das nicht auch passiert.

    Momentan sind wir sozusagen gesegnet und leben im gesegneten Land. Doch, wenn wir immer mehr Rückschritte in Kauf nehmen, wird uns das nicht lange bleiben. Das heißt nicht, dass wir andere nicht unterstützen sollten, sondern eher, dass wir von anderen lernen und mit ihnen gemeinsam die Zukunft gestalten.


    Wer, wenn nicht wir, sollten es in der Hand haben, die Zukunft zu gestalten?


    Der Schreibstil von Christian Torkler macht - trotz der ernsten Thematik - Lust und Freude darauf, mehr zu erfahren. Ich mag diese Schnoddrigkeit, die lockere Ausdrucksweise von Brenner - wie Josua Brenner von seinen Freunden genannt wird. Und damit steht und fällt dieser Roman: Es ist, als würde ein Bekannter seine Situation schildern, mir aus seinem Leben erzählen. Gerade so, wie ihm sein Schnabel gewachsen ist.

    Das lässt trotz der ernsten Thematik auch den einen oder anderen Lacher zu.

    Im Ernst: So oft habe ich selten während einer so ernsthaft erzählten Geschichte gelacht.


    "In unserem schönen Land braucht man für so ziemlich alles eine Genehmigung. Iwan hat mal gesagt, es ist ein Wunder, dass man keine Genehmigung zum Scheißen braucht, eine Scheißgenehmigung." - Seite 165


    Die Bürokratie wird in diesem Buch groß geschrieben. Das ist eines der herrlichen Besonderheiten. Auch hier kann ich dieses wundervolle Zitat nicht unerwähnt lassen:


    "Denkmalschutz! Haben sich diese internationalen Herrschaften unsere schöne Stadt jemals angeguckt? Berlin ist ein Trümmerhaufen! Ein verschimmeltes Brot legt man auch nicht zur Seite, um es zu schützen. Das schmeißt man einfach weg." - Seite 169


    Vielerorts höre ich von einigen, wenigen Menschen, dass die Wirtschaftsflüchtlinge doch bitte zu Hause bleiben mögen. Doch, was für eine Zukunft haben sie dort? Zu Hause?


    "Ich meine, warum hat sich denn der olle Mose auf die Socken gemacht und das ganze Volk Gottes mit ihm? Weil sie aus der Scheiße rauswollten, deshalb! Weil sie was Besseres wollten als das, was ihnen zugeteilt war. Und weil in Ägypten da nichts zu machen war." - Seite 475


    Was ich auch bemerkenswert finde, ist, dass Christian Torkler bemüht ist, viele Städte Deutschlands einzubinden. So findet auch meine Heimatstadt einen Platz in seinem Buch.


    "- Übrigens, sagt der eine, ich bin Max, aus Hannover. Und das ist Eugen, aus Mannheim." - Seite 484


    Bemerkenswert ist auch Torklers Stil der Herausstellung der wörtlichen Rede. Sobald die Charaktere zu Wort kommen, befindet sich am Zeilenanfang ein Geviertstrich. Dieser weist auf die wörtliche Rede hin. Anfangs war es für mich gewöhnungsbedürftig, doch während des Lesens erwies es sich als sehr gewandt.


    Kurz vor dem Ende des Romans entlässt mich der Autor mit einem sehr weisen Sprichwort, das ich Euch keinesfalls vorenthalten möchte:


    "Es lautet: Nur der Narr tut, was er nicht lassen kann, ein weiser Mann hingegen lässt, was er nicht tun kann." - Seite 555


    Für mich stellt sich hier allerdings die Frage: "Woher soll ich denn vorher beurteilen können, was ich nicht tun kann, wenn ich es nicht zuvor ausprobiert habe? Wo bleibt mein Pioniergeist? Was kann ich erreichen, wenn ich mich davon nicht ausbremsen lasse? Wieviel Schaden bleibt meiner Seele erspart, wenn ich das vorher einschätzen könnte?"


    Fragen über Fragen.


    Dieses Buch regt mich wiederholt dazu an, mir Fragen zu stellen. Tue ich genug? Genug für meine Überzeugungen? Genug für andere? Wie sieht es auf der Welt tatsächlich aus? In den Krisengebieten? In Ländern, in denen es erstrebenswert erscheint zu leben?




    Fazit



    Sicherlich könnte ich noch weiter fachsimpeln über das Buch, über die Geschichte, über die Menschen, über verschiedene Kulturen.

    Den Ausflug in ein Land, aus dem man selbst schnellstmöglich unter den schlimmsten Bedingungen auswandern möchte, habe ich genossen. Weil dieser Blickwinkel mich erdet. Weil mir dieser Blickwinkel zeigt, dass meine Denkweise nicht falsch ist, auch wenn die Politik es mich Glauben machen möchte. Weil die humanitären Fragen die fundamentalsten sein sollten.

    Dieses Buch ist für alle Freunde der Menschheit.


    Ich habe die Lektüre dieses Buches sehr genossen. Die Geschichte ist unkompliziert erzählt und Brenner ist mir ans Herz gewachsen. Wen würde ich retten wollen, wenn nicht ihn?




    Zusatzinfo



    Vor einigen Monaten habe ich Ai Weiwei kennengelernt. Ai Weiwei begleitete verschiedene Flüchtlinge auf ihrer Reise und dokumentierte die Schwierigkeiten und die Beweggründe in seinem Film Human Flow. Ich kann jedem den Film ans Herz legen, der reale Hintergrundinformationen und vor allem Bilder haben möchte. Im Link findet ihr meinen Bericht dazu.