Maxim Biller – sechs Koffer
Kiepenheuer&Witsch
ISBN: 978-3462050868
208 Seiten, 19 Euro (Kindle-Version 16,99)
Maxim Biller schreibt über das Schicksal einer (seiner?) russisch-jüdischen Familie. Nachdem der Großvater 1960 verhaftet und hingerichtet wurde, scheint niemand mehr Vertrauen in die jeweils anderen Familienmitglieder zu haben. Auch Dima, einer der Söhne und der Onkel des Erzählers, wurde verhaftet, kommt aber wieder frei. Noch Jahre später, als alle im Westen sind, trennt sie die Unklarheit über das Geschehene.
Der Autor nähert sich den damaligen Ereignissen, indem er sie aus verschiedenen Perspektiven erläutert. Überwiegend ist es die Sicht des Erzählers, der als Kind, als Jugendlicher und als Erwachsener versucht, hinter die offenen Fragen zu kommen, aber auch ein Brief seiner Tante, die einige Erlebnisse schildert, fügen einige fehlende Puzzleteile hinzu.
Die einzelnen Figuren wirken so lebensecht, als ob sie gleich ihren Platz zwischen den Buchdeckeln verlassen und sich zum Erzählen zum Leser begeben werden. Man kann sie beim Lesen sehr gut vor sich sehen. Was man nicht sieht, sind ihre Motive, sind die Machenschaften, in die sie scheinbar alle verstrickt waren. Es wird deutlich, dass ihre Konflikte noch heute nicht gelöst sind, dass sie noch immer keinen Frieden gefunden haben. Auf nur wenigen Seiten wird hier eine Familiengeschichte wieder lebendig, die viele Jahre umspannt und in der sich seit der Ermordung des Taten (Großvaters) alles nur noch um die Frage dreht, wer ihn verraten hat und aus welchem Grund das geschehen ist.
Der Roman ist, wie man ihm nachsagt, in der Tat elegant erzählt und der Autor zeigt einen feinen Humor. Trotzdem blickt er distanziert auf seine Figuren, man merkt wenig Liebe zu ihnen und so distanziert man sich auch als Leser etwas und hält einen gewissen Abstand zu ihnen ein. Genau das war es dann auch, dass mir am Ende Erleichterung bescherte, als ich das Buch beendet hatte. Ein großer Roman, das ist er zweifellos, der mir aber weder Sympathie noch Empathie für Handlung und Protagonisten entlocken konnte. Ich war froh, nicht noch mehr über diese Familie lesen zu müssen und froh, die sich überschlagenen Lobeshymnen nicht vorher gelesen zu haben, sonst wäre die Enttäuschung über diesen Roman noch größer gewesen. Von mir 6 von 10 Eulenpunkten.