Deutsches Haus - Annette Hess

  • Titel: Deutsches Haus

    Autorin: Annette Hess

    Verlag: Ullstein Hardcover (21.09.2018)

    ISBN: 978-3550050244



    Die Autorin: (Quelle Amazon) Annette Hess stammt aus Hannover und studierte zunächst Malerei und Innenarchitektur, später Szenisches Schreiben. Sie arbeitete als freie Journalistin, Regieassistentin sowie Drehbuchlektorin. Seit 1998 ist sie ausschließlich als Drehbuchautorin tätig. Bekannt wurde sie durch ihre Fernsehserien Weissensee, Ku’damm 56 und Ku’damm 59. Annette Hess lebt in Niedersachsen und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Grimme-Preis, den Frankfurter Preis der Autoren sowie den Deutschen Fernsehpreis. Deutsches Haus ist ihr erster Roman.



    Meine Rezension


    Inhalt: Die junge Dolmetscherin Eva Bruhns wird überraschend engagiert um während einer Gerichtsverhandlung die Aussagen polnischer Zeugen zu übersetzen.

    Völlig ahnungslos gerät die junge Frau in einen Prozess gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher, die im KZ Auschwitz unglaubliche Gräueltaten verübt haben sollen.

    Zunächst kann Eva die Aussagen der Opfer kaum glauben, zu furchtbar sind die Taten. Doch schon bald spürt sie, dass sie selbst mehr mit den Verbrechen zu tun hatte, als ihr bislang bewusst war.

    Weder mit ihren Eltern, die die Gaststätte „Deutsches Haus“ betreiben, noch mit ihrem Verlobten Jürgen kann sie über das Gehörte sprechen ohne auf eine Mauer aus Schweigen zu stoßen.


    Meine Meinung: Ich wurde von der Geschichte völlig in den Bann gezogen und habe das Buch innerhalb von zwei Tagen verschlungen.

    Die Autorin Annette Hess versteht es ausgezeichnet Fiktion und Fakten zu verweben. Teilweise wurden Ausschnitte aus Originalzeugenaussagen der Auschwitzprozesse verwendet, die auch heute nichts an Grausamkeit und Schrecken verloren haben.

    Eva selbst war während des Krieges noch zu klein um sich bewusst zu erinnern. Umso heftiger treffen sie nun die Fakten, die durch den Prozess ans Licht kommen.

    Evas Familie steht exemplarisch für eine ganze Generation, die alles tut um sämtliche Erinnerungen an Erlebtes, sei es als Täter, Mitläufer oder Opfer, zu verdrängen. Scham und Schuldgefühle werden totgeschwiegen, obwohl sie teilweise durchaus vorhanden sind.

    Die Kriegsverbrecherprozesse reißen rund 20 Jahre nach Kriegsende die kaum verheilten Wunden wieder auf. Trotzdem sind sie nicht nur für die Opfer des Nationalsozialismus sondern auch für die deutsche Bevölkerung unglaublich wichtig um die Vergangenheit zu sühnen und zu verarbeiten.


    Ein bewegendes Buch und ein hervorragendes Portrait der Deutschen während der 60iger Jahre, mitreißend und gefühlvoll geschrieben. Für mich ein Highlight!




  • Inhaltsangabe:

    Von der Erfinderin der TV-Serien Weissensee und Ku'damm 56 / 59



    »Dieser Roman kommt genau zur richtigen Zeit.« Iris Berben



    Frankfurt 1963. Eva, gelernte Dolmetscherin und jüngste Tochter der Wirtsleute Bruhns, steht kurz vor ihrer Verlobung. Unvorhergesehen wird sie gebeten, bei einem Prozess die Zeugenaussagen zu übersetzen. Ihre Eltern sind, wie ihr zukünftiger Verlobter, dagegen: Es ist der erste Auschwitz-Prozess, der in der Stadt gerade vorbereitet wird. Eva, die noch nie etwas von diesem Ort gehört hat, folgt ihrem Gefühl und widersetzt sich ihrer Familie. Sie nimmt die Herausforderung an, ohne zu ahnen, dass dieser Jahrhundertprozess nicht nur das Land, sondern auch ihr eigenes Leben unwiderruflich verändern wird.



    MEINE MEINUNG ZUM BUCH UND AUTORIN

    „ Dieser Roman kommt genau zur richtigen Zeit“, sagt Iris Berben. Diesen Worten kann ich mich nur anschließen. Wenn ich die Politik beobachte, hier in der Geschichte sind sehr Authentisch die 60 er Jahre wiedergegeben, das Spießbürgertum, der Wirtschaftliche Aufstieg, das misstrauische Vorurteil der Gastarbeiter, die Beatles und das verdrängen der dunklen Nazi Vergangenheit. Ich war teilweise sehr erschüttert und beschämt beim Lesen, als es um die Zeugenaussagen in Frankfurt um die Zeugenaussagen im Auschwitz Prozess ging. Sehr feinfühlig und intensiv beschreibt Annette Hesse diesen ersten großen Jahrhundertprozess um Auschwitz, der in Frankfurt stattfindet, all die Vorbereitungen und Intensive Recherche, bis hin nach Polen, begleiten wir die Figuren bis in das Lager. Sehr großartig und mit viel Fingerspitzengefühl beschreibt sie die junge Dolmetscherin für Polnisch Eva Bruns, die den Prozess begleitet und für die Polnischen Zeugen übersetzt. Gegen all den Widerstand der Eltern, und ihres Verlobten Jürgen, einen reichen Geschäftsmann. Langsam beim Lesen erfährt man warum die Eltern so gegen ihre Arbeit als Dolmetscherin beim Gericht sind, es tun sich dunkle Welten auf, den sie scheinen ein dunkles Geheimnis zu hüten, Eva tritt eine Lawine los, Jürgen möchte nicht das seine Zukünftige Frau arbeitet, er möchte ein Heimchen am Herd, eine Frau die sich ihm unterordnet. Auch ihre Schwester Annegret, scheint Probleme zu haben, aber welche ? Irgend etwas stimmt nicht mit ihr. All dies ist so bildhaft und real beschrieben, hier sind Fiktiven Zeugen und deren wahren Aussagen sehr gut mit einander verknüpft. Besonders diese Zeugenaussagen haben mich tief erschüttert und ich schäme mich dafür was man diesen Menschen angetan hat, sie mussten Leiden und behandelte sie schlimmer als Tiere. Sie gibt diesen Stimmen viel Raum, das spürt man beim Lesen. Auch habe ich Eva für ihre Geradlinigkeit bewundert, wie sie sich ihren Eltern und den Verlobten widersetzte und ihren eignen Weg ging.Schön das sie uns in die Seele der Menschen blicken lies, ,manche schöne Fassade die sich als hässliche Fratze entpuppte. All die traumatischen Erlebnisse der Zeugen die sie sich erneut in diesem Prozess aussetzen mussten,all dem mussten sie sich noch einmal neu stellen und durchleben.

    Evas Leben, die ihrer Eltern und Geschwister, das durch den Prozess auf den Kopf gestellt wird, viele vergrabene Erinnerungen kommen hoch, auch bei ihrem verlobten Jürgen, alle müssen sich ihrer Vergangenheit stellen. Ein Aufwühlender Roman, der einem fordert und aufwühlt. Ein wichtiges Stück Zeitgeschichte.

  • Die Frage der Schuld


    Das Deutsche Haus ist eine Gaststätte in Frankfurt, die von Evas Eltern betrieben wird. Hier leben die Bruhns zusammen und genießen das deutsche Wirtschaftswunder. Eva stellt ihren Verlobten zu Hause vor, als sie ein Anruf zur Arbeit ruft. Sie ist Übersetzerin für polnisch und soll eine Zeugenaussage übersetzen. Im ersten Moment versteht sie gar nicht um was es geht, doch nach und nach wird ihr klar, dass es hier um einen Überlebenden aus Auschwitz ging. Kurz darauf bekommt sie die Möglichkeit in den ersten Auschwitz-Prozessen zu übersetzen. Sowohl ihre Eltern als auch ihr Verlobter sind dagegen, dass sie die Arbeit annimmt. Aber Eva setzt ihren Willen durch und stellt fest, dass Schuld nicht etwas ist, was man nur bei anderen findet. Im Laufe des Prozesses wird klar, dass auch ihre Familie mit Auschwitz verbunden ist und Eva muss sich fragen, was ihr alles verschwiegen wurde.


    Annette Hess gelingt es in ihrem ersten Buch, genau wie in ihren Fernsehserien Kudamm '56 und '59, deutsche Geschichte lebendig werden zu lassen. Die Auschwitz Prozesse waren Anfang der sechziger Jahre sehr umstritten, wollten die meisten Deutschen doch nicht mehr über die Zeit im dritten Reich sprechen. Auf der Anklagebank saßen 21 ehemalige SS-Mitglieder, die beschuldigt wurden an den Verbrechen in Auschwitz maßgeblich beteiligt gewesen zu sein. Im Laufe des Prozesse kamen viele Überlebende als Zeugen zu Wort, die das unaussprechliche Grauen in Auschwitz wiedergaben und die Angeklagten immer wieder belasteten. Hier kommt Eva ins Spiel, sie ist diejenige, die für die polnisch sprechenden Zeugen übersetzt und somit zu ihrer Stimme wird. Auch wenn es ihr schwerfällt die Geschichten zu wiederholen, ist es doch wichtig für sie, für die Zeugen zu sprechen.

    In ihrer Familie trifft sie auf eine Wand des Schweigens, niemand will mit ihr über den Prozess sprechen.

    Besonders berührt hat mich der Abschnitt, als Eva und das Gericht in Auschwitz selbst einen Ortstermin haben. Dort wird allen so richtig bewusst, welche Abscheulichkeiten sich dort wirklich abgespielt haben.


    Über die Geschichte des Auschwitz-Prozesses hinaus erfahren wir viel über das Alltagsleben in den 60ern. Berufstätige Frauen waren nur akzeptiert, solange sie nicht verheiratet waren. Evas Verlobter schafft es sogar, dass sie beinahe ihre Stelle verliert, weil er nicht möchte, dass sie da arbeitet.

    In der Umgebung des Deutschen Haus brennen immer wieder Kinderwägen, besonders in Häusern, in denen Gastarbeiter leben. Das Miteinander mit den ausländischen Nachbarn war damals wie heute nicht immer vorurteilsfrei.


    Evas Entwicklung im Laufe des Buches hat mich sehr beeindruckt. Ist sie am Anfang noch sehr erpicht darauf, endlich den Heiratsantrag ihres Verlobten zu hören, wird sie im Laufe des Buches immer kritischer gegenüber dem, was andere von ihr als Frau erwarten.


    In diesem Buch geht es vor allem um das Thema Schuld. Die Schuld der Täter, die Schuld derer, die zwar nichts getan haben, aber auch nichts gegen die Grausamkeiten unternommen haben und um die Schuld der Überlebenden. Derer, die das Lager als Insassen überlebt haben und die Schuld derer, die damals einfach zu klein waren um zu begreifen, was um sie herum geschah.

    Das Buch gibt keine endgültige Antwort dazu, es wird ganz klar, dass jeder selbst eine Möglichkeit finden muss, mit seiner Schuld zu leben. Das gelingt den Protagonisten des Buche mal mehr und mal weniger gut. Die Angeklagten im Prozess sahen sich bis zum Schluss als nicht schuldig und zeigten keinerlei Reue.


    Mich hat dieses Buch sehr beeindruckt, hier wird ein schwieriges Thema lesenswert aufbereitet. Von daher eine unbedingte Leseempfehlung von mir!


    10 von 10 Punkte

  • Ein Stück Zeitgeschichte


    Deutsches Haus, Roman von Annette Hess, 368 Seiten, erschienen im Ullstein-Verlag.
    Die junge Dolmetscherin Eva erlebt beim ersten Auschwitz-Prozess 1963 in Frankfurt, wie die Gräuel der Nazi-Zeit ins Bewusstsein der Bevölkerung gerückt werden.
    Eva Bruhns wird als Dolmetscherin zu einem Auftrag in das Büro des Generalstaatsanwalts gerufen. Eigentlich übersetzt Eva üblicherweise Wirtschaftstexte aus dem Polnischen. Obwohl sie am Anfang Schwierigkeiten hat, wird sie als Dolmetscherin zum ersten Auschwitz-Prozess in Frankfurt hinzugezogen. Trotzdem ihr Verlobter und ihre Eltern dagegen sind nimmt Eva diese Herausforderung an. Durch das im Prozess erlangte Wissen, verändert sich Evas Bewusstsein und sie bekommt eine Ahnung vom Umfang der Verbrechen. Und sie erkennt, dass ihre Eltern etwas verbergen.
    Das Buch gliedert sich in 4 Teile, zwar ohne Kapiteleinteilung aber dennoch in überschaubare Leseabschnitte aufgeteilt. Schlagfertige Dialoge und ein Gebet in hebräischer Schrift lockern die Lektüre auf, machten das Gelesene lebendig. Die Zeugenaussagen im Buch sind aus den Protokollen der Ausschwitz-Prozesse übernommen worden. Die Geschichte flüssig zu erzählen ist der Autorin sehr gut gelungen, da sie als Stilmittel die auktoriale Erzählweise wählt, dadurch kann sich der Leser stets der Sichtweise der einzelnen Charaktere bewusst werden, sie hat es ausgezeichnet geschafft in ihrem Buch Fakten und Fiktion zu verweben. Die Handlung ist flüssig und logisch aufgebaut. Eines kommt zum anderen, nichts wirkt gesucht oder konstruiert, die Botschaft ist tiefgründig und berührt die Seele. Dieses emotionale Buch hatte ich schnell gelesen und ich fühlte mich niveauvoll unterhalten, gut gemacht. Da es sich hier nicht unbedingt um leichte Kost handelt, musste ich das Buch einige Male erschüttert aus der Hand legen. Annette Hess ist bekannt als Drehbuchautorin durch ihre Erfolgsserien Weißensee und Ku‘damm 56 und 59. Auch als Romanautorin konnte sie mich mit vorliegendem Werk überzeugen.
    Meine Lieblingsfigur natürlich die Protagonistin Eva, sie machte in dieser Geschichte die größte Charakterveränderung durch. Ihre Entwicklung vom ahnungslosen Mädchen zur selbstbestimmten Frau, hat mir gut gefallen. Wie sie sich von der Bevormundung ihrer Eltern und ihrem Verlobten gelöst hat und ihren eigenen Weg ging, fordert mir unbedingten Respekt ab. Eine unangenehme Person fand ich ihre Schwester Annegret, die vermutlich unter dem erweiterten Münchhausen-Syndrom leidet, dass für sie in der Geschichte ein versöhnliches Ende herausspringt hat sie überhaupt nicht verdient. Ihr Verhalten zeigt m.E., dass die Erlebnisse in der Kindheit, die sie als die Ältere wohl bewusster wahrgenommen hat, sicher nicht spurlos an ihr vorüber gegangen sind. Die Eltern, renommierte Wirtsleute, die das „Deutsche Haus“ führen, handeln aus meiner Sicht, vermutlich aus Verdrängung oder Scham. Z.B. auf S. 39 sagt die Mutter: „ Das ist alles schlimm, was da war. Im Krieg. Aber man möchte das doch gar nicht mehr wissen. Dabei spiegelt sich auch der „Zeitgeist“, denn ein Zeitungsartikel aus dieser Zeit lautete: 70 Prozent der Deutschen wollen den Prozess nicht! (S.65). Die furchtbare Kriegszeit und die schlechte Zeit danach ist vorbei, das Wirtschaftswunder ist in vollem Gange. Mir hat auch sehr gut gefallen, wie die Autorin das Familienleben in den frühen 60igerJahren eingefangen hat. Gänsebraten, Frankfurter Kranz und Radioprogramm am Sonntagnachmittag 1963, der junge Mann, der seinen Antrittsbesuch bei den zukünftigen Schwiegereltern absolviert, die deutsche Gemütlichkeit dieser Zeit. Leider aber auch die Abhängigkeit der Frauen von ihren Ehemännern damals. Sogar ein Verlobter konnte seiner Braut verbieten zu arbeiten, das kann man sich heutzutage kaum mehr vorstellen. Jürgen Schoormann, Evas Zukünftiger, Sohn eines Unternehmers, war für mich auch nicht unbedingt ganz normal. Er wollte eine Frau die wie ein Hündchen gehorcht. Da kann ich gut nachvollziehen, dass Eva ihn zwar liebt, ihn aber nicht versteht. Mich hätte auch noch interessiert was aus David Miller geworden ist.
    Ich kann Iris Berben nur zustimmen: „Dieser Roman kommt genau zur richtigen Zeit.“
    Ich finde es ist wichtig, dass dieses Buch viele Leser findet und möchte eine uneingeschränkte Leseempfehlung aussprechen.

  • Wer sich nicht erinnert, den bestraft die Zukunft


    Mit ihrem Buch „Deutsches Haus“ entführt Annette Hess in das Deutschland der 60er Jahre. Auch sprachlich hat sie sich dieser Zeit angepasst, was das Ganze noch authentischer wirken lässt. Ihre Protagonistin Eva soll als gelernte Dolmetscherin in einem Prozess die Aussagen von Zeugen übersetzen. Es ist der erste Auschwitzprozess, der in ihrer Stadt stattfinden soll und Eva hat sofort das Gefühl, dass sie bei diesem Prozess unbedingt dabei sein muss. Doch ihre Eltern und ihr Verlobter sind dagegen. Trotzdem setzt sie ihren Willen durch und erfährt in diesem Prozess Dinge, die ihr Leben komplett verändern werden.


    Dieser Roman zeichnet ein sehr aufschlussreiches Bild der damaligen Zeit. Er lässt uns einen Blick in eine Gesellschaft werfen, die von Männern dominiert wird und beim Lesen wird klar, dass viele dieser Männer aber auch ihre Frauen über ihre Vergangenheit im dritten Reich schweigen.

    Die Richter im ersten Auschwitz-Prozess, der aus verschiedenen Gründen erst 1963 beginnen konnte, mussten entscheiden, ob die Angeklagten Mörder, Mittäter oder Gehilfen waren. Es sind immer nur einzelne eingeworfene Sequenzen aus dem Prozess, Zeugenaussagen, die Eva übersetzen muss oder ihre Beobachtungen der Angeklagten und deren Verteidiger, die erahnen lassen, über welche Unmenschlichkeiten gesprochen wurde.


    Demgegenüber stehen die Schilderungen von Evas harmonischem Familienleben und dem Zusammensein mit ihrem Verlobten, doch mit der Zeit wird offensichtlich, dass auch Evas Eltern etwas zu verschweigen haben. Meisterhaft geschrieben, lösen sich ganz langsam die Grenzen zwischen ihrer heilen Welt und dem, was Eva tagtäglich im Gerichtssaal erfährt, auf.


    Es ist ein Roman gegen das Vergessen, der aufzeigt, dass sich eine ganze Gesellschaft schuldig gemacht hat, in dem sie schwieg und verdrängen wollte. Schaut man auf die Seiten des Auschwitz-Prozesses, so findet man selbst Hauptangeklagte, die später wieder ganz normal in der Mitte der Gesellschaft leben und ihrem Beruf nachgehen. Das Buch ermuntert, sich mit dem Prozess zu beschäftigen, was man durch das Internet heutzutage sehr gut kann. Man hat, wie Eva, die Möglichkeit, die Richter, die Verteidiger, die Angeklagten und die Opfer genauer kennenzulernen, kann Einblick in die Örtlichkeiten nehmen und Tondokumente hören.


    Mein Fazit: Ein Roman, der mit beeindruckend ruhiger Sprache gegen das Vergessen anschreibt. Der das Bild einer Gesellschaft aufzeigt, von der ein ganzer Teil ihre Vergangenheit nur zu gern verschweigen wollte. Die Gegenüberstellung von kleiner, heiler Welt, harmonischem Familienleben und den Gräueltaten, zu denen „ganz normale Menschen“ fähig waren, lässt nachdenklich zurück und ist aktuell wie lange nicht mehr.

  • 1963 in Frankfurt. Die Übersetzerin Eva wird überraschend für einen anstehenden Prozess benötigt und lässt sich auf den Job ein, ohne genaue Vorstellung davon, was auf sie zukommen wird. In diesem großen und medial hochkochenden Gerichtsverfahren, werden 21 Offiziere und Beamte des dritten Reiches angeklagt, im polnischen Konzentrationslager Ausschwitz die Todes-Maschinerie am Laufen gehalten und Zehntausende von Menschen gefoltert und getötet zu haben. Nach fast 20 Jahren versucht die deutsche Justiz zum ersten Mal, wirklich aufzudecken, was in diesem Lager passiert ist und die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Dabei werden unzählige von Zeugen gehört, Beweise gesichtet, Aussagen verglichen und am Ende sogar eine Reise an den Tatort unternommen, um der unfassbaren Wahrheit näher zu kommen.


    Evas Eltern, die das Speiselokal „Deutsches Haus“ führen, sind wie viele andere, wenig begeistert davon, dass die schrecklichen Gräueltaten wieder ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden. Erst nach und nach erkennt Eva, dass mehr dahinter steckt. Auch mit ihrem Verlobten gibt es Probleme wegen ihrer Arbeit im Prozess. Er möchte seiner zukünftigen Frau am liebsten diesen Job untersagen wie er überhaupt gerne hätte, dass sie sich ihm und seinen Wünschen unterordnet, so wie es damals auch von Rechts wegen bei Ehepaaren noch üblich war.


    Aus der jungen und etwas naiven Eva wird im Laufe der Geschichte eine erwachsene Frau die erkennen muss, dass vieles in ihrem Leben nicht so rosarot und gut ist, wie sie immer dachte und die herausfindet, was sie im Leben wirklich möchte. Dazu gehört auch, dass sie und der Rest der Welt erfahren, was in Ausschwitz und anderen Lagern wirklich geschehen ist.


    Es handelt sich bei „Deutsches Haus“ um den ersten Roman der sehr erfolgreichen deutschen Drehbuchautorin Annette Hess. Sie hat sich in der akribischen Recherchearbeit durch die 400 Stunden Sprachprotokolle des Ausschwitz-Prozesses durchgearbeitet und lässt Passagen dieser Verhöre wohldosiert in das Buch miteinfließen. Dabei kommen natürlich grausame Unfassbarkeiten zur Sprache und es wird nichts beschönigt und nichts verschwiegen. Auch wenn das Gerichtsverfahren Dreh- und Angelpunkt ist, so wird aber nie die Hauptperson Eva vergessen und ihre Sicht auf die Verhandlung. Auch die Verstrickungen ihrer Familie zu Zeiten des Nazi-Regimes und ihre Beziehung zu dem Verlobten spielen eine große Rolle und runden diese Geschichte perfekt ab.


    Das Buch hat mich emotional sehr aufgewühlt, obwohl oder gerade weil der Erzählstil der Autorin sehr reduziert und aus einer mit Abstand beobachtenden Sicht gehalten ist. Das hat mir ausnehmend gut gefallen, lässt es doch Raum für eigene Erkenntnisse und Gedanken zu den Geschehnissen und zu den Charakteren der Darsteller. Vor allem die Entwicklung von Eva aber auch einige überraschende Wendungen haben mich begeistert und ich hoffe sehr darauf, bald wieder etwas von dieser tollen Autorin zu lesen – oder im Fernsehen sehen zu dürfen.


    Obwohl ein Erzählstrang um die Schwester von Eva das Gesamtbild etwas gestört hat, da mir das Thema tatsächlich zu dominant und zu wenig ausgearbeitet erschien, vergebe ich 10 Eulenpunkten. Ein absolutes Lesehighlight für mich.


    Es ist wichtig, immer wieder von damals zu erzählen, denn was geschehen ist, darf nie vergessen werden.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Ninni Schulman - Den Tod belauscht man nicht

    Hanna Caspian - Im Takt der Freiheit


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Ich unterschreibe eure Rezis voll und ganz.


    Ein tolles Buch gegen das Vergessen, das mich sehr berührt und aufgewühlt hat. Den Zeitgeist der 60iger und die Atmosphäre fand ich sehr gut, authentisch und realistisch beschrieben. Bei den Gerichtsverhandlungen und der Reise nach Auschwitz konnte einem die Gänsehaut aufstehen. Aber abgesehen von dieser Problematik fand ich auch unglaublich, welche Rechte Männern hatten. Ich denke an Jürgen, der sich u.a. in die Berufstätigkeit eingemischt hat, heimlich zum Vorgesetzten ging und Eva quasi den Beruf verboten hat.


    Ich wünsche diesem Buch noch viele Leser und hoffentlich wird es auch von Jugendlichen angenommen, damit sie verstehen, daß so etwas NIEMALS mehr passieren darf.