Paul Grote: Pinot Grigio stand nicht im Testament. Kriminalroman, München 2018m dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-21740-8, Klappenbroschur, 446 Seiten, Format: 12,4 x 3,8 x 19 cm, Buch: EUR 12,95 (D), EUR 13,40 (A), Kindle Edition: EUR 10,99.
„Ich bin eben ein Hingucker“, ereiferte sich Frank. (...) „ Ich bin Fotograf, mache die Augen auf, ich sehe die Dinge, schaue mir die Leute an, sehr genau, die Welt und die Prozesse, Abläufe, Strukturen dann drücke ich auf den Auslöser ...“ (Seite 387)
Der Fotograf Frank Gatow, 50+, aufgewachsen in Hamburg und Turin und seit 12 Jahren in der Toscana lebend, wo seine zweite Frau Antonia Vanzetti ihr Weingut betreibt, ist nicht nur ein „Hingucker“. Er ist auch ein Einmischer. Ungerechtigkeiten und krumme Touren sind ihm ein Gräuel. Und weil er Behörden und Politikern nicht über den Weg traut, regelt er die Dinge gerne selbst, was ihn schon mehrfach in Lebensgefahr gebracht und eine dauerhafte körperliche Beeinträchtigung beschert hat.
Ein angeblicher Unfalltod
Derzeit weilt er in Südtirol und fotografiert dort für einen Bildband über den Wein. Über ein Dutzend Weingüter und Kellereien stehen auf seinem Terminplan. Als er bei dem Winzer Werner Kannegießer vorstellig wird, den er schon wiederholt bei beruflichen Anlässen getroffen hat, trifft er auf dem Gut nur dessen jüngste Tochter, die Önologin und Pferdefreundin Theresa (23) an. Sie eröffnet ihm, dass ihr Vater leider verstorben sei. Bei einem Tauchunfall in Venezuela habe er einen Herzinfarkt erlitten – angeblich.
Theresa glaubt an einen Mord. Das Weingut der Familie ist rund 22 Millionen Euro wert, und es gibt eine Menge raffgieriger Verwandter, die das Erben gar nicht abwarten können.
Werner Kannegießer hatte zwei neu liierte Ex-Gattinnen und vier erwachsene Kinder samt Anhang aus diesen beiden Ehen. Da in Südtirol das Prinzip des „geschlossenen Hofs“ gilt, also nur einer das landwirtschaftliche Anwesen erben kann, geht nun natürlich das große Hauen und Stechen los.
Es soll angeblich ein Testament geben, in dem Theresa als Hoferbin eingesetzt wird mit der Auflage, aus dem Ertrag des Weinguts für die anderen Familienmitglieder zu sorgen. Aber dieses Testament ist verschwunden. Verzweifelt wendet sich Theresa an Frank Gatow, den sie irrtümlich für einen engen Freund ihres Vaters hält, und bittet ihn, ihr auf der Suche nach dem Testament und dem Mörder zu helfen. Es wäre schon viel wert, wenn die Polizei ihren Verdacht endlich ernst nähme und in Venezuela ermitteln ließe. Da ist ja bis jetzt rein gar nichts passiert!
Erbstreitigkeiten? Nein, danke!
Frank Gatow ist von der Geschichte unangenehm berührt. Er kannte Werner Kannegießer ja nur oberflächlich. Und nun soll er in das ganz große Familiendrama mit Erbhändel, Betrug, Mord und Gottweißwas hineingezogen werden? Nein, danke! Er will hier nur in Ruhe fotografieren und dann schnell wieder nach Hause zu seiner Frau.
Doch das mit der Ruhe wird nichts. Sein Kollege Matteo hat ihm in Abwesenheit nicht nur seine Wohnung in Bozen überlassen, er hat auch seine Lebensgefährtin, die attraktive Foodstylistin Marcella, darum gebeten, sich um ihn zu kümmern. Marcella ist nicht mehr blutjung aber eine eindrucksvolle Erscheinung. Sie kauft für „Franco Gatto“ ein, bekocht ihn, wuselt im Haushalt herum – und bringt ihn heftig aus dem Konzept.
Dann sucht auch noch Kannegießers habgierige Mischpoche seine Nähe. Exfrauen, Kinder und deren Ehepartner werden nacheinander bei ihm vorstellig um ihm zu versichern, dass a) Theresa spinnt, b) alle anderen Familienmitglieder Gauner und Erbschleicher sind und c) nur sie selbst bzw. ihr Partner der einzig wahre Erbe des Weinguts sein können.
Der einzige halbwegs Normale in der Familie des verstorbenen Winzers ist Kannegießers Sohn Marco (19), der das Gut gar nicht haben will und mit 2 Hektar „Spielwiese“ für seinen Pinot Grigio zufrieden wäre. Der Junge ist Frank sympathisch, seine Schwester Theresa tut im leid, die übrigen Verwandten hält er für Hyänen. Er beschließt also, den beiden jungen Leuten zu helfen und Nachforschungen für sie anzustellen. Für Ermittlungen in Venezuela spannt er sogleich seinen gut vernetzten Kumpel Henry Meyenbeeker, einen deutsch-spanischen Winzer, ein.
Dass Frank seine Aktivitäten an die große Glocke hängt, ist ein Fehler, der direkt in die Katastrophe führt. Jetzt fühlt er sich schuldig. Doch statt aufzugeben, verstärkt er seine Bemühungen.
Hobbydetektive leben gefährlich
Der Fotograf und seine Getreuen, die er für die Nachforschungen einspannt, sind allesamt eifrig bei der Sache, aber eben keine Profis. Die Gegenseite kriegt schnell Wind davon, wer ihr wie dicht auf den Fersen ist. Dass diese Leute vor nichts zurückschrecken, hat Gatow ja gesehen. Doch wenn er sich einmal in einen Fall verbissen hat, kann er nicht mehr loslassen. Auch wenn es noch so gefährlich wird ...
Nachdem Paul Grotes voriger Weinkrimi eher schwach und langatmig war, legt er hier eine Art Seifenoper im Milieu der Schönen und Reichen von Südtirol vor. DALLAS in Bozen. Eine spannende italienische Weinoper. Okay: Auch hier geht es erst ab dem 12. Kapitel so richtig rund.
Wem die Informationen über Wein, Architektur und Landesgeschichte zu ausführlich sind, der kann ja ein bisschen mogeln und die entsprechenden Stellen überfliegen. Mann kann hier eine Menge interessanter Dinge lernen, man muss aber nicht. Faszinierend finde ich Grotes Beschreibungen der jeweiligen Weingüter. Ich hab ein ums andere Mal im Internet nachgeschaut, wie die geschilderten architektonischen Besonderheiten in der Realität aussehen. Und ob der Winzer vom Castel Juval tatsächlich Ähnlichkeit mit Popeye, dem Spinatmatrosen hat, habe ich auch überprüft.
Weil’s das ganze Drumherum wirklich gibt und so viele real existierende Personen erwähnt werden, hat man bald das Gefühl, die Romanfiguren seien ebenfalls real. Sie wirken so echt. Superhelden sind’s jedenfalls keine. Gatow ist ein Sturschädel, den das Leben misstrauisch gemacht hat und der Probleme am liebsten selbst löst. Von Paul Grotes knurrigen Helden ist er noch der umgänglichste.
Würstchen, die sich für Löwen halten
Erfände der Autor nicht immer wieder patente Winzerinnen und kluge, resolute und engagierte Partnerinnen für seine Helden, hätte ich ihn schon längst der Misogynie verdächtigt. Er kann die mit Abstand unsympathischsten Frauenfiguren beschreiben. Die Möchtegern-Erbinnen in diesem Krimi sind ein Hexengeschwader vom Feinsten. Sowas hasst man mit Vergnügen. Eine differenzierte Charakterisierung gibt’s bei den weiblichen Bösewichten allerdings nicht. Es sind geldgierige Schlampen, basta, und man möchte sie brennen sehen. Ihre männlichen Gegenstücke zerlegen sich früher oder später selbst – weil’s Würstchen sind, die sich für Löwen halten.
Nicht nur der Held schaut genau hin, der Autor auch. Und wie bei Frank Gatow ist auch bei Paul Grote von Altersmilde keine Spur. Kopfschüttelnd beobachten Protagonist und Krimi-Autor das (selbst-)zerstörerische Verhalten ihrer Mitmenschen. Teilen oder auch nur „leben und leben lassen“ scheint uns nicht im Blut zu liegen, Egoismus, Neid und Habgier umso mehr. Aber ein paar Gerechte gibt’s auch in Grotes Universum: seine grantigen Helden. Die haben auch ihre Fehler und Schwächen, aber sie besitzen ein starkes Gerechtigkeitsempfinden und sie sind nicht korrumpierbar.
Ein Personenregister vorne im Buch gibt dankenswerter Weise einen Überblick, wer hier wer ist. Das ist ein netter Service, aber nicht unbedingt nötig. Zwar gibt es reichlich Romanpersonal, aber das ist gut auseinanderzuhalten. Eine Landkarte zeigt, wo die Weingüter und Kellereien liegen, die Frank Gatow im Verlauf seiner Arbeit besucht.
Der Autor
Paul Grote berichtete fünfzehn Jahre lang als Reporter für Presse und Rundfunk aus Südamerika. Seit 2003 lebt er als freier Autor in Berlin. Sein Gespür für Wein, sein Wissen und seine Erfahrungen spiegeln sich in allen seinen Krimis wider.