Dmitri Gluchowski las in Hamburg am 15.September 2018
Der russische Schriftsteller Dmitri Gluchowski ist in Deutschland keine unbekannte Größe und so verwundert es nicht, dass er mit seinem nunmehr siebten Roman einen Lesereisenstopp in Hamburg einlegt.
Für den neuen Roman, der sich wie alle seine Bücher durch eine düstere Stimmung auszeichnet, hätten die Verantwortlichen keinen geeigneteren Leseort auswählen können. Die Nochtwache, auf St.Pauli befindlich, über einen Hinterhof und Gang in den Keller erreichbar, wollte erst gefunden werden.
Eine Kleinkunstbühne und eine Bar stehen in dem Kellergewölbe mit freigelegtem Mauerwerk; Sitzmöglichkeiten gibt es für knapp 25 Besucher.
Rötlich gedämpftes Licht stimmte auf einen vielversprechenden Abend ein.
Pünklich um 20 Uhr betreten eine Moderatorin, ein lässig in dunklen Farben gekleideter Dmitri Gluchowski und Franz Dinda die Bühne.
Die Moderatorin, die sich namentlich nicht vorstellt, führt kurz in das Leben und das Schaffen von Dmitri Gluchowski und Franz Dinda ein, letzterer wird die deutschen Passagen des Romans lesen.
Es folgt eine kurze Einführung in den Roman "Text", in dem es um politische Macht, die Nutzung moderner Kommunikationsmittel und Überwachunung geht.
Nach ein paar Begrüßungs- und Dankesworten Gluchowskis beginnt die Lesung.
Dmitri Gluchowski liest die erste Passage seines Romans in russischer Sprache mittels Smartphone vor.
Es folgen zwei Passagen in deutscher Sprache von Franz Dinda, vorgelesen aus einem Leporello.
Dinda, selbst Schauspieler, Hörbuchsprecher und moderner Lyriker, gibt souverän und ausgezeichnet vorbereitet mit wechselnden Stimmen den in Wort und Tat derb agierenden Figuren ein Gesicht, während Gluchowski die Zeit nutzt, auf seinem Smartphone zu surfen.
Die Moderatorin, die sich später mittels Internetrecherche als Friederike Moldenhauer herausstellt, greift das Thema Internet und Smartphonenutzung auf, das auch Gegenstand in "Text" ist.
Der Protagonist tötet seinen Gegenspieler, nimmt dessen Handy an sich und eignet sich zugleich die Identität des Opfers an.
Im Gespräch versucht Moldenhauer herauszuarbeiten, wie Gluchowskis Verhältnis zur Nutzung moderner Kommunikationsmittel aussieht und ob er sich täglich der im Roman geschilderten Möglichkeiten und Gefahren bewusst sei.
Im Großen und Ganzen beschränkt sich seine in deutscher Sprache gegebene Antwort darauf, dass die Daten auf jedermanns Smartphone das vollständige Leben preisgäben und der Abdruck einer Menschenseele seien.
Zugleich gesteht er, dass er Facebook, Instagram usw. nutzen würde und "addicted" sei, was Moldenhauer sinngemäß mit "wäre uns gar nicht aufgefallen" kommentiert.
Franz Dinda liest im Anschluss eine weitere Passage vor, die das Gespräch auf Putin und die Recherche zum Buch bringen.
Auch wenn der Europa Verlag Gluchowski als Putins Kritiker bewirbt, äußert sich der Gast des Abends verhalten.
Vielmehr geht er darauf ein, warum die Russen Putin bewundern und wie es um Russlands Oligarchen stehe.
Auch auf die Frage nach seinen zwei Wohnsitzen antwortet Gluchowski eher ausweichend. Er sei ein Klimaflüchtling, Moskau sei im Winter zu kalt, daher sei Barcelona sein zweiter Wohnsitz.
Trotz allem bleibe Russland seine Heimat.
Auf seine Recherchearbeit geht der Schriftsteller ebenfalls nur dürftig, beinahe geheimnistuerisch ein; jeder Russe kenne jemanden, der schon einmal im Gefängnis gesessen habe, so dass es kein Problem gewesen sei, Zeugen zu befragen. Schwieriger sei die Befragung von Polizisten und Geheimdienstlern und er nannte in einem Atemzug das Problem der Korruption, das sowohl von außen einwirke als auch innerhalb der Polizei bestehe.
Die Gelegenheit, das Publikum zu Wort kommen zu lassen, gibt es nicht, dennoch nimmt sich ein Gast die Freiheit, sich zu melden. Gluchowski, fast genervt, geht nochmals auf Putin ein.
Friederike Moldenhauer bedankt sich für den Abend, nicht ohne noch einmal auf den Büchertisch und die Möglichkeit des Signierens zu verweisen.
Dmitri Gluchowski, der in der letzten Viertelstunde des Abends unentwegt Fotos von sich und dem Publikum schießt, erkundigt sich letztlich noch danach, ob sein Deutsch verständlich gewesen sei und verabschiedet sich mit der Aufforderung, seine Bücher zu kaufen. Mehrmals.
Das Licht geht an und mit ihm eine mäßig gute Inszenierung zu Ende, ohne großen Erkenntnisgewinn dafür in einer außergewöhnlichen Location und mit der vertanen Chance, mit dem Publikum an der Bar einen Absacker zu nehmen.
Übermäßige Coolness und Geschäftstüchtigkeit wären dann längst vergessen gewesen.