Edinburgh International Book Festival 2018

  • Habe mich dieses Jahr mal an einem Gesamteindruck versucht.


    Kaum im sonnigen und warmen Edinburgh angekommen, das Gepäck abgeladen, gab es am ersten Tag gleich drei Highlights. Jasper Fforde, Philip Pullman und abends Graeme Macrae Burnet, so unterschiedlich, wie faszinierende Veranstaltungen. Die Stimmung auf dem Charlotte Square war wie gewohnt gut und entspannt.


    Leseratten jeden Alters, viele Sitzmöglichkeiten in der grünen Mitte, außen die Zelte für die Lesungen, das Spiegelzelt, je einen Buchladen für Erwachsene und einer für Kinder mit einer speziellen Seitentür, die für "BFGs" (Riesen aus „Sophiechen und der Riese“) zu niedrig ist. Beide ausgezeichnet sortiert, mit reichlich Platz zum Hinsetzen und Schmökern. Das bunte und spannende Veranstaltungsprogramm lässt kaum Wünsche offen. Irgendwann zwischendrin schlug das Wetter um, sonntags regnete es dann in Strömen bei 18 Grad und blieb leider an den meisten Tagen sehr... schottisch.


    Diese Fotos geben die Stimmung meiner Meinung nach sehr gut wieder und auch einen guten Überblick über die Anlagen auf dem Charlotte Square.


    Das Thema des Bookfests war dieses Jahr "Freedom" ("Freiheit") und erstmals wurden zahlreiche Autoren gefragt, ob sie einige Seiten zu dem Thema schreiben könnten. 51 Texte sind in den "Freedom Papers" veröffentlicht, zehn davon können bis zum 20.09. noch bei der BBC angehört werden. Jeder Autor konnte seinen Text bei seiner Veranstaltung vorlesen.


    Eine Lesung einer taiwanesischen Autorin durfte nicht fehlen und Lin Man-Chius "The Ventriloquists Daughter" ("Die Tochter des Bauchredners") war spannend und informativ, über ihre Kindheit in Taiwan und die damals völlig unterschiedliche Bedeutung von Puppen in der westlichen Welt und Asien.


    Louis de Bernières stellte „So Much Life Left Over“ vor, das nach dem Ende des ersten Weltkriegs spielt und die Fortsetzung des bisher nicht übersetzten „The Dust that Falls from Dreams“ ist, das 1914 beginnt. Der erste Band hatte mir gut gefallen, den Inhalt des zweiten und dritten (noch nicht veröffentlichten) Bandes kennen die Zuhörer dank Louis de Bernières weitgehend. Die Moderatorin versuchte mehrmals vergeblich, ihn zu bremsen.


    Es gab zahlreiche Veranstaltungen, die sich mit Muriel Sparks beschäftigten, die in Edinburgh, geboren wurde und dieses Jahr ihren 100. Geburtstag gefeiert hätte. Der Literaturkritiker Alan Taylor empfahl für den Einstieg "Loitering with Intent" (dt. "Vorsätzlich Herumlungern"), das bereits auf meiner Wunschliste gelandet ist. Der Aufzeichnung einer Folge von "Open Book" über die Bedeutung der Literaturkritik war interessant, fünf Menschen, die sich auf sehr unterschiedliche Weise mit Literatur auseinandersetzen. (Zum Nachhören bei BBC Four verfügbar.)


    Ben Okri stellte sein neues Buch vor, „The Magic Lamp“, eine Sammlung von Geschichten, zu denen er sich durch Gemälde von Rosemary Clunie inspirieren ließ. Zum Anfang wurden die Zuschauer von einer improvisierten Tanzdarbietung überrascht, begleitet von Ben Okris Stimme, der eine der Geschichten aus dem Buch vorlas. Es war eine der inspirierendsten und warmherzigsten Veranstaltungen. (Tonaufzeichnung)


    Am Dienstag war dann mein Krimitag. Zuerst die etwas umstrittene forensische Anthropologin Sue Black, moderiert von Val McDermid. Die beiden arbeiten seit Jahren eng zusammen und sprachen über die Fortschritte der Forensik in den letzten Jahren, sowie über das erste Buch von Sue Black. Damit die Forschung an der Universität von Dundee so unabhängig wie möglich bleiben kann, halfen Val McDermid und neun weitere Krimiautoren, um die fehlende Summe von einer Million GBP für den Bau einer neuen Leichenhalle aufzutreiben.


    Abends dann eine viel zu kurze Stunde mit Ian Rankin, der über den nächsten Band der Reihe um John Rebus sprach (der kein Polizist mehr ist aber natürlich trotz COPD die Füße nicht stillhalten kann) und darüber wie er im Urlaub in Griechenland in einer vermeintlich mehr oder minder heilen Welt ins Bett ging, um am nächsten Morgen "dank" des Brexit-Votum in einer anderen Welt aufzuwachen.


    Alan McLean, Tom Cunningham, und Alexander McCall Smith beschäftigten sich mit dem ersten schottischen Antisklaverei-Urteil aus dem Jahr 1687 und machten eine Mini-Oper daraus. Diese solle auf keinen Fall als Musical bezeichnet werden, da es um ein sehr ernstes Thema gehe und trägt den Titel „The Tumbling Lassie“, da der Name des Mädchen nicht überliefert ist.


    Claire O’Callaghan (Biografin von Emily Bronte) und Fiona Sampson (Biografin von Mary Shelley) sprachen über die beiden Autorinnen, deren Biografien ähnlicher sind als man auf den ersten Blick denken könnte.


    Jedes Jahr gibt es auch einige Veranstaltungen mit Literaturübersetzern. Zum einen die die so interessanten wie manchmal humorvollen „Translation Duels", bei denen zwei Übersetzer den gleichen Textabschnitt vorher übersetzt haben und die unterschiedlichen Ergebnisse diskutiert werden. Zum anderen Gespräche mehrerer Übersetzer über ihre Herangehensweise und wie sie zum Übersetzen kamen. Auch wenn ich kein Polnisch kann, gehörte diese Veranstaltung zu meinen Highlights.


    Moderiert von dem in der englischsprachigen Literaturszene sehr bekannten Übersetzer Michael Hofmann tauschten sich Antonia Lloyd-Jones und Jennifer Croft aus, die beide Texte von Olga Tokarczuk aus dem Polnischen ins Englische übersetzt haben.


    Jennifer Crofts Übersetzung von "Bieguni/Flights" wurde mit dem Man Booker International Prize 2018 ausgezeichnet. (Informationen zu einer deutschen Übersetzung konnte ich nicht finden, könnte die englische Ausgabe wandern lassen.)


    Natürlich fanden auch zum Brexit zahlreiche Veranstaltungen statt, etliche Politiker waren anwesend und es gab auch einige Theaterinszenierungen in der Reihe „Playing with Books“ wie „Leben und Zeit des Michael K.“, eine eher spartanische Umsetzung, Malveranstaltungen für Kinder mit Chris Riddell und noch viel mehr. Bei vielen Veranstaltungen sind Gebärdendolmetscher mit auf der Bühne, alle Zelte sind rollstuhlgerecht. Auch Comics kamen nicht zu kurz. Eine Neuentdeckung war für mich Tom Gauld mit "Baking with Kafka" (Leseprobe).


    Viel interessanter als erwartet war die Stunde mit Zindzi Mandela, der jüngsten Tocher von Nelson Mandela, und Alan Little, dem langjährigen Südafrika-Korrespondenten der BBC, zum Anschauen hier, die über ihre Kinderheit und Jugend sprach und danach ihr Bilderbuch „Grandad Mandela“ signierte, das aus Gesprächen mit ihren Enkeln entstand.


    Matt Haig selbst und sein neustes Buch „Notes on a Nervous Planet“, über den immer schnelleren technischen Fortschritt und den Umgang der Menschen damit, sowie den Umgang der Menschen untereinander, hätten weitaus mehr als eine Stunde verdient.


    Etwas ganz Besonderes sind immer die Abendveranstaltungen im Spiegelzeit, die unter dem Motto "Unbound" stattfinden. Von 21:00-23:00 gibt es jeden Tag ein anderes Thema. Irische Poesie und Musik, Damian Barr's Literary Salon, dessen Highlight der zweite Auftritt der Band "Best Picture" war, mit Ian Rankin als Sänger und Tamburinspieler (bei Youtube nach "Ian Rankin's Best Picture Live in the Spiegeltent" suchen). Die "Fun Lovin' Crime Writers" (Video vom letzten Jahr) und noch viel mehr.


    Michael Morpurgo und David Almond könnten jeweils einzeln das große Main Theatre füllen und auch jeweils mehr als eine Stunde. Beide zusammen boten ein Feuerwerk an Ideen und positiver Energie, fesselten das meist jugendliche Publikum und machten neugierig auf ihre älteren und neuen Bücher.


    Die Veranstaltung mit Danny Denton und Rhidian Brook besuchte ich kurzfristig auf Empfehlung von Freunden aus Edinburgh und wurde positiv überrascht von der Kreativität der beiden. Hoffentlich werden beide Bücher ins Deutsche übersetzt werden, ein literarisches Roadmovie über einen reisenden Schmetterlingshändler in den 1980ern in den USA und ein dystopischer Noir Thriller in einer Welt der steigenden Meeresspiegel.


    Wenn man hört, wie schwierig es für zahlreiche Teilnehmer des Bookfests und des Fringe Festivals war, ein Visum für Großbritannien zu erhalten, dass die Reise von Palästina nach Edinburgh unter widrigen Umständen 48 Stunden dauert (Nayrouz Qarmout), wie die Lebensbedingungen einiger Autoren in ihrer Kindheit (z.B. Ben Okri, Michael Morpurgo) waren und mittendrin erfährt, dass unsere Lesebiene viel zu früh gestorben ist, wurde mir wieder deutlich bewusst, wie gut es einem selbst geht.


    Autoren historischer Romane fehlen natürlich auch nicht. So zum Beispiel Kate Mosse, die über den ersten Band ihrer neuen Trilogie sprach, in der es um Hugenotten aus dem Languedoc geht, die nach Südafrika auswandern und Leanda de Lisle, die sich in ihrem neusten Buch mit Charles I. beschäftigt. Auch zahlreiche Sachbücher über Geschichte wurden vorgestellt. Miranda Kaufmann stellte "Black Tudors" vor (zum Nachhören hier), Gilbert Markus erzählte von neuen Entwicklungen in der Forschung zur schottischen Frühgeschichte. Jenny Uglows wunderschön gestaltete Biographie über Edward Lear landete direkt auf meinem Wunschzettel.


    Nicht unerwähnt bleiben sollte auch die Liste der für den First Book Award nominierten Bücher, die meine Wunschliste jedes Jahr wachsen lässt.


    Am meinem letzten Tag fiel leider die Lesung mit Judith Kerr aus. So verbrachte ich den Tag in der Nähe von North Berwick am Meer, die Insel anschauen, die möglicherweise die Inspiration für die "Schatzinsel" war, ab 19:00 Uhr dann im Spiegelzelt, wo Gael Faye mit zwei Freunden aus Ruanda Lieder sang, Texte aus "Kleines Land" auf Englisch und Französisch vortrug und das Publikum verzauberte. In Frankreich ist Gael Faye auch als Musiker bekannt, in Deutschland bisher leider noch nicht. Das Signieren dauerte danach über zwei Stunden, weil er sich für jeden Einzelnen viel Zeit nahm. Er arbeite an neuen Liedern, sowie einem neuen Buch - für das es bisher keinen Abgabetermin gibt.


    Und schwups waren die zwei Wochen vorbei, der Kopf voller neuer Eindrücke und Vorfreude auf das nächste Bookfest. :-)


    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")


    "An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die Schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern."

    Erich Kästner.

  • Herzlichen Dank für Deinen Bericht und Deine Eindrücke! :anbet

    Gerade bei Jasper Fforde und Philip Pullman wäre ich auch super gerne dabei gewesen.
    Und das

    "Claire O’Callaghan (Biografin von Emily Bronte) und Fiona Sampson (Biografin von Mary Shelley) sprachen über die beiden Autorinnen, deren Biografien ähnlicher sind als man auf den ersten Blick denken könnte." klingt auch sehr interessant.

    Vielen Dank noch mal!!!