Karl Wolfgang Flender: Helden der Nacht

  • Karl Wolfgang Flender: Helden der Nacht

    Verlag: DuMont Buchverlag 2018. 400 Seiten

    ISBN-10: 3832198601

    ISBN-13: 978-3832198602. 20€


    Verlagstext

    Seine ganze Jugend über waren sie Bryan Austers Helden: die großen Privatermittler von Chandler oder Hammett, die einsamen Wölfe mit Zigarette, Hut und Trenchcoat. Einige Wochen Krankheitsvertretung in der Detektei seines Vaters reichen aus, um ihren Mythos zu zerlegen. Trister Alltag, klägliche Routinen, weit entfernt von düsterem Glamour oder irgendeiner Relevanz. Doch dann wird Bryan Zeuge eines echten Verbrechens. Und findet Geschmack am Ermitteln – mit fatalen Folgen. Nur wenige Straßen weiter ist Kommissarin Colleen McCollum unterwegs. Sie hasst ihren Joballtag, ihre unfähigen Kollegen, die Erbärmlichkeit der Verbrecher. Und wird mit einer bizarren Mordserie konfrontiert, die sie zwingt, noch einmal ganz neu über ihr Leben und ihre Profession nachzudenken.

    ›Helden der Nacht‹ lässt die Schicksale des Träumers und der Zynikerin aufeinanderprallen, dass es knallt. Karl Wolfgang Flender ist ein fein konstruierter, hochspannender Roman gelungen über den Kampf um wahren Heldenmut in einer entzauberten Welt: temporeich, klug und irre komisch.


    Der Autor

    Karl Wolfgang Flender, geboren 1986 in Bielefeld. 2015 erschien sein Debütroman ›Greenwash, Inc.‹ bei DuMont. Zurzeit promoviert er in Literaturwissenschaft an der FU Berlin.


    Inhalt

    Bryan Austers Vater hat sich als Detektiv den Rücken ruiniert beim stundenlangen Observieren und Rauchen vom Auto aus. Nun muss Auster Senior zur Kur nach Ungarn und der Junior soll ihn während dieser Zeit in der Detektei vertreten. Bryan hat messerscharf erkannt, dass zumindest in einem Szene-Kiez das Geschäftsmodell seines Vaters am Ende ist. Wer seine Probleme nicht mehr durch Observation/Denunziation löst, beauftragt heutzutage keinen Detektiv. Da Bryan sowieso keine Lust auf Kleinkram in der Detektei hat, sucht er den ganz großen Wurf, mit dem er ohne viel Aufwand reich werden kann. Er setzt auf IT-gestützte Erpressung, kauft dafür die gehackten Kundendaten einer Dating-Webseite an und will dabei die alten Kollegen seines Vaters beschäftigen, räusper, also sie über den Tisch ziehen. Kein stundenlanges Warten mehr im verräucherten Auto, mit der Gesundheit der alten Herren wird es nach seiner Idee steil bergauf gehen.


    Parallel zum Vater-Sohn-Nachfolge-Konflikt ermittelt Colleen McCollum als Mitarbeiterin einer Berliner Mordkommission in einer Mordreihe, bei der dem Opfer vor seinem Tod jeweils ein Finger abgehackt wurde. Spiegelstrafe nennt man das, eine Form der Rache, bei der ein Täter etwas erleiden soll, das seine eigene Tat symbolisiert. Colleen wird in einem schmerzhaft realistischen Setting tätig, in dem die Polizei Fuhrpark und IT-Ausstattung komplett aus Beschlagnahmungen bestreiten soll. Mancher möchte ihre Arbeitsbedingungen vermutlich lieber als Utopie sehen. Colleen gelangt bei der Suche nach einem Verdächtigen in ein undurchsichtiges Firmenimperium namens Valhalla Capital, das als Inkubator für Start-Up-Projekte gehandelt wird. Um Valhalla Capital herum ranken sich recht schräge Fortschreibungen aktueller Entwicklungen, bei denen ich nicht wusste, ob ich lachen oder die Leute bemitleiden sollte. Spätestens als die Presse ins Spiel kommt, wird deutlich, dass kleine Fische nicht mit Haien schwimmen gehen sollten …


    Als Colleen McCollum die Bühne betrat, dachte ich, ich wäre im falschen Film gelandet, einer umgepolten Vorabendserie, in der statt deutsche Schauspieler in Maine ermitteln zu lassen, Austauschkommissare aus aller Herren Länder in einem deutschen Setting auftreten. Doch dafür verhielten die Leute sich trotz ihrer EU-farbigen Namensgebung zu muffelig-deutsch.


    Fazit

    Eine groteske, anspielungsreiche Hommage an den Gentleman-Detektiv samt Abgesang auf den männlichen deutschen Kettenraucher legt K. W. Flender hier vor. Am Ende habe ich mich gefragt, ob es in Berlin nicht genau jene Gestaltwandler geben könnte, von denen ich bisher dachte, sie wären eine Erfindung der Literaturbranche.


    7 von 10 Punkten