Eckhart Nickel: Hysteria

  • Eckhart Nickel: Hysteria

    Verlag: Piper (4. September 2018). 240 Seiten

    ISBN-10: 3492059244

    ISBN-13: 978-3492059244. 22€


    Verlagstext

    »Hysteria« erzählt die Geschichte von Bergheim, der auf einem Biomarkt merkwürdig unnatürliche Himbeeren entdeckt. Auf der Suche nach dem Rätsel ihrer Beschaffenheit und Herkunft gerät er immer tiefer in eine kulinarische Dystopie, in der das Natürliche nur noch als absolutes Kunstprodukt existiert, weil das Künstliche längst alle Natur ersetzt hat. Aber keiner weiß davon. Nur seine Hypersensibilisierung befähigt Bergheim, die unheimliche Veränderung wahrzunehmen und ihr nachzugehen. Alle Fäden laufen im Kulinarischen Institut zusammen, wo er Charlotte wiedertrifft, seine Studienfreundin und ehemalige Geliebte, die nun als Leiterin an der Spitze der Bewegung des »Spurenlosen Lebens« steht. Allein mit Ansgar, dem dritten im Bunde des ehemaligen Uni-Triumvirats, wird es Bergheim gelingen, etwas dagegen zu tun.


    Der Autor

    Eckhart Nickel, geboren 1966 in Frankfurt am Main. Seine Texte erscheinen unter anderem in den Wochenendausgaben der SZ und FAZ. Er gehörte zum popliterarischen Quintett, das einen gemeinsamen Aufenthalt im Berliner Hotel Adlon dazu nutzte, den Band "Tristesse Royale" (1999) zu verfassen. Von Herbst 2004 bis zur letzten Ausgabe im Sommer 2006 leitete Eckhart Nickel als Chefredakteur zusammen mit dem Herausgeber Christian Kracht von Kathmandu aus die Literaturzeitschrift Der Freund. Er veröffentlichte "Gebrauchsanweisung für Portugal" und gemeinsam mit Christian Kracht "Gebrauchsanweisung für Kathmandu und Nepal". Nickel wurde 2017 zum Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb eingeladen, wo er für den Beginn seines Romans „Hysteria“ mit dem Kelag-Preis, vormals Preis des Landes Kärnten und Preis der Jury, ausgezeichnet wurde.


    Inhalt

    Bergheim ist ein vorsichtiger Mensch, der Elektrogeräten misstraut und sich Gedanken über deren mögliche Strahlung macht. Beim Einkaufen auf dem Markt entdeckt er Himbeeren, die viel zu dunkel aussehen und sich falsch anfühlen. Jenseitig, findet Bergheim und macht sich auf den Weg in die Kooperative, die diese verdächtigen Himbeeren erzeugt. Wir befinden uns in einer ökologischen Diktatur der nahen Zukunft. Die Erde hat nach einer gewaltigen Klimakatastrophe versucht, ihre gierigen Bewohner abzuschütteln, die wiederum nach Gegenmaßnahmen suchten. So konnte eine Initiative „Spurenloses Leben“ Einfluss gewinnen, die schon entstand zu Bergheims Studienzeiten als Fachkraft für Kulinarik. Gemeinsam mit dem Kulinarischen Institut als Teil des Ernährungsministeriums werden 10 neue Geboten verkündet, nach denen u. a. Menschen nur noch als Nomaden über ihren Planeten ziehen dürfen. Der Natur darf nichts mehr entnommen werden, das nicht sowieso von der Pflanze abfällt oder eines natürlichen Todes stirbt. Geleitet wird das kulinarische Institut zu Bergheims Verblüffung von Charlotte, seiner Liebe aus der Studienzeit. Gemeinsam mit Ansgar bildeten die drei im Studium eine verschworene Clique. Rückblenden zeigen, wie bereits damals erfinderische Leute Genussmittel komplett ersetzten, indem sie sensorische Reize künstlich erzeugten. Bergheim zeigte schon da eine gewisse olfaktorische Besessenheit und einen Kontrollzwang, den Zweierbeziehungen auf die Dauer nicht aushalten.


    Aus der nahen Zukunft blickt Eckhart Nickel zurück in Bergheims Jugend, als - von seinem Helden vermutlich unbemerkt - das Fundament der heutigen Öko-Diktatur gelegt wurde. Ein Handlungsstrang dreht sich um einen Copy-Shop-Inhaber, der früher Buchhändler war und sich inzwischen völlig neu erfunden hat – auch er in gewisser Weise eine Konstruktion.


    Fazit

    Bergheim und die verdächtige Himbeere – diese beeindruckende Szene behielt ich den gesamten Roman über im Hinterkopf. Wie muss sich eine normale Himbeere anfühlen und wer möchte eigentlich künstliche Früchte schmecken, fragte ich mich. Interessanter wäre Nickels Utopie, wenn sie sich nicht nur um die Theoretiker des Systems drehen würde, sondern auch Figuren zeigen würde, die sich beim Erzeugen der sensorischen Illusionen irgendwo die Hände schmutzig machen müssten. Ein schon vor der Buchveröffentlichung gelobter und preisgekrönter Blick in die Zukunft, der unser Konsumverhalten weiterdenkt. In der nächsten Generation könnten Himbeeren evtl. nur noch ein Sinnesreiz aus dem Aromazerstäuber sein ...


    8 von 10 Punkten


  • Danke für deine Rezi. Das klingt interessant.
    Das Buch ist ja noch gar nicht erschienen, aber ich habe es mal in der Bibliothek auf den Wunschzettel geschrieben.

    Da der Titel auf den Longlist zum Buchpreis steht, schaffen sie es bestimmt an.