Christopher Wilson - Guten Morgen, Genosse Elefant

  • Gebundene Ausgabe: 272 Seiten

    Verlag: Kiepenheuer&Witsch (16. August 2018)

    Sprache: Deutsch

    ISBN-10: 3462050761

    ISBN-13: 978-3462050769

    Originaltitel: The Zoo


    Inhaltsangabe:


    Die lustige, traurige, spannende, lehrreiche, herzzerreißende Geschichte von Juri Zipit, der ein paar Wochen in Stalins Datscha verbringt und sein Vorkoster Erster Klasse wird. "Mein Name ist Juri Zipit. Ich bin zwölfeinhalb Jahre alt und lebe in einer Personalwohnung im Hauptstadtzoo gleich gegenüber vom Seelöwenteich hinter der Bisonweide, direkt neben dem Elefantengehege. Mein Papa ist Doktor Roman Alexandrowitsch Zipit, Professor für Veterinärmedizin, Fachgebiet Neurologie der Großhirnrinde, also ein Spezialist für alles, was im Kopf der Tiere schiefgehen kann. Als ich sechseinviertel Jahre alt war, passierte mir das größte Pech. Ein Milchwagen ist von hinten in mich reingerumst. Hat mich durch die Luft gepfeffert, bis ich auf den Boden geknallt bin, kopfvoran aufs Kopfsteinpflaster. Dann kam hinterrücks die Straßenbahn und ist über mich rüber. So was hinterlässt einen bleibenden Eindruck.Ich möchte Ihnen erzählen, wie ich einmal ein paar Wochen im Zentrum der Macht verbracht habe. Es waren höchst vertrauliche Angelegenheiten und dubiose Ereignisse, die zu düsteren Geschehnissen führten. Geheimnisse versteckt in der Geschichte. Ich baue auf Ihr Schweigen. Außerdem will ich Sie beschützen. Zu Ihrer eigenen Sicherheit. Also, psssst."


    Autoreninfo:


    Christopher Wilson studierte und erforschte die Psychologie des Humors und lehrte zehn Jahre lang an der Goldsmiths Universität in London. Er unterrichtet kreatives Schreiben in Gefängnissen, an der Universität und für die Arvon Foundation. Christopher Wilson lebt in London.


    Meine Meinung:


    Titel: Völlig anders als erwartet...


    Bereits das auffällige Cover mit dem roten Stern und der kernige Titel des Buches haben meine Neugier wecken können. Gerechnet habe ich mit humoriger Literatur, bekommen habe ich so viel mehr.


    In der Geschichte geht es um den 12- Jährigen Juri Romanowitsch Zipit, allgemein bekannt als Sohn des Tierarztes vom Hauptstädtischen Zoo und im Kopf leicht meschugge. Seit einem Unfall ist Juri in manchen Dingen etwas eingeschränkt, hat aber dadurch die Gabe, dass andere Menschen ihm gern Geheimnisse anvertrauen, weil er so einfältig drein schaut. Durch eine mysteriöse Begebenheit wird er zum ersten Vorkoster Stalins und bald dessen engster Vertrauter. Wie kommt er mit der neuen Rolle zurecht? Und was bedeutet diese Vertrautheit für den Rest seines Lebens?


    Durch die Handlung führt uns Juri als Ich- Erzähler, so dass wir als Leser ganz nah dran sind an seiner Gefühls- und Gedankenwelt, was es so ungemein schwer macht dieses Buch zu lesen, da man von den Schilderungen tief berührt wird und teilweise sprachlos ist.


    Juri als Figur ist einfach herzallerliebst. Trotz allem was er bisher durchmachen musste wie den Unfall mit einer Straßenbahn, getroffen vom Blitz und diversen Hänseleien von seinen Mitschülern, schaut er stets nach vorne und hat ein unglaublich sonniges Gemüt. Ich fühlte mich ihm als Protagonisten tief verbunden und mit seiner liebenswürdigen Art hat er ganz klar mein Herz erreicht.


    Besonders interessant war hier vor allem die letzten Tage von Stalin zu erleben. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das Geschilderte wie Lebensmittel im Überfluss, amerikanische Western und ähnliches der damaligen Realität sehr nahe kommen.


    Da ich ein eher lustiges Buch erwartet hatte, war ich doch sehr bestürzt über die Geschehnisse um Juri. Nie im Leben hätte ich erwartet, dass man einem Kind so etwas antun würde.


    Etwas schwergängig haben sich für mich die diversen Namen lesen lassen, die meist aus drei oder vier Einzelnamen bestanden und oft musste ich online nachforschen wer der ein oder andere ist, da ich in der Ostblockprominenz nicht sonderlich bewandert bin.


    Fazit: Der Roman war völlig anders als erwartet, hat mich aber tief berührt und teilweise sprachlos zurückgelassen. Wer sich von Misshandlungen an Kindern nicht abschrecken lässt, der wird mit einer emotionalen und gefühlvollen Geschichte belohnt, die einen nicht kalt lässt und die noch lange nachwirkt.


    Bewertung: 8/ 10 Eulenpunkten

  • Meine Tage mit den Mächtigen

    Guten Morgen, Genosse Elefant, Roman von Christopher Wilson, 272 Seiten, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.
    Die Erlebnisse des russischen Jungen Juri Zipit, als Vorkoster Stalins.
    Der 12jährige Juri lebt mit seinem Vater Doktor Roman Alexandrowitsch Zipit in einer Dienstwohnung im Zoo, sein Vater ist Professor für Veterinärmedizin, sein Fachgebiet Neurologie der Großhirnrinde. Eines Nachts werden die beiden abgeholt und in die Datscha des „Vater des Vaterlands“, Josef Stalins gebracht. Der Stählerne hatte einen leichten Schlaganfall, da Juris Vater nicht viel ausrichten kann, werden die beiden getrennt und Juri bleibt als erster Vorkoster und Spion, in den Diensten „Onkel Josefs“. Seine Erlebnisse dieser Zeit sind in diesem Buch sehr berührend geschildert. Da Juri in der Vergangenheit vom Blitz getroffen, von einer Straßenbahn und einem Milchwagen überfahren wurde, hat er doch so einige Handicaps. Bei emotionalen Ereignissen reagiert er mit epileptischen Anfällen, außerdem kann er nicht immer kontrollieren was er so alles „ausplappert“. Er wird dort Zeuge wichtiger Entscheidungen und epochaler Vorkommnisse und dieses Wissen wird für ihn schließlich sehr gefährlich.
    Das Buch ist in überschaubare Kapitel aufgeteilt die mit einem Titel versehen sind. Darunter steht der Ort und das Datum, was sehr hilfreich ist sich in der Zeit zurechtzufinden. Medizinische Fachausdrücke erscheinen kursiv und die Verhaltensmaßregeln die ihm sein Vater ans Herz legte, wie auch ein paar Witze sind fett gedruckt und werden dadurch deutlich hervorgehoben. Wilson hat als Stilmittel die Ich-Form aus der Sicht Juris gewählt. So kann sich der Leser zu jederzeit ganz nah am Geschehen fühlen.
    Juri Zipit ist ein, wenn auch etwas naiver, aber doch sehr kluger Junge. Ein liebenswerter Protagonist sein Schicksal hat mich an einigen Stellen zu Tränen gerührt. Trotzdem gab es auch immer wieder Szenen, z.B. mit dem Stählernen, die mich zum Lachen brachten. Stalin ist als grausamer, vulgärer Despot beschrieben, der flucht wie ein Droschkenkutscher. Doch kann er sich nicht der Faszination des Jungen entziehen, die Menschen dazu bringt, ihm seine Geheimnisse anzuvertrauen. Völlig unsympathisch war der sadistische Leiter des Geheimdienstes Marschall Bruchah, der am Ende für seine Untaten büßen muss. Insgesamt hat mich das Buch hervorragend unterhalten und ich konnte es auch schnell durchlesen. Gefallen hat mir, dass trotz traurigen Elementen auch immer wieder Juri durch sein sonniges zuversichtliches Wesen Hoffnung in die Erzählung gebracht hat. Die Charaktere handelten nachvollziehbar und ich konnte dem Plot gut folgen. Am Ende wurde ich noch von einer unvorhersehbaren Wende überrascht.
    Wieweit sich die Erzählung mit den tatsächlichen Geschehnissen um die letzten Tage des Generalsekretärs der KPdSU deckt, bleibt der Fantasie des Lesers selbst überlassen. Die handelnden Charaktere können, soweit es die Sowjetfunktionäre betrifft, durchaus historischen Personen zugeordnet werden, denn die Namen wurden kaum verändert. Meine Empfehlung für Leser, die sich für das Leben des Diktators interessieren oder einfach nur formidabel unterhalten werden wollen. Ich vergebe 10 Eulenpunkte