Mary Aiken: Der Cyber-Effekt. Wie das Internet unser Denken, Fühlen und Handeln verändert
Verlag: FISCHER Taschenbuch 2018. 560 Seiten
ISBN-10: 3596032938
ISBN-13: 978-3596032938. 22€
Übersetzerin: Laura Su Bischoff
Verlagstext
Schützen Sie sich und Ihre Kinder vor einem Leben online – für einen intelligenten und selbstbestimmten Umgang mit dem Internet
Kleinkinder, die das iPad so mühelos beherrschen wie Google-Mitarbeiter. Teenager, die mit ihrem Smartphone verwachsen zu sein scheinen und ihre Freunde nur noch im Netz treffen. Ehemänner, die ihre Nächte alleine vor dem Computer verbringen. Ehefrauen, die es keinen Tag lang ohne Internet und Kreditkarte aushalten. Großeltern, die plötzlich mit »Brieffreunden« aus Nigeria aufwarten … Das Internet beeinflusst unser Leben und unser Verhalten, verändert unsere Normen und Werte, prägt unsere Kinder und unsere Wahrnehmung. Der Cyberspace ist perfekt darin, uns zu beeinflussen. Aber wer schützt uns vor dem Cyberspace? Mary Aiken kennt die Gefahren genau und beschreibt, was das Internet aus und mit uns allen macht, wohin die digitale Revolution uns noch führen wird – und was wir dagegen tun können.Die Arbeit der profiliertesten und bekanntesten Cyber-Psychologin ist Grundlage der Fernsehserie CSI: Cyber.
Inhalt
Mary Aiken liegt der Schutz von Kindern und Jugendlichen im Internet besonders am Herzen. Die virtuelle Welt sei für Erwachsene geschaffen und halte kein Nichtschwimmerbecken für Anfänger bereit, weil jeder Teilnehmer als gleich betrachtet würde. Ob der Einfluss von digitalen Geräten zur Internetnutzung der Entwicklung von Kindern schadet, untersucht sie in ihrem schon 2016 im Original erschienen Buch. Bereits 3-Jährige besitzen heute eigene Tablets, Schulanfänger eigene Profile in den sozialen Medien. Zuletzt ereiferten sich auch deutsche Medien über Eltern, deren Kinder verunglückten oder ertranken, während ihre Eltern - angeblich - gerade mit ihren Smartphones beschäftigt waren. Ein weiterer Auswuchs der schönen neuen Welt seien Babywippen mit einer Handy-Halterung zur akustischen Bespaßung des Nachwuchses.
Aikens Streitschrift ist gegliedert in jeweils ein Kapitel zum Babyalter, zu Kindern von 4-12 Jahren und zu Jugendlichen. Es befasst sich außerdem mit bestehendem Suchtverhalten, das im Internet ausgelebt wird, und der konkreten Sucht, Zeit im Internet zu verbringen. Kurze Kapitel handeln jeweils von Partnerschaft und Dating im Internetzeitalter, Cyberchondrie (internetgestützter Hypochondrie), dem Darknet und einem Ausblick in die Zukunft des Cyberspace. Nach einem sehr vernünftigen Kapitel über Eltern-Kind-Bindung im Smartphone-Zeitalter war zentraler Teil ihres Buches für mich das Kapitel über Jugendliche, die ihr alterstypisches Risikoverhalten und ihre Lust an der Selbstdarstellung in sozialen Medien und Multiplayer-Games ausleben. Wichtige Erkenntnisse der Lektüre sind das Informationsgefälle zwischen Eltern und Kindern und die daraus oft resultierende Resignation betroffener Eltern, die Verschiebung von Normen und die Entwicklung von Narzissmus einer ganzen Gesellschaft. Allerdings kann auch die Cyberpsychologin nicht belegen, welcher Anteil an narzisstischem Verhalten in einer Gesellschaft der Pflege des Cyber-Ichs in sozialen Medien zuzuschreiben ist und welcher anderen Entwicklungen in den letzten 20 Jahren.
Nach eigener Aussage arbeitet Aiken gern mit Beispielen des Boulevardjournalismus, sie formuliert deutlich talkshowgerecht. Leider sind ihre Beispiele zum großen Teil schon älter und zigfach in den Medien abgenudelt. Ihre Aussagen belegt sie mit fast 400 empirischen Untersuchungen und Zitaten, die sich häufig auf Verhältnisse in den USA beziehen. Eine zitierte Befragung von Kindern zu ihrem Umgang mit dem Internet wurde erkennbar in Europa durchgeführt. Bei nahezu allen anderen Fundstellen ist für mich nicht ersichtlich, ob die Ergebnisse überhaupt auf Deutschland oder Europa übertragbar sind. Für betroffene Eltern ist z. B. der Abschnitt über ADHS-Diagnosen in Zusammenhang mit Internet- und Fernsehkonsum wichtig, aber auch hier frage ich mich, ob amerikanische Verhältnisse sich einfach so übertragen lassen.
Fazit
Mary Aiken fordert zwar Eltern auf, ihr Buch zu lesen, sein Umfang von rund 500 Seiten und ein fehlendes Stichwortregister erschweren den Zugang jedoch unnötig. Aus dem Inhaltsverzeichnis geht z. B. nicht hervor, dass sie konkret auf drei Phasen in der kindlichen Entwicklung eingeht. Hätte ich das gleich erkannt, hätte ich mir einen Teil des Textes gespart. Wenn ein 9-Jähriger sich aktuell bei Instagram registrieren will, möchten dessen Eltern den Absatz zu sozialen Medien evtl. zuerst lesen. Wenn ich auf das ADHS-Thema treffe, hätte ich gern einen Verweis, ob und wo das Thema evtl. noch schwerpunktmäßig behandelt wird.
„Der Cyber-Effekt“ ist zwar populärwissenschaftlich geschrieben mit deutlicher Tendenz zu Boulevard-Themen, das Buch wird dadurch jedoch nicht leichter lesbar. Zu ausschweifend, fehlendes Stichwortregister, zu stark auf USA-Verhältnisse bezogen.
6 von 10 Punkten