Das Feld – Robert Seethaler


  • Hanser Berlin, 2018

    240 Seiten

    ISBN 978-3-446-26038-2


    Kurzbeschreibung:

    Wenn die Toten auf ihr Leben zurückblicken könnten, wovon würden sie erzählen? Einer wurde geboren, verfiel dem Glücksspiel und starb. Ein anderer hat nun endlich verstanden, in welchem Moment sich sein Leben entschied. Eine erinnert sich daran, dass ihr Mann ein Leben lang ihre Hand in seiner gehalten hat. Eine andere hatte siebenundsechzig Männer, doch nur einen hat sie geliebt. Und einer dachte: Man müsste mal raus hier. Doch dann blieb er. In Robert Seethalers neuem Roman geht es um das, was sich nicht fassen lässt. Es ist ein Buch der Menschenleben, jedes ganz anders, jedes mit anderen verbunden. Sie fügen sich zum Roman einer kleinen Stadt und zu einem Bild menschlicher Koexistenz.


    Über die Autor:

    Robert Seethaler, geboren 1966 in Wien, ist ein vielfach ausgezeichneter Schriftsteller und Drehbuchautor. Seine Romane "Der Trafikant" (2012) und Ein ganzes Leben (2014) wurden zu großen internationalen Publikumserfolgen. Robert Seethaler lebt in Wien und Berlin.


    Mein Eindruck:

    Das Feld ist ein vielstimmiger Roman. Der österreichische Schriftsteller Robert Seethaler schreibt in einer ausdrucksvollen, klaren Sprache, die auf Ausschmückungen verzichtet. Das schätze ich sehr!


    Im Feld, dass ein Friedhof in einer kleinen Stadt ist, sitzt ein Mann auf einer Bank und denkt an die Verstorbenen, die hier liegen. In jedem Kapiteln kommt dann jeweils einer dieser Verstorbenen zu Wort. Jedes Kapitel wechselt die Stimme. Viele von ihnen sind hochemotional noch dem Geschehen ihres Lebens verhaftet, dadurch bleibt das Lesen durchgängig interessant.

    Manche haben miteinander zu tun, Zusammenhänge sind deshalb manchmal erst allmählich zu erkennen. Ansatzweise kommt es so zu einem Gesamtbild über das Leben in der Kleinstadt.

    Mich konnte diese Schreibtechnik überzeugen, weil Seethaler dabei sorgfältig vorgeht. Er gehört in die erste Liga der deutschsprachigen Literatur.

  • "Als Lebender über den Tod nachdenken. Als Toter vom Leben reden. Was soll das?" Dies ist ein Zitat und gehört einer Stimme dieses Buches, Harry Stevens.

    Was soll das? Für mich gibt es eine ganz klare Antwort: Zum Leben einladen, über die wirklich wichtigen Dinge nachdenken und die unwichtigen oder wund machenden Dinge aufgeben...

    Es kann so schnell vorbei sein. Lieber ein Wort zuviel als wichtige Worte ungesagt lassen. Lieber einen Traum leben, als nur vom Leben zu träumen.

    Seethaler gelingt es, alle Stimmen "seiner" Toten in mir klingen zu lassen. Jeder einzelne ist wichtig, jede Stimme hat Gewicht.

    Für mich war es genau das richtige Buch zum richtigen Zeitpunkt.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Ich finde, gerade mit den (unterschiedlichen) Stimmen ist da nicht viel zu finden - es gibt nur Seethalers Duktus und Seethalers Stimme. Ich tue mich schwer mit diesem Buch, das mir ziemlich hohl vorkommt. Noch vierzig Seiten. Rezi folgt.

  • "Als Lebender über den Tod nachdenken. Als Toter vom Leben reden. Was soll das?" Dies ist ein Zitat und gehört einer Stimme dieses Buches, Harry Stevens.

    Was soll das? Für mich gibt es eine ganz klare Antwort: Zum Leben einladen, über die wirklich wichtigen Dinge nachdenken und die unwichtigen oder wund machenden Dinge aufgeben...

    Es kann so schnell vorbei sein. Lieber ein Wort zuviel als wichtige Worte ungesagt lassen. Lieber einen Traum leben, als nur vom Leben zu träumen.

    Seethaler gelingt es, alle Stimmen "seiner" Toten in mir klingen zu lassen. Jeder einzelne ist wichtig, jede Stimme hat Gewicht.

    Für mich war es genau das richtige Buch zum richtigen Zeitpunkt.


    Das kann ich für mich so übernehmen, denn das sind die Gedanken, die mich beim Lesen begleitet haben.
    Ich weiß nicht, ob ich das Buch unter anderen Umständen anders beurteilt hätte. Mein Empfinden beim Lesen ist dieses Mal besonders subjektiv. Ich habe mir das Buch bewusst ausgesucht, weil ich gehofft habe, dass Seethaler nicht reißerisch mit dem Thema "Tod" umgeht und mir mit seiner für ihn so typischen unaufgeregten, klaren Sprache ein bisschen gegen die Traurigkeit hilft. Das hat er geschafft. Für mich war es ebenfalls das richtige Buch zur richtigen Zeit.

    "There is beauty in imperfections. They made you who you are. An inseparable piece of everything…" Arcane

  • Bored to death


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    Wenn das deutsche Feuilleton ein literarisches Werk feiert, dann meistens unisono, als würde sich kein Kritiker trauen, aus dem Reigen der Freudentänzer auszubrechen. So geschieht es derzeit mit „Das Feld“, dem sechsten Roman des Drehbuchautor-Schauspieler-Schriftstellers Robert Seethaler aus Österreich. Aber was feiern die Literaturkritiker da eigentlich?


    Das vergleichsweise schmale Buch erzählt die Geschichten von rund zwei Dutzend Menschen, jeweils aus deren Perspektive, und diese Menschen haben zwei wesentliche Dinge gemeinsam: Sie stammen aus Paulstadt, einer fiktiven Gemeinde irgendwo im deutschsprachigen Europa - und sie sind tot. Sie liegen allesamt nebeneinander auf dem „Feld“, wie die Einwohner den Friedhof von Paulstadt nennen. Von dort aus, sprichwörtlich die Graswurzeln von unten betrachtend, erzählen diese Leute ihre Lebensgeschichten, und einige erzählen auch deren Enden. Die Kapitel sind mal etwas länger und in einigen Fällen sehr kurz. Neben den genannten zwei Tatsachen gibt es noch zwei weitere Verbindungen, denn es gab einen Unglücksfall in Paulstadt - ein Freizeitzentrum ist eingestürzt und hat drei Menschen aufs Feld gebracht. Und der Pfarrer hat seine eigene Kirche angezündet. Es geht um Fortschritt, Egoismus, Korruption, Provinzmief, gescheiterte Lebensplanungen, Liebe und Glück. Oder wenigstens eine Ahnung von Glück.


    Wolfgang Tischer hat den Roman in seiner Kritik für das „Literaturcafé“ in der unmittelbaren Nachkriegszeit verortet, obwohl es zu dieser Zeit noch keine Freizeitzentren gab und einige sprachliche Merkmale ziemlich fortschrittlich gewesen wären. Aber einen exakten Hinweis auf die Zeit des Geschehens gibt es tatsächlich nicht - irgendwann gegen Ende wird allerdings ein Auto mit dem Baujahr 1967 erwähnt, das zum Zeitpunkt des Erwähnens ein Oldtimer ist, also spielt „Das Feld“ vermutlich zwischen den Achtzigern und den so genannten Nullerjahren, doch im Kern ist es natürlich ohne Zeit, denn die berichtenden Personen sind ja tot.


    Und, vor allem, schrecklich langweilig.


    Ja, das ist kunstvoll aufgebaut und kunstvoll erzählt, leider weitgehend im gleichen Duktus. Der Versuch, die Personen - einige davon waren zum Todeszeitpunkt noch sehr jung, andere haben viele Jahrzehnte auf dem Buckel gehabt - mit eigenen, erkennbaren Stimmen zu versehen, wird nicht ernsthaft unternommen. Seethaler hat sich stattdessen irgendwo zwischen Lenz und Walser eingependelt, spart mit sprachlicher Schönheit und direkter Emotionalität, gibt sich traditionell, fast altbacken, was tatsächlich dazu verleitet, die Geschichte in den Fünfzigern anzusiedeln. Er hat den Lebensgeschichten seines Personals einen abgeklärten, aber anspruchsvollen Tagebuchton verliehen, bei dem die Aussichtslosigkeit der Erzählersituation - man ist schließlich tot - fortwährend mitschwingt, was einen Teil des etwas depressiven Gesamteindrucks ausmacht. Hinzukommt, dass keiner von diesen Leute je wirklich glücklich war, und es hat erst recht keiner etwas hinterlassen, das man als bemerkenswerte Spur bezeichnen könnte. „Das Feld“ berichtet von bedauerlichen Schicksalen, die am Ende bedauerlicher Leben standen. Von banalen, mediokren, nicht besonders spannenden Schicksalen.


    Schon nach drei, vier Kapiteln hatte ich Schwierigkeiten damit, mich an Figuren und Geschehen der vorigen Kapitel zu erinnern, sie auseinanderzuhalten, und mit jedem weiteren Abschnitt sank das Interesse an diesen Leuten, an etwaigen Zusammenhängen oder der Geschichte hinter den Geschichten, die es möglicherweise auch überhaupt nicht gibt. Vermutlich wollte der Autor auf genau diesen Umstand hinweisen, wahrscheinlich ist das der Kern der Erzählung: Die Beliebigkeit und Belanglosigkeit dessen, was uns ausmacht und was davon bleibt. Man könnte „Das Feld“ als einen Aufruf dazu verstehen, das Leben zu genießen und sich keine Gedanken über Essenz, Sinn und Vermächtnis zu machen. Das Feld ist nichts weiter als der Acker, auf dem aus dem vergangenen neues Leben wächst, und mehr bleibt auch nicht.


    Das mag alles sein oder auch nicht - den Haupteindruck verändert es nicht. Möglicherweise hätte ich nicht unmittelbar zuvor Bücher von Nelly Zink, Michael Chabon und Marina Leky lesen sollen, aber dieses Buch - mein erstes und vermutlich letztes von Robert Seethaler - hat mich unterm Strich vor allem genervt und (beinahe zu Tode) gelangweilt.