Kurzbeschreibung (Quelle: amazon)
Grausig sind die Anfänge der Medizin: Leichenraub, blutige Operationen wie Kirmesspektakel, Arsen, Quecksilber, Heroin als verschriebene Heilmittel. Mitte des 19. Jahrhunderts ist das Unwissen der Ärzte sagenhaft, wie sie praktizieren, ein einziger Albtraum. Bis ein junger Student aus London mit seinen Entdeckungen alles verändert … Lindsey Fitzharris erzählt vom Leben dieses Mannes und vom Horror, den ein einfacher Arztbesuch damals bedeutete – schaurig, unterhaltsam, erhellend.
Als Joseph Lister 1844 sein Studium in London beginnt, ist die medizinische Versorgung der Bevölkerung desaströs: Die Krankenhäuser sind überfüllt und verseucht. Um aufgenommen zu werden, müssen Patienten genug Geld für die eigene Beerdigung mitbringen. In den Operationssälen arbeiten Chirurgen in Straßenklamotten vor schaulustigem Publikum. Warum fast alle Patienten sterben, wie sich Krankheiten ausbreiten, darüber herrscht nicht die geringste Einigkeit, nur hanebüchene Theorien. Joseph Lister wird dann Chirurg, er will ganz praktisch helfen. Und von Neugier und hellem Verstand geleitet, entwickelt er eine Methode, die das Sterben vielleicht beenden kann …
Autorin (Quelle: amazon)
Lindsey Fitzharris promovierte in Oxford in Medizingeschichte. Ihre YouTube-Serie Under the Knife über Wissenswertes und Gruseliges aus der Welt der Chirurgie verhalf Fitzharris zu größerer Bekanntheit. Sie schreibt regelmäßig für The Guardian, The Huffington Post, The Lancet und New Scientist.
Allgemeines
Titel der Originalausgabe: „The Butchering Art“, ins Deutsche übersetzt von Volker Oldenburg
Erschienen am 9. Juli 2018 im Suhrkamp Verlag als TB mit 276 Seiten
Gliederung: Prolog – 11 Kapitel – Epilog – Anmerkungen
Inhalt und Beurteilung
Das Sachbuch der promovierten Medizinhistorikerin Lindsey Fitzharris beschäftigt sich mit dem Leben und segensreichen Wirken des Joseph Lister (1827 – 1912), dem die Medizin die Einführung der Antisepsis verdankt. Der Prolog schildert die Zustände in englischen (und auch anderen europäischen) Operationssälen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als Operationen ohne jegliche Schmerzbetäubung und unter katastrophalen hygienischen Umständen vorgenommen werden.
Nach Einführung der Äther- und später Chloroformnarkose, die den bedauernswerten Patienten die entsetzlichen Schmerzen des Eingriffs erspart, greift jedoch der „Wundbrand“, die Sepsis, immer mehr in den Hospitälern um sich, was nicht zuletzt daran liegt, dass sich die Chirurgen aufgrund der Schmerzausschaltung an immer längere und invasivere Eingriffe wagen.
Joseph Lister, dessen Leben von der Kindheit, als ihm sein Vater das Mikroskopieren nahebringt, über seine wechselvolle, von Höhen und Tiefen geprägte Karriere bis zu seinem Tod im Mittelpunkt des vorliegenden Buchs steht, will sich mit dem Sepsis-Tod der Patienten nach eigentlich gelungenen Operationen nicht abfinden. Er forscht und experimentiert, bis ihn die Erkenntnisse von Louis Pasteur (1822 – 1895) auf eine vielversprechende Spur bringen.
Die Autorin schildert die Zustände in Europas Operationssälen in schonungsloser Deutlichkeit, diese überaus fesselnde Darstellung ist für Leser mit einem guten bildlichen Vorstellungsvermögen manchmal schwer zu ertragen. Neben dem gut recherchierten Lebensweg Listers gibt es auch Exkurse in verwandte Bereiche der Medizingeschichte der Epoche, z.B. zum Wirken von Ignaz Philipp Semmelweis (1818 – 1865) im Kampf gegen das Kindbettfieber. Lister, dessen Karriere ihn von England nach Schottland und später auch zu Medizinkongressen nach Kontinentaleuropa und Amerika führt, muss die bittere Erfahrung machen, dass er von Neidern und Unbelehrbaren angefeindet wird, erst allmählich setzt sich seine Lehre durch, wird von jüngeren Kollegen übernommen und erweitert.
Es gelingt der Autorin, dem Leser die Persönlichkeit Listers nicht nur als Arzt, sondern auch als Mensch sehr nahezubringen – das Hauptanliegen des Mannes, der aus einer Quäkerfamilie stammt, ist immer das Wohl des Patienten, seine Patienten sind für ihn nicht „Fälle“, sondern Geschöpfe, deren Leid er lindern will.
Der Epilog gibt einen Ausblick auf die Zeit nach Listers Tod, als der Wert von gründlicher Hygiene auch im Alltagsleben zunehmend erkannt wird. So geht z.B. die Entwicklung des desinfizierenden Mundwassers „Listerine“ - zu Ehren von Lister benannt - auf dessen Erkenntnisse und Lehre zurück.
Fazit
Ein hochinteressantes Werk zur Medizingeschichte des 19. Jahrhunderts, gut recherchiert und fesselnd, aber auch schonungslos anschaulich präsentiert, allzu empfindlich sollte der Leser nicht sein!
10 Punkte