'Der Engel mit der Posaune' - Kapitel 42 – Ende

  • Nicht viel passiert? Nicht mehr, nicht weniger als alles!“ (S. 283)


    Auch wenn viel passiert ist, habe ich dennoch das Gefühl, als sei es nichts mehr gewesen. Der vorige Abschnitt war für mich emotional der Höhepunkt bzw. die Katastrophe, was noch folgte, war der Ausklang.


    Und nun weiß ich nicht, ob ich froh bin, daß das Buch aus ist, oder ob ich noch einige hundert Seiten hätte weiter lesen wollen, da es nun endgültig heißt, sich von den Figuren zu verabschieden - soweit sie noch am Leben sind. Andererseits, die Zeit, die nach dem Ende des Buches kommt, muß wirklich nicht sein. Schlimm genug, daß ich aus Geschichtsbüchern weiß, was da kam (zumindest in Bezug auf Deutschland). Das muß ich wirklich nicht nochmals nachlesen.


    Insofern für mich ein „gutes Ende“ zum richtigen Zeitpunkt.


    Jetzt brauche ich erst einmal ein bißchen Abstand, ehe ich mehr dazu schreiben oder gar an eine Rezi denken kann. Auf jeden Fall, das weiß ich schon sicher, bin ich froh, das Buch entdeckt und gelesen zu haben.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Ich schreibe das mal hier, weil ich nicht spoilern will - ich finde, es klang so, als sei Christl mit ihrem Leben doch sehr zufrieden. Vielleicht war es für sie der richtige Weg, ein Leben im Kloster zu führen.


    Was mir an diesem Buch besonders gut gefällt ist, wie gut es Lothar gelingt, sowohl das Gute, als auch das Böse zu beschreiben.

    Für uns Nicht-Zeitgenossen wäre ein geschichtlicher Anhang eine gute Idee gewesen. Zumal die Geschichte Österreichs zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein wenig kompliziert ist, riesig wie es war.

  • Mit einem Tag Abstand hat sich in mir das Gefühl verstärkt, daß der vorige Abschnitt der stärkste und kraftvollste war, danach folgte "nur" noch ein Abgesang und Ausklang, was bei mir die emotionale Wirkung des Buches etwas abgeschwächt hat. Nichtsdestotrotz für mich ein sehr gutes Buch, das am Jahresende auf einem der ersten, vielleicht sogar auf dem ersten Platz der „Jahreslesehitparade“ stehen wird.


    Arturo Toscanini. Schon bei der Beerdigung Verdis hat er dirigiert. Die hier beschriebene Aufführung von Verdis „Requiem“ gab es 1934 übrigens wirklich.


    Früher in der Leserunde wurde die Madame Bovary erwähnt - jetzt taucht die sogar im Buch als Vergleich auf (S. 434)!


    Die Diskussion über Amerika zwischen Fritz und Hans hat etwas. Vor allem, wenn man - wovon der Autor nun wirklich keine Ahnung haben konnte - an das Amerika des Donald Trump denkt.

    S. 443: Juden, Neger und anderes Unerwünschte hunderttausend Schritt vom Leib!

    Wenn man sich etwas mit der Geschichte der USA beschäftigt, wird man darauf stoßen, daß diese Einstellung quasi zur DNA der weißen US-Bevölkerung gehört.


    Henriette will also aus dem Haus ausziehen, und ihre Kinder sollen das auch. Die „Hausgemeinschaft“ zwingt sie, aber weiterhin da wohnen zu bleiben. Ich finde es schon irritierend, daß die ihr so einfach vorschreiben können, wo sie zu wohnen hat. Daß ein Verkauf möglicherweise nicht geht, weil Franz das in sein Testament geschrieben hat, mag ja sein. Aber das zwangsweise da Wohnen?


    Besonders makaber in diesem Zusammenhang ist, daß die gleichen Menschen einige Jahre später, als Hitler Österreich überrannt hat, sie los werden wollen. Da wird die ganze Boshaftigkeit und Niederträchtigkeit sichtbar.


    Hans will Freimaurer werden, und dabei erfahren auch wir, daß der der Erbauer des Hauses fälschlicherweise als Freimaurer verdächtigt wurde. Über die Rede, die Hans hält, will ich noch mal in Ruhe nachdenken. Ob er heute auch noch so ein Loblied auf Amerika singen würde?


    Der Chef und die Sekretärin - eine alte Geschichte. Nur was daraus wird, erfahren wir nicht mehr.


    Peter zeigt im Verlauf des Abschnitts auch sein wahres Gesicht, falls er überhaupt ein solches hat und nicht nur verschiedene Fähnchen, die er in den jeweils gerade wehenden Wind hängt. In Salzburg hält er eine Rede gegen Hitler - und später wird er zum glühenden Befürworter und tritt auch Henriette gegenüber so auf. „Lustig“ fand ich den Hinweis auf S. 489, daß Hitlers Bart dem eines „jüdischen Filmkomikers“ nachempfunden war. Ob dem „Führer“ das wohl auch bewußt war?


    Henriette ist wirklich selten abgehoben und uninformiert, wie die Szene im Kaffeehaus, als Hand kommt und sie schnellstens heraus holen will, beweist (S. 497f). Wenn man sich um so wenig kümmert, braucht man sich um manches nicht zu wundern.


    Und im Steinhagel geht, einem Menetekel gleich, der Posaunenengel zu Bruch.


    Und dann geht es Schlag auf Schlag. Die Ermordung Henriettes, nachdem schon Herr Simmerl das Leben lassen mußte. Die „Arisierung“ der Klavierfabrik. Erst als ich nach dem Ende des Buches diese „Arisierungsszene“ nochmals nachgelesen habe, habe ich die völlig verstanden, was das mit dem Handschütteln des Herrn Bochner zu bedeuten hatte.


    Und Mut hatten die, in ein Klavier eine Sendeanlage einzubauen. Mit der dann das Buch ausklingt und uns hoffen läßt, die wenigen übrig gebliebenen mögen die kommenden schlimmen Jahre überleben.


    Im Epilog schreibt der Autor, daß es für den Hans Alt ein Vorbild gäbe. Mein erster Gedanke ging Richtung Bösendörfer, aber das kann, betrachtet man die Firmengeschichte, eher nicht sein.


    Und am Ende, was bleibt?

    Das Leben besteht aus den Pausen zwischen Katastrophen. (S. 533)

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Ich schreibe das mal hier, weil ich nicht spoilern will - ich finde, es klang so, als sei Christl mit ihrem Leben doch sehr zufrieden. Vielleicht war es für sie der richtige Weg, ein Leben im Kloster zu führen.

    Ja, den Eindruck hatte ich im Laufe der Zeit auch gewonnen. Ich weiß nun nicht, wie es damals war, aber heute ist es in vielen (allen?) Orden üblich, daß vor der endgültigen Profeß geprüft wird, ob der Kanditat/-in für das Klosterleben geeignet ist. Davon ist im Buch keine Rede, genauso wenig von den Jahren, die vor einer hier beschriebenen Profeß liegen müssen. Aber das hätte den Handlungsverlauf möglicherweise zu sehr gestört (und zeitlich nicht gepaßt).


    Für uns Nicht-Zeitgenossen wäre ein geschichtlicher Anhang eine gute Idee gewesen. Zumal die Geschichte Österreichs zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein wenig kompliziert ist, riesig wie es war.

    Ja so ein Anhang einschließlich Personenverzeichnis wäre ein Gewinn gewesen.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Das Buch thematisiert es nicht ausdrücklich, sondern berichtet nur. Mich beschäftigt trotzdem die Frage sehr, dass Hans nie auf die Idee gekommen ist, die Firma vorher zu verkaufen. Auch der Gefahr für ihn selber scheint er sich nicht bewusst zu sein - genauso wenig wie seine Mutter.

    Wie so viele ihrer Schicksalsgenossen. Es gab nur sehr wenige jüdische Mitbürger, die die Zeichen der Zeit erkannt haben und rechtzeitig gegangen sind. Manche hatten die Möglichkeit auch gar nicht.

  • Ich habe das Buch gestern Abend noch zu Ende gelesen. Ich muss es jetzt noch ein wenig sacken lassen, dann werde ich hier noch meine Eindrücke zum letzten Abschnitt schreiben.

    Insgesamt hat es mir aber wirklich sehr gut gefallen, und ich bin froh, dieses Buch durch die Leserunde entdeckt zu haben.

    Leider sind meine Kenntnisse zur österreichischen Geschichte sehr begrenzt. Ich denke, wenn der Leser mehr Grundwissen über die einzelnen erwähnten Personen und Ereignisse hat, dann würde das Buch noch interessanter werden.

    Ich habe jetzt noch das Nachwort zu lesen oder werde am Wochenende dann noch mal was hier schreiben.

  • Das Buch thematisiert es nicht ausdrücklich, sondern berichtet nur. Mich beschäftigt trotzdem die Frage sehr, dass Hans nie auf die Idee gekommen ist, die Firma vorher zu verkaufen. Auch der Gefahr für ihn selber scheint er sich nicht bewusst zu sein - genauso wenig wie seine Mutter.

    Das hat mich bis zu einem gewissen Grade auch gewundert. Gegenüber dem Gestapo-Mann "rechnet" er ja vor, daß die Firma christlich und "arisch" ist. Was mich auch gewundert hat ist, daß er selbst nicht gleich verhaftet wurde - denn der Gestapo-Mann "rechnet" ihm ja andererseits vor, daß er (zu viel) jüdisches Blut hat.


    Andererseits, bis vor kurzem durfte Henriette nicht mal aus dem Haus ausziehen, plötzlich ist sie unerwünscht und man will sie los werden. Ich glaube, man kann sich so etwas nicht vorstellen, wenn man es nicht selbst erlebt. Insofern kann ich die "Naivität" von Hans schon nachvollziehen.


    Und wer weiß, ob er hätte verkaufen können. Da ja seine Mutter lt. Testament anscheinend nicht mal aus dem Haus ausziehen konnte, was gab es dann für Vorschriften über die Weiterführung der Klavierfabrik.



    Wie so viele ihrer Schicksalsgenossen. Es gab nur sehr wenige jüdische Mitbürger, die die Zeichen der Zeit erkannt haben und rechtzeitig gegangen sind. Manche hatten die Möglichkeit auch gar nicht.

    Womit wir bei der aktuellen Situation wären. Bis vor relativ kurzer Zeit war ich noch der festen Überzeugung, daß so etwas nie wieder passieren könnte. Aber anscheinend wird aus der Geschichte wirklich nichts, aber auch gar nichts, gelernt.



    Leider sind meine Kenntnisse zur österreichischen Geschichte sehr begrenzt. Ich denke, wenn der Leser mehr Grundwissen über die einzelnen erwähnten Personen und Ereignisse hat, dann würde das Buch noch interessanter werden.

    Das ging mir genauso, und ich hoffe, meinen Vorsatz, diese Wissenslücke - zumindest teilweise - zu schließen, umsetzen. Das anderweitig von Rumpelstilzchen empfohlene Buch über Maria Theresia werde ich mir jedenfalls in absehbarer Zeit noch zulegen und möglichst dieses Jahr noch lesen.


    Das zweite neu veröffentlichte Buch von Ernst Lothar "Die Rückkehr" habe ich schon hier und will es spätestens im Herbst lesen.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Mit drei Tagen Abstand zu dem Buch kann ich immer noch sagen: ein wirklich großartiger Roman! Ich bin sehr froh ihn gelesen zu haben.

    daß der vorige Abschnitt der stärkste und kraftvollste war, danach folgte "nur" noch ein Abgesang und Ausklang,was bei mir die emotionale Wirkung des Buches etwas abgeschwächt hat.

    Das ging mir auch so. Der vorletzte Abschnitt war für mich definitiv das Highlight in dem Buch. Trotzdem gab es auch noch im letzten Abschnitt Stellen, die mich emotional sehr berührt haben. Zum Beispiel fand ich die Beschreibung des Einzugs von Hitlers in Wien so stark beschrieben, dass ich beim Lesen richtig eine Gänsehaut bekommen habe. Auch die Stellen im Buch, als Henriette dann als Jüdin angegriffen wurde haben mich sehr bewegt. Und dann die Ironie: sie möchte aus dem Haus ausziehen, in dem sie nie willkommen war und in dem sie die Mitbewohner nur als Fremdkörper wahrgenommen haben.Und es werden ihr wieder Steine in den Weg gelegt. Sie wird also gezwungen weiter dort wohnen bleiben, in dem für sie verhassten Haus.


    Ich finde, dem Autor ist es fantastisch gelungen wirkliche, echte Personen in dem Roman zu erschaffen. Menschen die ihre guten und ihre schlechten Seiten haben , keine Schwarz-Weiß-Malerei.

    Und er beschreibt die Personen und die Ereignisse ohne sie zu werten und ohne selbst Stellung zu beziehen.

    Für mich ist "Der Engel mit der Posaune" ein Buch, welches bestimmt noch einige Zeit in mir nachwirken wird und über das ich jetzt auch nach dem Lesen noch oft nachdenke.

  • Der letzte Abschnitt war schon bemerkenswert, wenn er mir auch etwas überhastet erschienen ist. Ein bisschen mehr Hintergrundinformation und mehr Details wären schön gewesen. Dass es für Menschen mit wenig Wissen um diese Zeit ein bisschen verwirrend ist, kann ich mir gut vorstellen.


    So recht schockiert dürfen wir über die Uninformiertheit und Naivität von Henriette nicht sein, denn wir müssen nur bedenken, dass sich vieles in der heutigen Zeit wiederholt. Und wie viel Un- oder Falschinformierte es gibt. Zwar haben sich die Namen der Feindbilder geändert, aber die Substanz bleibt dieselbe.

    Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass ich die heutige politische Lage vor allem in Österreich mit großer Sorge sehe und sehr hoffe, nicht Recht zu behalten.


    Abschließend möchte auch ich mich bei euch für die sehr interessante Leserunde bedanken.

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde

  • Abschließend möchte auch ich mich bei euch für die sehr interessante Leserunde bedanken.

    Dem Dank möchte ich mich anschließen, denn unsere Diskussionen haben zumindest mich dazu veranlaßt, über manches "Hinweggelesene" nochmals nachzudenken und besser zu verstehen bzw. in anderem Licht zu sehen.


    Über die politische Lage in Österreich bin ich zu wenig informiert, als daß ich dazu viel sagen könnte. Mir reicht manches vom dem, was hier in Deutschland passiert; aber nicht nir hier in D, auch in etlichen anderen Ländern der EU und der Welt. Die Menschheit hat aus der Geschichte anscheinend wirklich nichts gelernt. Durchaus beängstigend.


    Die mir an anderer Stelle von Rumpelstilzchen empfohlene Biographie über Maria Theresia hat sich inzwischen bei mir eingefunden. Im Moment versuche ich, September/Oktober dafür "freizuschaufeln".


    Und so "ganz nebenbei" ist mir das Buch


    Ewigkeitsgasse von Frederic Morton (Amazon-Link)


    "über den Weg gelaufen".


    Zum Inhalt

    Frederic Morton erzählt in diesem Roman die Geschichte der Familie Spiegelglas. In einer kleinen Gasse in einem Wiener Vorstadtbezirk gründet Berek Spiegelglas eine Fabrik und kommt so zu Wohlstand und Ansehen. Leon Spiegelglas, sein Enkel, flieht vor der Barbarei des Nationalsozialismus nach Amerika. In seinem Gepäck hat er einen Stein aus der "Ewigkeitsgasse" - und die Erinnerung an eine Welt, die für immer verloren ist. Familiengeschichte, Legende und Fiktion verschmelzen zur farbigen Chronik einer Welt, die an jenem Tag des Jahres 1938 unterging, "da in Österreich die Hakenkreuze aufblühten wie die Gänseblümchen".


    Ob ich diesen "Wälzer" dieses Jahr auch noch unterbringe, weiß ich allerdings nicht.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Die Ewigkeitsgasse klingt ja sehr interessant. Irgendwie aber sehr teuer, oder gucke ich schief?


    Ich denke, du wirst viel Interessantes aus dem Buch über die Kaiserin erfahren. Für mich war es, wie schon erwähnt, ein wahrer Augenöffner.

    Übrigens zusammen mit dem Buch von Christopher Clark: Die Schlafwandler, über die Frage, wie es zum ersten Weltkrieg kommen konnte.


    Ach, es gibt so viele spannende und lehrreiche Bücher. Dumm nur, dass ich so viel wieder vergesse.

  • Rumpelstilzchen  

    Ewigkeitsgasse: Hm, 14,95 EUR für das TB und 24,90 EUR für das HC finde ich eigentlich angemessen, vor allem bei der Seitenzahl.


    "Die Schlafwandler" habe ich 2014 gelesen (was? so lange ist das schon her???), seither habe ich vor, Clarks Buch über Preußen zu besorgen und zu lesen. Wird wohl langsam Zeit.


    Ach, es gibt so viele spannende und lehrreiche Bücher. Dumm nur, dass ich so viel wieder vergesse.

    :write :write :write :rolleyes

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")