Purple Siroup
Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich Prince 1992 in der Berliner Waldbühne gesehen, das war die „Diamond and Pearls“-Tour, und ich war nur da, weil eine Bekannte nicht allein hinwollte. Also stand ich zwischen mehreren tausend - überwiegend weiblichen - Menschen und sah dem eher kleinen, unfassbar quirligen Typen dabei zu, wie er sie verzauberte. Die Mucke war nie so recht meins, aber dass der Typ ein Genie war, daran hatte auch ich nicht den geringsten Zweifel.
Und dann gab es da diesen Moment während der Show: Prince hielt ein goldfarbenes Funkmikro, sang und drehte dabei eine rasante Pirouette, und mitten in der Drehung warf er das Mikro mit Schwung in die Luft - woraufhin es punktgenau an der Stelle landete, wo sich in genau diesem Augenblick die Hand eines unsichtbaren Roadies aus dem Bühnenaufbau streckte.
Viel mehr weiß ich von jenem Abend vor 26 Jahren nicht mehr, aber dieses Detail, dieser Beleg für die kaum fassbare Perfektion, ist mir in Erinnerung geblieben. Prince begegnete mir danach nur noch beim Plattenauflegen - meistens mit „Kiss“ und solchen Songs. Ja, ich war auch erschüttert, als er im April 2016 im Alter von nur 57 Jahren starb, aber es war eher ein stärkeres Bedauern als ein echtes Trauergefühl, das man bei Freunden, Angehörigen und anderen Personen empfindet, die einem nahestehen.
Anders bei Michel Birbæk. Eigentlich hatte der gebürtige Däne, der unter anderem Musiker und TV-Gagschreiber war und inzwischen überwiegend als Drehbuchautor arbeitet („Danni Lowinski“), nach „Nele und Paul“ (2009) verkündet, sich aus der Romanschreiberei zurückziehen zu wollen, aber der frühe Tod von Prince hat ihn so heftig erwischt, dass er sein Œuvre um eine Zugabe ergänzt hat, mit der er zugleich versucht, den Verlust zu verarbeiten. Prince war für ihn offenbar mehr als „nur“ ein bewunderter Musiker, sondern wohl auch Vorbild und Ideal. Und ein Freund im Geist.
Jedenfalls fühlt es sich so an, wenn man diesen Roman liest, der offenkundig deutliche autobiografische Züge trägt. Die Hauptfigur heißt Leo Palmer, ist in den Vierzigern, hat ein Musikstudio und tindert sich durch die zaghaft gealterte Frauenwelt. Bei einem dieser Dates, das wie so viele vorherige eher mittelgut verläuft, lernt er eine andere Frau kennen - Mona, die am Nachbartisch sitzt. Die grünäugige, halbitalienische Schönheit ist allerdings verheiratet, und obwohl sich Leo Palmer ansonsten als ziemlicher Moralist gibt, hat er keine Skrupel, Mona nach allen Regeln der Kunst anzubaggern. Wie alle Moralisten ist nämlich auch Leo Palmer mehr als nur ein bisschen selbstgerecht. Und immerhin ist Monas Ehe, wie sie schließlich zugibt, eher am Ende.
Leo war früher Bandmusiker, bei einer Wolfsburger Combo namens „Funkbandit“, die seinerzeit kurz vor dem Durchbruch stand, aber dann ist irgendwas passiert. Leo hat Wolfsburg verlassen und sich seitdem nicht mehr bei den alten, engen Freunden gemeldet, die genau wie er glühende Prince-Fans waren, allen voran Stella, die Schlagzeugerin, mit der Leo damals ein Verhältnis hatte - ein sehr inniges. Sie war die Liebe seines Lebens, ist es irgendwie immer noch. Aber was dann geschehen ist, was zum Zerwürfnis und zur Auflösung der Band geführt hat, das erfahren die Leser erst ganz am Ende dieses Romans, der nach dem Prince-Song „The most beautiful girl in the world“ benannt ist. Womit übrigens weder die Ex Stella, noch die Affäre Mona gemeint sind.
Im Prinzip geht es in diesem Buch darum, sich den Dämonen zu stellen, den ganz persönlichen, jenen aus der eigenen Vergangenheit, aber auch dem Dämon „Entscheidungen treffen“. Leo Palmer hat es sich im Status Quo bequem gemacht, weiß aber ganz genau, dass die Bequemlichkeit eine eingeredete ist. Dann geschehen mehrere Dinge kurz nacheinander, vor allem das Zusammentreffen mit Mona und der Tod von Prince. Und auf einmal funktioniert es, dieses Sichdendämonenstellen. Etwas schwergängig zunächst, aber schließlich flutscht es ganz gut. Denn obwohl auch die anderen Figuren in Michel Birbæks sechstem Roman überwiegend ziemlich schwer zu tragen haben, ist nach einer fetten Umarmung und den richtigen, tröstenden Worten das meiste schnell wieder fein. Und darin ist er der Perfektionist, der Michel Birbæk: Freundliche, tröstende, emotionale Worte zu finden, positive Gefühle extrem anschaulich auszudrücken. Er liefert in „Das schönste Mädchen der Welt“ - wieder einmal - einen ganzen Haufen Sätze, die einfach zum Niederknien sind, Hammerdinger, die den meistens mikroskopisch kleinen Nagel sowas von exakt auf den Kopf treffen, dass man vor Ehrfurcht erstarrt. Aber leider ist das Drumherum auch wieder meterdick eingezuckert, sind alle so ganz ungeheuer und pausenlos von Emotionen und Erwartungen und Erinnerungen und Sorgen getrieben, dass es für hundertfünfzig Folgen GZSZ reichen würde. Zudem schimmert etwas Selbstverliebtheit mit einer sachten Tendenz zum Narzissmus mehr als einmal durch.
Um nicht missverstanden zu werden. Das ist ein liebenswürdiges Buch mit vielen liebenswürdigen Figuren, die sich ehrlich anfühlen, und bis auf ein paar Schnitzer (darunter ausgerechnet der erste Satz) sitzen die meisten Formulierungen. Die Geschichte ist überschau- und ein wenig vorhersehbar, auch wenn sich Birbæk ein paar Überraschungen aufhebt, die fraglichen Themen aber so energisch umschifft, dass man ahnt, dass da noch was Unerwartetes kommen muss.
„Das schönste Mädchen der Welt“ ist eine Liebeserklärung an Prince, die Freundschaft, die Liebe und die Musik, ein Wohlfühlroman, der aber ein paar Dutzend Prozentpunkte zu dick aufgetragen ist. Irgendwann wird der ganze Zucker zu Sirup und verklebt die Story ein wenig. Wie immer nach der Lektüre eines Birbæk-Romans hat man danach allerdings das Gefühl, dadurch ein etwas besserer Mensch geworden zu sein, ganz ohne Drogen oder vergleichbare Hilfsmittel. Ob das stimmt oder nicht, ist eine andere Sache - allein für dieses Gefühl verdient der Autor dickes Lob.