Lost in love
Der zweite Fall des deutschen Kriminalpolizisten mit Asperger-Syndrom, der an der Ostalgarve - vorübergehend? - eine neue Heimat gefunden hat, beginnt mit der Suche nach einer vermissten Kollegin, einer verschwundenen portugiesischen Inspektorin. Aus der Vermisstensuche wird dann ziemlich schnell eine ziemlich haarige Angelegenheit, zu der neben Mord, Entführung und allerlei anderen Verbrechen auch internationale politische Verstrickungen gehören - die portugiesische Kolonialvergangenheit wirft ihre Schatten in die südwesteuropäische Gegenwart. Und auch beim zweiten Mal ist der Kriminalfall in gewisser Weise ein überwiegend moralischer, geht es den Tätern darum, Macht und Konzerninteressen über alles andere zu stellen, wogegen der deutsche Leander Lost und seine liebenswürdigen örtlichen Kollegen ankämpfen.
Aber auch beim zweiten Mal ist der Fall eher verbindendes Element als Handlungsfundament. Wie im ersten Lost-Krimi stehen die Region und ihre Bewohner im Vordergrund. Die Liebeserklärung an das Hinterland der Ria Formosa - der Lagune südlich und östlich von Faro - wird fortgesetzt, Land, Leute und Gepflogenheiten werden ausführlich gelobpreist und detailliert beschrieben. Gil Ribeiro alias Holger Karsten Schmidt ist ein erklärter Fan der Lebensart dieser Region, kennt die Leute, die Geschichte, die Besonderheiten, vor allem aber die sozialen und gastronomischen Feinheiten. Beim Lesen bekommt man Lust auf die Menschen dort - und gehörigen Appetit auf die regionalen Spezialitäten. Es empfiehlt sich, bei der Lektüre von „Lost in Fuseta II“ mindestens Brot, Butter, Oliven und ein eiskaltes Sagres griffbereit zu haben.
Die andere Menschengruppe, für die Schmidt-Ribeiro eine Lanze bricht, sind die Asperger. Seine Haupt- und Titelfigur Leander Lost, der inzwischen seit einem halben Jahr als Austauschpolizist an der Algarve wohnt, trägt fortwährend einen schwarzen Anzug, muss die von ihm bewohnten Räume mit einer Sammlung von Specksteinfiguren absichern und zählt alles, was eckig ist, wenn er in Schwierigkeiten gerät. Er ist Eidetiker, hat also ein fotografisches Gedächtnis, außerdem ein brillanter Logiker - und unterm Strich sehr bemüht, sich anzupassen, also ein ziemlich sozialer Typ. Lost merkt sich die Eigenschaften seiner Mitmenschen, studiert sie, um richtig interagieren zu können, und er trainiert sogar Smalltalk, wofür er sich eines auswendig gelernten Büchleins bedient, das sinnlose Anmerkungen wie „In der Tat“ oder „Was Sie nicht sagen“ aufzählt.
Und Leander Lost will eine Familie. Genau genommen steht das im Zentrum der Geschichte, wenn es auch nicht andauernd thematisiert wird, sondern eher in den Pausen der Krimihandlung. Und weil Lost nicht irgendeiner ist, verläuft die Suche nach der passenden Partnerin doch ziemlich anders als bei anderen. Und natürlich auch unter ganz anderen Gesichtspunkten.
„Lost in Fuseta - Spur der Schatten“ ist ein solider, mittelspannender Krimi mit ziemlich viel Personal, Schauplätzen und Verflechtungen, was gelegentlich etwas verwirrt oder sogar ausbremst, aber die Hauptfiguren und ihr Miteinander sind so bemerkenswert, dass es alles wieder ausgleicht. Der Autor wirbt energisch für die Region, in die er offenbar (und vermutlich aus gutem Grund) über beide Ohren verliebt ist, aber er wirbt auch und vor allem dafür, achtsam miteinander umzugehen, den Eigenarten der anderen die nötige Aufmerksamkeit zu schenken und einander das Leben nicht unnötig zu erschweren, sondern es gemeinsam zu genießen. Und schon dafür verdient der zweite „Lost“ die volle Punktzahl.