Leider mit sehr viel Verspätung
Die Lesung fand im ausverkauften Gemeindesaal in Düsseldorf-Rath statt und zu Beginn wurde Andreas Izquierdo kurz vorgestellt. Er ist als Autor und Drehbuchautor tätig, seine Romane erschienen seit 1995 bei verschiedenen Verlagen. Seine bekanntesten Bücher sind „Apocalypsia“, „Das Glückbüro“ und „Der Club der Traumtänzer“.
„Fräulein Hedy träumt vom Fliegen“ ist sein neuestes Werk und er las sehr ausführlich aus den ersten Kapiteln.
Die Zuhörer lernten die sehr resolute 88-jährige Hedy von Pyritz kennen, die keinen Widerspruch duldet und in einem kleinen Ort im Münsterland lebt. Das Echo auf ihre Anzeige in den „Westfälischen Nachrichten“ (»Dame in den besten Jahren sucht Kavalier, der sie zum Nacktbadestrand fährt. Entgeltung garantiert.« ) in der Zeitung ist enttäuschend. Also sucht sie in ihrem Umfeld nach einem passenden Begleiter und entscheidet sich für ihren neuen Physiotherapeuten Jan, den sie gerne fördern möchte. Jan auf der anderen Seite versucht sich so gut wie möglich gegen Fräulein Hedys Methoden zu wehren.
Es folgte eine kurze Pause, danach ging es weiter mit den nächsten Kapiteln, die gekonnt gelesen das Publikum gut unterhielten. Fräulein Hedy merkt, dass Jan direkte Anweisungen nicht befolgt und beginnt, ihm gezielt Geschichten aus ihrem Leben zu erzählen, um ihn in die von ihr gewünschte Richtung zu lenken. Die Spannungen zwischen den sehr unterschiedlichen Hauptfiguren, ihre so unterschiedlichen Biographien und Fräulein Hedys Vorstellungen sorgen für viel Situationskomik.
Im Anschluss an den Leseteil forderte Andreas Izquierdo das verdutzte Publikum zum Fragen auf: Die Tür sei abschlossen, er sei offen für Fragen und könne aber auch mit Stille gut leben. Es folgte eine gute halbe Stunde voller Fragen und ausführlicher, mal humorvoller, mal ernster Antworten.
Wie er auf das Thema Frauen und Flugzeuge gekommen sei?
Jene Frauen in den 1920er und 1930er Jahren hätten ihn schon immer fasziniert, die Emanzipation schon gelebt hätten bevor es das Wort gab. Sicherlich gäbe es auch heute noch einige gläserne Decken für Frauen, aber Elly Beinhorn, Beate Uhse und viele andere hätten damals eigentlich Unmögliches getan.
Irgendwann sei Hedy in seinem schreibenden Leben aufgetaucht. Damit er über diese Zeit erzählen konnte, musste sie Pilotin sein. Auf dem Titelbild des Buchs ist Emilia Earhart abgebildet, deren Schicksal ihn sichtlich berührte. Ausgerechnet über einer unbewohnten Insel abzustürzen sei besonders übel. Mit seinem Buch habe er den verrückten Frauen in ihren fliegenden Kisten ein Denkmal setzen wollen.
Die Recherche sei schnell gegangen. Der Ort Pyritz liege heute in Polen und sei damals ein pommersches Rothenburg ob der Tauber gewesen. Leider wurde es 1945 dem Erdboden gleichgemacht und bei seiner Reise dorthin habe er nur sozialistische Nachkriegsbauten gesehen. Vom alten Flair sei nichts mehr übrig gewesen und die Reise hätte er sich eigentlich sparen können. Im Militärhistorischen Museum in Berlin habe er viel von Experten gelernt. Über die Flieger selbst, die Munition und was in einer Luftschlacht im Cockpit passiert sei.
Er sei ein visueller Mensch, arbeite auch als Drehbuchautor und oft hätte schon ein Bild aus jener Zeit ausgereicht um einen Film bei ihm ablaufen zu lassen. So zum Beispiel Fotos des Berliner Varietés "Die weiße Maus" mit nur 99 Plätzen, in dem die Gäste Augenmasken trugen, um die Vergangenheit draußen zu lassen. (Laut Andreas Izquierdo waren es weiße Masken, auf den Fotos hier sind es schwarze.)
Ob die Figuren authentisch seien und Hedy seine Großmutter?
Nein, es habe zwar ein optisches Vorbild gegeben, aber kein charakterliches. Seine alte Tante im Rollstuhl in Spanien sei das optische Vorbild und die Ausgangsituation mit der Anzeige sei durch einen Zufall entstanden. Eine Haushälterin habe in Spanien von einer Dame erzählt, die zum Nacktbadestrand wollte. Er habe das Wort „annunzio“ als „Anzeige“ verstanden und schon Bilder vor seinem inneren Auge gehabt. Erst später habe er erfahren, dass „Werbung“ mit alten Damen gemeint war – doch da war die Idee schon geboren und plötzlich sei Hedy dagewesen. Die so geöffnete Tür müsse man als Autor ganz aufmachen und die Ideen hereinlassen.
Die ungekürzte Hörversion erscheine am 28.6., gelesen von Michael Schwarzbach. Zu seinem Bedauern ausschließlich über audible, nicht im Buchhandel verfügbar. Die Lesung gefalle ihm sehr gut, die Figuren würden lebendig. (Nein, diese Frage war nicht von mir. )
Sein nächstes Buch werde den Titel „Der Therapeut“ tragen. Zum Inhalt könne er noch nicht viel sagen, bisher habe er nur die Grundidee. Seiner Meinung nach wir nirgendwo so viel gelogen wie beim Therapeuten und vielleicht bei der Polizei. Beide seien auf der Suche der Wahrheiten, die eventuell wehtut. Er sei sich noch nicht sicher, ob es vielleicht Krimielemente geben werde.
Ob er beim Beginn des Schreibens schon das Ende kennen würde?
Ja, das stehe dann schon fest. Er finde es etwas respektlos dem eigenen Beruf gegenüber, wenn er ohne das Ende zu kennen beginnen würde. Er glaube, es brauche Vorbereitung und zum Beispiel Gehirnchirurgen oder Pianisten würden auch nicht ohne einen Plan und ein Ziel anfangen. Er habe immer ein akribisch ausgearbeitetes Exposé, die Spannungsbögen seien genau geplant. Wenn er unvorbereitet durch eine Szene stolpere, könne er nicht das Meiste rausholen. So habe er vielleicht sechs Wochen mehr Vorarbeit, spare sich aber sechs Monate Nacharbeit. Eigentlich sei es eine Form der Faulheit und für seinen Kopf besser, so gründlich vorbereitet zu sein.
Aufgrund von atmosphärischen Störungen habe er von Dumont zu Suhrkamp gewechselt. Beide Verlage hätte schon lange belletristische Programme und er fühle sich bei Suhrkamp wohl.
Im Anschluss an die Lesung nahm er sich beim Signieren auch noch viel Zeit für weitere Fragen.