Die alte Rasse
Die Phrase von der „Hölle auf Erden“ verwendet man, wenn Menschen einander das Leben derart schwermachen, dass es für einige nahezu unerträglich wird, dass es übermenschliche Kräfte erfordert, sich trotzdem durchzuwurschteln, und dass man außerdem maßlose Geduld und Dickfelligkeit benötigt. Eine von vielen Höllen auf Erden waren die U.S. of A. bis weit in die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts für jedermann, der zufällig keine weiße Hautfarbe hatte. Diese Hölle ist bis heute nicht völlig beseitigt, sie ist nur nicht mehr ganz so heiß.
Wir schreiben das Jahr 1954, als der (schwarze) Korea-Veteran Atticus Turner kurz nach dem Ende der Militärzeit in seinem neuen Auto aus dem Süden der Staaten nach Norden - in die Heimatstadt Chicago - unterwegs ist. Er hat den vom eigenen Vater herausgegebenen „Safe Negro Travel Guide“ dabei, um den schlimmsten Begegnungen von vorneherein auszuweichen, nur der Willkür der State Trooper und Sherriffs bleibt er ausgesetzt, einschließlich einer Beinahe-Erschießung nach dem kleinen Geschäft am Waldrand. Aber Atticus schafft es nach Hause, um dort festzustellen, dass sein Vater George verschwunden ist - offenbar in Begleitung eines merkwürdigen Weißen, und in Richtung einer neuenglischen Gegend, vor der der Reiseführer eindringlich warnt: Lovecraft Country. Doch Atticus macht sich trotzdem auf die Suche, und eine fantastische Odyssee beginnt.
Der Titel des Romans bezieht sich auf Howard Phillips Lovecraft, der als H. P. Lovecraft berühmt wurde und Anfang des vergangenen Jahrhunderts die Horrorliteratur zugleich revolutioniert und salonfähig gemacht hat. Lovecrafts Werke spielten geschickt mit der tiefsitzenden, instinktiven Furcht, die die zentrale, treibende Kraft seiner Geschichten war. Wenn die Figuren in Matt Ruffs neuem Roman ins für Schwarze gesetzlose Hinterland - nach Lovecraft Country - aufbrechen, begeben sie sich aus der alltäglichen Furcht, der sie als Nichtweiße ohnehin fortwährend ausgesetzt sind, in die drastische, direkte, essentielle Angst vor mächtigen, gewalttätigen Rassisten, die nicht weniger als die Weltherrschaft anstreben - so, wie die „alte Rasse“ bei Lovecraft. Aber Atticus und die seinen haben auch ein paar Asse in den Ärmeln.
„Lovecraft Country“ ist ein fantastischer Roman vor dem Hintergrund der Rassentrennung, reich an Anspielungen, Mysterien und spannenden Abenteuern, vor allem aber gespickt mit großartigen Ideen, amüsanten Dialogen und hinreißenden Figuren. Der episodenhafte Aufbau bringt allerdings einiges an Irritationen mit sich, und am Ende habe ich nicht für alles, was Matt Ruff an Kuriositäten aufgefahren hat, eine Erklärung finden können. Doch der Weg dorthin war ein großes Lesevergnügen, wenn auch nicht immer ein Spaß, denn die sehr ernsten Hintergründe der Geschichte(n) sind von großer Präsenz. Dadurch liest man einen spannenden, schillernden, furiosen Abenteuerroman, der für eine Thematik sensibilisiert, die einerseits für viele andere Probleme steht - und andererseits nach wie vor hochaktuell ist.
Nach „Ich und die anderen“ mein zweitliebstes Buch von Matt Ruff. Aber ich mag sie alle sehr.