Hier kann zu den Seiten 1- 59 (Kapitel 1 + 2) geschrieben werden.
'Horns Ende' - Seiten 001 - 059
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Ich bin zwar noch nicht fertig mit dem Abschnitt, möchte aber schonmal ein paar Gedanken posten, bevor ich sie wieder vergesse. (Habe zur Zeit keine Lust, mir nebenbei noch ständig Notizen auf Zettel zu machen.)
Die Erzählform mit diesen vielen verschiedenen Ich-ErzählerInnen gefällt mir sehr gut, auch wenn sie anfangs viel Aufmerksamkeit erfordert. Ich finde es interessant, wie sich durch die verschiedenen Perspektiven auch neue Informationen über die beteiligten Figuren und das Geschehen eröffnen.
Gleich am Anfang tut sich ein handfester Vater-Sohn-Konflikt auf. Darauf, wie dieser weiter dargestellt wird, bin ich momentan besonders gespannt. Hatte in letzter Zeit überreichlich literarische Mutter-Tochter-Konflikte, da bildet das mal eine willkommene Abwechslung.
Und noch eine Frage: Wie wollen wir hier in den Diskussionen mit dem in diesem Buch ständig auftauchenden Begriff "Zigeuner" umgehen, ohne uns des Antiziganismus verdächtig zu machen?
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(Erstausgabe 1985)
Vier Icherzähler berichten bisher von Ereignissen in Bad Guldenberg/Ostdeutschland vor 1958: Der Arzt Dr. Spodeck, Thomas, der Sohn des Apothekers, Gertrude Fischlinger, die Mutter von Paul, Ladeninhaberin und Vermieterin von Horn, und der neue Bürgermeister Kruschkatz. Die Versorgung scheint noch schwierig, es gibt Lebensmittelmarken.
Für Wessis ungewöhnlich, dass Lokalpolitiker nicht gewählt werden, sondern von … (der Partei?) in die Stadt abgeordnet.
Alle haben ihr ideologisch verdächtiges Päckchen zu tragen. Horn wird praktisch strafversetzt und arbeitet für seinen Posten völlig überqualifiziert. Der Doktor hat einen falschen Klassenhintergrund, aber politisch saubere Mediziner kann man sich vermutlich so schnell nicht schnitzen. Auch der Maler Gohl und seine behinderte Tochter haben Schlimmes hinter sich. Zwischen Gertrude und Paul scheint es auch zu kriseln; denn sie will ihren Sohn auf keinen Fall unbeaufsichtigt im Laden lassen.
Dann sind da noch die Zigeuner, die offenbar regelmäßig Hilfsarbeiten in der Gemeinde übernehmen.
Zigeuner war im Westen noch 1957 ein üblicher Begriff, selten reflektiert und teils von den reisenden Völkern selbst benutzt. Gab und gibt es in der DDR abweichende Gewohnheiten?
Die Geschichte besteht für mich bisher aus Aussparungen und daraus entstehenden Vermutungen, was wohl vorher geschah und wie die Personen miteinander verknüpft sind.
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Zigeuner war im Westen noch 1957 ein üblicher Begriff, selten reflektiert und teils von den reisenden Völkern selbst benutzt. Gab und gibt es in der DDR abweichende Gewohnheiten?
Über die Fünfziger kann ich mich nicht äußern. Der Roman ist ja aus dem Jahr 1985 und die Figuren erzählen rückblickend, sind also in ihrem Sprachgebrauch ebenfalls in den Achtzigern angekommen (auch wenn sie sich auf Ereignisse in den Fünfzigern beziehen). Zumindest zu dieser Zeit war der Begriff "Zigeuner" in der DDR als Fremdbezeichnung üblich und wurde meines Wissens auch nicht kritisch reflektiert. Aber ich kenne keine Studien zu diesem Thema, kann nur meine persönliche Erfahrung wiedergeben. Und das heißt auch nicht, dass ich den Begriff nun im Jahr 2018 einfach so verwenden möchte, nur weil er im Roman halt so steht.
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Zumindest zu dieser Zeit war der Begriff "Zigeuner" in der DDR als Fremdbezeichnung üblich und wurde meines Wissens auch nicht kritisch reflektiert. Aber ich kenne keine Studien zu diesem Thema, kann nur meine persönliche Erfahrung wiedergeben. Und das heißt auch nicht, dass ich den Begriff nun im Jahr 2018 einfach so verwenden möchte, nur weil er im Roman halt so steht.
Stimmt, der begriff war in der Verwendung üblich, unreflektiert. Von den 50ern kann ich allerdings auch nicht aus Erfahrung sprechen.
Ich kann mich allerdings nicht erinnern, dass "Zigeuner", ich verwende das mal hier auch, weil es so im Buch steht, durchs Land zogen. Mein Mann kann sich auch nicht an solche Begebenheiten erinnern, aber wir sind beide Kinder der 70er, und vielleicht gab es das da wirklich nicht mehr. Die Gegend, in der das Buch spielt, ist ja gar nicht so weit von meiner Heimat entfernt, was ich aber erst aus dem 2. Abschnitt weiß. Im ersten ist nicht davon die Rede oder ich habe es überlesen.
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Alle haben ihr ideologisch verdächtiges Päckchen zu tragen. Horn wird praktisch strafversetzt und arbeitet für seinen Posten völlig überqualifiziert. Der Doktor hat einen falschen Klassenhintergrund, aber politisch saubere Mediziner kann man sich vermutlich so schnell nicht schnitzen. Auch der Maler Gohl und seine behinderte Tochter haben Schlimmes hinter sich. Zwischen Gertrude und Paul scheint es auch zu kriseln; denn sie will ihren Sohn auf keinen Fall unbeaufsichtigt im Laden lassen.
Genug Baustellen für ein ganzes Buch, oder?
Gohl kann ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht einschätzen, auch nicht seine Rolle in der Geschichte, die uns scheibchenweise serviert wird.
Bad Guldenberg/Ostdeutschland vor 1958:
Ich habe mal nachgesehen, und Christoph Hein hat scheinbar noch einen Roman mit dem Handlungsort Bad Guldenberg geschrieben:
Bad Guldenberg im Roman "Landnahme"
Ist mir aber relativ egal, wo genau der Roman spielt, die Zeit ist mir da viel wichtiger.Die Geschichte besteht für mich bisher aus Aussparungen und daraus entstehenden Vermutungen, was wohl vorher geschah und wie die Personen miteinander verknüpft sind.
Mich reizt die Art, wie der Roman geschrieben ist und dass ich Zeit brauche, um alles miteinander zu verknüpfen und zu verstehen.
So finde ich das Lesen sehr spannend zur Zeit und fordernd.
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Ich kann mich allerdings nicht erinnern, dass "Zigeuner", ich verwende das mal hier auch, weil es so im Buch steht, durchs Land zogen. Mein Mann kann sich auch nicht an solche Begebenheiten erinnern, aber wir sind beide Kinder der 70er, und vielleicht gab es das da wirklich nicht mehr.
Ich erinnere mich auch nicht an irgendwelche Fahrenden, abgesehen von Wanderzirkusleuten - und ob diese vielleicht Sinti, Roma oder Jenische waren, weiß ich nicht. Im Westen gehören ja offenbar etliche Schausteller diesen ethnischen Gruppen an.
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Mich reizt die Art, wie der Roman geschrieben ist und dass ich Zeit brauche, um alles miteinander zu verknüpfen und zu verstehen.
So finde ich das Lesen sehr spannend zur Zeit und fordernd.Geht mir genauso.
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Geht mir genauso.
Das freut mich sehr!
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Stimmt, der begriff war in der Verwendung üblich, unreflektiert. Von den 50ern kann ich allerdings auch nicht aus Erfahrung sprechen.
Ich kann mich allerdings nicht erinnern, dass "Zigeuner", ich verwende das mal hier auch, weil es so im Buch steht, durchs Land zogen. Mein Mann kann sich auch nicht an solche Begebenheiten erinnern, aber wir sind beide Kinder der 70er, und vielleicht gab es das da wirklich nicht mehr. Die Gegend, in der das Buch spielt, ist ja gar nicht so weit von meiner Heimat entfernt, was ich aber erst aus dem 2. Abschnitt weiß. Im ersten ist nicht davon die Rede oder ich habe es überlesen.
Ich kann mich sehr gut daran erinnern. Auf Volksfestplätzen von Kleinstädten (West) (dort gab es Wasseranschlüsse) machten Gruppen von fahrenden Großfamilien halt, mit PKWs mit Anhängerkupplung und Wohnwagen und gingen Geschäften nach. Altmetallhändler, Scherenschleifer, Teppichverkäufer. Man erwartete, dass der Scherenschleifer regelmäßig kam und das tat er auch. Wir hatten auch Gaunerzinken an den Gartenzäunen mit Botschaften, deren Bedeutung sich im Brockhaus nachlesen ließ. Bei unserer Nachbarin muss sicher gestanden haben, dass es bei ihr immer Essen gegen Gartenarbeit gibt.
In Heins Roman haben die fahrenden Besucher Pferde, handeln damit evtl. auch. Das sind möglicherweise ganz andere Clans, die eher aus Osteuropa stammten.
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In Heins Roman haben die fahrenden Besucher Pferde, handeln damit evtl. auch. Das sind möglicherweise ganz andere Clans, die eher aus Osteuropa stammten.
Interessant, was du da beschreibst. Dass es bei uns in der Ecke, und ich komme auch noch ursprünglich vom Dorf, solche Reisen fahrenden Volkes nicht gab, muss ja noch nicht heißen, dass sie nicht durch andere Ecken der DDR zogen.
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Ich bin in der sozialistischen Theorie nicht sehr sattelfest. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass sich die freie Berufsausübung mit "Privatbesitz an Produktionsmitteln" durch durchreisende Personen mit dem DDR-Wirtschaftssystem vereinbaren ließ. Dann hätte die Wohnbevölkerung dieses Recht doch auch haben müssen?
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Laut dieser Darstellung hier gab es in der DDR tatsächlich kaum Sinti und Roma:
https://www.auslaender-in-der-…m/home/asylsuchende-roma/
Der Text ist generell interessant, da er gleich am Anfang gut auf den Punkt bringt, wie in der DDR das Verhältnis zu AusländerInnen war: Offiziell Solidarität mit allen Völkern, in der Praxis keine oder nur extrem gesteuerte und überwachte Begegnungen mit Menschen aus anderen Ländern. Die einzige mir bekannte Ausnahme waren die als slawische Minderheit gern genannten Sorbinnen und Sorben, allerdings hat sich auch da vieles in der Wahrnehmung auf schlichte Folklore beschränkt.
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Ich bin in der sozialistischen Theorie nicht sehr sattelfest. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass sich die freie Berufsausübung mit "Privatbesitz an Produktionsmitteln" durch durchreisende Personen mit dem DDR-Wirtschaftssystem vereinbaren ließ. Dann hätte die Wohnbevölkerung dieses Recht doch auch haben müssen?
Erklärst du mir mal, was du meinst? Habe ich etwas überlesen?
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Deine Beobachtung war, dass es in der DDR wenig fahrendes Volk gab.
Das ist aus meiner Sicht völlig logisch, weil es dafür Freiheiten brauchte, die Freiheit, für eine kleine Gebühr auf diesen Volksfestplätzen zu lagern, freie Berufsausübung, das private Risiko der Selbstständigkeit u. ä. Herumreisende Teppichhändler und Altmetallhändler kann ich mir im DDR-Sozialismus mit seinen 5-Jahresplänen nur schwer vorstellen. Und dessen Planung wurde dann ja auch zum wirtschaftlichen Problem.
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Ich wüsste gern, was mit Marlene und ihrer Mutter vorgefallen ist. Klingt wirklich gruselig, was sie da über den Keller sagt. Sie scheint ja irgendwie geistig behindert zu sein, gleichzeitig aber hochsensibel. Bin sehr gespannt, wie dieser Strang weitergeht.
Auch Gertrudes Geschichte ist grausig... Aber wessen Geschichte in diesem Buch bisher eigentlich nicht? Alles nicht gerade die glücklichsten Leben hier.
Leider werde ich heute Abend nicht mehr viel lesen können. Wir haben mehrere Kilo Kirschen geerntet, die ich jetzt, wo die Kinder schlafen, noch verarbeiten werde.
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Offiziell Solidarität mit allen Völkern, in der Praxis keine oder nur extrem gesteuerte und überwachte Begegnungen mit Menschen aus anderen Ländern. Die einzige mir bekannte Ausnahme waren die als slawische Minderheit gern genannten Sorbinnen und Sorben, allerdings hat sich auch da vieles in der Wahrnehmung auf schlichte Folklore beschränkt.
Arbeiter aus befreundeten Ländern aller Welt im Zuge der Internationalen Solidarität (grad wird mir übel) gab es in den meisten Betrieben, aber meines Wissens noch nicht in den 50ern. Offiziell war alles Freundschaft, aber zu enge Verbrüderungen war auch nicht gewollt. Und wer zu nah mit den "Freunden" war, hatte es mit den Kollegen nicht leicht. Ausländische Freunde blieben eher unter sich.
Das sorbische Brauchtum war geduldet und Vorzeigeprojekt gefördert. Die sorbische Sprache wurde aber nicht unterrichtet und sollte auch nicht gesprochen werden. Also Brauchtum mit engem Zaun drum herum.
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Ich wüsste gern, was mit Marlene und ihrer Mutter vorgefallen ist. Klingt wirklich gruselig, was sie da über den Keller sagt. Sie scheint ja irgendwie geistig behindert zu sein, gleichzeitig aber hochsensibel. Bin sehr gespannt, wie dieser Strang weitergeht.
Ich auch. Marlene kann ich noch gar nicht einschätzen, auch ihre Rolle nicht. Wir werden warten müssen.
Alles nicht gerade die glücklichsten Leben hier.
Stimmt, aber mich stört das gar nicht.
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Bei Marlene könnte ich mir vorstellen, dass sie in der NS-Zeit vor der Deportation und Ermordung geschützt wurde.
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Arbeiter aus befreundeten Ländern aller Welt im Zuge der Internationalen Solidarität (grad wird mir übel) gab es in den meisten Betrieben, aber meines Wissens noch nicht in den 50ern. Offiziell war alles Freundschaft, aber zu enge Verbrüderungen war auch nicht gewollt. Und wer zu nah mit den "Freunden" war, hatte es mit den Kollegen nicht leicht. Ausländische Freunde blieben eher unter sich.
Ich kenne das aus den Achtzigern auch nur in der Form, dass die Leute (bei uns v.a. aus Vietnam, Angola und Mocambique) ein paar Jahre in der DDR arbeiten oder studieren durften, gemeinsam in Wohnheimen ohne viel Außenkontakt gelebt haben und weder zu enge Beziehungen untereinander noch gar zur DDR-Bevölkerung erwünscht waren. Es gab sie natürlich trotzdem, aber die Leute hatten es dann nicht leicht.