'Horns Ende' - Seiten 061 - 144

  • Die Geschichte um Horns Degradierung, politische Ungade und Ächtung wird klarer, nun im Zuge seiner zweiten Denunzierung, die seinem Ende wohl voraus geht. Also ich habe nicht mal richtig verstanden, was da eigentlich das Problem war. Horn hat einen Bericht oder eine Abhandlung geschrieben über neue Funde oder Erkenntnisse über jüngste Scherbenfunde (sorbisch, wendisch?) und nun werden ihm revisionistische Bestrebungen und intellektuelles Kleinbürgertum vorgeworfen. An den Haaren herbeigezogen, will ich spontan sagen, aber das geht tiefer, was man ihm da anhängt. Ich steige da noch nicht durch, aber vielleicht erfährt man da auch erst im nächsten Abschnitt mehr, worauf ich mich dann freuen kann.:)

    Klar ist , dass man Horn etwas anhängt, wovon er sich nicht erholen wird. "Intellektueller" war lange Jahre ein politisch schlimm anrüchiger Begriff, da reichte schon der Vorwurf.

    Mich interessiert auch, was er sich damals in Leipzig hat zu Schulden kommen lassen. Aus der Partei hat man ihn ausgeschlossen, aller Ämter enthoben, von seinem wissenschaftlichen Posten gefeuert.


    Marlene, die "Verrückte", finde ich interessant, kann aber noch nicht durchschauen, was es mit ihr auf sich hat.

  • In diesen knappen 50er Jahren finde ich es höchst dekadent, dass die Stadt sich einen Museumsleiter leistet. Woanders hätte das vielleicht ein Lehrer nebenbei erledigt.


    Die Erzählperspektiven klingen, als ob die Personen befragt worden sind oder einen sachlichen Bericht schreiben müssen. Bei Gertrude fällt mir auf, dass sie (noch?) wenig über sich erzählt und auch wenig über ihren Laden. Wer Kunden oder Besucher hat, hat doch eigentlich immer etwas zu erzählen. Vielleicht sind sie nach der Sache mit Horn ja auch vorsichtig geworden.

  • In diesen knappen 50er Jahren finde ich es höchst dekadent, dass die Stadt sich einen Museumsleiter leistet. Woanders hätte das vielleicht ein Lehrer nebenbei erledigt.

    Arbeitslose gab es in der DDR nicht, wohl auch schon damals nicht. Das war politisch nicht gewollt und ideologisch undenkbar. Hier hatte jeder Arbeit und half tätig mit beim Aufbau des Sozialismus.;)

    Er musste aufs Land, nach seiner wissenschaftlichen Karriere in Leipzig eine enormer Abstieg. Irgendwohin mussten sie ihn ja schieben. Wahrscheinlich meinte man, dass er dort keinen Schaden machen könnte oder man ihn gut unter Beobachtung behalten könnte.

  • Artikel über das literarische Guldenberg


    Zitat

    Der fiktive Ort mit Burg, Marktplatz, Rathaus, Sportplatz und Muldebrücke steht im Mittelpunkt von Christoph Heins Roman „Landnahme“. Guldenberg ist das exemplarische Sachsen. Hier, in der unrettbaren, glücklichen Abgeschiedenheit der Provinz gedeihen Kleinunternehmertum und Landwirtschaft, wenn sie denn dürfen und die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Natur es zulassen.

  • Zu schnell abgeschickt, dazu wollte ich ja auch noch was schreiben.

    Die Erzählperspektiven klingen, als ob die Personen befragt worden sind oder einen sachlichen Bericht schreiben müssen. Bei Gertrude fällt mir auf, dass sie (noch?) wenig über sich erzählt und auch wenig über ihren Laden. Wer Kunden oder Besucher hat, hat doch eigentlich immer etwas zu erzählen. Vielleicht sind sie nach der Sache mit Horn ja auch vorsichtig geworden.

    An eine Befragung habe ich auch gedacht.

    Gertrude hatte kein einfaches Leben, aber stimmt, sie hält sich sehr bedeckt. Vielleicht ist das aber auch einfach ein Wesenszug.


    Weniger politsch, aber menschlich interessant fand ich den Bericht von Dr Spodeck, seine fernen Vater und die Umstände des Medizinstudiums.

  • Der Vater entscheidet und zahlt, der Sohn gehorcht. Ein musterhafter Bürger ... Aber was hätte Spodeck selbst gewollt?

    Auch ein abwesender Vater, der sich offiziell nicht zu seinem KInd, und wie wir erfahren zu seinen diversen unehelichen Kindern, bekennt. Ich glaube, dass Spodeck etwas ganz anderes gemacht hätte. Lange Jahre war das Trotz, dann bleib er dabei, gehorchte auch weiter, obwohl er das, selbst erwachsen, nicht mehr gemusst hätte und hat irgendwann niemand mehr, dem er sein verpfuschtes, vergeudetes, in die falsche Richtung gelaufenes Leben vorwerfen kann.

  • Gohl wird als alter Mann mit pergamentener Haut beschrieben, der sich selbst als müde bezeichnet und vom Tod vergessen.


    Alle Erzählerstimmen sind stark durch die persönliche Brille geprägt, evtl. sollte man nicht zu viel Reflektion von ihnen erwarten, sie erzählen die Abläufe einfach so, wie sie sie erlebt haben.


    Spodeck und Kruschkatz teilen vermutlich eine gemeinsame Vergangenheit aus der NS-Zeit, evtl. gehören noch mehr Einwohner dazu.


    Wer ist Jule, eine Freundin von Gertrude? Die beiden tratschen ... Gertrude weiß vermutlich alles über jeden.


    Thomas ist jetzt 11 Jahre und hat die Provinz satt. Als Sohn des Apothekers steht er vermutlich auf dem Präsentierteller und alles was er tut, wird gleich den Eltern berichtet. Ob es ihm an einem anderen Ort besser ginge? Er wirkt raffiniert, schmiert Horn Honig ums Maul, um was zu erreichen? Was will er von Elske? Dass sie ihn aus seiner Sprachlosigkeit rettet?


    Horn wird als Revisionist verdächtigt und gemeldet, Kruschkatz ist mitschuldig, weil er ihn nicht überwacht hat. Hätte er dazu eine reale Chance gehabt oder sind das Worthülsen für die Denunziation von Leuten, die man aus dem Weg haben will?


    Dass Kruschkatz 1959 schon in Urlaub fährt, finde ich auch ziemlich dekadent. Irgendwer muss sein Gemüse gießen, während er weg ist ...


    "sündhaftes Geld für Kleider rausschmeißen" ist ein herrliches Nachplappern der Erwachsenen, ohne dass Thomas versteht, was genau daran sündhaft ist. Wie viel sie verdienen, haben die Eltern ihren Kindern vermutlich nicht erzählt und was ein Kleid kostet, weiß er wohl ebenso wenig.


    Evtl. muss man darauf achten, was Thomas überhaupt selbst weiss und beurteilen kann, was er nachplappert und was das Nachplappern bewirkt. Die Zeit, in der Kinder ihre Eltern mit ihren Erzählungen ins KZ bringen konnten, ist ja noch nicht lange vorbei ...

  • Die Geschichte um Horns Degradierung, politische Ungade und Ächtung wird klarer, nun im Zuge seiner zweiten Denunzierung, die seinem Ende wohl voraus geht. Also ich habe nicht mal richtig verstanden, was da eigentlich das Problem war. Horn hat einen Bericht oder eine Abhandlung geschrieben über neue Funde oder Erkenntnisse über jüngste Scherbenfunde (sorbisch, wendisch?) und nun werden ihm revisionistische Bestrebungen und intellektuelles Kleinbürgertum vorgeworfen. An den Haaren herbeigezogen, will ich spontan sagen, aber das geht tiefer, was man ihm da anhängt. Ich steige da noch nicht durch, aber vielleicht erfährt man da auch erst im nächsten Abschnitt mehr, worauf ich mich dann freuen kann.


    Ich frage mich, ob es in die Richtung gehen könnte, dass man in der DDR, noch relativ frisch von den Sowjets überrannt, als Historiker / Archäologe nicht schreiben durfte, dass die Wenden / Sorben (ein slawisches Volk) die Hermunduren (ein elbgermanisches Vok) plattgemacht und deren Kultur zerstört haben. Ich finde es zwar auch an den Haaren herbeigezogen, daraus Parallelen zum slawischen "großen Bruder" zu ziehen und dessen Verunglimpfung zu unterstellen, aber sowas ist in der DDR durchaus passiert. :pille


    Vielleicht ist es aber auch ganz anders gemeint und wird später noch aufgelöst. :lesend

  • Thomas ist jetzt 11 Jahre und hat die Provinz satt. Als Sohn des Apothekers steht er vermutlich auf dem Präsentierteller und alles was er tut, wird gleich den Eltern berichtet. Ob es ihm an einem anderen Ort besser ginge? Er wirkt raffiniert, schmiert Horn Honig ums Maul, um was zu erreichen? Was will er von Elske? Dass sie ihn aus seiner Sprachlosigkeit rettet?


    Die Szenen um Thomas finde ich sehr eindringlich und beklemmend. Seine Sehnsucht, mal allein und unbeobachtet zu sein. Diese lange Szene am Spiegel mit den Zerrbildern.


    Allmählich würde ich wirklich gern mehr von Marlene erfahren. Und was der zynische Herr Doktor der jungen Christine angetan hat. Die Frauen kommen mir hier bisher eindeutig zu kurz! :nono

  • Allmählich würde ich wirklich gern mehr von Marlene erfahren. Und was der zynische Herr Doktor der jungen Christine angetan hat. Die Frauen kommen mir hier bisher eindeutig zu kurz!


    Warte Mal noch ein Bisschen! Im dritten Abschnitt treten die Frauen hervor.

    Auch zu Christine wird es mehr geben. Ich hatte hier aber beim Lesen nicht den Eindruck, dass er ihr etwas angetan hat.


  • Warte Mal noch ein Bisschen! Im dritten Abschnitt treten die Frauen hervor.

    Auch zu Christine wird es mehr geben. Ich hatte hier aber beim Lesen nicht den Eindruck, dass er ihr etwas angetan hat.

    Sie ist halt der einzige "Posten" in der Liste seiner Untaten, für den er keine Vergebung zu erhoffen wagt... Da bin ich jetzt schon gespannt, was da los war. :gruebel

    Kann allerdings erst heute Abend weiterlesen; jetzt wird erstmal der Kirschkuchen an lieben Besuch verfüttert. :-) :mahlzeit

  • Der Vater entscheidet und zahlt, der Sohn gehorcht. Ein musterhafter Bürger ... Aber was hätte Spodeck selbst gewollt?

    Das habe ich mich auch gefragt. Spodeck spricht von einem verpfuschten Leben, aber außer, dass er lieber weiter in Richtung Psychiatrie gegangen wäre, erfährt man nichts über alternative Lebenspläne.

    Viele andere wären dankbar gewesen, wenn sie einen solchen Förderer für ein Medizinstudium gehabt hätten. Grob gerechnet müsste das doch in den 1920er Jahren gewesen sein. :gruebel

    - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend MZB: Darkover-Universum

  • Spodeck und Kruschkatz teilen vermutlich eine gemeinsame Vergangenheit aus der NS-Zeit, evtl. gehören noch mehr Einwohner dazu.

    Wenn Spodeck am Ende der 1920er Jahre in München studiert hat, müsste er einiges von Hitlers Machenschaften dort mitbekommen haben. Leider erwähnt er davon kein Wort.

    - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend MZB: Darkover-Universum

  • Wer ist Jule, eine Freundin von Gertrude? Die beiden tratschen ... Gertrude weiß vermutlich alles über jeden.

    Jule ist die schon im ersten Abschnitt erwähnte Freundin Juliane, die als Haushälterin beim Pfarrer arbeitet und lebt, dem sie geradezu heiligmäßige Verehrung entgegenbringt. Sie hilft Gertrude auch manchmal im Laden, wenn diese wegen ihrer wehen Beine nicht mehr stehen kann.

    - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend MZB: Darkover-Universum

  • Thomas ist jetzt 11 Jahre und hat die Provinz satt. Als Sohn des Apothekers steht er vermutlich auf dem Präsentierteller und alles was er tut, wird gleich den Eltern berichtet. Ob es ihm an einem anderen Ort besser ginge? Er wirkt raffiniert, schmiert Horn Honig ums Maul, um was zu erreichen? Was will er von Elske? Dass sie ihn aus seiner Sprachlosigkeit rettet?

    Thomas war ein Jahr früher 11, ist also 1957 schon 12. Er liebt Elske seit er 9 Jahre alt und von ihr sorgsam behandelt worden war. Er sehnt sich nach ihrer Zärtlichkeit und möchte ihr wichtig sein. An Sex scheinen beide nicht dabei zu denken. Elske ist vier Jahre älter und wahrscheinlich in jemanden verknallt, der die Zigeunermädchen attraktiv findet. Deshalb ist sie vermutlich so wütend auf sie und nennt sie Thomas gegenüber "dreckig" und fragt ihn eifersüchtig, ob die ihm gefallen. Er verneint die Frage und bekommt darauf die Feststellung von Elske "Vielleicht bist du noch zu jung".

    Thomas wäre gern mit Elske gleichaltrig, um von ihr als Liebespartner ernst genommen zu werden - aber er hat nur diffuse Vorstellungen, was das bedeuten könnte.

    - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend MZB: Darkover-Universum

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Tante Li ()

  • Die Szenen um Thomas finde ich sehr eindringlich und beklemmend. Seine Sehnsucht, mal allein und unbeobachtet zu sein. Diese lange Szene am Spiegel mit den Zerrbildern.

    Ich sehe darin ein Versuch der Selbstfindung am Anfang seiner Pubertät.


    Meine Oma hatte einen ganz ähnlichen Spiegeltisch und mir hat es als Kind auch viel Spaß gemacht in diese künstlich erzeugte Unendlichkeit des eigenen Ichs zu blicken.

    - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend MZB: Darkover-Universum