'Horns Ende' - Seiten 213 - Ende

  • Allein der kleine Ausschnitt, dass Horn für die Flucht seiner Schwester verantwortlich gemacht wird, stellt die ganze Absurdität des Systems ins Scheinwerferlicht. Natürlich gab es Leute, die in der DDR ausgeharrt haben, weil sie ihren Angehörigen die Nachteile nicht zumuten wollten, die Familien eines Republikflüchtigen drohten.


    Wenn ein Roman alle diese Zusammenhänge exakt vermitteln wollte, würde er zu 50% aus historischen Anmerkungen bestehen. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass es Wessis geben soll, die keine Lehrer, Kollegen, Angehörigen haben, die aus der DDR geflüchtet sind oder freigekauft wurden.


    Gerade habe ich mich in Glückskind mit Vater gestürzt. Der Roman scheint sehr detailreich zu sein, aber das schützt ihn auch nicht davor, dass Leser in Ost und West, jeweils ihr persönliches DDR-Bild darin suchen und vermutlich auch nicht zufriedenzustellen sind.

  • Eben wollte ich noch schreiben: Wäre mal interessant zu lesen, wie Hein jetzt einen in der DDR angesiedelten Roman schreiben würde, ohne die Zwänge, die vorm Zusammenbruch der DDR noch über sämtlichen Äußerungen lagen. Danke für den Buchtipp, Buchdoktor ! :wave

    Das wäre spannend! Allerdings würde ich den Roman vielleicht nicht lesen, käme halt darauf an, wie er das Ganze lösen würde. DDR ist vorbei und das ist auch gut so. Den schmalen Grat zu beschreiten und einen guten historischen Roman aus dieser jüngeren Geschichte zu schreiben, erfordert schon einiges Geschick, damit das Ganze nicht in die Ostalgieschiene abgeleitet.

    Thomas Brussigs "Wie es leuchtet" fand ich gelungen oder "Kruso", aber da gibt es sicher auch viel Elend auf dem Literaturmarkt. Bücher im Sinne von "Weißt du noch damals" mit ihrer ganzen Verklärtheit braucht die Welt nicht, finde ich jedenfalls.

  • Bücher im Sinne von "Weißt du noch damals" mit ihrer ganzen Verklärtheit braucht die Welt nicht, finde ich jedenfalls.

    Das sehe ich auch so, kann es mir bei Christoph Hein aber schwer vorstellen, dass er so schreibt. Buchdoktor kann ja bei Gelegenheit mal berichten? :wave


    Ich verabschiede mich jetzt schonmal in den Urlaub, werde in nächster Zeit nur noch sehr sporadisch hier 'reinschauen, wünsche euch aber noch viel Spaß beim Diskutieren! :wave

  • Nadezhda  :knuddel1Vielen Dank für den Anstoß und die Durchführung für diese Leserunde. Das gemeinsame Lesen und die zusätzlichen Informationen über die DDR waren hoch interessant.

    Schönen Urlaub! :wave

    - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend U. T. Bareiss: Green Lies - Tödliche Ernte

  • Tante Li Danke! :knuddel1

    Diese LR mir auch viel Spaß gemacht (auch wenn der Titelvorschlag nicht von mir kam 8o ) und neue Erkenntnisse gebracht.


    Wahrscheinlich lese ich irgendwann im Sommer noch einen meiner eigenen Vorschläge als Reread:

    Irmtraud Morgner - Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz.

    Vielleicht finden sich mit etwas Abstand ja doch noch ein paar MitleserInnen... :grin


    51HI3V3WyqL._SX313_BO1,204,203,200_.jpg



    amazon:

    Nimmt der ewige »Krieg der Geschlechter« ein Ende? Die Spielfrau Beatrix erwacht nach über achthundertjährigem Schlaf in unserer Gegenwart. In der Provence war sie im hohen Mittelalter eingeschlafen, jetzt bekommt sie es mit einer Welt zu tun, in der ihr Schloss einer Schnellstraße Platz machen soll. Sie bringt aber nicht nur diese Entscheidung ins Wanken, auch wie Männer und Frauen zusammenleben und worin das Wesen der Erotik gesehen wird, will ihr nicht einleuchten. Am besten, man würde noch einmal ganz von vorne beginnen ...



    https://www.amazon.de/Abenteuer-Trobadora-Beatriz-Zeugnissen-Spielfrau/dp/3442715776 (incl. Amazon Affiliate-ID from this website)


  • Danke für den Tipp. Das Buch schaue ich mir mal näher an.


    Seit Jahren subt bei mir schon dieses Buch bei mir. Das beschäftigt sich ebenfalls mit diesem Thema.

  • ich denke, das muss man bei diesem Buch vor den historischen Hintergründen sehen. Ich finde, Hein hat sich mit dem, was man in diesem Roman explizit sowie zwischen den Zeilen lesen kann, schon weit aus dem Fenster gelehnt - so weit, dass es ja keine Genehmigung gab, das Buch zu veröffentlichen. Wenn er noch expliziter geworden wäre oder das Geschehen um Horn deutlicher auf den Punkt gebracht hätte, wäre die Chance einer Veröffentlichung von Anfang an gleich Null gewesen.

    Eine sehr wichtige Hilfe bei der Deutung und für die Wirkung des Buches. Insgesamt - aus heutiger Sicht - fand ich es schlecht. Charaktere wurden nicht beschrieben, sondern nur angerissen, Dialoge waren kurz und wenig authentisch. Verhaltensweisen seltsam (ein Elfjähriger, der Achselhaare streicheln möchte ... ||) und ohne richtigen Zusammenhang. Vieles bis alles waren nur Symbole und ohne Leben - zumindest für mich und in der reinen Beurteilung des Buches. Mit dem historischen Kontext der Entstehung könnte man eventuell zu einem leicht besseren Urteil kommen.

  • Zitat

    Original von xexos: Eine sehr wichtige Hilfe bei der Deutung und für die Wirkung des Buches. Insgesamt - aus heutiger Sicht - fand ich es schlecht. Charaktere wurden nicht beschrieben, sondern nur angerissen, Dialoge waren kurz und wenig authentisch. Verhaltensweisen seltsam (ein Elfjähriger, der Achselhaare streicheln möchte ... ||) und ohne richtigen Zusammenhang. Vieles bis alles waren nur Symbole und ohne Leben - zumindest für mich und in der reinen Beurteilung des Buches. Mit dem historischen Kontext der Entstehung könnte man eventuell zu einem leicht besseren Urteil kommen.


    Wenige Jahre nach der Wende habe ich diesen Roman gelesen und in vielen Gedankensträngen konnte auch ich Hein nicht folgen. Etliches blieb (mir) rätselhaft bis ungeklärt.

    Was die Symbolkraft in "Horns Ende" betrifft, so ist diese vielleicht als DDR-Eigentümlichkeit zu erklären. Jeglicher Aspekt des sozialen, politischen und gesellschaftlichen Lebens musste einer Symbolik genügen. Gleichzeitig bot eben jene Symbolik Deutungsmöglichkeiten, die in der Kunst genutzt wurden und Individuen Freiräume boten. Die Hoheit über die Auslegung oblag selbstverständlich den Systemtreuen.


    Je mehr ich über diesen Roman und andere Arbeiten von Hein nachdenke, desto mehr komme ich zu der Überzeugung, dass er ins Zentrum seiner Geschichten Individuen stellt, die sich als Akademiker noch nicht mit der DDR arrangiert haben.

    Eine spannende literarische Herausforderung, der Hein meines Erachtens nur teilweise gerecht wird, da er seine Protagonisten abstrakt skizziert und sie letztlich unnahbar bleiben. Siehe auch seine Novelle "Der fremde Freund".

  • Zur Thematik der "Zigeuner" in der Nazizeit und auch darüber hinaus kann ich den Roman "Ich heiße nicht Miriam" von Majgull Axelsson empfehlen. Habe ihn gerade ausgelesen.

    Steht schon auf meiner Bibliotheksliste.

    Jetzt, wo du ihn ausgelesen hast und empfiehlst, erst recht.

  • Könnte der Ort Guldenberg vielleicht sogar symbolhaft für die ganze DDR stehen? Alle wollen da weg, keiner kann sich richtig entfalten, sondern werden nur älter.

    Könnte durchaus sein.

    Allerdings regt sich dabei, wie du es zusammenfasst, schon gleich Widerstand bei mir. Allerdings weiß ich nicht, ob ich diese Diskussion jetzt los treten will.

    Ich war noch sehr jung, bin im Jahr der Wende erst 18 gewesen, aber ich wollte nicht weg. Wirklich frei habe ich mich auch nicht gefühlt, aber auch nicht eingesperrt und entfaltet habe ich mich schon, gerade zu der Zeit. Kann schon sein, dass ich in den folgenden Jahren ernsthaft mit dem System in Konflikt geraten wäre, sehr wahrscheinlich sogar, denn begonnen hatte das schon, aber als so absolut lebensumwelt, eben einfach nur alt werden und das Leben zieht an dir vorbei, habe ich es nie empfunden.

    Vielleicht so viel dazu, eher persönlich.;)

  • Zitat

    Original von xexos

    Könnte der Ort Guldenberg vielleicht sogar symbolhaft für die ganze DDR stehen? Alle wollen da weg, keiner kann sich richtig entfalten, sondern werden nur älter.

    Der Roman ist Mitte der 1980-er Jahre veröffentlich worden. Umbrüche fanden damals schon statt und waren spürbar, zB. die erleichterten Besuchsregelungen von DDR-Bürgern in den Westen nach dem Staatsbesuch von Willy Brandt im Jahr 1985.

    Guldenberg mag außer an Tristesse nichts zu bieten haben und stellvertretend für viele andere Orte stehen. Dennoch wage ich die Behauptung, dass es in der DDR durchaus lebenswerte Orte gab und nicht jeder seine Heimat verlassen wollte.

  • Meine kurze Zusammenfassung "Alle wollen da weg, keiner kann sich richtig entfalten, sondern werden nur älter." war nur als Zusammenfassung des Buches gemeint, nicht der DDR. ;) Für die DDR müsste ich diesen Satz mindestens beim Wort "alle" auf das Wort "einige" reduzieren.


    Ich habe ab 1998 selbst vier Jahre in Erfurt gewohnt. Ich finde die Stadt immer noch toll und habe damals auch viele Gespräche zu Vor- und Nachteilen der DDR geführt. Von daher ist mir durchaus bekannt, dass das Land auch lebenswert sein konnte, gerade auch für Jugendliche. Meine damalige Freundin war tief verletzt, wenn ich mal was von der DDR kritisiert hatte. Immerhin lief ich Gefahr, damit auch die Erinnerungen an ihre Kindheit zu zerstören.


    Des Weiteren haben sich in der DDR natürlich auch Menschen ineinander verliebt und Familien gegründet. Erinnerungen an die DDR-Zeit sind also auch immer mit diesen persönlichen Erfahrungen verbunden.

  • xexos, wenn ich lebenswerte Orte schrieb, dann fallen mir sofort Erfurt und Schwerin ein, auch an einigen Ecken Rostock und Umgebung. Leben in einer Stadt, die vorgenannten waren Bezirksstädte, bedeutete auch immer, in hohem Maße Bespitzelung ausgesetzt zu sein.


    An der DDR und ihren Menschen gab und gibt es genug zu kritisieren, ähnliches dürfte für den Westen gelten.

  • Meine kurze Zusammenfassung "Alle wollen da weg, keiner kann sich richtig entfalten, sondern werden nur älter." war nur als Zusammenfassung des Buches gemeint, nicht der DDR. ;) Für die DDR müsste ich diesen Satz mindestens beim Wort "alle" auf das Wort "einige" reduzieren.


    Ich habe ab 1998 selbst vier Jahre in Erfurt gewohnt. Ich finde die Stadt immer noch toll und habe damals auch viele Gespräche zu Vor- und Nachteilen der DDR geführt. Von daher ist mir durchaus bekannt, dass das Land auch lebenswert sein konnte, gerade auch für Jugendliche. Meine damalige Freundin war tief verletzt, wenn ich mal was von der DDR kritisiert hatte. Immerhin lief ich Gefahr, damit auch die Erinnerungen an ihre Kindheit zu zerstören.


    Des Weiteren haben sich in der DDR natürlich auch Menschen ineinander verliebt und Familien gegründet. Erinnerungen an die DDR-Zeit sind also auch immer mit diesen persönlichen Erfahrungen verbunden.

    Ich weiß, dass du es nicht so absolut gemeint hast, könnte es aber nicht so stehen lassen:wave. Interessant, wie man immer noch so schnell anspringt....

  • xexos, wenn ich lebenswerte Orte schrieb, dann fallen mir sofort Erfurt und Schwerin ein, auch an einigen Ecken Rostock und Umgebung. Leben in einer Stadt, die vorgenannten waren Bezirksstädte, bedeutete auch immer, in hohem Maße Bespitzelung ausgesetzt zu sein.


    An der DDR und ihren Menschen gab und gibt es genug zu kritisieren, ähnliches dürfte für den Westen gelten.

    Dresden ist sehr schön und besonders auch Görlitz, muss ich hier noch ergänzen:).

    Du hast Recht, in den großen Städten war die Bespitzelung größer als zum Beispiel auf dem Land. Daher war ich zum Beispiel was Stasi und Co betraf doch ein wenig unbedarft, als ich in der Jugend in meine Auflehnungsphase eintrat. Trotzdem zog es viele in die Bezirksstädte, unter Anderem auch weil die Versorgung mit Konsumgütern viel besser war.

  • Zitat

    Original von Claire:

    Dresden ist sehr schön und besonders auch Görlitz, muss ich hier noch ergänzen:).

    Du hast Recht, in den großen Städten war die Bespitzelung größer als zum Beispiel auf dem Land. Daher war ich zum Beispiel was Stasi und Co betraf doch ein wenig unbedarft, als ich in der Jugend in meine Auflehnungsphase eintrat. Trotzdem zog es viele in die Bezirksstädte, unter Anderem auch weil die Versorgung mit Konsumgütern viel besser war.

    Was meiner Meinung nach lebenswerte Orte waren, habe ich missverständlich erklärt. Dresden und Görlitz waren schon damals zweifelsohne pittoreske Städte mit kulturellem Angebot und auch die Versorgungslage mag dort besser als auf dem Land gewesen sein. Dennoch unterschieden sich diese Städte von den teils preußisch-protestantisch geprägten Orten Erfurt und Schwerin allein durch die Nähe zur Grenze, Empfang westlicher Fernsehsender, kleinem Grenzverkehr usw.

    Selbst in heutigen Gesprächen mit Menschen aus dem Osten habe ich den Eindruck, dass innerhalb der DDR eine Grenze von Nord nach Süd verlief.

  • Was meiner Meinung nach lebenswerte Orte waren, habe ich missverständlich erklärt. Dresden und Görlitz waren schon damals zweifelsohne pittoreske Städte mit kulturellem Angebot und auch die Versorgungslage mag dort besser als auf dem Land gewesen sein. Dennoch unterschieden sich diese Städte von den teils preußisch-protestantisch geprägten Orten Erfurt und Schwerin allein durch die Nähe zur Grenze, Empfang westlicher Fernsehsender, kleinem Grenzverkehr usw.

    Selbst in heutigen Gesprächen mit Menschen aus dem Osten habe ich den Eindruck, dass innerhalb der DDR eine Grenze von Nord nach Süd verlief.

    Ich hatte dich nicht falsch verstanden:knuddel1

    Mit der von dir angesprochenen Grenze hast du Recht. Auch der Empfang des "Westfernsehens" sprichst du so eine Teilung an. Wir in Ostsachsen waren da abgeschnitten (damals genannt "Tal der Ahnungslosen"). Berlin als Hauptstadt hatte nochmal eine Sonderstellung, was die Intensität der Stasi-Bespitzelung als auch die Versorgung betraf.

    Görlitz war tiefste Provinz, hier gab es nicht viel, aber immer noch mehr als auf den Dörfern, wo ich groß wurde.

    Wenn es die DDR noch länger gegeben hätte, dann wäre wohl an Städten wie Görlitz nichts Pittoresken mehr. In den 80ern wurde begonnen, die ersten maroden Altstadthäuser abzureißen, denn Wohnraum war knapp und Neubaublocks zu bauen war einfacher und billiger und realisierbaren als zu sanieren. Das würde nur in Vorzeigestädten gemacht und auf oberer Ebene gab es für historische Bauten auch kaum Bewusstsein.


    Und so finde ich zurückblickend, dass die gleichgültige Grundstimmung der Führenden und die Resignation der Bevölkerung in unserem Leserundenbuch doch gut rüber kommt, wenn auch nicht so offen.