Jenny Erpenbeck - Gehen, ging, gegangen
Inhalt
Richard, ein Professor für alte Sprachen, versucht sich im Ruhestand einzurichten. Der Gedanke an die viele Zeit, die er in Zukunft allein verbringen muss, bereitet ihm Unbehagen.
Über die Medien erfährt er von einem Zeltlager afrikanischer Flüchtlinge mitten in Berlin.
Er fängt an, sich für sie zu interessieren, ohne zunächst zu wissen warum. Schließlich wird ihm klar: Er sucht Menschen, mit denen er über das sprechen kann, was Zeit ist. Und "am besten mit denen, die aus ihr hinausgefallen sind. Oder in sie hineingesperrt".
Nicht aus Mitgefühl, sondern aus "kaltem" Interesse nimmt er Kontakt auf. Nur aus der beobachtenden Distanz könne man verstehen. Man müsse die richtigen Fragen stellen.
Systematisch und rein wissenschaftlich geht er die Sache an. Doch dabei bleibt es nicht, er wird emotional immer mehr in die Situation der Flüchtlinge hineingezogen und es bleibt nicht aus, dass er schließlich auch aktiv wird.
Meinung
Es ist ein ruhiges Buch, keines, in dem viel passiert oder gar große Taten vollbracht werden.
Zunächst wird der Leser genauestens über Richards Tagesablauf ins Bild gesetzt. Nach einigen Kapiteln habe ich mich gefragt, wozu das alles. Aber dann ist mir klar geworden, dass es nötig ist, um Richard kennenzulernen, als einen strukturierten, fast schon pedantischen Menschen, einen, der alles hinterfragt und begreifen möchte.
Sehr gelungen finde ich, wie die Autorin Gedankenströme und -sprünge einsetzt. Man hat als Leser den Eindruck in Richards Kopf zu sitzen und erlebt mit, so ganz schleichend fast ohne es zu merken, wie die Flüchtlinge immer mehr in seine Gedanken eindringen.
In den Gesprächen mit den Flüchtlingen über ihr Leben und Schicksal sind es einzelne Stichworte oder Beobachtungen, die Richard gedanklich abschweifen lassen. So sind diese Gespräche für ihn auch Anlass zur Reflexion über sich selbst.
Ebenso nüchtern und unaufgeregt wie Richard ist die Sprache. Dennoch kann sie den Leser ins Herz treffen, ganz ohne moralischen Zeigefinger oder Betroffenheitsäußerungen.
Er spürt Richards Staunen und braucht keine detailierten Gefühlsbeschreibungen, um sich ein Bild zu machen, was in ihm vorgeht.
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ASIN/ISBN: 3813503704 |