Ingar Johnsrud: Der Bote
Verlag: Blanvalet Verlag 2018. 544 Seiten
ISBN-10: 3764505885
ISBN-13: 978-3764505882. 15€
Originaltitel: Kalypso (Fredrik Beier 2)
Übersetzerin: Daniela Stilzebach
Verlagstext
In einer Villa in einem reichen Vorort Oslos wird die Leiche eines kürzlich verstorbenen Mannes gefunden. Von der Bewohnerin des Hauses, einer alten Witwe, fehlt jede Spur. Der Tote wird als ihr Sohn identifiziert – der vor zwanzig Jahren bei einem Militäreinsatz ums Leben kam. Kurz darauf entdeckt man in einem Abwasserschacht am anderen Ende der Stadt eine zweite Leiche. Der Körper des unbekannten Mannes weist schwere Folterspuren auf. Hauptkommissar Fredrik Beier glaubt an eine Verbindung zwischen den beiden Fällen, doch irgendjemand scheint verhindern zu wollen, dass diese ans Licht kommt – Akten werden gesperrt, Beweismittel verschwinden …
Der Autor
Ingar Johnsrud, Jahrgang 1974, wuchs in Holmestrand auf. Er studierte Film- und Medienwissenschaften und arbeitete fünfzehn Jahre als Journalist bei einem der größten norwegischen Medienunternehmen. Sein erster Thriller, »Der Hirte«, wurde als bestes Krimidebüt für den Maurits Hansen Prisen nominiert und eroberte international die Bestsellerlisten.
Die Reihe
Der Hirte (2017. Wienerbrorskapet)
Der Bote (2018 . Kalypso)
(Korset , norweg.) (2018)
Inhalt
Erst nachdem die ältere Dame die Zeitungen nicht mehr hereingeholt hatte, fiel ihr Verschwinden auf. Ihre Villa in Oslo wirkt auf die Ermittler der Kripo wie ein Mausoleum, in das sich bereits länger ein Fremder eingenistet und den Hausstand nach und nach weggeschafft hat. Bei dem aufgefundenen Toten handelt es sich um einen Mann, der angeblich vor rund 20 Jahren bei einem geheimen Einsatz von Marinejägern an der norwegisch-russischen Grenze ums Leben kam. Was trieb er in der Villa, von der man direkt auf einen Bootsanleger blickt, an einem idealen Ort für illegale Geschäfte?
In der Osloer Kanalisation wird parallel zum Leichenfund in der Villa ein Toter mitsamt seiner Armprothese buchstäblich den Ratten zum Fraß vorgeworfen. Vom vor seinem Tod gefolterten Mikael Morenius gibt es eine Verbindung zum Haus der Witwe. Eine Armprothese müsste theoretisch eine eindeutige Spur sein, wenn nur nicht wie in der Geschichte vom Hasen und dem Igel stets die Akten fehlten, wenn die Ermittler auftauchen. War Morenius Jäger oder Gejagter, fragen sie sich, und was wusste der Mann, dessen Existenz offenbar spurlos gelöscht werden soll?
Bei der Kripo haben seit dem 1 ½ Jahre zurückliegenden Fall „Der Hirte“ Kafa Iqbal und Fredrik Beier die Plätze getauscht. Damals hatten sich beide gegenseitig das Leben gerettet. Iqbal, die vom Geheimdienst zur Kripo wechselte, leitet die Ermittlungen; Beier erledigt Schuhsohlenarbeit - auf einen Gehstock gestützt. Seit seiner Verletzung im ersten Band pflegt der Ermittler noch immer das Bild des im Dienst Versehrten, das ihm einen Vorwand für seinen Alkohol- und Medikamentenkonsum liefert. Da Beier seitdem noch immer auf Trigger-Situationen reagiert, wird er zum Besuch beim Polizeipsychologen verdonnert, der sich als eloquenter Zyniker zeigt. Vermutlich ist das für versehrte Polizisten die passende Tonlage. Privat lebt Beier inzwischen mit der Sekretärin des Polizeipräsidenten und seinem ältesten Sohn zusammen, ein konfliktreiches Szenario ….
Während die Ermittler Hinweisen folgen, die nach Russland führen, und Verbindungen zu ungelösten Altfällen nachspüren, fragen sich Johnsruds Leser bereits, ob es zu einem Kain einen Bruder geben könnte, welche Verbindung zu einer Person im Rollstuhl bestehen, und auf welche Fährte ein Entenherz führen könnte. Die Ermittler rätseln derweil noch über die Symbolik, die mit der Präsentation der beiden Toten als „Ratten“ vermittelt werden soll. Rückblenden führen rund 20 Jahre zurück in die Zeit des Kalten Krieges zwischen Ost und West und zur Elite-Einheit der Marine. Alte Fotos und ein winziger russischer Schriftzug schließen den Bogen einer Handlung, in der bis zum spannenden Finale der Geheimdienst die Fäden in der Hand hatte.
Kafa Iqbal zeigt sich in ihrem ersten Fall als leitende Ermittlerin der Kripo als umsichtige Kollegin, die sich in die Denkweise ihrer Zielpersonen hineinversetzen kann. Die Stimmung im Team wirkt gespannt; ein vermutetes Leck bei der Polizei gehört im Skandinavien-Krimi inzwischen offenbar zur Grundausstattung. Beiers Drogenkonsum könnte die höchst komplexen Ermittlungen scheitern lassen, weil er kaum noch zwischen Wahn und Wirklichkeit unterscheidet.
Fazit
„Der Bote“ hat wie sein Vorgängerband das Sendungsbewusstsein durchgeknallter Eiferer zum Thema und konnte mich weit stärker fesseln als „Der Hirte“. Neben dem allgemeinen Motiv der unzuverlässigen Erinnerung spielt für das Ermittlerteam auf mehreren Ebenen Vertrauen eine wichtige Rolle. Mit ihren zahlreichen Decknamen und Identitäten erfordert die komplexe Geheimdienstthematik höchste Aufmerksamkeit beim Lesen. Beweismittel und Artefakte sollten nicht aus dem Blickfeld geraten; denn bei Johnsrud taucht nichts zufällig auf, jedes Detail wird später noch eine Rolle spielen. Der Autor schafft beeindruckende Figuren (z. B. sein bühnenreifer Gerichtsmediziner Konrad Hiessmann), er beschreibt atmosphärisch aus unterschiedlichen Blickwinkeln und schildert mit großer Liebe zum Detail ermittlungstechnische Abläufe. Ob es instinktive Wahrnehmungen sind oder spontane Gedanken der Ermittler; wer gern in Beschreibungen abtaucht, liegt bei Johnsrud richtig.
Um die Beziehungen innerhalb des Ermittler-Teams einschätzen zu können, würde ich vorher den ersten Band lesen.
10 von 10 Punkten