Hansen, Eric T. : Die Nibelungenreise. Mit dem VW-Bus durchs Mittelalter. Malik 2004. Übers. und bearb. von Astrid Ule. (OT : Driving Through the Dark Ages, noch nicht erschienen ) .
Buchausstattung: HC mit SU und Lesebändchen, einige Fotos im Innenteil. Das TB erscheint im Laufe des Jahres.
Die Reiseroute des Autors folgt dem Leben und Wirken seiner zehn Lieblingshelden des Mittelalters.
„Die Liste beginnt mit dem Piraten Störtebeker, und wie ich seine Spur aufnahm an den Küsten von Ost- und Nordsee. Gleichzeitig will ich diese historischen Persönlichkeiten besser verstehen, indem ich ihre modernen Gegenstücke aufsuche. Auf den Spuren von Störtebeker habe ich zwar keine Piraten gefunden, dafür genügend Seemänner und Kaufleute von heute, die mir vom Leben auf See erzählt haben. Ich suche die Mönche, Ritter, Hexen, Dichter und Adligen von heute - wo stecken sie?“ (E.H.)
Inhalt:
Ein 42jähriger Hawaiianer erfüllt sich einen Kindheitstraum und unternimmt eine Zeitreise ins Mittelalter: Monatelang fährt er mit dem VW-Bus kreuz und quer durch amazing Germany, von Lübeck bis Worms, von Aachen bis Quedlinburg, auf den Spuren seiner Helden. Schon als Junge, während sich seine Freunde am Strand in den Bikinis hübscher Mädchen verhedderten, fand Eric Hansen nichts so sexy wie Ritterrüstungen und überhaupt das ganze Mittelalter. Er phantasierte stundenlang über Conan, den Barbaren, die Ritter der Tafelrunde und Theophanu, die kindliche Kaiserin. Nun sucht er im Teutoburger Wald nach Hermanns Cherusker-Festung, schläft drei Nächte unter einer uralten Königsbuche und findet ein bizarres Deutschland: Nachfahren der Germanen, die sich zum Beispiel in altertümlichen Kostümen im Wald treffen und Bier aus Kuhhörnern trinken. Besser kann man das Mittelalter nicht erzählen.
Der Autor:
Eric T. Hansen wurde 1961 auf Hawaii geboren. Für den erklärten Mittelalter-Vasallen gab es nach der Schule nur als Mormonenmissionar die Möglichkeit, dem Ziel seiner Träume näher zu kommen. Einmal in Europa gelandet, tritt er aus der Kirche aus, studiert in München Mediävistik und zieht schließlich als Journalist nach Berlin. Inzwischen lebt Eric Hansen seit achtzehn Jahren in Deutschland.
Vorweg: den stark umgangssprachlichen Schreibstil des Autors muss man mögen oder sich schon von vorherigen Büchern daran gewöhnt haben (Bill Bryson lässt grüßen) sowie gewisses Interesse für seine privaten Problemchen und emotionalen Verwirrungen aufbringen (und die tapfere Kriemhild zähle ich jetzt nicht dazu). Puristische Mittelalter-Literatur-Verfechter werden damit sicher auch keine Freude haben. Für alle anderen jedoch wirklich ein kurzweilige Reiseunterhaltung der etwas anderen Art und ein spannender unbelasteter und liebevoller Blick „von außen“ auf unsere Geschichte und ihre Geschichten.
Im Gegensatz zu seinem „Orchideenfieber“ (Rezension folgt demnächst irgendwann) weiß der Autor (als studierter Mediävist) diesmal eher, wovon er schreibt und hat auch genügend Literatur resp. hilfreiche Geister im Gepäck. Abgesehen von einigen kleineren Unkorrektheiten und stolperigen Textpassagen (was ggfs. an der Überarbeitung liegt) liest es sich wirklich unterhaltsam und lässt einen durchaus nächtens vor Lachen in die Kissen beißen. Dennoch: für einige der angerissenen Themen (...) muß man offensichtlich ignoranter Amerikaner genug sein, um darob zu schreiben – so dass wir dann ebenso offensichtlich mit der ignoranten Nonchalance des „alten“ Europäers darüber hinweg lesen können. Aber das sind Einzelfälle.
Besonders spannend wird es, wenn man einige der besuchten Örtlichkeiten und Personen selbst kennt (und teilweise genau dasselbe dachte wie der Autor) – das putzige Xanten mit riesigen Parkplätzen und Arena, die Wartburg (eben, wer war noch nicht dort?), das lauschige Gernrode oder das bezaubernde Wien abseits der Wege. Ganz gleich, ob er -mit ein paar kleinen Pseudo-Historikern fabulierend- Eiskaffee trinkt, über Fahrstühle und Tarantino im Nibelungenlied sinniert (ein durchaus brauchbarer Ansatz ) oder schlotternd in einem schlammigen Weiher feststeckt: Eric Hansen schafft es, das überaus komplexe Thema „Mittelalter“ mit einigen seiner unzähligen Facetten allgemein verständlich und lesbar darzustellen (ohne dem anscheinend -leider- weitverbreiteten themenimmanenten Klischee zu verfallen) – unkonventionell, leidenschaftlich (danke!) und engagiert. Bevor der Verdacht aufkommt: nein, der Autor ist keinesfalls ein Zeitprovinzler. Wissen bleibt durchaus nicht auf der Strecke – Nibelungenlied, Minnesang, Idee der (höfischen) Liebe, Rittertum und Lehnswesen ... lesenswert bis zum Schluß.
Das Fazit von Eric Hansen ist dabei so einfach wie problematisch: Geschichte(n) passiert jeden Tag um und mit (sic!) uns – nur das Zuhören ist heute nicht immer leicht. Zumindest wundere ich mich nicht mehr, wenn mir die charmante Dame von der Grabplatte unsrer Hauskirche an der Ecke gelegentlich zulächelt oder elegant den Kruseler zurechtrückt – wahrscheinlich macht sie das nur, weil ich seit ein paar Jahren fast täglich an ihr vorbeilaufe und wir uns schon ewig kennen... irgendwie muß man die nächsten 500 Jahre ja sinnvoll herumkriegen, oder ?!
PS: Die Danksagungen des Autors reichen in unvergleichlicher Namensfülle pro Kapitel (!) zweifelsohne an die Academy Awards heran, die Bibliographie ist für bildungswillige Einsteiger durchaus brauchbar (Primär- und Sekundärliteratur, Audiobooks, Lexika). Es empfiehlt sich auch ein Besuch auf der nett gestalteten Seite des Autors (Seite befindet sich in Überarbeitung, umfangreiche Textproben dt./engl.)