WTF?
Helmut Krausser hat einen so hohen Ausstoß an Romanen, die einem schlicht den Stecker ziehen, um es mit Wolfgang Herrndorf zu sagen, dass er sich auch mal so etwas erlauben kann. Denn "Geschehnisse während der Weltmeisterschaft" ist eine völlig vermurkste Un-Geschichte, die nur hin und wieder Spaß macht, aber trotz oder gerade wegen der aufregenden Thematik meistens langweilt.
In einer nicht sehr weit entfernten Zukunft ist die öffentliche Kopulation zum Leistungssport geworden. Zwar energisch bekämpft von fundamentalistischen Religionsangehörigen und sonstigen selbsternannten Saubermännern aller Couleur, doch heißgeliebt vom Publikum, werden Wettkämpfe ausgetragen, bei denen es im weitesten Sinne um jenen Vorgang geht, den irgendein Vollpfosten vor Jahrzehnten mal als "schönste Nebensache der Welt" bezeichnet hat. Die von bildschönen Extremsportlern ausgeübten Einzeldisziplinen sind Massenmasturbationen, Punktlandungen beim Gruppensex und ähnliche. Die Sportart ist streng durchreglementiert, damit alles abseits der eigentlichen Akte politisch korrekt und aufregerfrei bleibt, absurderweise. An dieser Stelle funktioniert die Satire halbwegs, aber das ist auch die einzige Stelle. Schon die pseudooriginelle Neubenennung der "Sportgeräte" nervt eher.
Der blendend aussehende Leon führt das Team Berlin, das im Jahr 2028 in Kopenhagen bei der WM als Favorit antritt - die Länder, die noch dazu bereit sind, die Wettkämpfe auszurichten, sind inzwischen rar. Das Wettkampfareal um eine riesige Halle herum ist extrem gesichert, die Sportler sind von der Öffentlichkeit abgeschottet. Aber hinter den Kulissen tobt unter den Funktionären ein Krieg um die Führung, Leon ist heimlich in seine Partnerin Sally verliebt, und diese bekommt plötzlich merkwürdige Mails von einem vermeintlich behinderten Fan, der viel über sie zu wissen scheint.
Manchmal hat man Ideen, die bei Tageslicht nicht mehr so gut aussehen wie noch nachts am Kneipentresen. So ähnlich müsste es Krausser eigentlich mit dieser Idee ergangen sein, die bestenfalls eine Kurzgeschichte getragen hätte, aber einen Roman nicht aushält. Vermutlich hat er deshalb halbherzig noch ein paar zusätzliche Motive verbaut und der satirischen Dystopie einige Psychothrillereigenschaften angeklebt, aber dadurch ist es vermutlich eher schlimmer geworden. "Geschehnisse während der Weltmeisterschaft" ist so schwergängig und sperrig wie der Romantitel, müht sich damit ab, die früh vorhersehbare Auflösung zu verbergen und macht beim Lesen fast überhaupt keinen Spaß. Das liegt nicht nur am blassen und mental etwas gedämpften Ich-Erzähler Leon, der lediglich ganz am Anfang, während seiner Eremitage in Norwegen, ein wenig Farbe bekommt, sondern an Setting, Handlung, Stil, sonstigen Figuren und, und, und. Oder, einfacher gesagt: an allem.
Hätte Krausser doch nur zwei Biere mehr getrunken und die Tresenidee beim Rauschausschlafen wieder vergessen.