Kurzbeschreibung (Quelle: Verlagsseite)
Sternstunden der Medizin im deutschen Kaiserreich – und eine Frau schreibt Geschichte: Teil 1 der packenden zweibändigen Historiensaga um die Ärztin Ricarda Thomasius.
1876 verlässt die 13-jährige Gärtnertochter Ricarda schweren Herzens die ruhige Weite der Mark Brandenburg, um Henriette von Freystetten ins lebendige Berlin zu begleiten. Als Mündel der Komtess lernt das aufgeweckte Mädchen eine faszinierende neue Welt kennen: Die unverheiratete Frau führt in der glanzvollen Kaiserstadt ein emanzipiertes Leben, hält Salons und praktiziert als eine der ersten deutschen Ärztinnen. Tuberkulose, Bleichsucht oder Frauenleiden – Dr. Freystetten hat sich bei ihren gutbetuchten Patientinnen längst einen Namen gemacht.
Kranken Menschen zu helfen, dem Tod die Stirn zu bieten, davon beginnt auch Ricarda heimlich zu träumen. Denn um die siechen Frauen, die jenseits des Boulevards Unter den Linden in Armut leben, kümmert sich niemand. Ein selbstbestimmtes Leben, wie die Komtess es führt, ist für eine junge Frau ihres Standes zwar unvorstellbar. Aber Ricarda ist entschlossen, für ihr Glück zu kämpfen. Sie ahnt nicht, dass die herrische Komtess eigene Pläne für ihren Schützling schmiedet. Und dass Ricardas Begegnung mit einem jungen Medizinstudenten all ihre Vorsätze ins Wanken bringen wird …
Autorin (Quelle: Verlagsseite)
Helene Sommerfeld ist das Pseudonym eines in Berlin lebenden Autoren-Ehepaars. Viele ihrer Romane und Sachbücher waren internationale Bestseller. Die einzigartige Lebendigkeit ihrer Bücher entsteht aus der Begeisterung für Medizin und dem Interesse an historischen Persönlichkeiten, verbunden mit der Leidenschaft, fremde Länder zu bereisen.
Allgemeines
Erschienen am 24.04.2018 im Rowohlt Taschenbuch Verlag mit 560 Seiten
Personenverzeichnis - 18 Kapitel, jeweils mit Überschrift und Zeitangabe versehen – (Anstelle einer) Widmung
Erzählung in der dritten Person aus der Perspektive von Ricarda Petersen
Handlungsort und -zeit: Schloss Freystetten, Berlin und Zürich in den Jahren 1876 bis 1890
Zum Inhalt
Ricardas Eltern Gustav und Karla Petersen arbeiten als Gärtner und Köchin auf Schloss Freystetten für die Familie des Grafen; den Töchtern Antonia, Ricarda und Rosamunde ist ebenfalls ein Leben im Dienst der Familie oder in einem ähnlichen herrschaftlichen Hause vorbestimmt. Als es zu einem dramatischen Vorfall kommt, bei dem Ricarda der Tochter des Grafen das Leben rettet, zeigt die Familie sich erkenntlich, indem Komtess Henriette, die unverheiratete Schwester des Grafen, das Mädchen als Mündel mit nach Berlin nimmt und ihm eine gute Schulbildung angedeihen lässt. Henriette ist als Zahnärztin tätig, gemeinsam mit einigen befreundeten Ärztinnen setzt sie sich dafür ein, dass auch Frauen einen Beruf erlernen – und auch im Falle ihrer Verheiratung ausüben – dürfen. Da Frauen im 19.Jahrhundert das Universitätsstudium noch verwehrt ist, müssen sie für das Studium ins Ausland gehen, Henriette selbst hat in den USA und in Zürich studiert.
Ricarda assistiert in der Praxis und möchte eigentlich den Beruf der Krankenpflegerin erlernen, doch sie erweist sich also so gelehrig und interessiert, dass sie in die Fußstapfen ihrer Mentorin tritt und sich ebenfalls nach Zürich begibt.
Beurteilung
Die Figuren des Romans sind fiktiv, sie haben allerdings laut Aussage in der Widmung reale Vorbilder. Der Roman gibt einen guten Einblick in die preußische Gesellschaft des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts, vor allem das Leben und die Leiden der einfachen Bevölkerung in Berlins überbelegten Mietskasernen werden eindringlich geschildert. Die Ärztinnen um Henriette von Freystetten behandeln Damen der höchsten Gesellschaft, um ihren Lebensunterhalt zu sichern, sie behandeln außerdem Frauen aus der Arbeiterklasse gratis. Der Leser wird unmittelbar Zeuge, wie die Ärztinnen gegen Krankheiten kämpfen, die heute leicht zu besiegen sind, er bekommt einen Eindruck davon, wie Unwissenheit der Mediziner fatale Folgen haben kann, sei es im Bereich der Geburtshilfe oder der Psychiatrie. Aus medizinhistorischer Sicht ist es eine interessante Zeit, in der bahnbrechende Entdeckungen und Entwicklungen zu verzeichnen sind: Mit Mikroskopen werden Bakterien aufgespürt, auch wenn die Ärzte zunächst keine schlagkräftige Waffe dagegen haben und die Erkenntnis der Wichtigkeit von Hygiene und Antisepsis beginnt sich zu etablieren.
Interessant sind auch die Informationen zur Lage der Frauen in dieser Zeit. Neben niederen Tätigkeiten als Bedienstete oder Fabrikarbeiterinnen ist der Beruf der Lehrerin die einzige höher-qualifizierte Tätigkeit, die Frauen in Deutschland zugänglich ist und diesen Beruf dürfen nur unverheiratete Frauen ausüben.
Die Charaktere der Romanfiguren sind gut ausgearbeitet, die interessanteste Persönlichkeit ist sicherlich Henriette von Freystetten, die äußerst engagiert, aber andererseits auch sehr dominant-manipulativ ist und mit guten und weniger guten Eigenschaften präsentiert wird. Ricarda wird ein wenig zu idealisiert dargestellt, ihr Verhalten gegen Ende des Romans scheint nicht allzu glaubwürdig. Das Ende bietet allerdings einen Cliffhanger, der Vorfreude auf den zweiten Band („Stürme des Lebens“, ET 20.11.2018) weckt.
Sehr schön wäre es gewesen, wenn es noch ein Autorennachwort zu den realen Vorbildern der im Roman auftretenden fiktiven Ärztinnen gegeben hätte.
Fazit
Ein unterhaltsamer Roman mit medizinhistorischer Ausrichtung, der das Leben im preußischen Kaiserreich während des letzten Drittels des 19.Jahrhunderts thematisiert.
8 Punkte