Margriet de Moor: Von Vögeln und Menschen

  • Brokkoli. Oder: Metapher dringend gesucht


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    Obwohl mich die niederländische Literaturszene sehr interessiert, zumal sie einige der interessantesten europäischen Schriftsteller - von Cees Noteboom über Harry Mulisch bis Leon de Winter - hervorgebracht hat, habe ich, wie ich kürzlich feststellen musste, noch nie etwas von einer Autorin aus den Niederlanden gelesen. Da kam es mir gerade recht, dass mir in der Buchhandlung ein neuer Roman von Margriet de Moor ins Blickfeld geriet, einer Schriftstellerin, die ich bis dato nicht auf dem Schirm gehabt hatte. Um es vorwegzunehmen: Ich hoffe, sie steht nicht exemplarisch für die Autorinnenszene unseres Nachbarlandes.


    Beim Lesen des Romans "Von Vögeln und Menschen" musste ich nämlich oft an Brokkoli denken. Das Gemüse kommt im Text nicht vor, wird an keiner Stelle erwähnt, aber ich sah es unentwegt vor meinem geistigen Auge: So tiefgrün, so reich an wichtigen Stoffen, so kunstvoll aufgebaut und nett anzusehen. Und so schrecklich langweilig. So lahm, so labbrig, so unaromatisch. Es schmeckt einfach nach fast nichts, sieht nur appetitlich aus, macht sich schön als Dekoration und gut im Vitaminhaushalt. Aber von Genuss kann keine Rede sein.


    Erzählt wird die Geschichte von Luise Bergmann aus Amsterdam, die als Haushaltshilfe arbeitet und im Rahmen dessen auch den 90 Jahre alten Bruno Mesdag betreut. Der freundliche alte Mann wird in seiner Wohnung ermordet und beraubt, der Verdacht fällt auf Luise, die unter dem Druck der Vernehmungen die Tat gesteht, ohne sie begangen zu haben. Später widerruft sie das Geständnis zwar, wird aber dennoch verurteilt und für Jahre weggeschlossen. Irgendwann gelingt die Anfechtung, aber da ist Luise schon eine alte Frau, während die wahre Mörderin, die verblüffenderweise nie verdächtigt wurde, auf freiem Fuß blieb und auch bleibt.

    Luises Tochter Marie Lina muss ohne Mutter groß werden, was weitgehend konfliktfrei gelingt; tatsächlich scheint sie eine schöne Kindheit und Jugend zu haben. Sie heiratet schließlich Rinus, der bei der "Bird Control" auf dem Flughaften Schiphol arbeitet und dort überwiegend nachts Vögel daran hindert, in Turbinen zu flattern. Marie Lina hat mit diesem Rinus einen wohlgeratenen Sohn namens Olivier. Doch eines Tages trifft sie auf jene Fußpflegerin, die vermutlich die wahre Mörderin von Bruno Mesdag ist, und stößt diese nach einem kurzen, heftigen Streit in eine Baugrube. Da die Frau den Sturz nicht überlebt, kommt Marie Lina wegen Totschlags für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis, wohin ihr Rinus einen blauen Wellensittich bringt. Kurz nach ihrer Entlassung endet die Geschichte dann.

    Wobei. Welche Geschichte eigentlich?


    Margriet de Moor erzählt ungeheuer spröde, distanziert und nahezu völlig emotionslos. Daran ändern auch die zwei Kapitel nichts, die etwas irritierend die Ich-Perspektive einnehmen. Es finden sich einige schöne Bemerkungen und Beobachtungen in "Von Vögeln und Menschen", aber die Verhaltensweisen des Romanpersonals sind vollständig rätselhaft. So wird Marie Linas Sehnsucht nach Vergeltung - immerhin ein zentrales Element - an zwei, drei Stellen daherbehauptet, aber weder begründet, noch verdeutlicht. Schlimmer noch, es geschieht nichts mit ihr, weder vorher, noch nach der Tat. Es hätte genauso gut einfach nur regnen können, dramaturgisch wäre das auf das gleiche hinausgelaufen. Außerdem erzählt Margriet de Moor einige Episoden, die auch mit viel Mühe nicht in einen Zusammenhang mit der vermeintlichen Haupthandlung zu bringen sind. So gibt es beispielsweise die Nebenfigur Hortense, eine karibische Schönheit, die mit Rinus (dem Gatten von Marie Lina) und all seinen Brüdern liiert war, aber auch ohne Liaison mit der Familie verbunden bleibt, während ihr letzter Gatte, der älteste der Brüder, eine rätselhafte Weltreise unternimmt. Wozu das erzählt wird, was hier vermittelt oder verstanden werden soll - keine Ahnung. Wenn ich nicht an Brokkoli denken musste, habe ich nach der Metapher gesucht, nach der Prämisse oder Moral dieses völlig verunglückten Familienromans, überhaupt nach der Geschichte, dem verbindenden Aspekt, aber ich habe nichts gefunden. Und ich habe auch nicht verstanden, warum die Figuren - allen voran Luise und Marie Lina - taten, was sie getan haben. Okay, vielleicht ist es das, was Margriet de Moor sagen will: Menschliche Schicksale sind nicht immer logisch begründbare Geschichten, die zwingenden Kausalitäten folgen. Das Schicksal ist flatterhaft wie ein Vogel (aha!). Stimmt. Aber für diese Erkenntnis kann ich auch ein Dutzend beliebiger Zeitungsartikel nacheinander lesen. Könnte ich. Wäre ich nicht von alleine längst zu ihr gelangt, also der Erkenntnis.


    Und dann all das auch noch in einem nüchternen, beobachtenden, abgewandten Stil, der sich beim Lesen anfühlt, als säße man dabei auf einem Sitzmöbel, das eigentlich nur zum Anschauen gedacht ist, so einem Designerding in einer postmodernen Ausstellung. Im Umschlagtext ist von der psychologischen Raffinesse die Rede, mit der de Moor angeblich erzählt, und so könnte man's natürlich auch nennen.

    Oder die Schwarte einfach beiseitelegen.



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  • Eine wirklich wunderbare Rezension, vielen Dank, lieber Tom - schade ist allerdings, dass der Brokkoli so schlecht bei wegkommt - ich liebe ihn als thailändische Variante mit Rindfleisch - Sehr lecker !