'Narziß und Goldmund' - Kapitel 16 - Ende

  • Musste es nicht so kommen? Gerade hat Goldmund seine perfekte Frau gefunden, da bringt ihn seine Liebe in Teufels Küche. Er wird vom eifersüchtigen Grafen ertappt und zum Tode verurteilt. Das hätte ihm schon so manches Mal passieren können. Jetzt wird es aber wirklich ernst und er hat zum ersten Mal richtig Zeit für die Angst um sein Leben. Er verbringt eine grausam lange Nacht in einem dunklen Gefängnis. Erst ist er nur traurig, dass er die reichhaltige Welt verlassen soll, dann versucht er sich mit seinem Schicksal abzufinden, aber schließlich beschließt er zu kämpfen und um jede zusätzliche Sekunde zu ringen. Er ist bereit zu einem ganz bewusst geplanten Mord an seinem Beichtvater. Ausgerechnet der stellt sich als Narziß heraus - Zufälle gibt es! ;)


    Natürlich rettet ihn der lang vermisste Freund vor dem Galgen und sie verlassen die Stadt in schönster Harmonie. Hier würde der Ritt in den Sonnenuntergang den Film beenden.

    Aber es geht noch einige letzte Kapitel weiter. Goldmund muss die Erfüllung seines Lebens noch in der Schaffung des großen Kunstwerkes finden ...


    Gönnen wir ihm das Happy End? Oberflächlich gesehen passiert das allzu glatt.

    Gibt es eine tiefere Moral? Ist es ehrenvoller sich selbst zu verwirklichen als auf andere Menschen Rücksicht zu nehmen?

    Narziß' Definition von Selbstverwirklichung finde ich ziemlich abgehoben.:gruebel

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend U. T. Bareiss: Green Lies - Tödliche Ernte

  • Gönnen wir ihm das Happy End?


    War das ein Happy End? Goldmund stirbt, er kann loslassen. Er will zu seiner Mutter zurück. Aber wie alt ist er eigentlich? Ist er überhaupt schon 40 Jahre alt? Er hatte doch noch so viele Bilder im Kopf.

    Ja, er hat seine Mutter gesehen, die sein Herz herauslöst und ihm zu verstehen gibt, dass sie nicht will, dass er die Figur der Mutter, ihr Geheimnis preisgibt. Aber war das wirklich seine Mutter, oder war das nur seine schwindende Lebenskraft, die ihn dazu bringt, von seinem Ziel abzulassen? Gut, Goldmund glaubt es so und es geht ihm gut dabei.


    Und für Narziß ist es erst recht kein Happy End.

    Schön ist, dass er jetzt versteht, was Kunst ist. Somit versteht er auch Goldmund besser. Doch gleichzeitig weckt es Zweifel an seinem bisherigen Leben.

    Als Goldmund stirbt, hinterlässt er in Narziß ein brennendes Gefühl mit dem Satz: „Aber wie willst denn du einmal sterben, Narziß, wenn du doch keine Mutter hast. Ohne Mutter kann man nicht lieben. Ohne Mutter kann man nicht sterben.“

    Natürlich kann auch Narziß sterben. Auch Narziß hat geliebt, Goldmund. Vermutlich geht er nicht zu seiner Mutter heim, aber vielleicht in den Großen Geist?

    Aber noch hat Narziß Zeit, sich seiner mütterlichen Seite zuzuwenden.

  • Da war ich noch nicht am Ende angekommen. Mir fehlten noch die letzten beiden Kapitel.

    Jetzt bin ich auch damit durch. Ja, Du hast Recht. So happy war das Ende doch nicht.


    Eigentlich müsste jetzt die Geschichte des Narziß erzählt werden und seine Suche nach seiner Mutter oder nach einem sanften Tod.


    Mich hätte ja noch eine Begegnung interessiert: was hätte es wohl für Auswirkungen für Goldmunds Mutterbild gegeben, wenn er tatsächlich seiner echten Mutter begegnet wäre?

    Eine alte, abgelebte Frau hätte ihm wahrscheinlich eher Alpträume bereitet.


    Irgendwie ist es traurig, dass all das Lieben nicht viel gebracht hat. Goldmunds viele Frauen haben ihm keine Heimat bereiten können. Und Narziß muss am Ende zugeben, dass Goldmund die einzige, aber doch unerreichbare Liebe seines Lebens war.

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  • Ist es ehrenvoller sich selbst zu verwirklichen als auf andere Menschen Rücksicht zu nehmen?

    Ich verstehe es nicht so, dass Goldmund vor der Alternative stand, sich selbst zu verwirklichen oder Rücksicht zu nehmen. Goldmunds Weg war ihm in die Wiege gelegt. Narziß sagt ihm, wäre er Denker geworden, hätte er Unheil angerichtet. Er musste einfach seinen Weg gehen. Oder hätte er heiraten sollen? Vielleicht wäre Lisbeth für kurze Zeit glücklich gewesen. Aber wie lange? Sicher hat Goldmund einige Herzen gebrochen, aber er hat einige Frauen sehr glücklich gemacht. Er hat ihnen keine falschen Versprechungen gemacht. Passiert es denn nicht ständig, dass Menschen sich verlieben und dann auseinander gehen? Das tut immer weh. Wer hat daran Schuld?


    Ist es rücksichtsvoller von Narziß ins Kloster zu gehen und dort Karriere zu machen? Wie viele hat er dabei unglücklich gemacht?


    Ist das die Erbsünde? Man kann sich anstrengend, so viel man will, man wird immer wieder schuldig, unabsichtlich, oft genug ohne es überhaupt jemals zu erfahren. Man kann es nicht immer verhindern.

  • Da war ich noch nicht am Ende angekommen. Mir fehlten noch die letzten beiden Kapitel.

    In dem Fall schreibe ich im Beitrag immer die gelesenen Kapitel dazu.

    Eigentlich müsste jetzt die Geschichte des Narziß erzählt werden und seine Suche nach seiner Mutter oder nach einem sanften Tod.

    Ich sehe, wir verstehen uns.


    Mich hätte ja noch eine Begegnung interessiert: was hätte es wohl für Auswirkungen für Goldmunds Mutterbild gegeben, wenn er tatsächlich seiner echten Mutter begegnet wäre?

    Eine alte, abgelebte Frau hätte ihm wahrscheinlich eher Alpträume bereitet.

    Interessante Frage!

  • Ist es rücksichtsvoller von Narziß ins Kloster zu gehen und dort Karriere zu machen? Wie viele hat er dabei unglücklich gemacht?

    Ich könnte mir vorstellen, dass Narziß so manchen unglücklich gemacht hat, der sich nach seiner Liebe und Aufmerksamkeit gesehnt hat und von ihm einfach nicht wichtig genug gefunden worden ist.


    So ganz kann ich die Seelenverwandtschaft auch am Ende zwischen den beiden Männern nicht verstehen. Sie waren doch zutiefst verschiedene Charaktere. Wäre nicht ein ebenso begabter Denker für Narziß nicht eher eine verwandte Seele gewesen?

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  • So ganz kann ich die Seelenverwandtschaft auch am Ende zwischen den beiden Männern nicht verstehen. Sie waren doch zutiefst verschiedene Charaktere. Wäre nicht ein ebenso begabter Denker für Narziß nicht eher eine verwandte Seele gewesen?

    Ich denke nicht, dass sie seelenverwandt waren. Der eine war die Ergänzung des anderen. Narziß sah in Goldmund seine verlorene, mütterlich Hälfte und Goldmund bewunderte Narziß für seine geistigen Fähigkeiten.

  • Bis 3 Uhr hatte ich gestern noch gelesen, weil ich das Buch nun doch beenden wollte und auch wissen wollte, was bei Goldmunds zweiter Reise passiert.


    Goldmund merkt, dass das Leben endlich ist. Er findet aber seinen Frieden damit, da er sich selbst auch verändert hat und gar nicht mehr die Kraft und den Trieb hat, alles noch einmal zu erleben. Auch hat sich seine Umgebung stark verändert und er hat nicht mehr die gleiche Wirkung und die gleichen Fähigkeiten wie früher. Seine Unbesiegbarkeit ist dahin.


    Besonders interessant fand ich die Gedanken zu den unterschiedlichen Denkweisen der beiden. Dies ist für mich die zentrale Botschaft des Buches. Narziß lernt durch Denken und Kognitionen. Goldmund muss seine Umgebung wirklich fühlen und begreifen, er lernt eher durch Erfahrungen. Beides hat seine Berechtigung und steht sich in diesen beiden Personen nahezu diametral gegenüber. Normalerweise hat man wohl eher Mischformen und temporäre Unterschiede in den jeweiligen Menschen. Beide Formen haben ihre Berechtigung, aber beiden fehlt auch die andere Seite. Kein Mond ohne Sonne, kein Yin ohne Yang.

  • Goldmunds Weg war ihm in die Wiege gelegt.

    Ich empfinde das Buch als ein Gedankenexperiment von Hesse. Er sucht nicht das Optimum im Leben von Goldmund, sondern Hesse überlegt sowas wie "was wäre, wenn".


    Was wäre, wenn jemand sein Leben immer als Goldmund bzw. goldmundig führt? Bei jeder Entscheidung wählt er den freigeistigen Weg und entscheidet sich für die Lust und die Freude. Eine reine hedonistische Lebensführung also. In dem Sinne ist ihm wirklich "der Weg in die Wiege gelegt" und Entscheidungen, die Verantwortungen, Lasten und Bürden bedeuten, werden abgewiesen.


    Was wäre, wenn jemand sein Leben immer als Narziß führt? Völlig vergeistigt und nichts als sich selbst bedürftig? Selbst auf Grundbedürfnisse wie essen und schlafen wird während der Ausbildung testweise verzichtet. Liebe ist nur insofern erlaubt, wie es eine geistige Liebe ist, Abhängigkeit wird dabei vermieden.


    Was könnte passieren, wenn zwei Menschen so leben? Ein Weltbild und eine Meinung über Männer und Frauen soll hier wohl gar nicht vermittelt werden.

  • Was könnte passieren, wenn zwei Menschen so leben? Ein Weltbild und eine Meinung über Männer und Frauen soll hier wohl gar nicht vermittelt werden.

    Genau. Es geht um die zwei Bestandteile, die jeder Mensch in unterschiedlicher Ausprägung hat, den sinnlichen und den geistigen. Hesse hat zwei Extremfälle gewählt, um es zu verdeutlichen.

    Und es geht darum, beide Seiten zu verwirklichen.


    Und das hat nichts mit Mann und Frau zu tun. Goldmund hat zwar seine sinnliche Seite von seiner Mutter geerbt. Das soll aber keine Aussage treffen, was typisch Frau oder Mann ist.

  • Ach, und genauso wichtig: Was ist der Preis dieser beiden Lebensformen?

    :gruebel Als deutlichsten Preis für beide Lebensformen - fällt mir jetzt spontan ein - wäre die Einsamkeit. Beide bleiben im Grunde allein. Sie konnten keine dauerhafte Beziehung zu anderen Menschen aufbauen, haben keine Familie und die Mönchsgemeinschaft liefert am Ende auch keine Geborgenheit.

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  • :gruebel Als deutlichsten Preis für beide Lebensformen - fällt mir jetzt spontan ein - wäre die Einsamkeit. Beide bleiben im Grunde allein. Sie konnten keine dauerhafte Beziehung zu anderen Menschen aufbauen, haben keine Familie und die Mönchsgemeinschaft liefert am Ende auch keine Geborgenheit.

    Ich denke, für Goldmund war Einsamkeit nicht das größte Problem. An dauerhaften Beziehungen hatte er kein Interesse. Lediglich die Freundschaft zu Narziß war ihm wichtig. Die Vergänglichkeit war sein Problem. Das war auch der einzige Ansporn zumindest zeitweise sesshaft zu werden. Nestwärme hat er nicht gebraucht.

  • Meine Vermutung mit Nürnberg war wohl eher falsch, denn da gibt es keine Weinberge rundherum. Da passt Würzburg schon besser. Allerdings gibt es dort keine Lorenzkirche.

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  • Ich denke, für Goldmund war Einsamkeit nicht das größte Problem. An dauerhaften Beziehungen hatte er kein Interesse. Lediglich die Freundschaft zu Narziß war ihm wichtig. Die Vergänglichkeit war sein Problem. Das war auch der einzige Ansporn zumindest zeitweise sesshaft zu werden. Nestwärme hat er nicht gebraucht.

    Die Vergänglichkeit hat aber nichts mit der Lebensweise zu tun. Sterben muss jeder und alles 'mal.

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  • Mit der Freundschaft zu Narziß verlässt Goldmund ja seinen eigentlichen Weg. Hier werden dann Yin und Yang (oder Denken und Fühlen) miteinander verbunden. In seiner reinen Form braucht er aber immer seine Droge, seine Portion Dopamin oder Adrenalin, damit er dieses Leben fortführen kann.


    Einsamkeit als solche dürfte ihn gar nicht stören, sondern eher die Schwierigkeit, seinen Dopaminschub zu bekommen. Die Vergänglichkeit stört ihn nur insofern, sein Leben nicht weiter im unendlichen Glückstaumel fortführen zu können. Lethargie ist viel mehr Gift für ihn als Einsamkeit.


    Man sieht das ja auch bei seinem künstlerischem Schaffen. Er braucht das Highlight und das Unerreichbare. Die reine Pflicht ödet ihn schnell an.