Lange hatte ich Angst in der Nacht - Yasmine Ghata

  • Yasmine Ghata: Lange hatte ich Angst in der Nacht

    Diana Verlag. 160 Seiten

    ISBN-10: 3453291999

    ISBN-13: 978-3453291997. 18€

    Originaltitel: J'ai longtemps eu peur de la nuit

    Übersetzerin: Pauline Kurbasik


    Verlagstext

    Arsènes Kindheit endet an dem Tag, an dem ihm seine Großmutter fortschickt. Ein hastig gepackter Koffer, kein Blick zurück: Für den achtjährigen Jungen beginnt die Flucht von Ruanda nach Europa. Im fernen Paris wächst er heran, findet neue Eltern, geht zur Schule und kommt doch nie an. Bis er der Schriftstellerin Suzanne begegnet, die ihre eigene Heimatlosigkeit in den Augen des Jungen gespiegelt sieht. Endlich bricht Arsène sein Schweigen, und im Erzählen verbinden sich für ihn Vergangenheit und Zukunft.


    Die Autorin

    Yasmine Ghata, geboren 1975, ist eine französische Schriftstellerin und Kunsthistorikerin. Sie arbeitete in einer auf islamische Kunst spezialisierten Pariser Galerie und unterrichtet heute Kreatives Schreiben an Schulen. Ihr erster Roman »Die Nacht der Kalligraphen« wurde in 13 Sprachen übersetzt und von der Presse hoch gelobt.


    Inhalt

    Die Autorin Suzanne gibt an einer Schule Schreibworkshops. Ihre Teilnehmer sollen einen Gegenstand beschreiben, der wichtig für das Leben der jeweiligen Familie ist. Einer ihrer Schüler findet, als Waisenkind im Exil ginge ihn diese Aufgabe für die nächste Stunde nichts an. Was ist das für ein Schüler, der sich selbst Waisenkind nennt, fragt ich mich neugierig. Wenn Schüler Gegenstände von zuhause mitbringen, würden sich daran heftige Diskussionen über unterschiedliche Lebensumstände oder Weltanschauungen entzünden können. Ich zweifelte, ob Suzanne als pädagogische Quereinsteigerin sich mit ihrem Thema Erinnerungsstücke nicht übernommen hätte.


    Arsène bringt einen schwer gebeutelten Koffer mit, der ihn seit seiner Flucht aus Ruanda bis in seine Adoptiv-Familie in Frankreich begleitet hat. In ungewöhnlicher Du-Form, die sich von Suzanne an den Schüler Arsène richtet, nicht an den Leser, wird in einem Erzählstrang deutlich, unter welch dramatischen Umständen der Junge seine Flucht überlebt hat. Der Koffer war sein Halt, sein Trost, in der Fremde sein Übergangsobjekt. Ohne den Koffer würde es heute keinen Arsène in einer französischen Schulklasse geben. Er hat seine Geschichte noch nie erzählt; sie muss förmlich aus ihm heraus gesprudelt sein. Arsène scheint in seiner Geschichte und durch sie vom Kind zum Jugendlichen zu reifen. Sein Wachsen wirkt jedoch kaum wie ein glücklicher Prozess; denn die schrecklichen Ereignisse kann er erst jetzt realisieren.


    In einem parallelen Erzählstrang berichtet (in abweichender Schrifttype) ein allwissender Erzähler von Suzanne, die in bürgerlichen Verhältnissen aufwuchs und vermutlich bis heute den Tod ihres Vaters nicht verarbeiten konnte. Als Leser könnte man auf die Idee kommen, dass Suzanne sich mit ihrem Schreiben und den Schreibaufgaben für ihre Schüler selbst therapiert. Etwas mehr professionelle Distanz hätte ich mir von einer Dozentin gewünscht, deren Schüler aus weniger behüteten Verhältnissen stammen als sie selbst.


    Die sehr kurze Erzählung hat wenig mehr als 110 Seiten, wenn man den Leerraum beim häufigen Erzählerwechsel abzieht. Yasmine Ghata legt allerdings keinen Text vor, der sich schnell wegschmökern lässt. Die besondere Erzählform baut ihre Spannung auf, indem sie Arsènes Schicksal und seine Empfindungen in winzigen Etappen aus ihm hervorholt. Der Klappentext verrät leider vorher zu viel von dem, was sich Leser erst geduldig erarbeiten sollen.


    Fazit

    Zurück bleibt nach einem in ungewöhnlicher Form erzählten, berührenden Schicksal mein Entsetzen über einen sinnlosen Völkermord, Erleichterung, wie souverän die Adoptiveltern ihre schwere Aufgabe bewältigen, und Befremdung über den breiten Raum, den Suzannes vergleichsweise banales Schicksal in der Erzählung einnehmen darf.


    8 von 10 Punkten

  • Als Suzanne in der Schule Kreatives Schreiben unterrichtet trifft sie auf Arséne. Für seine Geschichte hat die Autorin eine ungewöhnliche Erzählform mit der „Du Anrede“ gewählt. Durch diese Form erlebt man das Schicksal von Arséne wesentlich intensiver. Es berührt einen und man kann sich gut vorstellen, was es für ein achtjähriges Kind bedeutet alleine zu fliehen. Welche große Rolle der Koffer für ihn hat wird in verschiedenen Szenen sichtbar. Erst nach acht Jahren ist er bereit sich zu öffnen und über diese Zeit zu reden. Seine Adoptiveltern haben es sehr gut verstanden wie man mit solchen traumatisierten Kindern umgeht. Ein Schicksal , das für Millionen steht.


    Eigentlich sind es zwei Geschichten, denn da gibt es noch die Protagonistin Suzanne. Nach dreißig Jahren hat sie den erlittenen Verlust immer noch nicht verarbeitet . Manche ihrer Reaktionen sind nicht richtig nachvollziehbar. Die Passagen über Suzanne tragen sehr viele autobiographische Züge. Dies wird auch ersichtlich liest man das Interview am Ende.


    In dieser 160 seitigen Erzählung versucht die Autorin zwei unterschiedliche Schicksale aufzuzeigen und wie die Protagonisten damit umgehen.

    Wer erwartet hat, mehr über die Ereignisse und Hintergründe in Ruanda zu erfahren, wird sehr enttäuscht sein. Es ist ein Roman (Erzählung) über Traumabewältigung mit Hilfe des Erzählens bzw. Aufschreibens ohne psychologische Begleitung. Kreatives Schreiben kann nur ein Teil dieser Aufarbeitung sein.

    Kein leichtes Buch , das man so nebenbei lesen kann.


    7 Eulenpunkte

  • Das Buch:
    Arsènes Kindheit endet an dem Tag, an dem ihm seine Großmutter fortschickt. Ein hastig gepackter Koffer, kein Blick zurück: Für den achtjährigen Jungen beginnt die Flucht von Ruanda nach Europa. Im fernen Paris wächst er heran, findet neue Eltern, geht zur Schule und kommt doch nie an. Bis er der Schriftstellerin Suzanne begegnet, die ihre eigene Heimatlosigkeit in den Augen des Jungen gespiegelt sieht. Endlich bricht Arsène sein Schweigen, und im Erzählen verbinden sich für ihn Vergangenheit und Zukunft. Quelle Amazon


    Die Autorin:
    Yasmine Ghata, geboren 1975, ist eine französische Schriftstellerin und Kunsthistorikerin. Sie arbeitete in einer auf islamische Kunst spezialisierten Pariser Galerie und unterrichtet heute Kreatives Schreiben an Schulen. Ihr erster Roman »Die Nacht der Kalligraphen« wurde in 13 Sprachen übersetzt und von der Presse hoch gelobt. Mit »Lange hatte ich Angst in der Nacht« erscheint sie erstmals im Diana Verlag. Quelle Amazon


    Das Buch ist sehr dünn, was erstmal nichts heissen muss. Cover fand ich sehr schön und passend zum Titel. Ich bekam das Buch als Leseexemplar für eine Leserunde netterweise zur Verfügung gestellt und es war in 2 Abschnitte geteilt. Was auch völlig ok war für ein so kurzes Buch.

    Die Geschichte klingt recht rührend und dramatisch, war aber nicht wie erwartet. Trotzdem ganz ok. Nur nichts Besonderes. Das Thema an sich ist gut gewählt, es geht um den Völkermord in Ruanda, man hätte hier sicherlich extrem viel draus machen können. Leider ist es in einem Stil geschrieben, der für mich nicht ganz so einfach zu lesen war, vieles ist in der Du-Form geschrieben, damit kam ich anfangs nicht so zurecht. Ich musste mich schon konzentrieren, im Bus z.B hätte ich so ein Buch nicht lesen können. Das Thema hat mich sehr berührt, trotzdem kam beim Lesen kein richtiges Gefühl auf. Für andere bestimmt ein ganz tolles Buch, ich glaube für mich war es einfach zu trocken und schlicht erzählt, mir fehlte auch die wörtliche Rede, diese kommt kaum vor. Vieles sind einfach nur Gedanken. Wer ein ganz gut beschriebenes, ruhiges Buch sucht, der ist hiermit sicher gut bedient.


    6 Eulenpunkte


    Vielen Dank für das Leseexemplar


    Rezension auch auf:


    Amazon

    Bücher.de

    Buch.de

    Thalia

    Hugendubel

    Weltbild

    Ebook.de

    Randomhouse

    Lovelybooks

    Ebook.de

  • Auch ich habe ein Leseexemplar erhalten, für das ich mich herzlich bedanken möchte.

    Obwohl ich ermuntert wurde, auch Kritik anzubringen, habe ich ein wenig Hemmungen, diese auch zu formulieren.


    Erst einmal das, was mir an dem Buch gefallen hat: Es ist sicher keine Überraschung, dass mir Arsènes Schicksal zu Herzen gegangen ist. Ich habe immer noch das Bild des kleinen Jungen vor mir. Des kleinen Jungen mit dem großen Koffer, der lange Zeit so etwas wie sein bester Freund war.

    Gleichzeitig beschäftigt mich das Schicksal dieses Kindes als Beispiel für alle, die schlimme Schicksale erleiden und oft keinerlei Chancen im Leben haben.


    Das positive Highlight der kurzen Geschichte ist die neue Familie, die Arsène gefunden hat. Adoptiveltern, die viel Verständnis, Liebe und Geduld für ihn aufbringen und ihm eine neue Heimat bieten. Leider wurden die beiden von Suzanne zu Randfiguren degradiert.

    Was schon mein erster Kritikpunkt ist.


    Suzanne ist in meinen Augen eine Wichtigtuerin, die meint, mindestens so vom Schicksal gebeutelt zu sein wie Arsène. Dafür verachte ich sie. Auch dafür, wie lieblos und selbstsüchtig sie mit der alten Dame umgeht, die in der ehemaligen Wohnung von Suzannes Eltern wohnt.


    Mich stört auch sehr die Mitleid heischende Art, wie Suzanne immer wieder auf sich selber verweist und sich dabei maßlos überschätzt. Überhaupt: dass sich ein schwer traumatisiertes Kind als erstes dieser Kursleiterin, mit der er einmal in der Woche für eine Stunde Kontakt hat, derart öffnet, das macht den Roman für mich extrem unglaubhaft.

    Und da Suzanne bei mir immer wieder den Verdacht aufkommen ließ, das Sprachrohr und die Identifikationsfigur der Autorin zu sein, ist Suzanne für mich zugleich Yasmine Ghata - und umgekehrt.


    Das Stilmittel des Perspektivenwechsels hat mich nicht wirklich gestört, hat mir aber auch nicht besonders gefallen. Auch die Sprache hat mich jetzt nicht besonders beeindruckt.


    Zusammenfassend bin ich vom Roman ziemlich enttäuscht, obwohl mein Interesse für die Schicksale, die der Genozid an den Tutsis, über den ich (entweder leider oder zum Glück?) kaum etwas weiß, geweckt ist.

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde

  • Mein Eindruck:

    Arsene, ist ein Überlebender des Völkermordes in Ruanda. Als 8jähriger kam er als Waisenkind nach Frankreich, wo er eine liebevolle Adoptivfamilie fand.

    Im Rahmen eines Schreibworkshop in seiner Schule, bittet die Leiterin, die Schriftstellerin Suzanne, die Schüler, einen Gegenstand der Familie mitzubringen, um über ihn zu schreiben.

    Arsene, als Adoptivkind, kann erst nichts mit dieser Aufgabe anfangen, doch dann bringt er den Gegenstand, der ihn auf seiner Flucht begleitet und oft das Leben gerettet hat, einen alten Koffer.

    Das Buch ist in zwei Erzählstränge gegliedert, an die „Du-Form“ in der Arsenes Erlebnisse geschildert werden, musste ich mich erst gewöhnen. Der andere Strang betrifft Suzanne, die Autorin und Leiterin des Workshops. Auch sie trägt Wunden aus der Vergangenheit und das Schreiben, sie schreibt, während er erzählt, erinnert sie wieder an ihre eigene Kindheit. Arsene erzählt scheinbar das erste Mal von all dem was ihm auf seiner Flucht passierte. All die Jahre scheint er die grauenhaften Erlebnisse verdrängt zu haben, doch jetzt, wo er endlich in der Lage ist, davon zu erzählen und sich damit auseinanderzusetzen, kann er damit anfangen diese aufzuarbeiten und so zu heilen.

    Eine eindringliche Geschichte, die durchaus etwas länger sein könnte. Gerade über das Leben von Arsene und seiner Familie, über deren Leben im Dorf hätte ich gern mehr erfahren.

    Ich könnte mir dieses Buch gut als Schullektüre vorstellen.


    Ich gebe 8 von 10 Eulenpunkten

  • Erzählt werden die Geschichten von Arsène, der im Alter von acht Jahren Opfer in seinem Heimatland Ruanda wird und von Suzanne, die aufgrund eines völlig anders gelagerten Sachverhalts zu einer Heimatlosen wird. Zunächst dachte ich, vor allem ein Buch über Ruandas Schicksal zu lesen. Bei der weiteren Lektüre hatte ich jedoch den Eindruck, dass die Autorin eher über die möglichen Folgen von Schicksalsschlägen erzählen möchte. Ereignisse, die von Grund auf sehr unterschiedlich sind, können in der Psyche des Menschen sehr vergleichbare Verletzungen hervorrufen.


    Die Empathie des Lesers ist in der Regel eher bei Schicksalen, die außergewöhnlich und auch objektiv sehr tragisch sind. Ein Achtjähriger, der alleine durch Afrika flüchtet, verursacht bei jedem Mitgefühl. Das parallel erzählte Schicksal ist ebenso dramatisch. In der reinen Gegenüberstellung wirkt es jedoch eher banal, die Verletzungen erscheinen eher alltäglich. Aber darauf kommt es der Autorin nach meinem Empfinden eher nicht an, sondern – wie bereits geschrieben – auf die Gleichartigkeit der Folgen.


    Wenn ich mit meiner Einschätzung richtig liege, hat sich die Autorin auf lediglich 150 Seiten sehr viel vorgenommen. So ganz überzeugend kann sie die Parallelen nicht erzählen, sondern benötigt noch ein Interview im Nachwort mit Erklärungen. Insgesamt lesenswert, wenn auch für mich kein unbedingtes Highlight. 7 Punkte gibt es von mir dafür.

  • Erst einmal vielen Dank an Wolke und den Verlag, dass ich das Buch im Rahmen der Leserunde lesen durfte.


    Jetzt, direkt nach dem Beenden des Buches, lässt es mich irgendwie ratlos zurück. Mir hat der Inhalt durchaus gefallen, aber die beiden Themen wurden meiner Meinung nach nur oberflächlich angekratzt. Die Du-Form, in der Arsènes Geschichte erzählt wird, hat mich sehr weit vom Geschehen weg gehalten. Ich hätte dazu noch gern mehr über die Hintergründe erfahren, allerdings hätte dies in einem Buch mit knapp 150 Seiten wohl den Rahmen gesprengt.

    Ich habe den Zusammenhang zwischen Suzannes und Arsènes Geschichte auch nicht so ganz verstanden. Beide haben Menschen verloren, die sie liebten und waren auf die ein- oder andere Art traumatisiert, aber vergleichen kann man beide Verluste meiner Meinung nach nicht miteinander.


    Das Lesen ging relativ flott vonstatten, als ich mich erst mal in die merkwürdige Du-Form eingelesen hatte. Die sehr kurzen Kapitel ließen das Buch an mir vorüber eilen. Und genau das ist, was mich gestört hat. Hier hätte mehr Inhalt mit besser gefallen.

  • Ich bin bei diesem Buch sehr zwiegespalten.
    Einerseits hat mir die Geschichte des Jungen Arsène sehr gut gefallen. Die Autorin wählt hierfür eine besondere Erzählform, deren Entstehungsgeschichte im Lauf der Geschichte erklärt wird. Sie hält mich so als Leserin auf Distanz, aber dadurch werden seine Erlebnisse auf der Flucht vor dem Völkermord in Ruanda, umso eindrücklicher.
    Andererseits finde ich die Geschichte von Susanne, die eine Schreibwerkstatt an Arsénes Schule abhält und ihn so kennenlernt, zu überfrachtet mit ihren - meistens um sich selbst kreisenenden - Gedanken und Gefühlen.
    Wirklich ärgerlich finde ich, dass man diese beiden Geschichten, die erlebten Verluste überhaupt nicht miteinander vergleichen kann, die Autorin die LeserInnen durch Susanne dennoch dazu auffordert. Das ist für mich unpassend.
    Schlussendlich ist es so, dass ich gerne viel mehr über Arséne, seine Adoptiveltern, die Hintergründe seiner Flucht usw. gelesen hätte. Susanne hätte mir als Nebenfigur völlig ausgereicht.
    Ich vergebe 6 Punkte.

  • Zunächst möchte ich Wolke und dem Verlag ganz herzlich für das Leseexemplar und die Organisation dieser interessanten Leserunde danken. :bluemchen


    Auch ich bin zwiegespalten, was meine Meinung zu dem Buch betrifft.


    Die Geschichte von Arsènes Flucht und der Rolle, die sein Koffer dabei (und auch später) für ihn spielt, hat mich sehr bewegt und wird mich sicher auch noch eine Weile beschäftigen. Hier hätte ich mir jedoch mehr Tiefe und mehr Details gewünscht, auch an früherer Stelle im Buch ein paar mehr dezente Hinweise auf die Hintergründe des Genozids in Ruanda. Weniger Interesse hatte ich an der Geschichte vom Tod von Suzannes Vater und der Bedeutung dieser Wohnung; dies lag jedoch u.a. an den (vom Lektorat übersehenen?) Wiederholungen, die dazu führen, dass Suzanne meiner Wahrnehmung nach in diesem Strang penetrant um sich selbst und ihren Verlust kreist.


    Problematisch finde ich zum einen, dass diese beiden Verlustgeschichten auf eine Weise miteinander verflochten werden, die sie ebenbürtig oder zumindest vergleichbar erscheinen lassen soll - zumindest kann dieser Eindruck durchaus entstehen. Hier findet meiner Ansicht nach allerdings eine Verhöhnung der Opfer eines Völkermordes statt, wenn ihr vollständiger Verlust von Familie und Heimat, der aus irrem Hass entstanden ist und die Betroffenen ihrer kompletten Identität zu berauben droht, mit einem Schicksalsschlag gleichgestellt wird, der sicher auch tragisch ist, aber im Leben halt leider vorkommt.


    Die Erzählweise wirft zum anderen bei mir vor allem die Frage auf, wozu die Autorin den Anschein erweckt, aus zwei Perspektiven zu schreiben - und dafür extra diese ungewöhnliche Du-Form bemüht - , um dann faktisch doch beide Handlungsstränge nur aus Suzannes Perspektive zu beleuchten. Auch hier kreist mir das Buch einfach zu sehr um Suzanne, während die eigentlich spannende Figur für mich Arsène ist.


    Fazit: Dies ist sicher ein Buch, über das ich noch länger nachdenken werde, da mir das Bild vom Jungen im Koffer sehr nahegegangen ist. Gleichzeitig finde ich, dass die Autorin hier viele Chancen nicht genutzt hat, mehr aus der Idee zu machen, indem sie einfach die Schwerpunkte anders gewählt hätte - mehr Arsène und weniger Suzanne.

  • „Lange hatte ich Angst in der Nacht“ von Yasmine Ghata ist für mich kein leicht zu lesendes Buch.


    Es gibt zwei Erzählstränge: Die Geschichte von Arsène und die Geschichte von Suzanne.

    Suzanne unterrichtet Schüler in ihrer Schreibwerkstatt. Unter den Schülern befindet sich Arsène, der Suzanne besonders auffällt, da er Schwierigkeiten hat, die Schreibaufgabe umzusetzten. Die Schüler sollen ein Gegenstand aus ihrer Familie zum sprechen bringen. Arséne hat nur noch einen alten, ausgebeulten Koffer als Erinnerungsstück. Und seine damit verbundene Geschichte aufzuschreiben, fällt ihm schwer. Suzanne kann ihn dazu bewegen, sich von ihr helfen zu lassen. Arsène erzählt ihr also seine Geschichte und Suzanne schreibt sie für ihn auf. Ich als Leser werde deshalb mit der Du-Form konfrontiert, denn Suzanne schreibt sie auf diese Weise nieder: „Du ranntest und ranntest und hattest dabei das Gefühl, jemanden an der Hand zu halten, aber das war bloß der Griff eines Koffers, den deine Großmutter in aller Eile gefüllt hatte, um ihren Enkel zu retten“ (Klappentext). Die Du-Form finde ich deshalb sehr passend, allerdings beginnt das Buch gleich in dieser Form. Als Leser wusste ich zu Beginn den Erzähler und die Person ‚Du‘ nicht einzuordnen und war deshalb anfangs meistens irritiert und abgelenkt vom eigentlich Inhalt der Geschichte. Erst gegen Mitte des Buches hin wurde mir klar - und wird dem Leser auch spätestens klar - was es mit der Du-Form auf sich hat. Ab dieser Stelle war es dann einfacher für mich zu lesen, auch wenn bei mir die Irritation nie ganz abfiel.


    Arsènes Erlebnisse sind sehr erschütternd für mich. Es ist wirklich unglaublich, dass er das überlebt hat. Die Art wie die Autorin schreibt und dazu die Du-Form erzählt seine Geschichte sehr eindringlich und es wird sehr emotional für mich.

    Arsènes Geschichte rüttelt auch an Suzannes Trauma aus ihrer Kindheit, dass in diesem Buch kurzweilig in den Vordergrund tritt. Es steht damit im Zusammenhang, dass Suzanne und Arsène sich indirekt durch das Aufschreiben seiner Geschichte gegenseitig helfen, stückweit ihre Traumata zu verarbeiten.


    Man darf in dem Buch nicht erwarten, dass man Informationen zum historischen Hintergrund aus Arsènes Heimat erfährt. Ein paar Begriffe fallen aber, die dem Leser mit Vorkenntnissen die Möglichkeit geben, das historische Geschehen einzuordnen. Einer mit keinen Vorkenntnissen – wie ich – hat die Möglichkeit, sich die Informationen anderweitig zu verschaffen.


    Fazit:

    Es ist ein kurzweiliges, aber sehr eindringliches Buch. Es wird auf eine besondere Weise erzählt, die vielleicht nicht jedermanns Geschmack ist.


    Ich vergebe 6 von 10 Eulenpunkten.

    Wäre mir eher mehr am Anfang klar gewesen, was es mit der Du-Form auf sich hat, wäre das Buch besser für mich zu lesen gewesen. Dann gäbe es auch 2 Punkte mehr.


    Ich bedanke mich an Wolke, die mit uns das schöne Buch geteilt hat und ich bedanke mich an den Diana Verlag, der es uns mit den Leseexemplaren ermöglicht hat.

    Sasaornifee :eiskristall

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    "Ich habe nicht mehr Ambitionen zum Fliegen als ein verdammter Strandlöper!" - Die Insel der Tausend Leuchttürme - Walter Moers

  • Zunächst möchte ich mich ganz herzlich bei Wolke und dem Verlag bedanken, die diese Leserunde möglich gemacht haben.


    Auch ich mich hat das Buch etwas zwiegespalten zurück gelassen. Auf der einen Seite empfand ich die Geschichte um Arsène und seinen Koffer als ungemein spannend und emotional. Man kann sich wirklich mit dem kleinen Jungen identifizieren, der da aus seinem Heimatdorf flieht, mit einem Koffer als einzigem Begleiter und Beschützer. Auf der anderen Seite lernen wir Suzanne kennen, die einen Schreibkurs leitet und dadurch auch ihre Vergangenheit anfängt zu verarbeiten. Leider drängt sich hierbei der Vergleich der beiden Schicksale auf, die sich jedoch meiner Meinung nach so nicht vergleichen lassen und die man auch nicht vergleichen sollte. Damit will ich nicht sagen, dass Suzanne es nicht schwer hatte, nur ist es eben nicht mit dem Genozid an der ganzen Familie vergleichbar, die Arsène mitgemacht hat.


    Arsène selbst war mir sehr sympathisch und ich fand auch, dass er authentisch gewirkt hat. Genau so hätte es wohl einem kleinen Jungen in der damaligen Zeit passieren können. Suzanne hingegen wurde mir insbesondere gegen Ende hin immer unsympathischer, einfach weil sie sich in ihrer Trauer so ungemein egoistisch aufgeführt hat und die frische Trauer anderer hinter ihre gestellt hat, die immerhin schon 20 Jahre alt ist.

    Arsènes Adoptiveltern waren mir hingegen "zu gut". Bei ihnen haben mir kleinere Ecken und Kanten gefehlt, auch wenn sie als Nebenfiguren nur am Rande aufgetaucht sind.


    Insgesamt hätte ich mir hier gewünscht etwas mehr über Arsène und seinen Koffer und weniger über Suzanne zu erfahren. Sicher hat sie die Begegnung mit dem Jungen verändert und ich denke auch, dass diese Veränderung in dieses Buch gehört, doch hätte es meiner Meinung nach etwas weniger Platz der knapp 160 Seiten auch getan.


    Zu erwähnen ist auf jeden Fall, die ungewöhnliche Erzählperspektive, die in Teilen des Buches verwendet wird. Dabei wird Arsènes Geschichte in der Du-Perspektive beschrieben, was sie für mich sehr viel eindringlicher gemacht hat, einfach weil man sich persönlich angesprochen gefühlt hat und so mit Arsène leiden konnte. Auf der anderen Seite erschien diese Form an manchen Stellen als sehr umständlich. An manchen Stellen ist es sogar vorgekommen, dass ich darüber nachgegrübelt habe, ob das gerade verwendete Verb so im Deutschen wirklich verwendet werden würde und mich so leider weniger auf den Inhalt konzentrieren konnte. So hatte die hier gewählte Perspektive sowohl ihre guten als auch ihre schlechten Seiten für mich.

    Unabhängig von dieser Perspektive hat mir die Sprache dieses kurzen Romans jedoch sehr gut gefallen.


    Da ich zuvor noch nie etwas über den Genozid in Ruanda gelesen geschweige denn gehört habe, hätte ich ein paar mehr Informationen dazu hilfreich gefunden. Gerne anstelle des Interviews, welches sich am Ende des Buches befunden hat. Dabei meine ich keine genaue historische Beschreibung, eine kleine Übersicht mit den wichtigsten (für das Buch wichtigen) Geschehnissen bzw. den Hintergründen hätte da ja schon gereicht. Wenn man das Buch dahingehend aufmerksam liest findet man zwar die ein oder andere Andeutung, jedoch auch nicht mehr.


    Was gelegentliche Rechtschreibfehler oder etwas seltsame Verbformen angeht, sowie den ein oder anderen Logikfehler, so können diese auch an der gelesenen Version liegen. Da in der Leserunde ein Leseexemplar vorlag, kann es durchaus sein, dass diese Fehler in einer späteren Version ausgemerzt wurden.


    Insgesamt war das Buch für ich durchaus schön zu lesen. Mit Arsène habe ich mitgefiebert und ihn und seinen Koffer im Großen und Ganzen auch gerne begleitet. Das Bild des kleinen Jungens mit seinem Koffer wird mir wohl noch eine Weile im Kopf bleiben. Wer von dem Buch erwartet etwas über den Genozid in Ruanda an sich zu erfahren, der wird wohl enttäuscht werden, wer sich jedoch mit einem kleinen Jungen auf eine gefährliche Reise machen will und dabei auch mal etwas neues ausprobieren will, der ist hier genau richtig.

    Von mir gibt es für dieses Buch 7 Punkte.

    :lesend Jay Kristoff; Nevernight - Die Rache

    :lesend Laura Imai Messina; Die Telefonzelle am Ende der Welt (eBook)

    :lesend Rebecca Gablé; Teufelskrone (Hörbuch: Detlef Bierstedt)

  • Lange hatte ich Angst in der Nacht - Yasmine Ghata

    Diana Verlag

    Hardcover

    160 Seiten

    18,00 €


    Inhalt:

    Arsènes Kindheit endet an dem Tag, an dem ihm seine Großmutter fortschickt. Ein hastig gepackter Koffer, kein Blick zurück: Für den achtjährigen Jungen beginnt die Flucht von Ruanda nach Europa. Im fernen Paris wächst er heran, findet neue Eltern, geht zur Schule und kommt doch nie an. Bis er der Schriftstellerin Suzanne begegnet, die ihre eigene Heimatlosigkeit in den Augen des Jungen gespiegelt sieht. Endlich bricht Arsène sein Schweigen, und im Erzählen verbinden sich für ihn Vergangenheit und Zukunft.


    Über die Autorin:

    Yasmine Ghata, geboren 1975, ist eine französische Schriftstellerin und Kunsthistorikerin. Sie arbeitete in einer auf islamische Kunst spezialisierten Pariser Galerie und unterrichtet heute Kreatives Schreiben an Schulen. Ihr erster Roman »Die Nacht der Kalligraphen« wurde in 13 Sprachen übersetzt und von der Presse hoch gelobt. Mit »Lange hatte ich Angst in der Nacht« erscheint sie erstmals im Diana Verlag.


    Meine Meinung:

    Leider wurden meine Erwartungen an dieses schmale Büchlein doch etwas enttäuscht.

    Arsenes Flucht aus seinem Heimatdorf in Ruanda wird im Wechsel mit Suzannes Gedanken und Erlebnissen erzählt.

    Für Arsenes Part wählte die Autorin die Du-Form. Zwar hatte ich dadurch das Gefühl, dass mir Arsenes traumatische Erlebnisse dadurch näher gebracht wurden, allerdings musste ich mich zunächst an dieses Stilmittel gewöhnen. Definitiv ist mir sein Schicksal sehr nahe gegangen und ich habe immer für ihn gehofft. Mit seinen einfühlsamen Adoptiveltern hat er es wirklich gut getroffen und ich fand es sehr schade, dass sie nur am Rande aufgetaucht sind.

    Suzannes Part dagegen war mir zu einnehmend. Durch ihr streckenweise selbstsüchtiges Verhalten wurde sie mir nicht unbedingt sympathisch.

    Über die Hintergründe der Ereignisse in Ruanda erfährt man als Leser leider nichts in diesem Buch. Für mein Empfinden hätte die Autorin die historischen Begebenheiten zumindest sparsam einarbeiten können.

    Das Ende kam mir viel zu abrupt. Ich hätte zu gerne noch so viel mehr über Arsenes Entwicklung erfahren. Dagegen kamen einige Passagen über Suzannes Anteil völlig unpassend daher.

    Und auch die Sprache war für meinen Geschmack nur durchschnittlich, wobei mich Arsenes Schicksal durchaus mitreißen konnte.

    Insgesamt betrachtet war dieses Buch doch eher nur Durchschnitt und leider nicht so besonders, wie ich es erwartet hätte.

    Dafür vergebe ich 5 Eulenpunkte

  • Der achtjährige Arsène konnte den schrecklichen Massakern in Ruanda entkommen und den Weg nach Europa zu finden, noch dazu in eine freundliche Familie. Aber er hat das Erlebte tief in sich verschlossen und spricht nicht darüber, bis er acht Jahre später im Rahmen einer schulischen Schreibwerkstatt der Schriftstellerin Suzanne begegnet. Ihr erzählt er von seiner Flucht, dem erlebten Grauen, den erlittenen Ängsten – und sie gibt das Erzählte mit ihren Worten wieder. Suzanne (bzw. Yasmine Ghata) wählt hierzu eine ungewöhnliche Form, denn in „Du-Form“ geschrieben wirkt es, als erzählte sie Arsène seine eigene Geschichte. Anfangs wusste ich das nicht recht einzuordnen. Später wird erklärt wie es dazu kommt, aber eine gewisse Irritation ist trotzdem geblieben.


    Auf den ersten Seiten hat mich Arsènes Geschichte noch ganz und gar gefangen genommen. Unfassbar, was er durchgemacht hat und wie es ihm trotz aller Widrigkeiten gelungen ist zu überleben. Die Intensität und die Besonderheit der Erzählweise empfand ich zunächst als einfühlsam und berührend. Doch sehr bald ging dieses Gefühl unter in Wogen von bedeutungsschwangeren, vor Emotionen und Metaphern schier überquellenden Beschreibungen ohne wirklichen Inhalt. Es fühlte sich künstlich an, zu bemüht bestimmte Gefühle zu wecken mit immer gleichen Stilmitteln. Symbolhaftes wird umgehend und ausführlich interpretiert, wo doch innehalten und Raum für eigene Gedanken lassen so viel mehr gewesen wäre.


    Mir hat nicht gefallen, dass und wie die Autorin dem persönlichen Drama Suzannes, ihre auch nach dreißig Jahren noch unbewältigten Trauer um ihren Vater, annähernd gleichen Raum einräumt wie Arsènes Flüchtlingsschicksal. Vergleiche drängen sich auf, bei denen Suzanne nicht gut wegkommt (jedenfalls bei mir). Auch die Erklärungen der Autorin im Nachwort zu diesem Punkt konnten mich nicht überzeugen.


    Auf der einen Seite war es vielleicht nicht so gut, dieses Buch in einer Leserunde zu lesen. Vermehrte Aufmerksamkeit lässt erzählerische Schwächen zu Tage treten, die man ansonsten vielleicht, zumindest teilweise, überlesen hätte. Aber andererseits fand ich die Gespräche in der Leserunde richtig gut. So manche diffuse Wahrnehmung wurde dadurch klarer.

    Vielen Dank für den wunderbaren Austausch, für mich war es eine sehr gelungene Leserunde :-].

    Und auch wenn mir die Art und Weise der Aufbereitung nicht so gelegen hat, ist es doch ein wichtiges Thema, das Yasmine Ghata hier verarbeitet hat.

  • Zuerst nochmals vielen Dank an Wolke und an den Verlag für das Rezi-Exemplar.


    Auch mich hat dieses Büchlein zwiegespalten zurückgelassen.


    Suzanne ist Schriftstellerin und leitet Schreibworkshops. In der vorliegenden Geschichte erläutert sie ihren Schülern den Begriff „Gegenstand“. Sie bekommen anschließend die Aufgabe, einen Gegenstand, der schon Generationen im Familienbesitz ist, mitzubringen und sie wollen dann gemeinsam diesen Gegenstand zum Sprechen bringen. Und so erfährt der Leser die Geschichte über das Schicksal von Arséne und seinem Koffer. Seine Großmutter wollte den 8-jährigen Arséne in Ruanda vor dem Genozid retten und schickte ihn deshalb nur mit einem Koffer auf die Flucht. Er hatte in Frankreich sehr viel Glück und er wurde von einem Ehepaar liebevoll aufgenommen. Mit sehr viel Einfühlungsvermögen ließen sie ihn diesen Koffer stets in seiner Nähe behalten. Nur nach und nach konnte er davon Abschied nehmen. Diese Geschichte hatte er vorher noch niemanden erzählt, erst bei Suzanne öffnet er sich.


    In dem zweiten Strang erzählt Suzanne von ihrer Vergangenheit, ihrem Verlust und ihrer Trauer. Überspitzt ausgedrückt erschien mir dies im Vergleich zu Arséne mehr ein Lamentieren. Dieser Strang hätte für mich persönlich nicht sein müssen.


    Das Cover des Buches fand ich ausgesprochen gelungen und die zwei unterschiedlichen Schriftarten sehr gut. An die DU-Form der Geschichte mußte ich mich erst gewöhnen.


    Arséne ist sicherlich stellvertretend für viele Menschen auf der Flucht und auch das damit verbundene Trauma. Deshalb ist es auf jeden Fall aktuell, emotional und berührend. Ich hätte es allerdings vorgezogen, auf den knappen 160 Seiten mehr über Arséne zu erfahren. Leider hat der Klappentext schon sehr viel der Geschichte verraten, eigentlich zuviel.

  • Suzanne und ihr Schüler Arséne, das sind die Hauptpersonen in diesem kurzen Roman. Suzanne unterrichtet Schreiben und gibt ihren Schülern auf, über einen Gegenstand zu schreiben, der ihnen sehr viel bedeutet. Das ist im Fall von Arséne ein Lederkoffer. Mit nichts als dem Koffer musste der Junge aus Ruanda fliehen, nachdem seine Familie, sein ganzes Dorf niedergemetzelt worden war. Er öffnet sich nach und nach und berichtet Suzanne von seiner Flucht. Seine traumatischen Erlebnisse lassen Suzanne an ihre Kindheit denken und an den Verlust ihres Vaters. Beide haben etwas aufzuarbeiten…


    Eigentlich klingt das Thema sehr interessant, doch leider ist die Geschichte, die die Autorin erzählen will, scheinbar mit der Intention geschrieben worden, den Leser unbedingt betroffen zu machen. Wenn ihr etwas sehr wichtig ist, so wird die Szene noch einmal mit einer Art plumper Hausfrauenpsychologie erklärt.


    Ungeschickt finde ich auch, dass sie Suzanne die Geschichte von Arséne in der „Du-Form“ aufschreiben lässt.

    Es mag sich im Original eleganter anhören, doch übersetzt wirkt es holprig und unfreiwillig komisch "Ihn zu öffnen (den Koffer) war, als würdest du sanft über seine Achselhöhlen fahren, seinen Deckel zu berühren war, als streicheltest du ihm den Rücken (…) Du vermiedst die piekenden Steine (…) Du schlüpftest ins Freie, öffnetest behutsam den Kofferdeckel und lecktest diese kostbare Flüssigkeit ab.“


    Auch Suzann hat, wie gesagt, ihr eigenes Trauma. Sie macht sich auf, um die Wohnung ihrer Kindheit zu besichtigen, in der ihr Vater starb und die sie deshalb mit ihrer Mutter verlassen musste. Natürlich ist das empfundene Leid des Einzelnen nicht messbar und man kann es eigentlich nicht gegeneinander aufwiegen, doch Suzannes lange zurückliegender Verlust dominiert ihr Denken. Arséne, der sein ganzes Dorf, sein Land verloren hat, der die Schüsse hören musste, mit denen seine Familie ermordet wurde, gerät ein wenig in den Hintergrund über Suzannes Schmerz.


    Mein Fazit zu diesem Buch: Insgesamt hat es mir nicht besonders gefallen. Holpriger Stil, aus einseitiger Sicht erzählt, ein paar merkwürdige Ungereimtheiten und die so offensichtliche Intention dem Leser Betroffenheit einzuhämmern - das war einfach nicht mein Fall...

  • Mir fällt es extrem schwer, meine Meinung zu diesem Buch zu schreiben.

    Ich hatte die nur knapp 160 Seiten so ziemlich in einem Rutsch weggelesen und war direkt nach dem Lesen tief bewegt von beiden Schicksalen, die "Du-Form" in der Arsènes Geschichte erzählt wurde, fand ich allerdings auch sehr holprig zu lesen.

    Je mehr ich mich nach dem Lesen aber in der LR mit dem Buch beschäftigt habe, desto besser konnte ich viele der Kritikpunkte der Mitleser nachvollziehen und meine Sicht auf das Buch hat sich etwas gewandelt.


    Dem Buch an sich hat die Leserunde nicht gut getan, trotzdem, oder besser gesagt gerade deshalb war sie wieder eine absolute Bereicherung.

  • Dieses Buch weckt natürlich, schon allein aufgrund des Schicksals von Arsène, relativ große Erwartungen.

    Es ist sicher nicht einfach, diese auf den rund 160 Seiten zu erfüllen.

    Mir hat der Perspektivwechsel ( auch der Wechsel in der Sprache ) gut gefallen, die für mich auf das wesentliche reduzierte Sprache hat der Geschichte ( meiner Meinung nach ) gut getan.

    Jeder Leser kann das Geschehen hinter den Worten selbst für sich reflektieren.

    Wichtig war die Bedeutung des Koffers, diese wurde gut heraus gearbeitet.

    Ich habe zwar ziemlich lange für das Buch gebraucht - aber insgesamt habe ich es als gut empfunden.

    Deshalb 8 von 10 Punkten von mir.