Blasse Helden - Arthur Isarin

  • Seiten: 318

    Verlag: Knaus


    Rückentext:

    Oligarchen, schöne Frauen und ein deutscher Bruder Leichtfuß


    Ausgerechnet in den Trümmern der Sowjetunion hofft der romantische junge Deutsche Anton jene Leichtigkeit zu finden, die er im Westen vermisst. Jenseits von Moral und Ideologie betritt er Anfang der 1990er Jahre Moskau wie durch eine Tapetentür, um hier auf dem ausgebrannten Stern ein radikal freies Leben zu führen, interessiert nur an Geld, Frauen und der großen russischen Kultur. Sein lustvoller Gleitflug endet jäh, als Putin ein Jahrzehnt später die Szene betritt. Anton muss sich entscheiden.


    Autor:

    Der Name Arthur Isarin ist ein Pseudonym. Der Autor wurde 1965 in München geboren. Er hat Philosophie, Politik und Ökonomie studiert und in England, den USA, Russland und Kasachstan gearbeitet. Heute lebt er in Queensland, Australien. „Blasse Helden“ ist sein erster Roman.


    Meine Meinung:

    Anton ist nach Russland gekommen, weil er dabei sein wollte, wie sich das Land Stück für Stück öffnet und an den Westen annähert. Dabei ist es eigentlich gerade die Andersartigkeit Russlands, die ihn fasziniert und derentwegen er das Land und seine Einwohner so liebt, ja teils sogar stark idealisiert und pathetisch verklärt (was ihm von den meist eher pragmatisch eingestellten Russen die er näher kennenlernt Spott und manchmal auch Verachtung einbringt). In sieben Kapiteln, eine Sammlung von Momentaufnahmen die eher Kurzgeschichten ähneln, begleitet man den jungen Mann vom Anfang bis zum Ende der 90er-Jahre, dem Russland Jelzins und der Veränderungen die seine Regierungszeit so mit sich brachte.


    Die einzelnen Kapitel sind lose durch die für Anton wichtigen Faktoren miteinander verbunden: die jeweiligen Frauen die er zum Zeitpunkt des Kapitels liebte, die Kunst (Oper, russische Literatur, Ballett) der er meist einen höheren Stellenwert in seinem Leben einräumt als seiner Arbeit und den leisen moralischen Zweifeln die sein Job in ihm auslöst. Denn Anton gehört zu jenen, die sich wie Zecken im Fell des Bären verstecken und ihn Stück für Stück aussaugen, die sich an der Korruption des neuen Systems bereichern und dazu beitragen, dass sich die Dinge nicht bessern können für die meisten Menschen im Land.


    Gerade wenn er unmittelbar mit den Folgen dieses Handelns, sei es von ihm selbst oder anderen die genauso agieren, konfrontiert wird, regt sich die Scham. Aber niemals so stark, dass er sie nicht mit einem Mittel seiner Wahl (meist Frauen oder Kunst) zum Schweigen bringen könnte. Dabei gefällt er sich durchaus gut in der Rolle des Feingeistes mit Sinn für Gerechtigkeit, wenn er z.B. gegen den Verkauf von Frauen als Prostituierte nach Europa protestiert. Allerdings lässt er sich auch recht schnell zum Schweigen bringen, immerhin, er hat es ja versucht. Er kann ja nicht allein das ganze System ändern. So beschwichtigt er sich selbst immer wieder. Er zieht letzten Endes keinerlei moralische Schlussfolgerung oder Verpflichtung aus seinem Tun. Dafür genießt er die Welt des Luxus, der Ausschweifungen und der Dekadenz auch zu sehr, in der er sich meistens bewegt. Er schlafwandelt als Außenseiter in einer Welt zwischen berauschten Künstlern und Oligarchen die sich vor ihren eigenen Personenschützern fürchten.


    Ab und an bricht in dieses Leben, das Anton, wie er sich selbst eingestehen muss, nirgendwo sonst hätte führen können, die Realität ein. So erlebt er z.B. mit, wie die Proteste gegen Jelzin in der Verfassungskrise im September 1993 ihren Höhepunkt erreichen und das „Weiße Haus“ in Moskau von der Armee gestürmt wird; er ist geschäftlich betroffen, als der Aeroflot-Flug 593 in Sibirien abstürzt; und er soll im Namen der Firma für die er arbeitet als Strohmann ein Geschäft tätigen, dass ein ehemaliger KGB-Agent ihm unterbreitet.


    Die Dinge die Anton erlebt oder auch nur hört sind oft nicht ganz einfach zu verdauen. Kinder die sich gegenseitig prostituieren weil sie hungern, eine alkoholabhängige Landbevölkerung die sich im Suff zu brandschatzenden und vergewaltigenden Rudeln zusammenschließt und kein Halten mehr kennt. Wer einen einträglichen Posten hat und nicht innerhalb kürzester Zeit so viel Geld wie nur irgend möglich für sich unterschlägt oder an Bestechungsgeldern annimmt wird als unfassbar dumm verachtet. Es herrscht oft Chaos und blindwütige Gewalt. Dazu der krasse Gegensatz wenn Anton von Geschäftspartnern erzählt, die versuchen den Stil und Glamour der zaristischen Zeit wieder aufleben zu lassen. Am gelassensten gehen die Russen selbst mit all dem um. Pragmatismus ist hier immer wieder das große Wort. Vor allem die Frauen in Antons Leben beweisen ihn und nötigen ihm Respekt und Bewunderung ab, sogar so weit, dass er einmal der Meinung ist, man sollte das gesamte Land einfach den Frauen überlassen, die würden dann schon alles richten.


    Man kann wirklich nicht behaupten, dass es sich hier um ein „Wohlfühlbuch“ handelt. Anton ist keine sehr sympathische Hauptfigur, auch wenn es sicherlich Schlimmere gibt als ihn. Ab und an gibt es aber doch Stellen, an denen man sich in ihn hineinversetzen kann, wenn er über Dinge staunt oder entsetzt ist, die dem Leser die gleiche Reaktion abnötigen. Nur leider zieht er, wie oben schon erwähnt, nicht die entsprechenden Schlüsse sondern kapselt sich lieber ab in seinem Kokon aus Kunst, der für ihn die reale Welt ersetzt und überhaupt erst erträglich macht. Interessant zu beobachten ist die Unterschiedlichkeit der Leute aus den verschiedensten Schichten mit denen er zu tun hat und wie er – und auch sie – auf den Zeitenwandel reagieren.


    Ausgehend von der Beschreibung des Autors, soll man wohl annehmen, dass sich hier viel Autobiographisches widerspiegelt, vermutlich auch der Grund warum ein Pseudonym gewählt wurde. Ob dem wirklich so ist, kann man natürlich nicht sicher beurteilen, nichts desto trotz war die Darstellung des Russlands der 90er Jahre für mich glaubhaft. Oft erschreckend, aber auch faszinierend. Nach allem was ich darüber weiß, passen die geschilderten Erlebnisse durchaus ins Gesamtbild.


    Fazit: Für mich ein faszinierender Einblick in eine Zeit zu der ich ein Teenager war, in ein Land das ich nicht selbst kenne, aber von dem man vieles hört. Auf dem Umschlag steht als Zitat von Viktor Jerofejew „Wer Russland heute verstehen will, sollte Isarin lesen [...]“. Ich weiß nicht, ob das Buch wirklich hilft zu verstehen was sich heutzutage alles in Russland abspielt, das wäre wohl auch ein bisschen überambitioniert, aber es gibt zumindest einen Einblick in eine Zeit, die für viele heutige Russen offenbar sehr prägend war. Ich vergebe 8 von 10 Eulenpunkten.


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    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

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