Dieter Zimmer: Alles in Butter

  • Titel: Alles in Butter

    Autor: Dieter Zimmer

    ISBN-10: 3937799605

    ISBN-13: 978-3937799605

    Erscheinungsdatum: März 2013

    Originalausgabe: 1982



    Zum Autor:

    Dieter Zimmer wurde 1939 in Leipzig geboren, wo er auch bis zu seinem 13. Lebensjahr wohnte, bevor er zusammen mit seiner Mutter aus der damaligen Ostzone gen Westen floh. Nach dem Studium arbeitete er als Journalist und Fernsehredakteur beim SWF und ZDF und war lange Jahre Nachrichtensprecher bei "heute". Seit 1980 ist er auch als Schriftsteller und Sachbuchautor tätig.



    Kurzbeschreibung/Klappentext:


    Die turbulenten 50er Jahre - von Berlin über Baden-Baden nach Hannover führt der Weg von Thomas, dem Helden aus 'Für’n Groschen Brause', und seiner Mutter. Nach ihrer Flucht aus Leipzig müssen sie sich ein neues Leben aufbauen. Im Westen wird den Flüchtlingen nichts geschenkt, das Glück muss erarbeitet werden, das Fahrrad, die Eisportionen für die hübschen Mädchen, der Radioapparat, das Eintrittsbillett für Hannover 96 und nicht zuletzt die Butter auf dem Abendbrottisch. Thomas lässt sich nicht unterkriegen, mit viel Witz und Erfindungsreichtum meistert er den Neuanfang.



    Inhalt:


    Der Nachfolgeband zu Dieter Zimmers "Für'n Groschen Brause" macht nahtlos da weiter, wo der Vorgängerband aufhört: mit der Flucht in den Westen im Jahr 1953. Per Bahn und nur mit leichtem Gepäck versuchen der inzwischen fast dreizehnjährige Thomas und seine Mutter von Ost- nach Westberlin zu gelangen, wo im Gegensatz zum platten Land die Grenzen teilweise noch durchlässig sind. Im Trubel des Feiertags zum 1. Mai schummeln sie sich durch die Kontrollen und gelangen in den Westteil der Stadt - und in die Freiheit.


    Den "Westen" kennen sie bislang nur aus staatlicher DDR-Propaganda und aus hinter vorgehaltener Hand geflüsterten Gerüchten. Mit großen Augen bestaunt Thomas diese fremde Welt und fühlt sich in ein Paradies versetzt: breite Straßen, prachtvolle Geschäfte, Schaufenster mit den tollsten Dingen wie Kuchen, Kaugummis, Südfrüchten und schicker Kleidung, Kinos mit amerikanischen Filmen und viel weniger Schutt und Trümmer als im Osten. Der Wiederaufbau ist hier im vollen Gange und das Wirtschaftswunder trägt bereits erste Blüten.


    Allerdings muss der Junge schnell lernen, dass dieses Paradies nur für diejenigen geöffnet hat, die auch das nötige Geld dafür haben - und das haben er und seine Mutter nicht. Zuerst einmal werden sie in einem Auffanglager untergebracht, müssen Berge von Behördenkram erledigen und tagelang für Papiere und Stempel anstehen, in einer zugigen Fabrikhalle mit hunderten anderen Menschen hausen, und bekommen jedes Mal, wenn sie auch nur einen Pieps der Klage von sich geben, sofort beschieden, sie sollten dann eben zurück in die Ostzone, wenn es ihnen da besser gefiele. Niemand will sie haben, und obwohl sie als Flüchtlinge aus dem besetzten Osten per Verfassung bundesdeutsche Staatsbürger sind, trifft sie die geballte Ablehnung der Bevölkerung.


    Schließlich werden Mutter und Sohn zusammen mit unzähligen anderen Flüchtlingen in der Republik verteilt und per Flugzeug - den sogenannten Flüchtlingsbombern - an ihre Bestimmungsorte gebracht. Da Thomas' Onkel Manfred bereits vor einigen Jahren mit Frau und Kindern aus Leipzig geflohen ist und nun in Baden-Baden lebt, wird dies ihre erste Station. Doch selbst die Verwandten sind alles andere als begeistert über diesen ostdeutschen Familienzuwachs.


    Das mickrige Zimmer, in das sie vom Wohnungsamt zur Untermiete eingewiesen werden, entpuppt sich als düstere Abstellkammer, und die Zimmerwirtin als geldgieriger Besen, doch wenigstens ist es eine erste Bleibe. Thomas' Mutter findet schnell Arbeit in der Firma, in der auch der Onkel angestellt ist, und Thomas bleibt neben dem Schulunterricht im Gymnasium noch Zeit, sich mit allerlei kleinen Gelegenheitsarbeiten ein bisschen Taschengeld dazu zu verdienen. Bald reicht das Geld sogar für solchen Luxus wie Milchshakes, Kino und Coca-Cola, und gelegentlich kann man davon gar ein Mädchen zu einem Eis einladen.


    Ein Jahr lang leben Mutter und Sohn im reichen Baden-Baden, doch als Thomas endlich wirklich in der Schule Fuß gefasst und sich mit den Klassenkameraden und der Stadt angefreundet hat, müssen sie ihre Zelte auch schon wieder abbrechen und es geht weiter nach Hannover, wo die Mutter einen besseren Job angeboten bekommt.


    Wieder ist alles neu, wieder muss man einen neuen Dialekt lernen und sich in einer fremden Stadt durchschlagen, doch auch hier findet Thomas schnell neue Freunde. Inzwischen steckt er auch mitten in der Pubertät und wagt so manches Mal schon die Rebellion gegen allzu strenge Regeln. Auch Tiefschläge muss er einstecken, so verliert er seinen besten Freund aus Badener Tagen, der als Matrose zur See fährt, und ein anderer Freund verunglückt tödlich, was ihn derart aus der Bahn wirft, dass er die Schule abbrechen und zurück nach Leipzig ziehen will. Schließlich findet er mit Mut und Witz seinen ganz eigenen Weg durch den Dschungel des Lebens.





    Meine Eindrücke/Meinung:


    Der Vorgängerband "Für'n Groschen Brause" bestach für mich vor allem durch seinen Witz und durch die kindlich-pragmatische Sicht des damals zehnjährigen Erzählers. In diesem Band hier ist Thomas schon ein ganzes Stück erwachsener geworden, und erwachsener klingt hier auch der Schreibstil. Der Stil ist immer noch locker, humorvoll und charmant, aber der sprühende Witz des ersten Buches blitzt hier seltener hervor. Vielleicht weil die Themen, die Thomas bewegen, ernster geworden sind, und auch wenn ich es anfangs ein wenig traurig darüber war, dass es nicht mehr gar so viel zum kichern gab, finde ich doch, dass es dem Autor gut gelungen ist, seinen Stil der inzwischen älteren und gereiften Figur anzupassen.


    Es ist in jedem Fall sehr unterhaltsam, dem pubertätsgeplagten Thomas in den "Wilden Westen" zu folgen und bei all den Problemen mitzufiebern, die einen dreizehn- bis vierzehnjährigen Teenie befallen. Und das sind jede Menge: die ersten zaghaften Kontakte mit Mädchen, die erste Liebe, der erste Rausch, das erste Geldverdienen, das erste Radio, der erste Plattenspieler, Freundschaften, Familienbande, Schulsorgen und so einiges mehr. Ab und zu zeigt Thomas noch kindliche Verhaltensweisen, aber viel mehr treibt ihn rebellische jugendliche Wut um, Aufbegehren gegen die Generation der Eltern, gegen die Schule und die Gesellschaft mit ihren verstaubten Konventionen. Ich fand es spannend zu verfolgen, wie aus dem arglosen Jungen ein junger Mann wird, der mit sich und mit vielen Zweifeln zu kämpfen hat.


    Das Buch gleicht auch einer nostalgischen Rückschau auf diese frühen Wirtschaftswunderjahre und die Generation unserer Eltern, und es hat Spaß gemacht, über Dinge wie das Goggomobil oder die BMW-Isetta zu lesen, über James-Dean-Frisuren, Halbstarke, erste Partys mit Petticoats und Erbeerbowle, oder über die ersten Schwarzweißfernseher, ein "unsinnger Trend, der sich niemals durchsetzen wird".


    Es gibt aber auch ernste, kritische Töne im Buch, zum Beispiel im Falle von Thomas' Onkel, der nach seiner Flucht in den Westen mit dem gnadenlosen und oft ungerechten System des Kapitalismus nicht zurechtkommt und zurück nach Leipzig geht - "da gibt es zwar nichts, aber wenigstens ist dieses Nichts an alle gleichmäßig verteilt", meint er.


    Was mir auch auffiel, ist, dass all die handelnden Personen krampfhaft nur nach vorne schauen und keiner mehr etwas von der Vergangenheit wissen will. Die ganzen Kriegsjahre und die Schuld Deutschlands an den unvorstellbaren Gräueln, die da geschehen sind, werden komplett ausgeblendet, von einer Aufarbeitung oder wenigstens so etwas wie Einsicht oder Reue nicht die Spur. Selbst die Hauptfigur Thomas merkt das in einem Dialog mit einem Lehrer mal an und fragt, warum nie darüber geredet wird, aber er wird sofort scharf zurückgewiesen.


    Vielleicht ist ein eher humorvolles Buch nicht der richtige Platz für solche Dinge, aber ich fand schon, dass dies etwas zu wenig zur Sprache kommt. Allerdings kann ich nicht beurteilen, ob das in dieser Zeit damals tatsächlich so war, oder ob der Autor das Thema aus seinen Büchern lieber einfach heraushalten wollte - vielleicht beides.


    Nichtsdestotrotz fand ich das Buch wirklich gut und habe es gern gelesen, es ist spannend, interessant, witzig und lebensklug, und hat mit Thomas zudem eine Hauptfigur, die man einfach gern haben muss.