Broschiert: 288 Seiten
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
erschienen am 9. Februar 2018
ISBN-10: 3423261617
zur Autorin:
Ulrike Herwig arbeitete zehn Jahre in London als Deutschlehrerin, bevor sie 2001 mit ihrer Familie nach Seattle/USA zog. Um sich nicht den ganzen Tag über die verrückten amerikanischen Moms wundern zu müssen, zieht sich Ulrike Herwig in jeder freien Minute an ihren Schreibtisch zurück. Außerdem regnet es ganz schön oft in Seattle, und da will man sowieso nicht vor die Tür. Ideal für eine Autorin! (Quelle: dtv)
zum Inhalt:
Gregor fährt mit seiner Mutter Marlene für ein paar Tage zu deren Schwester Judith. Achim, Judiths Mann, sieht diesem Besuch skeptisch entgegen. Gregors Verhalten ist ihm zu eigentümlich und auch Marlene empfindet er als Träumerin. So oft er kann flüchtet er sich in seine Fahrradreparatur. Die Tage werden schon vorüber gehen, hofft er. Doch es kommt anders. Nach einem Verkehrsunfall liegt Marlene im künstlichen Koma und Gregor ist auf die Fürsorge seiner Verwandten angewiesen.
meine Meinung:
Von Ulrike Herwigs Romanen war ich bereits gewohnt, dass beim Lesen die gedachten „Hach!“ in gleicher Anzahl wie „Oh nein!“ vorkommen. Die Situationen scheinen so alltäglich, dass sie überall passieren könnten. Dennoch möchte man meist nicht mit den Figuren tauschen. So ging es mir auch mit diesem Buch. Der Protagonist Gregor hat das Asperger-Syndrom, das sich immer wieder bemerkbar macht, wenn der gewohnte Tagesablauf gestört wird. Seine Mutter geht damit bewundernswert gelassen um. Wer mit dieser Form des Autismus nicht vertraut ist, hat Schwierigkeiten im sozialen Miteinander. Gregor bringt dem Leser seine Beeinträchtigungen in der Kommunikation und in seinen Auswirkungen näher. Er reagiert anders und sensibilisiert für das Thema.
Die Hausgemeinschaft von Judith und Achim setzt sich aus insgesamt sechs Parteien zusammen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Jeder hat Charaktereigenschaften, die ihn authentisch machen und eben auch einzigartig. Auch gibt es Missverständnisse, die durch den unbeteiligten Umgang wie eine unüberwindbare Mauer erscheinen. Gregor ist jedem gegenüber unvoreingenommen und schafft so, Brücken zu bauen, damit die Menschen wieder miteinander reden. Zwischen den Zeilen schwingt mit, dass alles auch mit einem zweiten Blick gewürdigt werden sollte. Die ständig beschwipste Sängerin und der ewig mürrische Witwer haben mehr gemeinsam, als sie denken. Ebenso kann die nörgelnde Schwiegermutter eine Lösung für die unerwünschten Haustiere haben. Alles, was Gregor genauer betrachtet, stößt er gleichzeitig an, um den Beteiligten zum Glück zu verhelfen. So viel zu den gedachten „Hach!“
Überschattet werden diese Glücksmomente durch Tragik. Nicht nur Gregor muss einen Schicksalsschlag hinnehmen, sondern jede Wohnung hält eine andere Notlage bereit, die durch den humorvollen Erzählstil in ihrer Heftigkeit sogar noch unterstrichen wird. Obwohl manches wirklich nicht erheiternd ist, musste ich allein durch den Wortwitz lachen. Der Roman hat mich noch nach dem letzten Kapitel bewegt und zum Nachdenken angeregt. Gregors pragmatische Ansätze sind simpel und manchmal so nötig, damit das Leben eben nicht woanders ist. Die tiefsinnige Geschichte um Gregor und sein Umfeld bekommt von mir einen unbedingten Lesetipp.