Hallo, Voltaire.
Danke für Deine Antwort.
ZitatDer Lobbyist vertritt lediglich die Interessen der Institution für die er tätig ist. Er sieht eben nur die gruppen- oder verbandsegoistischen Interessen seiner Klientel. Das „große Ganze“ ist ihm dabei egal.
Das ist erstens eine pauschalisierende Unterstellung - und zweitens wird aus solchen Gründen ja eben nicht nur mit Lobbyisten und erst recht nicht nur mit einem Lobbyisten gesprochen. Jedem - auch jedem Politiker - dürfte klar sein, dass ein Lobbyist etwa der Autoindustrie kein objektiver Wissenschaftsjournalist ist, der sich zufällig überwiegend mit Fragen der Mobilität beschäftigt. Nein, es weiß jeder, dass der Automobillobbyist diese und überwiegend diese Interessen vertritt. Deshalb gibt es andere Interessengruppenvertreter - etwa der Gewerkschaften, der Umweltschutzverbände, anderer Industrieverbände usw. usf. -, die in entsprechenden Situationen angehört werden, und dazu natürlich noch Dutzende von Fachreferenten, die von den Ministerien beschäftigt werden, um Hintergrundinformationen, wissenschaftliches Material, Prognosen und dergleichen mehr zu erhalten. Ja, es gab Fälle, in denen Gesetzestexte den Lobbyisten zur Endkorrektur vorgelegt werden, woraufhin diese dann - in nachvollziehbarer Weise - einfach das eingebaut haben, was sie gerade brauchten. Aber erstens waren das extreme Ausnahmen. Zweitens entscheidet der gesamte Bundestag über Gesetze. Und drittens funktioniert das System nach meinem Dafürhalten überwiegend sehr gut, aber davon kriegen wir nicht sehr viel mit, weil's nicht ständig durch die Medien gereicht wird. Wer sich über den unfassbar komplexen Vorgang der Gesetzgebung unter Berücksichtigung möglichst vieler Interessen, aber auch unter Durchsetzung von Aspekten, die den Lobbyisten überhaupt nicht geschmeckt haben, informieren möchte, sollte sich die sehr, sehr sehenswerte Dokumentation über die Entstehung der neuen europäischen Datenschutz-Grundverordnung anschauen. Sie heißt "Democracy - im Rausch der Daten" und läuft noch in einigen Kinos, ist aber auch schon als Konserve erhältlich.
Es ist den Lobbyisten der Umweltschutzverbände auch nicht egal, ob sie letztlich für die Vernichtung mehrerer tausend Arbeitsplätze eintreten. So etwas ist fast niemandem egal. Aber die Arbeitsplatzerhaltung ist nun auch nicht ihre Aufgabe und ihr Ziel - dafür gibt es andere starke Interessenverbände, etwa Gewerkschaften.
Ob in einer bestimmten Frage Umweltschutz oder Arbeitsplätze Vorrang haben oder ob sich ein Kompromiss finden lässt, das entscheiden Gremien und Parlament unter Abwägung möglichst vieler Aspekte. Aber der Vertreter der Umweltschutzorganisation muss das nicht tun. Er darf seine Interessen und diejenigen seiner Mitglieder vorrangig vermitteln, weil genau das seine Aufgabe ist. Und er wird damit leben müssen, wenn sich die Gewerkschaft mit ihren Argumenten durchsetzt.
Aber das Thema ist viel, viel komplexer. Es lässt sich nicht auf solche einfachen Fragen reduzieren. Und es kommt mir absolut richtig vor, dass die Interessenverbände in die Gesetzgebung einbezogen werden. Wie weiter oben geschrieben - es sind sehr viele und sehr unterschiedliche Interessenverbände. Dass das in manch einem Einzelfall nicht so gut funktioniert und dass so manch einer anfällig für die falschen Einflüsterungen ist, ändert nichts daran, dass es grundsätzlich eine gute Idee ist. Das ist bei vielen guten Ideen so, beispielsweise der Demokratie. Es ist richtig, dass alle gleichberechtigt mitentscheiden sollten, wenn es um gesellschaftliche Fragen geht, wenigstens indirekt über Wahlen. Es ist aber auch richtig, dass viele mit dieser Verantwortung eher nachlässig umgehen, sehr kurzfristig und äußerst egoistisch denken, sich manipulieren lassen. Das ist schlecht, aber es ist kein Argument gegen die Idee und das System.