H.M. van den Brink - Ein Leben nach Maß

  • Inhalt:

    Eine Abschiedsrede für den langjährigen Mitarbeiter und künftigen Ruheständler des Eichamtes - aber Karl Dijk kommt nicht zu seinem eigenen Abschiedsfest. Und so sinniert sein Kollege über die gemeinsam erlebten Jahre, den Wandel der Zeit und die damit verbundenen Veränderungen in ihrer Arbeit, immer im Spiegel der vermeintlich festen Größen von Kilogramm, Meter und Grad.

    Meine Meinung:


    Ein interessantes Stückchen Literatur, was uns der niederländische Autor H.M. van den Brink da präsentiert. Sprachlich empfand ich den Roman durchwegs als Genuß, denn der Schreibstil ist elegant, präszise und ausgefeilt. Nach wenigen Seiten hatte ich mich schon regelrecht festgelesen.

    Das Thema ebenfalls ansprechend; die Grundidee, den Wandel der Zeit mit einer Person zu verknüpfen, die sich allen Veränderungen gegenüber verschlossen hat, fand ich sehr genial. Bestimmt könnte man die Handlung in jeglicher Branche ansiedeln, aber dass sich der Autor gerade das (niederländische) Eichwesen als Kulisse ausgesucht hat, ist ein genialer Schachzug. Denn gerade was die Maßeinheiten betrifft, könnte man doch meinen, dass diese unveränderlich gegenüber allen modernen Technologien bestehen - aber falsch gedacht, auch hier hält der Fortschritt Einzug, und wer nicht mit der Entwicklung auf dem Laufenden bleibt, wird zum Dinosaurier.

    Was zunächst mit dem ersten Tag der beiden Kollegen im beschaulichen Eichamt an der kleinen Gracht beginnt, wird in der Abschiedsrede der Direktorin für den Kollegen Karl Dijk fortgeführt und zu Ende gebracht, trotz dessen Abwesenheit. Sein Kollege hat sozusagen als Ghostwriter die Rede geschrieben, hört sie nun aus dem Mund der Direktorin und schweift unterdessen immer wieder in Gedanken ab, verfolgt das Ungesagte, das Ungeschriebene. So entspinnt sich ein ausgeklügeltes Konstrukt aus Gegenwart und Vergangenheit, aus dem sich nach und nach die Geschichte der beiden Kollegen mit all ihren Höhen und Tiefen heraus arbeitet. Während Karl Dijk sich und seinen unverrückbaren Prinzipien immer treu geblieben ist, hat sein Kollege doch sehr oft sein Fähnchen in den Wind gehalten, um beruflich weiter zu kommen.

    Für mich war die Lektüre trotz ihres ruhigen Erzählstils sehr spannend zu verfolgen. Umso trauriger bin ich darüber, dass das Ende etwas beliebig geraten ist. Ich hätte erwartet, dass es eine Erklärung für das Fehlen von Karl Dijk gibt, dass das offene Ende der beiden Kollegen irgendwie aufgearbeitet und zum Abschluss gebracht wird. Statt dessen empfand ich das Ende ziemlich surreal und hatte das Gefühl, dass es sich der Autor ein wenig zu einfach gemacht hat, indem er seinen Protagonisten in wirren Fieberträumen zurück lässt.

    Mein Fazit:

    Ohne den schwachen Schluss wäre das ein echtes Lesehighlight geworden, aber auch so kann ich es gerne an LeserInnen weiter empfehlen, die weniger handlungsorientiert lesen, sondern Freude an ruhigen, nachdenklichen Erzählungen haben und mit unvermittelten Zeit- und Gedankensprüngen innerhalb der Handlung gut zurecht kommen.