Ein Gedicht wird übermalt

  • Vielleicht hat es der/die ein oder andere schon mitbekommen: Das Gedicht des schweitzer Lyrikers Eugen Gomringer wird nach einigen Beschwerden, die es als sexistisch empfinden, trotz internationaler Proteste übermalt!


    Die beanstandete Zeile lautet: „ Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer“.


    Da der Bewunderer offensichtlich männlich ist wird die Frau zum Sexobjekt degradiert.....


    (Meine Autokorrektur kennt das Wort „Sexobjekt nicht...... eieieieiei....)


    Wo zum Teufel leben wir eigentlich?


    Eine Fassade kann man leicht übermalen, ein Buch, in welchem ein solches Gedicht steht kann man, will man es nachhaltig von der Erdoberfläche tilgen, nur..... eben!


    Wäre das ein trauriger Einzelfall könnte man noch lächelnd sagen: „Alle dooof – ausser Ich!“, allerdings reiht sich diese Entscheidung in eine ganze Reihe von „Kunst-Korrekturen“ ein, die ich persönlich als mehr als besorgniserregend empfinde. Da wird in der klassischen Literatur - erstmal nur der Jugendliteratur, aber warten wir mal ab... - herumgepfuscht, um ja niemanden auf den Schlips zu treten, da wird einem „political correctness-Wahn“ das Wort geredet ohne Sinn und Verstand! Jedem noch so absurden Ansinnen irgendeiner Minderheit wird stattgegeben, und der „Freiheit des Wortes/der Kunst“ auf der ganzem Linie eine Absage erteilt. Nennt mich ruhig einen Fatalisten, aber der Zeitpunkt wo wieder einmal Bücher brennen scheint mir nicht mehr fern zu sein!

    Verfickte Scheiße nocheins – was ist passiert?


    Ist es nicht ebenso diskriminierend mir zu unterstellen das ich jedes Mal, wenn ich einer Frau ein Kompliment über ihr Aussehen mache eigentlich meine „ Ich will Dich ficken?“ (was nicht den Tatsachen entspricht – oft meine ich tatsächlich nur: Hey, Du siehst toll aus!“)


    Sollte nicht die Kunst in jedem Fall einen besonderen Schutz genießen, sollte nicht, gerade in der Kunst, diese Freiheit auch genutzt werden sollen?


    Mal abgesehen von der absurden Entscheidung um dieses Gedicht - sollte Kunst nicht auch den Schmutz, das Niedere in uns, thematisieren dürfen, ja sogar müssen?


    Warum machen Kosmetikunternehmen einen solchen Umsatz, wenn es den Frauen egal ist wie sie aussehen?


    Ich habe die - in meinen Augen durchaus notwendige – Debatte zum Thema Sexismus mit großem Interesse verfolgt, aber was hier geschieht hat mit Vernunft nun so garnix mehr zu tun, das ist eine Traumweltdiktatur, der wir uns niemals beugen dürfen!


    Kunst ist ein wesentlicher Teil unserer Kultur, doch heute darf sie nur noch sauber, politisch nicht anstößig und genderkonform sein!


    Wenn nicht, gehört sie vernichtet!!!

  • Für mich ist diese ganze Debatte ein Unding.


    Ohne überhaupt auf den Inhalt des Gedichts einzugehen, sind wir doch gleich wieder bei der Debatte: Was darf Kunst? Wie groß war die Aufregung, als ein Gedicht über Herrn Erdogan von diesem kritisiert und ein Strafverfahren eingeleitet wurde.

    Und hier entscheidet ein kleiner Kreis darüber, ob ein Gedicht eine Daseinsberechtig ung im öffentlichen Raum hat.

    Vielleicht sollten wir gleich den guten alten Echtermann (deutsche Gedichtsammlung) nach sofort zu entfernenden Gedichten durchsehen. Ob da noch viele übrigbleiben?

    Und was ist mit dem schönen Grundsatz: eine Zensur findet nicht statt?


    Soll das nicht mehr gelten? Oder nur noch, wenn in keiner Form von Menschen die Rede ist? Kunst nur noch, wenn sie tote Materie zum Thema hat?


    Den Inhalt möchte ich aber nicht ganz unbeachtet lassen. Ich kann diesen Satz, das ganze Gedicht drehen und wenden, wie ich will, ich kann weder eine Diskriminierung noch eine Herabwürdigung der betrachteten Frauen erkennen.


    Wenn ich mich über Diskriminierung, Herabwürdigung oder sexuelle Belästigung von Menschen, egal welchen Geschlechts, Rasse, Religion und und und beklagen will, fallen mir bei jedem Spaziergang durch eine beliebige Stadt genug Gelegenheiten auf.

  • ... mal abgesehen davon, dass es in spanischer Sprache an einer deutschen Hauswand prangt. Allein DAS dürfte schon dafür sprechen, dass das alles hanebüchener Unsinn ist.... die Mehrheit der Menschen, die das lesen, werden es nicht übersetzen können, geschweige denn, verstehen.


    Dies alles außer Acht lassend, kann ich Bodos Bedenken allerdings nachvollziehen und reihe mich mit fragend hochgezogenen Augenbrauen in der Schlange der Menschen ein, die mit Unverständnis über solche Debatten den Kopf schütteln... Keine Frage - Sexismus exisitert und es ist gut, dass darüber nun diskutiert wird... aber es treibt fragliche Blüten....


    2013 wurden Kinderbücher umgeschrieben, ich diskutierte vor Jahren schon mit anderen Lesern, ob in einem Roman, der 1750 spielt, ein Mann seine Frau schlagen darf.... Die Märchen von den Brüdern Grimm darf man schon gar nicht mehr lesen, Mord und Totschlag überall....


    Wenn überall so lebhaft diskutiert werden würde, wie hier bei den Eulen, wäre die literarische Welt ein kleines bisschen normaler.... ist meine Meinung...

    Ich freue mich auf jeden Fall, wenn andere Städte als Statement genau dieses Gedicht auf öffentliche Hausfassaden malen lassen, zumindest ist es so angekündigt...

  • Ich finde es auch schade, dass die Entscheidung getroffen wurde, das Gedicht zu übermalen. Ich fühle mich an eine Aktion erinnert, bei der sich Studenten über das frauenfeindliche Denken Kants echauffierten und entsprechende Vorlesungen gestört haben. Anscheinend geht der Studentenschaft der Sinn für historischen Kontext zunehmend verloren. Ich selbst finde das Gedicht gelungen, kann die Kritik am dargestellten Frauenbild allerdings ebenfalls nachvollziehen (die Frau als passives Objekt, der Mann als aktives Subjekt). Zu einer sinnvollen Auseinandersetzung mit dem Text gehört jedoch auch ein Blick auf die Zeit, in der er entstanden ist. Kunst ist niemals zeitlos! Und zu behaupten, das Gedicht erinnere an die sexuelle Belästigung, der Frauen ausgesetzt sind, finde ich doch reichlich überzogen. Es gibt einen Unterschied zwischen Bewunderung und Belästigung!


    Was mich an der absolut berechtigten Kritik an diesem Umgang mit Literatur aber echt stört, ist der Aufschrei „Zensur!“, der auch sonst heutzutage sofort zu hören ist, sobald irgendwo irgendwas angeblich „nicht mehr gesagt werden darf“. Zensur ist ein staatliches Verbot. Gomringers Gedicht ist nicht verboten worden, sondern eine Hochschule hat entschieden, eine Wand zu streichen.


    Die Frage hingegen, ob Kinderliteratur modernem Sprachgebrauch angepasst werden sollte oder nicht, ist ein ganz anderes Thema und hat mit dem Umgang mit „avenidas“ nichts gemein.

  • Tilia, es handelt sich tatsächlich nicht um eine staatliche Zensur, da stimme ich dir zu Tilia. Aber in der Auswirkung finde ich es fast noch schlimmer, da willkürlich und an keinerlei nachvollziehbare Kriterien gebunden.

    Immerhin wird die Debatte weitergeführt und verschafft dem Autor und seinem Gedicht eine sonst nie erreichte Verbreitung.

    Auch ein schöner Erfolg.

  • Hilfreich wäre ein Hinweis oder Link, wo man dieses Diskussionsthema finden kann :umschau


    Edit: auf zeit.de gefunden:


    "avenidas/avenidas y flores/flores/flores y mujeres/avenidas/avenidas y mujeres/avenidas y flores y mujeres y/un admirador".

    Die deutsche Übersetzung lautet:

    "Alleen/Alleen und Blumen/Blumen/Blumen und Frauen/Alleen/Alleen und Frauen/Alleen und Blumen und Frauen und/ein Bewunderer"


    Ich finde es absolut lächerlich hier irgendetwas Frauenfeindliches hinein interpretieren zu wollen. Im Gegenteil, klingt es eher nach einer Hymne an die Schönheit.


    Wer hat sich denn über dieses Gedicht beschwert:?:


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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend U. T. Bareiss: Green Lies - Tödliche Ernte

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  • Das soll ein Gedicht sein? Erinnert mich an „Der Wolf – das Lamm - auf der grünen Wiese.“ Auf Spanisch macht es natürlich mehr her.


    Ich finde, die Hochschule hat das Recht, sich zu entscheiden, die Wand zu streichen. Das ist doch eh bloß ein übergroßes Wandtatoo. Wenn es nicht mehr gefällt, weg damit.

  • Na ja, die Wand gehört der Uni und letztlich kann ein Hauseigentümer schon selbst entscheiden, wie er seine Wände schmückt. Was ich vermisse, ist eine tatsächliche Auseinandersetzung mit den Vorwürfen. Klar ist das Frauenbild des Gedichtes antiquiert, aber das gilt auch für andere Texte oder Kunstwerke). Dieses Ausweichen auf Scheingefechte, dieses Nachgeben bei absurden Vorwürfen, was soll so was? Ist natürlich schön bequem für die Studentenschaft und die Uni: seht her, wir gehen Probleme an und lösen sie! Und die echten Probleme bleiben weiterhin ungelöst, weil deren Lösung nämlich echte Arbeit bedeuten würde. Tatsächliche, echte, wirkliche und verletzende Driskriminierung lässt sich nämlich nicht durch das Übermalen einer Wand lösen.


    Die Auswirkungen finde ich allerdings nicht schlimmer als staatliche Zensur. Echte Zensur ist übel und wesentlich zerstörerischer als so ein bisschen vordergründige Political Correctness, die nichts anderes ist als Selbstgefälligkeit.

  • Anscheinend war die ASTA der Hochschule für die Entfernung. Ich vermute, die waren einfach nur beleidigt, weil sie bei der Entscheidung über die Art der Wandverzierung nicht gefragt worden sind.

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  • Wo zum Teufel leben wir eigentlich?

    Gute Frage. Das "Wo" läßt sich noch relativ leicht beantworten. Aber über die restlichen Umstände gehen die Meinungen, wie dieser Anlaß zeigt, offensichtlich weit auseinander.


    Nennt mich ruhig einen Fatalisten,aber der Zeitpunkt wo wieder einmal Bücher brennen scheint mir nichtmehr fern zu sein!

    Verfickte Scheiße nocheins – was istpassiert?

    Den Gedanken hatte ich auch schon, also daß bald wieder um brennende Bücherscheiterhaufen getanzt wird.


    Was passiert ist? Früher hätte man da ein Sprichwort zitieren können: "Wenn dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis".


    Und Zensur ist heute gar nicht mehr notwendig, wie dieser Vorfall eindrucksvoll beweist. Der Zweck wird auch ohne solche erreicht, vorauseilender Gehorsam könnte man das nennen.


    Übrigens war das am 28. Januar 2018 Gegenstand des Editorials des Chefredakteurs der "Welt am Sonntag", von daher kannte ich das und hatte den größten Teil meines Ärgers darüber schon hinter mir. Nur das absolute Unverständnis, das ist geblieben.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Wenn wir den Begriff „Zensur“ ein wenig weiter fassen, dann haben wir bereits eine solche, nicht von staatlicher, sondern gesellschaftlicher Seite. Und das halte ich für beinahe gefährlicher, da sie somit in der Gesellschaft – wenn auch nur in Teilen – bereits existiert und akzeptiert wird.


    Und ich halte das, was in einigen Jugendbüchern passiert ist durchaus für das selbe Thema, denn es kommt aus der selben Ecke. Es sind die selben bizarren Gedankengänge, die hier für eine Zensur in der Kunst sorgen, die doch in unseren Gesetzten und in unserer Gesellschaft einen besonderen Schutz genießen sollte.


    Allein der Gedankengang dem Bewunderer irgendwelche sexuellen Ideen unterzujubeln ist für mich vollkommen absurd!

    Ich bewundere Meryl Streep – was doch aber keinesfalls bedeutet das ich......


    Und vielleicht bewundert der Bewunderer ja die im Gedicht erwähnten Blumen...


    wobei... wo Blumen sind, da sind auch Bienen... und schon sind wir wieder beim Sex....!


    Aber Spaß beiseite! Ich halte diese Säuberungsströmungen für brandgefährlich, weil sie von Leuten ausgeht die offensichtlich nichts von Kunst halten, ihren Sinn nicht verstehen und nicht akzeptieren können, das einiges, was Kunst ist, jenseits ihres Verstandes liegt

  • Ich habe auch gerade absolutes Unverständnis, allerdings in die komplett andere Richtung. Ich wollte hier an sich nichts schreiben, aber es gibt doch einiges, das ich nicht so unkommentiert stehen lassen möchte, vor allem die Art und Weise, wie mit der geäußerten Kritik an dem Gedicht umgegangen wird.


    Den Anfangspost finde ich teilweise sehr widersprüchlich. (Es geht zwar auch um das Editieren von nicht mehr gebräuchlichen Wörtern in Büchern, aber darauf will ich jetzt gar nicht eingehen, sondern nur auf den Zusammenhang mit dem Gedicht. ) Bodo schreibt da:

    Zitat

    Jedem noch so absurden Ansinnen irgendeiner Minderheit wird stattgegeben, und der „Freiheit des Wortes/der Kunst“ auf der ganzem Linie eine Absage erteilt.


    Sich negativ über ein Kunstwerk zu äußern, bedeutet meiner Meinung nach nicht, "der Freiheit des Wortes und der Kunst auf ganzer Linie eine Absage zu erteilen", sondern gehört zur kritischen Auseinandersetzung mit einem Kunstwerk. Das gilt auch für dieses Gedicht. Freiheit der Kunst bedeutet auch immer Freiheit ihrer Betrachtung und Interpretation. Und es bedeutet, sich frei dazu äußern zu dürfen, selbst wenn diese Äußerung der allgemein herrschenden Meinung widerspricht und manchen offenbar nicht in den Kram passt. Es ist nicht die Aufgabe der Allgemeinheit und auch nicht ihr Recht, darüber zu entscheiden, wie jemand ein Bild oder einen Text zu beurteilen und zu empfinden hat. Und auch nicht das einer Einzelperson oder Gruppe.


    Bist du denn der Ansicht, dass eine "Minderheit" kein Recht auf eine "Freiheit des Wortes" und auf freie Meinungsäußerung hat? Dass Minderheiten - und seien sie in deinen Augen noch so unbedeutend und gering - nicht auch das Recht haben, ihre Meinungen kundzutun und zu sagen, was sie stört oder was sie als diskriminierend empfinden, ohne dass man gleich versucht, sie mundtot zu machen? Nur weil man selbst die Beweggründe eines anderen nicht nachvollziehen und verstehen kann, heißt das ja nicht automatisch, dass dessen Anschauungen absurd sein müssen.


    Vielleicht muss nicht gleich eine Generaldebatte geführt oder eine Gesetzesänderung beschlossen werden, nicht allem vorbehaltlos zugestimmt werden, sobald ein Einzelner sich von etwas bedrängt oder diskriminiert fühlt, aber solche Ansinnen von vorneherein abzuschmettern und gar nicht erst anzuhören, nur weil sie von einer Minderheit kommen, halte ich für ungerecht. Selbst als Einzelperson habe ich das Recht, meine Meinung zu äußern und Missstände aufzuzeigen. Was wäre das für eine Gesellschaft, wo die Meinung einer Minderheit gar nichts mehr zählt und niemanden mehr interessiert und nur noch das Recht des Stärkeren gilt? Wer am lautesten plärrt, hat Recht? Von der Meinung, die mir nicht gefällt, behaupte ich einfach, sie sei absurd und bräuchte nicht ernst genommen werden - und schon brauche ich mich nicht mehr damit auseinandersetzen?


    Voltaire hat in seiner Signatur einen denkwürdigen Satz, dem ich vollkommen zustimme:

    "Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall) "


    Freiheit des Wortes muss für alle gelten, auch für Menschen, deren Anschauungen nicht in unser Weltbild passen, finde ich. Man kann ja diskutieren und sich annähern, aber jemandem den Mund zu verbieten oder seine Aussagen per se als lächerlich und absurd darzustellen, nur weil einem seine Ansichten nicht passen, finde ich sehr bedenklich. Auch Andersdenkende haben das Recht zum freien Wort und auch absurde und unbequeme Äußerungen dürfen getan werden. Und wer entscheidet denn überhaupt darüber, ob ein Ansinnen absurd ist? Tatsächlich finde ich es recht überheblich, dass nicht wenige Männer zu glauben scheinen, sie allein hätten darüber zu bestimmen, was eine Frau als diskriminierend empfinden darf und was nicht. Nicht nur in diesem Fall, sondern immer. Aber ich allein entscheide darüber, was ich als diskriminierend oder abwertend empfinde. Niemand sonst. Auch nicht die Mehrheit oder die Allgemeinheit.


    Im Eingangspost wird im Besonderen auch die Freiheit der Kunst angesprochen und es wird gefordert, dass sie einen besonderen Schutz genießen soll. Das ist sicher richtig. Kunst muss auch unschöne, hässliche Dinge zum Thema haben dürfen, sie muss provozieren und aufdecken, sie wird oft auch polarisieren, und sie ist ja auch immer ein Kanal, in dem sich freies, unabhängiges Denken äußert. Kunst muss immer unabhängig bleiben, Kunst muss ihre Freiheit behalten. Klar. Aber jedem Mensch in unserem Land muss auch die Freiheit gestattet werden, Kunst, die ihm nicht gefällt, ablehnen zu dürfen. Er muss die Freiheit haben zu sagen: ich will das nicht sehen, durch dieses Bild/dieses Gedicht/diese Worte fühle ich mich diskriminiert, verhöhnt, verletzt, ohne dass ihm reflexartig gleich hysterisches Verhalten vorgeworfen wird und seine Bedenken dadurch ins Lächerliche gezogen werden.


    Freiheit der Kunst und Freiheit des Wortes heißt für mich nicht nur, in jedweder Form frei meine Meinung ausdrücken zu dürfen, sondern dass auch das Publikum meiner Kunst sich frei und ohne Zwang dazu äußern darf. Und dass ihm diese Kunst auch mal nicht gefallen darf. Im Post wird zwar vehement die Freiheit der Kunst eingefordert, die freie Meinungsäußerung des Betrachters wird dabei aber offenbar nicht erwünscht, vor allem nicht, wenn sie kritisch oder negativ ausfällt.


    Zitat

    Mal abgesehen von der absurden Entscheidung um dieses Gedicht - sollte Kunst nicht auch den
    Schmutz, das Niedere in uns, thematisieren dürfen, ja sogar müssen?


    Ja, natürlich darf sie das. Aber genauso darf der Betrachter darauf reagieren, indem er sagt: Deine Kunst finde ich scheiße, sie gefällt mir nicht, ich fühle mich davon abgestoßen, sie widert mich an, sie diskriminiert mich. Auch das gehört zur Freiheit der Kunst. Das ist aber offenbar das, was viele nicht hören wollen oder womit sie sich nicht auseinandersetzen wollen. Denn es ist Kritik, und das geht im Zeitalter der "Likes" ja schon mal gar nicht.


    Ich glaube fast, das wird von manchen einfach verwechselt. Man hört immer "Kunst sollte nicht zensiert werden", aber eigentlich meinen die Leute wohl eher "Kunst sollte nicht so kritisiert werden". Denn Zensur ist etwas völlig anderes.


    Und das Gedicht ist ja weder zensiert noch verboten worden, es ist kein staatlicher Eingriff in die Kunstfreiheit und der Autor kann das nach wie vor publizieren, wie er lustig ist und wann und wo und so viel er will. Nur eine einzelne Uni hat - und das dazu noch in einer Abstimmung, also auf demokratische Weise - beschlossen, dass sie das Ding halt nicht mehr auf ihrer Fassade haben will, weil einige sich dadurch belästigt fühlen. Was ihr gutes Recht ist.


    In diesem Kontext diesen Vergleich hier anzubringen, finde ich reichlich unpassend:

    Zitat

    Eine Fassade kann man leicht übermalen, ein Buch, in welchem ein solches Gedicht steht kann man, will man es nachhaltig von der Erdoberfläche tilgen, nur..... eben!

    Meines Wissens war nie, noch nicht einmal ansatzweise die Rede davon, irgend ein Buch von der Erdoberfläche zu tilgen. Auch kein Gedicht. Schon gar nicht nachhaltig. Wie kommt es zu dieser Aussage und wo steht das? Da würde mich die Quelle ja brennend interessieren, also wenn es für diese "Tatsachen" eine gibt (was ich bezweifle), dann bitte her damit. Das würde ich gerne mit eigenen Augen sehen.


    Zum Schluss möchte ich noch aus dem Post von Tilia Salix zitieren, der ich vollkommen zustimme:

    Zitat

    "Und die echten Probleme bleiben weiterhin ungelöst, weil deren Lösung nämlich echte Arbeit bedeuten würde. Tatsächliche, echte, wirkliche und verletzende Diskriminierung lässt sich nämlich nicht durch das Übermalen einer Wand lösen. "


    Wer im Übrigen glaubt, dass männliche "Bewunderung" immer harmlos und spaßig ist und Frauen sich doch bitteschön dadurch gefälligst nur geschmeichelt und geehrt fühlen sollten, der möge sich bitte dieses Video ansehen: https://www.youtube.com/watch?v=oTDJNa0FjWU


    Verlinken nicht möglich, bitte nach "frau läuft durch new york" suchen.

  • ...

    Wer im Übrigen glaubt, dass männliche "Bewunderung" immer harmlos und spaßig ist und Frauen sich doch bitteschön dadurch gefälligst nur geschmeichelt und geehrt fühlen sollten, der möge sich bitte dieses Video ansehen: https://www.youtube.com/watch?v=oTDJNa0FjWU

    Da man youtube-Videos hier nicht verlinken kann, gib am besten ein treffendes Suchwort an, unter dem man bei youtube suchen kann.

  • Das Video ist bei youtube unter dem Titel

    Als Frau allein durch New York Videos

    zu sehen - wirklich sehr anschaulich.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend U. T. Bareiss: Green Lies - Tödliche Ernte

  • Sich negativ über ein Kunstwerk äußern und dessen Tilgung verlangen sind zwei vollkommen verschiedene Dinge! Mal abgesehen von der in diesem Beispiel vollkommen absurden Annahme der „Bewunderer“ hätte irgendwelche sexuellen Hintergedanken beim Bewundern – eine Interpretation, die ich persönlich äußerst fragwürdig finde und die in meinen Augen mehr über die Betrachter aussagt als das Gedicht über irgendeinen Typen, der rumsteht und bewundert – ist das tilgen dieses Gedichtes in meinen Augen eine gesellschaftliche Zensur. Das Gedicht verschwindet einfach, eine Auseinandersetzung kann also nicht mehr stattfinden.


    Natürlich lebt die Kunst auch von den Diskussion über sie, von unterschiedlichen Sichtweisen, von Meinungen, vom Austausch.


    Unter anderem deswegen sind wir doch hier!


    Natürlich darf ein jeder seinen Meinung kundtun, so absurd sie in meinen Augen in diesem Fall auch sein mag, niemand sollte ungehört bleiben, niemand darf ungehört bleiben, das regelt bei uns zum Glück sogar das Gesetzt.


    Was ich für allerdings äusserst gefährlich halte ist das „Säubern“ der Kunst von allem, was irgendeinem Wirrkopf gegen den Strich geht, denn dann hört Kunst auf zu existieren!


    Was ist mit Hamlets Umgang mit Ophelia? Die darob Selbstmord begeht..... Wollen wir das tilgen?

    Walfang, da sind wir uns einig, ist blöd. Was ist also mit Moby Dick? Wech damit, oder ändern wir die Namen alle in japanische Namen um?


    Es geht hier nicht um einen Austausch von Meinungen, es geht mir persönlich um eine Säuberungsaktion in der Kunst, von Pippi Langstrumpf bis hin zu dieser Hauswand in Berlin.


    Wenn etwas entfernt ist, wenn es weg ist, erübrigt sich der Meinungsaustausch.


    Dann ist es weg!

    Dann wird nicht mehr darüber gesprochen!

    ES EXISTIERT NICHT MEHR!



    Undn das darf nicht wieder passieren!

  • Nun, inzwischen sind wir ja weiter, in Manchester wurde schon das erste "anstößige" Bild in der Art Gallery abgehängt.

    Inwiefern solche Aktionen Frauen, die ohne Zweifel viel zu häufig belästigt, zu Objekten degradiert und sonstwie diskriminiert werden, helfen sollen, verstehe ich beim besten Willen nicht.


    Vielleicht sollte ich morgen nochmal schnell in die Ausstellung der Kunsthalle Bielefeld laufen, wer weiß, wie lange die Ausstellung noch vollständig zu sehen ist.


    Anstatt in vorauseilendem Gehorsam gegen Kritik Kunstwerke vor den Augen der Öffentlichkeit zu verstecken, sollte man doch besser - wie es ja zunehmend geschieht - über historische Gegebenheiten informieren. problematische Aspekte aufzeigen und diskutieren. Davon verspreche ich mir möglicherweise Veränderungen.