Neanderthal - Jens Lubbadeh

  • Neanderthal - Jens Lubbadeh


    Titel: Neanderthal - Die Jagd beginnt

    Autor: Jens Lubbadeh

    ISBN-10: 3453318250

    ISBN-13: 978-3453318250

    Erscheinungsdatum: November 2017

    Verlag: Heyne

    Seiten: 528 Seiten



    Zum Autor:


    Jens Lubbadeh ist freier Journalist und hat bereits für Die Zeit, NZZ, Bild der Wissenschaft, Technology Review, Spiegel Online und viele weitere Print- und Digitalmedien geschrieben. Für seine Arbeit wurde er mit dem Herbert Quandt Medien-Preis ausgezeichnet. Der Science-Thriller »Unsterblich«, sein Romandebüt, hat auf Anhieb Kritiker und Leser gleichermaßen begeistert. Jens Lubbadeh lebt in Hamburg. (Quelle: Heyne Verlag)



    Klappentext/Kurzbeschreibung:


    Deutschland in der Zukunft. Krankheiten, Schönheitsfehler und Suchtprobleme sind abgeschafft, Gesundheit ist das höchste Ideal. Eine Welt, in der sich Kommissar Philipp Nix nur schwer zurecht findet. Als er eines Tages auf eine seltsam aussehende Leiche stößt, führt ihn das zu einem grausigen Massengrab in einem Tal bei Düsseldorf. Sind es Neandertaler? Aber warum sind die Überreste nur dreißig Jahre alt? Nix' Ermittlungen enthüllen einen Skandal, der die Gesellschaft der Zukunft in ihren Grundfesten erschüttert …

    (Quelle: Heyne Verlag)



    Inhalt:


    Wir befinden uns im Deutschland des Jahres 2053, in einer Zukunft, die von der neuen Religion der Menschheit bestimmt wird: Schönheit, Fitness und Gesundheit, vertreten durch den Staat und die allmächtigen Krankenkassen. Oberste Instanz ist das Ministerium für Gesundheit und Glück, das sich fürsorglich um das Wohlergehen des Deutschen Volkes kümmert. Wer sich dieser Fürsorge zu entziehen versucht, der muss zu seinem Glück gezwungen werden, so ist die staatliche Direktive.


    Der Autor webt ein Zukunftsszenario, in dem Gesundheit und Schönheit als höchstes Gut gelten, in dem Krankheiten und Behinderungen nahezu komplett ausgerottet sind. Was oberflächlich wie ein Ideal aussieht, stellt sich auf den zweiten Blick als staatlich veranlasste Totalüberwachung und als wahres Horrorszenario heraus.


    Alles ist geregelt und wird penibel kontrolliert, von der Trinkmenge über das tägliche Laufpensum bis hin zu Ernährung und Krankheitsrisiken. Die Menschen in diesem Land sind gleichgeschaltet, und sehen auch gleich aus: schön, gesund, makellos, mit perfekten, schlanken Körpern. Und was nicht naturgegebene Perfektion ist, wird im Labor oder auf dem Operationstisch perfektioniert.


    Die Kontrolle erfolgt u. a. durch eingesetzte Gesundheitsimplantate, mit deren Hilfe eine lückenlose Überwachung des Einzelnen möglich ist. Non-Implantierten drohen Beitragserhöhen, Rückstufung oder gar Ausschluss aus der Krankenkasse. Auch der Druck innerhalb der Gesellschaft und der sozialen Medien ist extrem hoch, beugt man sich nicht dem allgemeinen Schönheitsideal, wird man mit Ausgrenzung und Stigmatisierung bestraft. Die Wissenschaft hat sich enorm weiterentwickelt, Genmanipulationen sind zur Routine geworden. Selbst Föten im Mutterleib werden schon editiert und optimiert.


    Behinderungen kommen in dieser Welt so gut wie gar nicht mehr vor, Behinderte werden verachtet und ausgegrenzt. Es ist nichts Ungewöhnliches, die unliebsamen Verwandten durch sogenannte "Ehrenmorde" beseitigen zu lassen, die vom Staat kaum sanktioniert oder sogar stillschweigend geduldet werden.


    Für ein Opfer eines solchen Ehrenmordes hält Kommissar Philip Nix zunächst auch die übel zugerichteten Leiche, die in der Nähe von Düsseldorf unter einer Autobahnbrücke gefunden wird. Der tote junge Mann sieht merkwürdig aus, seine Gesichtszüge wirken deformiert und fremdartig. Auch der Körperbau wirkt ungewöhnlich, und so ist Nix überzeugt, einen Behinderten vor sich zu haben, der sich entweder mit Suizidabsichten selbst von der Brücke gestürzt hat oder eben Opfer eines Ehrenmordes geworden ist. Der Fall scheint für ihn schnell geklärt.


    Doch dann treten Unstimmigkeiten auf, und auf dem Smartphone des Toten finden sich Hinweise auf ein verstecktes Massengrab im Neandertal. Tatsächlich werden jede Menge Knochen ausgegraben, zu deren Begutachtung zwei Anthropologen hinzugezogen werden: der gehörlose Max Stiller und seine Mitarbeiterin Sarah Weiss. Die beiden stellen bald zweifelsfrei fest, dass es sich bei den ausgegrabenen Skeletten um die Gebeine von Neandertalern handelt.


    Die Ungereimtheiten mehren sich, die Knochenfunde und die Leiche sind nicht das, was sie zu sein scheinen und stellen alle Beteiligten vor ein Rätsel. Als sich bei der Datierung der Neandertaler-Knochen aus dem Massengrab herausstellt, dass diese noch keine hundert Jahre alt sind, und dann auch noch geheime Regierungsorganisationen auf den Plan treten, die die gefundenen Beweise zu verschleiern und vernichten suchen, ahnt der Leser schon, dass er es mit einer großangelegten Verschwörung zu tun hat …




    Meine Eindrücke/Meinung:


    Anhand des Covers und der Kurzbeschreibung des Verlages hätte ich einen spannenden und rasanten Thriller erwartet, bei dem man atemlos durch die Seiten hetzt. Dieses Versprechen hat das Buch meiner Meinung nach nicht ganz erfüllen können.


    Thriller ist auch nicht wirklich die richtige Bezeichnung für das Buch, es passt nicht gänzlich in diese Schublade. Es ist teilweise spannender Roman, teilweise wissenschaftliche Abhandlung, Dystopie, Zukunftversion, Science Fiction, philosophische Betrachtung, von allem ein bisschen. Spannend war es durchaus und ich wollte auch wissen, wie es weitergeht und wie die Geschichte sich entwickelt. Aber das Buch hat mit den Problemen zu kämpfen, die jeder Science Thriller oder Wissenschaftsroman hat: es muss, damit der Leser es überhaupt verstehen und der Handlung folgen kann, erst einmal Unmengen an Fachwissen und wissenschaftlichen Zusammenhängen vermitteln. Und anscheinend geht das bei dieser Art Roman nicht, ohne dass ein Teil der Spannung verloren geht.


    Das würde ich jetzt nicht einmal allein dem Autor ankreiden, ich finde, er hat sich wirklich Mühe gegeben, all diese Fakten abwechslungsreich an den Leser zu bringen. Auf Dauer ist das alles aber sehr ermüdend, sehr trocken geschrieben, und die schiere Masse an Informationen erschlägt einen förmlich - für mich als Laien war das manchmal echt zu viel. Diese Stellen habe ich teilweise nur quergelesen, und so hat es für mich dann ganz gut funktioniert. Der Rest lässt sich gut und problemlos lesen. Der Schreibstil ist allgemein klar und flüssig und streckenweise auch recht spannend.


    In die Handlung eingebettet ist auch ein zweiter Erzählstrang, der etwa 40.000 Jahre in der Vergangenheit spielt und von den ersten Begegnungen der Neandertaler mit ihren Vettern, den Homo sapiens, erzählt. Diese Passagen haben mir nicht so gut gefallen. Sie reißen einen immer gerade dann aus der Handlung, wenn es einmal spannend wird. Das war einfach nur nervig, ich habe sie dann auch nur grob überflogen. Zum Verständnis sind sie auch nicht unbedingt notwendig.


    Außerdem muss ich echt bemängeln, dass die Dialoge dieser 40.000 Jahre alten Urmenschen teilweise einfach nur lachhaft sind und klingen wie aus einer TV-Show unserer Tage. Ich habe bestimmt wenig bis gar keine Ahnung davon, wie es geklungen haben mag, wenn unsere einstigen Urahnen miteinander kommuniziert haben, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es so abgelaufen wäre, wenn sich zwei Neandertaler unterhalten hätten. Da fallen Begriffe wie "kürzlich", "ohnehin", "Niederkunft", "Befürchtungen", "in Kontakt treten", "keine Chance haben", "… denke, dass wir ein zu hohes Risiko eingehen" oder "… umso mehr wäre es unsere Aufgabe, dass..."

    Da konnte ich manchmal nur den Kopf schütteln.


    Was für mich aber den eigentlichen Reiz des Buches ausgemacht hat, waren die ganzen ethischen, moralischen und philosophischen Fragen, die sich aufgetan haben. Dieses zukünftige Deutschland mit seinem Gesundheits- und Kontrollwahn hat mir ganz und gar nicht gefallen. Und am beängstigendsten fand ich, dass vieles, was da beschrieben wird, teilweise schon Alltag und gängige Praxis geworden ist, in noch unausgereifter Form, aber tatsächlich in unserer Gesellschaft und in unserer Welt schon vorhanden. Alles ist schon da, der Autor spinnt den Faden einfach nur weiter, und was dabei rüberkommt, finde ich tatsächlich beklemmender als eine ganze Invasion von Aliens: die Menschheit braucht gar keine Bedrohung von außerhalb, sie ist sich selbst Bedrohung genug.


    Aber es gab auch Lichtblicke und es gab tolle Hauptfiguren. Der im Klappentext erwähnte Kommissar Nix ist zum Beispiel eine recht sympathische Figur, weil er sich stumm gegen dieses System auflehnt und seinen eigenen Weg zu gehen versucht. Allerdings spielt er nur anfangs eine Rolle und verschwindet dann sang- und klanglos aus der Geschichte. Noch mehr habe ich allerdings mit Sarah und Max mitgefiebert und mitgelitten, den beiden Anthropologen und eigentlichen Hauptfiguren des Buches.


    Vor allem der taubstumme Max ist mir ans Herz gewachsen, ein sehr streitbarer, willensstarker und faszinierender Charakter, und einer, der sich trotz seiner Behinderung und seiner Andersartigkeit nicht versteckt, sondern erhobenen Hauptes durch diese Welt marschiert. Die Eigenheiten und Probleme gehörloser Menschen wurden für mein Gefühl auch sehr gut vermittelt. Die anschauliche Beschreibung der Gebärdensprache und das Erklären der einzelnen Gesten fand ich wirklich gut gelungen, und ich konnte mir das alles sehr gut vorstellen, obwohl ich noch nie mit gehörlosen Menschen zu tun hatte.


    Die Antagonisten der Story dagegen, Eva-Marie Mercure und Bruno Viira, fand ich derart überzeichnet, dass sie für mich schon fast albern wirkten. Das war mir alles zu dick aufgetragen.


    Es gäbe noch vieles zu schreiben, allerdings geht das nicht, ohne der Handlung vorzugreifen.


    Mein Fazit:


    Nicht unbedingt ein haarsträubender, temporeicher Thriller, aber ein lesenswertes, nachdenkenswertes, unterhaltsames und durchaus spannendes Buch, wenn man sich von den vielen wissenschaftlichen Fakten nicht abschrecken lässt. Ich habe es trotz der angesprochenen Kritikpunkte sehr gerne gelesen.

  • Darum geht’s:


    In naher Zukunft hat sich die Wissenschaft in Deutschland weiterentwickelt und das Leben der Durchschnittsbürger verändert. Krankheiten und Behinderungen werden bereits vor der Geburt durch einen Eingriff ins Erbgut behoben. Fitness, Gesundheit und Glück sind die Werte, die mit allen Mitteln angestrebt werden und die Krankenkasse fördert und kontrolliert seine Bevölkerung in ihren Bemühungen darum. Umso unerklärlicher ist es, dass man die Leiche eines Mannes findet, die anders aussieht als gewöhnlich. War er behindert? Die hinzugezogenen Anthropologen haben eine Vermutung, die sie zu einem Massengrab ins Neandertal führt.


    So fand ich’s:


    Einerseits wird der Mensch schon vor der Geburt „optimiert“ und ungesunder Lebensstil ist verpönt, andererseits ist die „große Depression“, ein nicht behandelbarer und schwerer Verlauf der Depression, auf dem Vormarsch und beraubt besonders die Jugend jeder Lebensqualität. Und dann tauchen Hinweise darauf auf, dass Neandertaler vor wenigen Jahren erst im Neandertal beerdigt wurden, obwohl es eigentlich nicht sein kann, dass vor kurzem noch Neandertaler in Deutschland lebten. Als die beiden Anthropologen Max Stiller und Sarah Weiss die Spur der neuen Neandertaler verfolgen, bekommen sie relativ schnell Probleme von höchster politischer Seite – man macht Jagd auf sie, um sie mundtot zu machen.

    Das Buch startet als Krimi, doch aus der anfänglichen Mordermittlung verschiebt sich die Handlung schnell in Richtung wissenschaftlicher Dystopie. Der Kriminalfall ist nur der Aufhänger für einen weitaus größeren Skandal, der durch die aufgefundene ungewöhnliche Leiche erst entdeckt wird. Deshalb tritt Ermittler Nix auch bald in den Hintergrund und die beiden Wissenschaftler Stiller und Weiss übernehmen hauptsächlich die Erzählung. Sarah Weiss empfindet sich selbst als „Mutante“, da sie gewisse körperliche Besonderheiten aufweist, die sie von der Masse abheben. Und Max Stiller ist gehörlos, was ihn in einer Zeit, in der alle Menschen optimiert sind, wie einen bunten Hund hervorstechen lässt. Schon alleine die Reaktionen der Menschen auf diese Besonderheiten waren spannend zu beobachten.

    Die Zukunftsvision, die Lubbadeh uns aufzeigt, empfand ich als realistisch und möglich, wenn auch ziemlich bedrückend, denn Machtstreben und unkontrollierbare Wissenschaftler ergeben zu allen Zeiten eine schlimme Kombination. Die Erzählung war in weiten Teilen eher ruhig, durchsetzt mit Informationen und Szenarien von Lubbadehs Vorstellung einer möglichen nahen Zukunft. Erfreulicherweise wurde es aber niemals zu wissenschaftlich, sondern man bleibt bei griffigen, leicht verständlichen Erläuterungen der Dinge, die Stiller und Weiss nach und nach ans Licht bringen. Es wird uns gezeigt, wie es im zukünftigen Deutschland zugeht, und man bekommt auch eine praktische Vorstellung davon, wenn man den Personen über die Schulter schaut. Auch wenn es zwischendurch immer mal Action, Verfolgungsjagden und durchaus spannende Szenen gab, überzeugte mich der eher sachliche Erzählstil, die lebensnahen Charaktere und die Themen, die hier behandelt werden.

    Ein typischer Thriller ist das nicht. Eher ein dystopischer Roman mit wissenschaftlichen und politischen Verwicklungen, der es geschafft hat, mich von Anfang bis Ende bei der Stange zu halten und der auch für die Entwicklungen der Gegenwart einige Ansätze liefert, über die man nachdenken sollte.



    Es gibt ein kostenloses Prequel mit dem Titel „Das Neanderthal-Projekt“



    Ich finde allerdings, dass dieses Prequel, das eigentlich als Teaser zum Lesen vor dem Roman gedacht ist, schon zu viel vom Hintergrund der Romangeschichte verrät, allerdings keine neuen oder zusätzlichen Informationen bereithält. Ich habe es nach dem Roman gelesen und als nette Ergänzung empfunden. Auch wenn es die Vorgeschichte zum Roman erzählt, finde ich es als Lektüre nach dem Roman besser platziert.