Cees Noteboom: "Allerseelen"

  • Der holländische Dokumentarfilmer Arthur Daane wandert durch das Berlin der späten Neunziger, beobachtet Menschen, sich selbst, sucht nach Szenen im Dämmerlicht, anonymen Spuren der anderen, seiner selbst, des Lebens, der Vergangenheit.


    Der Mann hat Frau und Kind verloren, im Austausch gegen die Freiheit, sich beliebig auf der Welt zu bewegen, und er hat sich das zerrissene, vergangenheitsschwangere Berlin als einen der Hauptsitze für sein Dasein gesucht, zumal er hier Freunde hat, Künstler wie er, selbstverständlich - den eloquenten und genau beobachtenden Schriftsteller Arno Tieck, den scheu-originellen Bildhauer Victor etwa. Und dann trifft er auf die junge Elik Oranje, eine Geschichtsstudentin, die sich exzessiv mit einer mittelalterlichen Königin befaßt, zu der es sehr wenig Material gibt. Eine ganz seltsame Romanze beginnt. Auch Elik ist auf der Suche nach glaubhaften Spuren der Vergangenheit.


    "Allerseelen" dreht sich um die Bedeutung des Menschen, seinen Nachlaß, um die Nichtexistenz von Zukunft, die Schwierigkeiten bei der Betrachtung der Vergangenheit. Es geht um die Reduktion, die jede Art von Geschehenem erfährt, um die Ausweglosigkeit jedes Rekonstruktionsversuches, es geht um Hoffnung, Selbsterkenntnis und nicht zuletzt Liebe.


    Das Buch beginnt spröde, vereinnahmt aber rasch, bietet viele wunderschöne Bilder, intelligente Diskussionen und warmherzig gezeichnete Figuren.



    (Edit: Der Titel ist auch als SZ-Bibliothek-Ausgabe erhältlich)

  • Oh, das Buch ist wirklich phantastisch. Es war das erste, was ich von Nooteboom gelesen habe, und seit dem lässt mich der Autor nicht mehr los. Er schreibt so wunderschöne Gedanken und Sätze, dass ich neben jedem Buch von ihm auch immer einen Block und Stift bereit liegen habe. Ich habe manchmal das Gefühl, die Grundgeschichten dienen nur als Fass für die vielen Ideen und Gedanken und rücken dadurch in den Hintergrund.

    Illusionen werden aus Gedanken über das Leben geboren, aber sie sterben nicht am Denken, sondern am Leben.
    Lou Salome

  • Hab ich auch noch hier stehen, schiebe es aber irgendwie immer von rechts nach links über den SUB.... na mal sehen... :-]


    Edit:
    Ich lese endlich, hätte ich viel eher tun sollen, es ist zauberhaft!

  • Zitat

    Original von Babyjane
    Hab ich auch noch hier stehen, schiebe es aber irgendwie immer von rechts nach links über den SUB.... na mal sehen... :-]


    Edit:
    Ich lese endlich, hätte ich viel eher tun sollen, es ist zauberhaft!


    Ich habe es auch angefangen, aber bisher ist es nicht so meins und deswegen pausiert es auch gerade. Mal sehen, wie das noch wird...

  • Allerseelen - Cees Noteboom


    Gebundene Ausgabe: 436 Seiten
    Verlag: Süddeutsche Zeitung / Bibliothek; Auflage: 1 (30. Oktober 2004)
    ISBN-10: 3937793348
    ISBN-13: 978-3937793344
    Größe: 20,8 x 13,2 x 3,2 cm


    Kurzbeschreibung (von amazon)
    Arthur Daane, ein Niederländer in Berlin, hat seine Frau und seinen Sohn durch einen tragischen Unglücksfall verloren. Nun streift er mit der Filmkamera durch die winterliche Großstadt, auf der Suche nach Bildern für sein "ewiges Projekt", seinen Film. Dabei lernt er eines Tages die junge Geschichtsstudentin Elik kennen, eine Frau mit Geheimnissen, und von nun an verändert sich sein Leben.


    Über den Autor


    Link zum Wikipedia-Eintrag


    Meine Meinung:


    Cees Noteboom schafft es, woran mancher Muttersprachler verzweifelt: eine liebevolle, distanzierte, analytische Sicht auf urdeutsche Dinge, in einem Atemzug mit einem faszinierendem Geschichtsverständnis. Dazu ein bisschen Liebe und Leidenschaft, Philosophie und Metaphysik. Heraus kommt ein toller Roman.


    Mein Fazit:


    Gerne wiederlesen.

    :lesendR.F. Kuang: Babel


    If you don't make mistakes, you're not trying hard enough. (Jasper Fforde)

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  • Ich will das Buch auch schon länger mal lesen - ich habe mal angefangen, aber dann wieder abgebrochen ....
    Eigentlich schade , die Rezi und Meinungen zeigen - es lohnt sich - also wieder rauf in die Wunschliste !


    D a n k e !


    :wave

  • Hui, hier wurde ich mal wieder von der SZ überrascht. Wurde ja auch Zeit, nach den letzten wirklich langweiligen Leseerfahrungen, endlich wieder ein Bonbon.
    Nooteboom war eine Entdeckung und Offenbarung.
    Selten so gute Beobachtungsgabe mit so gute Stil gepaart gesehen.
    Ich bin schon jetzt sicher, daß das nicht mein letzter Nooteboom war.
    Unheimlich gefühlvoll und trotzdem auf den Punkt genau und interessant.
    Herrlich....

  • Ich habe das Buch eben zu Ende gelesen. Anfangs hat es mir gar nicht so recht gefallen, weil ich Bücher nicht leiden kann, in denen ewig nichts passiert, sich nicht einmal ein Handlungsstrang herauskristallisiert. Aber nach etwa 100 Seiten entsteht eine eigenartige Sogwirkung, die bewirkt, dass man nicht mehr zu lesen aufhören will.
    Viele Gedanken sind dabei, die mir gut gefallen haben, so etwa das Fotografieren von Füßen in U-Bahnstationen oder Fußspuren am Sandstrand, dazu die Überlegungen, wo diese Menschen jetzt sind, wo ihre Wege sie hingeführt haben, das Vergehen und Verwehen aller unserer Schritte und Bemühungen im Leben.
    Oder die Überlegung inwiefern man das Leben historischer Personen nachvollziehen kann. Mir hat seine Aussage gut gefallen, dass das prinzipiell niemand kann, der nicht zu einer bestimmten Zeit bestimmte Situationen miterlebt hat. Alle historischen Romane erschaffen demnach nur eine Scheinwirklichkeit und sind reine Fiktion des Autors.
    Die Liebesgeschichte ist mir eher unrealistisch vorgekommen, weil Frauen so im allgemeinen nicht reagieren, aber vielleicht spielen Eliks schlimme Erfahrungen dabei eine Rolle. Auch Arthurs Freunde fand ich ganz sympathisch.
    Und das offene Ende fand ich auch ganz gut.


    Insgesamt also eine recht gute Lektüre, die mich zu eher ungewöhnlichen und interessanten Überlegungen geführt hat, wenn man eine gewisse Ausdauer hat.