Arnaldur Indriðason: Der Reisende

  • Arnaldur Indriðason: Der Reisende

    Verlag: Bastei Lübbe 2018. 432 Seiten
    Sprache: Deutsch

    ISBN-10: 3785725973

    ISBN-13: 978-3785725979. 22,90€

    Originaltitel: þýska húsið

    Übersetzerin: Anika Wolff

    Verlagstext

    Ein Handelsreisender wird in einer Wohnung in der Innenstadt ermordet aufgefunden. Der gezielte Schuss in den Kopf, der ihn getötet hat, erinnert an eine Hinrichtung. Der Verdacht der Polizei fällt sofort auf die ausländischen Soldaten, die während der Kriegsjahre die Straßen Reykjavíks bevölkern. Thorson, kanadischer Soldat mit isländischen Wurzeln, und Flóvent von der Reykjavíker Polizei nehmen die Ermittlungen auf. Steht der Mord mit Spionagetätigkeiten auf Island in Verbindung?

    Der Autor

    Arnaldur Indriðason, Jahrgang 1961, war Journalist und Filmkritiker bei Islands größter Tageszeitung. Heute ist er der erfolgreichste Krimiautor Islands. Alle seine Romane stehen nach ihrem Erscheinen auf Platz 1 der isländischen Bestsellerliste. Sie werden in 40 Sprachen übersetzt und sind mit renommierten Krimipreisen ausgezeichnet worden. Arnaldur Indriðason lebt mit seiner Familie in der Nähe von Reykjavík.


    Die Reihe (Flóvent-und-Thorson) (Quelle goodreads.com)

    1. Schattenwege

    2. Der Reisende (spielt zeitlich vor Band 1 und ist später erschienen)

    3. Graue Nächte

    Inhalt

    In Reykjavik wird ein Mann erschossen aufgefunden, den die Polizei zunächst für den Mieter der Wohnung hält, den Handelsreisenden Felix Lunden. Als Tatwaffe wird ein amerikanischer Colt ermittelt, der zum US-Militär zu führen scheint; denn Island ist seit Sommer 1941 von der US-Army besetzt. Beide Vermutungen erweisen sich bald als falsch. Die Ermittlungen führt der einheimische Polizist Flóvent durch, dem als Verbindungsmann zur US-Militärpolizei der Kanadier Thorson zugeteilt wird. Thorsons Eltern stammen aus Island, er ist bereits in Kanada aufgewachsen. Beide Männer nehmen als ziemliche Greenhorns in Polizeiangelegenheiten ungewöhnliche Rollen ein. Polizeiliche Ermittlungsmethoden scheinen damals in Island noch in den Kinderschuhen zu stecken und Kapitalverbrechen höchst selten vorgekommen zu sein. Flóvent ist als einziger Ermittler in der Hauptstadt zurückgeblieben, seit seinen Kollegen kriegswichtigere Aufgaben zugeteilt wurden. Thorson bekommt von seinem Vorgesetzten bei der Militärpolizei Druck, den nach Ansicht der US-Behörden unfähigen Einheimischen den Fall möglichst bald aus der Hand zu nehmen.


    Für die Tat in einem im Krieg besetzten Land sammelt das Ermittlerduo einen ganzen Strauß an möglichen Motiven. Auch wenn der Tote nicht Felix Lunden ist, gibt es Hinweise, dass der wirkliche Felix in der Rolle eines Handelsvertreters für Deutschland spioniert haben könnte und das aufgefundene Opfer deshalb sterben musste. Weitere Fäden führen zu Felix Vater, der schon vor dem Krieg zur nationalsozialistischen Rassentheorie geforscht hat, und zu Vera, der kurzzeitigen Lebensgefährtin des Toten, die im Camp Knox offiziell eine Wäscherei für die US-Soldaten betreibt. Das Baracken-Camp Knox befand sich im Zweiten Weltkrieg dort, wo heute die Blaue Lagune dampft.


    Fazit

    „Der Reisende“ erscheint als erster Band (um Flóvent) zu „Schattenwege“, das zwar früher veröffentlicht wurde, zeitlich jedoch Jahre später spielt. Da die amerikanische Besatzung in Island bis heute noch zitiert wird, fand ich das Szenario des Krimis vielversprechend, der aufzeigt, wie stark sich das Land im Krieg veränderte, das bis dahin von Fischerei und Landwirtschaft geprägt war. Die Figuren der beiden jungen Ermittler wirken völlig glaubwürdig, die in ungewöhnlichen Zeiten selbstständig ermitteln, ohne dass Vorgesetzte ihnen genaue Weisungen geben. In Friedenszeiten wären beide vermutlich reine Befehlsempfänger gewesen und evtl. Ermittlungserfolge hätten ihre Vorgesetzten sich ans Revers geheftet. Auch wenn mit den rassentheoretischen Untersuchungen von Lunden senior, den sozialen Bedingungen im Land und der Prostitution im Umfeld einer Armee reichlich viele Problemfelder in diesem Band untergebracht werden, hat mir die unkonventionelle Arbeitsweise des Ermittler-Duos gefallen, ebenso ihre Ernsthaftigkeit und Höflichkeit den befragten Zeugen gegenüber. Auf manche Leser wird der Plot überladen wirken, als sozialkritisches Zeitzeugnis fand ich den Kriminalfall mit seinen handelnden Figuren sehr ansprechend.


    8 von 10 Punkten

  • Kurzbeschreibung (Quelle: Verlagsseite)


    Ein Handelsreisender wird in einer Wohnung in der Innenstadt ermordet aufgefunden. Der gezielte Schuss in den Kopf, der ihn getötet hat, erinnert an eine Hinrichtung. Der Verdacht der Polizei fällt sofort auf die ausländischen Soldaten, die während der Kriegsjahre die Straßen Reykjavíks bevölkern. Thorson, kanadischer Soldat mit isländischen Wurzeln, und Flóvent von der Reykjavíker Polizei nehmen die Ermittlungen auf. Steht der Mord mit Spionagetätigkeiten auf Island in Verbindung?



    Autor (Quelle: Verlagsseite)


    Arnaldur Indriðason, 1961 geboren, graduierte 1996 in Geschichte an der University of Iceland und war Journalist sowie Filmkritiker bei Islands größter Tageszeitung Morgunbladid.


    Heute lebt er als freier Autor mit seiner Familie in Reykjavik und veröffentlicht mit sensationellem Erfolg seine Romane. Arnaldur Indriðasons Vater war ebenfalls Schriftsteller.


    1995 begann er mit Erlendurs erstem Fall, weil er herausfinden wollte, ob er überhaupt ein Buch schreiben könnte. Seine Krimis belegen allesamt seit Jahren die oberen Ränge der Bestsellerlisten. Seine Kriminalromane "Nordermoor" und "Todeshauch" wurden mit dem "Nordic Crime Novel’s Award" ausgezeichnet, darüber hinaus erhielt der meistverkaufte isländische Autor für "Todeshauch" 2005 den begehrten "Golden Dagger Award" sowie für "Engelsstimme" den "Martin-Beck-Award", für den besten ausländischen Kriminalroman in Schweden.


    Arnaldur Indriðason ist heute der erfolgreichste Krimiautor Islands. Seine Romane werden in einer Vielzahl von Sprachen übersetzt. Mit ihm hat Island somit einen prominenten Platz auf der europäischen Krimilandkarte eingenommen.



    Allgemeines


    Erster Band der Reihe um die Kommissare Flóvent und Thorson


    Titel der Originalausgabe: „þýska húsið“, ins Deutsche übersetzt von Anika Wolff


    Erscheinungstermin: 26. Januar 2018 bei Bastei Lübbe als HC mit 432 Seiten


    Gliederung: 54 Kapitel


    Erzählung in der dritten Person, abwechselnd aus den Perspektiven von Flóvent und Thorson


    Handlungsort und -zeit: Reykjavík, 1941



    Zum Inhalt


    Der Handelsreisende Eyvindur wird tot in der Wohnung seines ehemaligen Schulfreundes und jetzigen Kollegen Felix aufgefunden, er wurde gezielt mit einem Kopfschuss hingerichtet. Da die Kugel aus einer amerikanischen Waffe stammt, vermutet die Polizei zunächst, dass amerikanische Soldaten, die sich ebenso wie ihre britischen Kollegen als Besatzer in Island aufhalten, für die Tat verantwortlich sind. Am Tatort finden sich Hinweise, die die Annahme rechtfertigen, der Tote könnte für Deutschland spioniert haben, dies hätte er als berufsmäßig „Reisender“ unauffällig tun können.


    Allerdings tut sich auch ein anderer Ermittlungsansatz auf. Kurz vor seinem Tod wurde Eyvindur von seiner leichtlebigen und kaltschnäuzigen Lebensgefährtin Vera für einen britischen Soldaten verlassen. Das wollte er nicht ohne Weiteres akzeptieren, es könnte sich also auch um einen Mord aus Eifersucht oder zur Beseitigung eines „abservierten“ Ex-Partners handeln…


    Die Kommissare Flóvent und Thorson teilen sich die Ermittlungsaufgaben: Flóvent geht der Spionagespur nach und stößt dabei auf Machenschaften der Nazis, die ein weiteres Tatmotiv plausibel machen, Thorson geht der konfliktträchtigen Liebesbeziehung des Toten mit der leichtlebigen Vera nach.



    Beurteilung


    „Der Reisende“ ist ein ruhig erzählter Krimi, wie man ihn von Arnaldur Indriðason kennt, von mäßiger Spannung und wenig Blutvergießen geprägt, dafür aber intelligent konstruiert und im Verlauf nicht zu früh vorhersehbar. Es ergeben sich mehrere sehr unterschiedliche Theorien in Bezug auf das Tatmotiv, dabei werden nicht nur die privaten Beziehungen des Ermordeten zu einer sehr berechnenden Frau und Spionagetätigkeiten während des Zweiten Weltkriegs thematisiert, sondern auch interessante Einblicke in das unheilvolle Wirken der Nazis gegeben, die in Island quasi „den Ursprung des Arischen“ und das Erbe der Wikinger verorteten und dort bereits vor Kriegsausbruch inoffiziell gewisse Untersuchungen an Schülern vornahmen. Einige der Hauptfiguren im aktuellen Mordfall waren vor Jahren in diese Geschehnisse verwickelt.


    Die Ermittlungen werden auf ebenso traditionelle wie unspektakuläre Weise durch Verhöre geführt, wobei der Szenenwechsel zwischen den Aktivitäten Flóvents und Thorsons mit kleinen Cliffhangern dafür sorgt, dass der Leser das Buch schwer aus der Hand legen kann.


    Der anschauliche Erzählstil vermittelt einen guten Einblick in die Lage in Reykjavík während des Zweiten Weltkriegs, als sich dort sowohl britische als auch amerikanische Soldaten aufhielten. Da sich die meisten (deutschen) Leser mit der Geschichte Islands nicht so gut auskennen dürften, hätte ein Nachwort des Autors hier eine Bereicherung dargestellt.



    Fazit


    Ein ruhig erzählter, inhaltlich anspruchsvoller Kriminalroman, der interessante Einblicke in die jüngere isländische Geschichte vermittelt – lesenswert!

    8 Punkte

  • Schauplatz Reykjavik im Jahr 1941


    In der Wohnung von Felix Lunden wird ein Toter gefunden, der aus kurzer Entfernung erschossen wurde. Das Ganze gleicht einer Hinrichtung und bei der Waffe handelt es sich um ein Modell, das von den amerikanischen Soldaten verwendet wird. Eine Geldbörse fehlt und auf der Stirn des Toten kann man ein Hakenkreuz erkennen, das mit seinem Blut gemalt wurde. Olafia wollte die Miete kassieren und hat stattdessen einen Toten entdeckt. In der Pathologie kann Olafia den Toten nicht identifizieren, denn es handelt sich nicht um den Mieter Felix Lunden. Flóvent muß zuerst herausfinden, um wen es sich handelt. Thorson, ein Kanadier, wird ihm von der Militärpolizei als Übersetzer zur Verfügung gestellt. In die Reisetasche eingenäht finden die Beiden zuerst eine Blausäurekapsel. Deshalb fragen sie sich sofort, ob Lunden eventuell Spion des Deutschen Reichs war. Anschließend finden sie heraus, daß es sich bei dem Toten um Eyvindur handelt, einen früheren Schulkameraden von Felix Lunden Beide haben als Handlungsreisende ihren Lebensunterhalt verdient hat. Eyvindur wurde gerade von seiner Freundin verlassen, die nun mit einem britischen Soldaten liiert ist und eine Wäscherei für die Soldaten betreibt. Mehr Details zur Handlung möchte ich nicht verraten, nur soviel - es wird in verschiedene Richtungen ermittelt.


    Von dem Autor hatte ich bereits begeistert die Erlendur-Serie gelesen und bin deshalb gleich neugierig geworden auf seine neuen Ermittler in einer ganz besonderen Zeit. Für mich besonders interessant, denn über Island während des 2. Weltkriegs hatte ich noch nichts gelesen. Indridason hat seinen alt bewährten Schreibstil beibehalten – ruhig, realistisch und interessant. Das neue Gespann Flóvent und Thorson sind abseits des derzeitigen Mainstreams. Sie sind solide, ermitteln ruhig, überlegt, ohne viel Action und Blutvergießen. Ihre Arbeitsweise wird sehr anschaulich und authentisch geschildert. Allerdings erfahren wir in diesem Band noch sehr wenig über ihre Persönlichkeit. M. E. steckt in ihnen noch viel Potential und ich gehe davon aus, daß der Autor die beiden gemeinsam Erfahrung sammeln lässt und wir sie bestimmt noch in etlichen Bänden weiter verfolgen können. Dieser Krimi liest sich flüssig, spannend und komplex. Der Fall an sich ist facettenreich, denn es geht um Spionage, Führereigenschaften, Macht, Nationalsozialismus, medizinische Studien, Erpressung, aber auch um Anerkennung und am Ende führt Indridason alle Stränge schlüssig zusammen.


    Für mich ein gelungener Auftakt einer neuen Reihe!