'Wölfe' - Teil 6

  • Ich bin ja schon ein paar Tage mit dem dem Hörbuch fertig. Ich fand es so spannend, dass ich unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht. Ich stecke schon mitten im Nachfolgeband "Falken".

    Ich habe mich beim Lesen des Buches, das im Orignal ja "Wolf Hall" heißt, gefragt, warum Hilary Mantel ausgerechnet diesen Titel gewählt hat. Wolf Hall ist der Stammsitz der Familie Seymour, die ja erst am Ende des Buches auftaucht und erst danach eine Hauptrolle am königlichen Hof spielen wird.
    Vielleicht weil sich hier der Kreis des erzählten Abschnittes in der Geschichte rund um Thomas Cromwell schließt oder weil der Besuch in eben diesem Stammsitz den Untergang der Boleyns einleitet?

    Im ersten Abschnitt wurde ja gefragt, ob Anne Boleyn wirklich so eine berechnende Person war, wie sie hier und vor allem aber auch in den anderen Büchern, die ich gelesen habe, dargestellt wird.
    Ich hatte noch nichts dazu geschrieben, habe mir die Frage aber auch oft gestellt.
    Ich habe ein recht ambivalentes Verhältnis zu dieser Figur, was aber definitiv von dem geprägt ist, was ich über sie gelesen habe, bzw. wie sie in der Literatur dargestellt wird.
    Der erste Impuls ist also, sie genauso hochnäsig, berechnend, eingebildet und rücksichtslos zu finden. Allerdings frage ich mich auch, ob man bei ihr nicht berücksichtigen muss, dass sie eine sehr intelligente Frau war, die versucht hat, sich in dieser Männerwelt zu behaupten. Es wird von allen Seiten, genau von diesen Männern, versucht, sie zu benutzen, um größtmöglichen Einfluss auf den König zu erlangen. Dabei war sie ja nicht dumm und ungebildet. Sie hat ja die religiösen Schriften der Reformer in England auf dem Kontinent selbst gelesen und mit dem König diskutiert. Sie hat maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung der "neuen Kirche" in England gehabt. Was muss das für ein Gefühl gewesen sein, wenn der eigene Wert trotzdem nur nach der Geburt eines Thronfolgers bemessen wird? Abgesehen davon wurde ihre Geschichte, ihr Höhenflug und ihr Fall, eben auch von diesen Männern geschrieben. Vielleicht tut man ihr Unrecht.
    Was für ein Triumphgefühl es für sie wohl gewesen wäre, wenn sie erlebt hätte, was ausgerechnet aus ihrer Tochter geworden ist.

    Mir hat "Wölfe" jedenfalls herausragend gut gefallen. Ich habe schon lange keinen Historischen Roman gelesen, der so ganz anders ist und aus dem Einheitsbrei heraus sticht. Ich finde die gewählte Perspektive und wie Mantel Cromwell erzählen lässt, einfach großartig. Sie hat mir jedenfalls eine andere Perspektive auf diese Zeit gewährt.

  • Die Seymours und damit Wolf Hall tauchen immer mal wieder im Buch auf - auch lange bevor Jane beginnt, eine Hauptrolle zu spielen.

    Es geht da immer wieder um den Inzest Skandal zwischen der Frau ihres Bruders (meine ich) und ihrem Vater. Das wird immer mal wieder thematisiert, von den unterschiedlichsten Fraktionen.


    Das ist auch ein wichtiger Aspekt Saiya - die Geschichte Anne Boleyns ist immer von Männern geschrieben worden - und keiner von ihnen hatte ein Interesse daran, sie gut aussehen zu lassen. Und wieso sollten auch ausgerechnet Frauen in so einer Welt die Guten sein?

    Tatsächlich waren sie - gerade in solch einer Position - eher schön dekorierte Brutkästen. Allein die vielen Fehl-und Totgeburten, die die Frauen immerzu hatten. Und wie viele endlich geborene Kinder starben früh.

  • Die Seymours und damit Wolf Hall tauchen immer mal wieder im Buch auf - auch lange bevor Jane beginnt, eine Hauptrolle zu spielen.

    Es geht da immer wieder um den Inzest Skandal zwischen der Frau ihres Bruders (meine ich) und ihrem Vater. Das wird immer mal wieder thematisiert, von den unterschiedlichsten Fraktionen.

    Das stimmt, ich habe mich falsch ausgedrückt. Ich meine tatsächlich den Ort "Wolf Hall" selbst, den der König und Cromwell ja selbst erst gegen Ende des Buches "erreichen".

  • Ich fand den Titel verwirrend und habe ihn eher darauf gemünzt, dass sich Menschen wie Wölfe verhalten, das hätte ich passend gefunden, so wie sich hier so mancher gibt. Wolf Hall ist mir auch nicht so sehr bewusst als Handlungsort.


    So, ich bin durch. Die letzten drei Teile haben es echt rausgerissen, ansonsten hätte ich mal wieder nur den Kopf geschüttelt und mir gesagt, dass preisgekrönte Bücher nicht meinem Lesegeschmack entsprechen.


    Ein wirklich spannender historischer Roman um Henry, Anne Boleyn, Thomas Cromwell und zahlreichen Nebenfiguren, aber eben anders vom Erzählstil als andere.

  • Ich fand den Titel verwirrend und habe ihn eher darauf gemünzt, dass sich Menschen wie Wölfe verhalten, das hätte ich passend gefunden, so wie sich hier so mancher gibt. Wolf Hall ist mir auch nicht so sehr bewusst als Handlungsort.

    Der Originaltitel ist allerdings Wolf Hall. Von daher wird sie es schon gemeint haben, dass darauf alles hinausläuft. Das war ja zwischendurch immer mal erahnbar, wie sein Verhalten zu Jane war.


    Für mich waren es eigentlich nur die ersten beiden Teile, die ich sehr schwierig fand. Teil 5 hat aber sicherlich viel zusammengeführt, aber der Teil 6 war für mich dann doch der Höhepunkt, auch auf die Zeit und die Religion bezogen. Gut fand ich, das die Hinrichtung und auch der Prozess von Moore kaum geschildert worden ist, dafür aber der Weg dorthin.

  • Ich könnte mir auch vorstellen, dass man als Autorin eines solchen Romans gar nicht widerstehen kann, wenn im Umfeld der Geschichte ein solcher Name auftaucht und auch noch sinnvoll eingebaut werden kann.

    Hier passt dieser Ortsname einfach zu gut.

    Ein solches Spiel mit Sprache und Auslegung würde gut zu Hilary Mantel passen, könnte ich mir inzwischen gut vorstellen.


    Über Anne Boleyn habe ich hier auch viel nachgedacht, deutlich mehr als in den anderen Romanen, die ich bisher über diese Zeit gelesen habe. Dem, was Saiya und Rumpelstilzchen geschrieben haben, stimme ich rundum zu.

    Sie ist klug, intelligent und belesen. Nicht unbedingt die besten Voraussetzungen um in dieser Zeit glücklich zu werden, vor allem, wenn ein brennender Ehrgeiz dazu kommt.

    Ja, sie wirkt hart und berechnend, nachtragend und oft boshaft, aber sie hat mir zunehmend leid getan in ihrem verzweifelten Bemühen irgendwie die Kontrolle über ihr Leben zu behalten - vielleicht auch weil man ja weiß, wie es für sie ausgehen wird. Und ihre Härte macht sie auch unglaublich einsam. Gab es denn überhaupt jemanden, den sie geliebt oder dem sie vertraut hat?


    Was für ein Triumphgefühl es für sie wohl gewesen wäre, wenn sie erlebt hätte, was ausgerechnet aus ihrer Tochter geworden ist.

    Ich könnte mir vorstellen, das hätte sie mit vielem versöhnt :).


    Gegen Ende des Abschnitts rückt sie ein bisschen in den Hintergrund, Thomas More und sein Untergang dominieren das Geschehen. Konsequent ist er, aber nötigt mir das Bewunderung ab - ?


    In diesem Abschnitt finden auch die "Wiedertäufer" in der Stadt Münster Erwähnung. Für mich war das interessant, weil ich vor wenigen Monaten in Münster gewesen bin und die "Wiedertäufer" wichtiges Thema der Stadtführungen sind. Die Käfige, in denen man die Leichen ihrer Anführer zur Schau gestellt hat, hängen heute noch am Lambertikirchturm.


    Ich bin froh, das Buch gelesen zu habe, es war ein wirklich interessanter, so ganz anderer Blick auf die Geschehnisse. Aber ich muss auch sagen, dass mir die Erzählweise und die teilweise extrem detaillierten Schilderungen einiges an Durchhaltevermögen abverlangt haben.

    Vielleicht lese ich auch Falken, aber ganz sicher nicht gleich ;).

  • Ich bin inzwischen auch durch - wie immer, wenn man in einer Leserunde so hinterherhängt, ist das meiste schon gesagt.


    Ich bin mir allerdings nicht so sicher, ob die Tatsache, dass Anne Boleyns Geschichte von Männern geschrieben ist, das schlechte Bild von ihr begründet. In allen Büchern (Romane und auch Sachbücher), die ich über die Zeit gelesen habe, wurde deutlich, dass sie in ihrer Zeit besonders bei den englischen Frauen unbeliebt war. Was ja auch verständlich ist, immerhin stellt die Tatsache, dass sie es geschafft hat, in eine bestehende Ehe einzudringen und so einen Präzedenzfall für die Abschiebung alter, ungeliebter Ehefrauen geschaffen hat. Dazu kommt, dass Katherine beim Volk wohl sehr beliebt war - damit war klar, dass Anne nur eine Hexe oder Hure (oder auch beides) sein konnte.


    Die Darstellung von Thomas More fand ich wirklich interessant. So negativ habe ich ihn noch nie dargestellt gefunden. Normalerweise ist es ja genau anders - er ist der Gute und Cromwell das Monster. Dabei geht es mir hier gar nicht so sehr um die öffentliche Person und ihre Taten, sondern die Art, wie More seine Familie behandelt (im Vergleich zu Cromwells Art, seinen Haushalt zu führen). Selbst seine Lieblingstochter instrumentalisiert er ja für seine eigenen Zwecke. Und über sein Verhalten seiner Frau gegenüber muss man gar nichts sagen - unterirdisch. Diese Abweichung von der üblichen Rollenverteilung hat das Buch für mich besonders interessant gemacht.


    Gerade die Wahl von Cromwell als Perspektivfigur erlaubt natürlich auch, viel mehr über die politischen und wirtschaftlichen Hintergründe zu erzählen. Hochinteressant.

  • Ich bin inzwischen auch durch - wie immer, wenn man in einer Leserunde so hinterherhängt, ist das meiste schon gesagt.

    Das ist das Schicksal der Nachzügler :lache



    Ich bin mir allerdings nicht so sicher, ob die Tatsache, dass Anne Boleyns Geschichte von Männern geschrieben ist, das schlechte Bild von ihr begründet. In allen Büchern (Romane und auch Sachbücher), die ich über die Zeit gelesen habe, wurde deutlich, dass sie in ihrer Zeit besonders bei den englischen Frauen unbeliebt war. Was ja auch verständlich ist, immerhin stellt die Tatsache, dass sie es geschafft hat, in eine bestehende Ehe einzudringen und so einen Präzedenzfall für die Abschiebung alter, ungeliebter Ehefrauen geschaffen hat. Dazu kommt, dass Katherine beim Volk wohl sehr beliebt war - damit war klar, dass Anne nur eine Hexe oder Hure (oder auch beides) sein konnte.

    Das sehe ichb auch so und ich kann es den englischen Frauen auch nicht verdenken, dass sie Anne so gesehen haben, die Frauen wären bei einer Scheidung ja in jedem Fall die absoluten Verlierer gewesen.

  • Anne Boylen war auf jeden Fall nicht dumm und ehrgeizig genug, auch was erreichen zu wollen. Den meisten Männern dürfte es nicht gefallen haben, dass sie sich dem damaligen gesellschaftlichen Ideal der Frau - demütig, leise und zurückhaltend - nicht gebeugt hat. Sie wird als Frau beschrieben, die vieles Persönlich nimmt und rachsüchtig ist, und ich frage mich unwillkürlich, wie ihre Zeitgenossen und die Geschichte über ihr Handeln geurteilt hätte, wäre sie ein Mann gewesen. Als zielstrebig?


    Sehr deutlich ist auch geworden, wie wenig ein Menschenleben offenbar zu jener Zeit wert war. Das arme Mädchen, das sich mit seinen falschen Prophezeihungen einen Strick gedreht hat - es hat öffentlich zugegeben, betrogen zu haben, und wird trotzdem hingerichtet. Und muss dann auch noch selbst den Henker bezahlen. Zynische Zeiten waren das.


    Insgesamt hat mir das Buch sehr gut gefallen, obwohl ich wirklich Ewigkeiten dran gelesen hab. Zwischendurch gab‘s immer mal wieder etwas anderes, das musste sein :lache Ich hätte gern noch gelesen, wie Mantel den Untergang Boylens beschreibt, aber der ist schon im nächsten Band, schade.