Cat Warren: Der Geruch des Todes. Einsätze eines Leichenspürhundes, OT: What the Dog knows – Scent, Science, and the Amazing Ways Dogs Perceive the World, aus dem Englischen von Chrissi Schranz, Nerdlen 2017, Kynos Verlag, ISBN 978-3-95464-149-9, Hardcover mit Lesebändchen, 339 Seiten mit zahlreichen s/w-Abbildungen, Format: 16,4 x 2,7 x 23,3 cm, Buch: EUR 24,95, Kindle Edition: EUR 19,99.
„Die ‚Liebe zum Verfaulten’ liegt den Hunden im Blut. Warum sollten wir diese Liebe nicht hernehmen und ihr eine sozial nützlichere Richtung geben, als sich in toten Eichhörnchen zu wälzen?“ (Seite 40)
Wenn ein Sachbuch ein klares Konzept hat, so ist dieses einfach zu kommunizieren und der Leser weiß, was ihn erwartet: „Eulen Europas“, „Naturwunder der Welt“, „Alles, was Katzenhalter wissen müssen“. Passt die Vielfalt der behandelten Themen nicht so richtig unter ein Dach, weckt oft schon der Buchtitel falsche Erwartungen.
WHAT THE DOG KNOWS – SCENT, SCIENCE, AND THE AMAZING WAYS DOGS PERCEIVE THE WORLD lautet der Originaltitel des vorliegenden Bandes – und viele englischsprachige Leser dachten, es gehe hier darum, wie (Spür-)Hunde die Welt wahrnehmen und wie es sein kann, dass sie so überaus zuverlässig Fährten, Drogen, Krankheiten, Sprengstoff und sogar Bargeld erschnüffeln können. Der deutsche Titel DER GERUCH DES TODES. EINSÄTZE EINES LEICHENSPÜRHUNDES klingt dagegen so, als würde man als Leser einen solchen Hund bei seiner Arbeit begleiten und dabei sein, wenn wahre Kriminalfälle gelöst werden.
Das stimmt alles ... irgendwie. Diese Aspekte findet man an verschiedenen Stellen im Buch. Aber eigentlich geht’s um etwas anderes: Eine Professorin wählt die Leichenspürhund-Ausbildung, um ihren temperamentvollen Schäferhundwelpen auszulasten. Sie erzählt von ihren Erlebnissen und Erfahrungen und trägt außerdem eine unglaubliche Fülle von Informationen zum Thema „(Leichen-)Spürhunde“ zusammen.
Der wuselige Welpe braucht eine Aufgabe
Die Story: Mit Deutschen Schäferhunden hat Cat Warren Erfahrung. Nach dem Tod ihres Rüden Bev ist klar, dass wieder ein Welpe dieser Rasse ins Haus kommt. Als sie bei einer Züchterin den kleinen Solo sieht, ist sie spontan verliebt. Dass Solo ein Einzelkind ist, dem keine Wurfgeschwister Grenzen setzen, erscheint ihr nicht so dramatisch. Ist es aber. Solos Mutter hat kein großes Interesse an ihm, und so wird er von seiner gutmütigen Großtante aufgezogen. Die Hundedame sieht ihm ein bisschen zu viel nach, und das Ergebnis dieser Erziehung ist bei Hunden so ähnlich wie bei Menschen: ein verwöhnter kleiner Prinz, der nicht zu bändigen ist.
Nach zwei Monaten mit dem Welpen sind Cat und ihr Mann David Auerbach mit den Nerven fertig. Hundetrainerin Nancy Hook nennt Solo ganz unverblümt „das kleine A***l*ch“ und erklärt, er brauche eine Aufgabe, die ihn fordert. Nach dem Ausschlussverfahren landen sie schließlich bei der „Stellenbeschreibung“ eines Leichenspürhunds und beginnen sogleich mit Solos Ausbildung.
Fotos: © Kynos Verlag
Woran es liegt, dass Hunde die meisten Gerüche so viel besser wahrnehmen können als wir, weiß man noch nicht so genau. Die Autorin zerpflückt mit Wonne eine Reihe populärer Mythen, die sich um den Geruchssinn der Hunde ranken. Sie befasst sich auch mit verschiedenen Forschungsergebnissen. Weder mechanische noch elektronische „Nasen“ noch andere Tierarten reichen an die Fähigkeiten eines gut ausgebildeten Spürhundes heran. Schweine werden zu groß und zu schwer für den Job, Katzen haben kein Interesse an einer fremdbestimmten Tätigkeit und Truthahngeier sind Aasfresser und nur schwer davon abzuhalten, das, was sie gefunden haben, gleich zu verspeisen. Natürlich erforscht die Wissenschaft auch den Geruchssinn der Menschen. Das Experiment, das Forscher in Berkeley mit Studierenden und einer Schokoladenspur durchgeführt haben, ist der Brüller! (Seite 47)
Solo wird Leichenspürhund
Cat und Solo trainieren unter der Leitung verschiedener Expertinnen und Experten. Beide erweisen sich als recht talentiert, erleben aber auch Rückschläge. Die Beschreibungen der Trainingssituationen sind nicht besonders appetitlich, aber sehr interessant. Welche charakterlichen Eigenschaften so ein Spürhund mitbringen muss, wie die Beziehung zwischen Hundeführer und Hund beschaffen sein sollte, wie anstrengend und gefährlich die Arbeit für den Hund ist und wie leicht man als Mensch den Fehler macht, sein Tier unbewusst zu beeinflussen, ist für den Laien erstaunlich.
Solo legt die Leichenspürhundprüfung ab, und Cat und er sind fortan als freiwillige Helfer für die Polizei im Einsatz. Da die Suche nach Wasserleichen eigenen Gesetzmäßigkeiten gehorcht, gibt’s noch eine Zusatzausbildung obendrauf.
Für Solo ist die Suche nach toten Menschen ein Spiel, für seine Hundeführerin ist es eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung und manchmal auch eine Belastung. Finden sie einen Toten, ist das Drama perfekt und die Angehörigen sind um eine Hoffnung ärmer. Finden sie nichts, zweifelt Cat an ihren Fähigkeiten, hinterfragt ihre Vorgehensweise und bekommt den Gedanken an den Vermisstenfall kaum aus dem Kopf. Doch Solo tut die Beschäftigung gut, Cat ist froh, dass sie Menschen helfen kann, und so bleiben sie über viele Jahre dabei und haben eine Menge zu erzählen.
Foto: © Kynos Verlag
Erlebnisbericht und viele, viele Fakten
Das ist der Erlebnis- bzw. Memoir-Teil des Buchs. In diese Geschichte eingewoben ist der wissenschaftlich-informative Part. Cat Warren beschäftigt sich intensiv mit der Historie und den Fähigkeiten der Spürhunde und mit verschiedenen Arbeits- und Trainingsmethoden. Sie liest, recherchiert und befragt Expertinnen und Experten aller Art. Sie spricht mit Forschern, Wissenschaftlern, Hundeführern, Hundetrainern und Polizisten. Und sie präsentiert uns ihre Erkenntnisse über Geschichte, Biologie, Chemie, Psychologie, zivile und militärische Einsatzmöglichkeiten der Hunde, Hundetraining, Forschungsprojekte und –resultate. Es geht um Hunde, Menschen, Täterverhalten, Opfer, Angehörige, Polizisten, Soldaten, Trainerpersönlichkeiten ... und hier wird’s dann ein bisschen unübersichtlich.
Das Buch ist toll geschrieben – die Autorin ist Professorin für Journalistik und Literaturwissenschaft – und auch adäquat übersetzt. Es enthält eine Wahnsinnsfülle an penibel recherchierten Fakten, ist informativ und emotional, sachlich und persönlich, konfrontiert uns erwartungsgemäß mit ekligen Details und besticht durch feinen Humor. Und doch frage ich mich, ob’s nicht sinnvoll gewesen wäre, aus dieser Stofffülle zwei Bücher zu machen. Für ein Sachbuch ist es – nicht nur aus meiner Sicht – zu sehr Memoir – und für die Erlebnisse einer Professorin, die zusammen mit ihrem Hund in ihrer Freizeit der Polizei bei der Aufklärung von Vermisstenfällen hilft, enthält es zu viele Informationen, die in dem Zusammenhang nicht zwingend von Interesse sind. Wenn ich unbedingt wissen will, ob, wie und wo sie die unter mysteriösen Umständen verschwundene Flugbegleiterin finden, jucken mich historische Betrachtungen über den amerikanischen Bürgerkrieg wenig.
Stoff für zwei eigenständige Bücher
Die wissenschaftlichen Ausführungen könnten für die LeserInnen, die hauptsächlich an den Abenteuern der Professorin, ihrem Hund Solo und den Kriminalfällen interessiert sind, deutlich kürzer ausfallen. Die LeserInnen wiederum, die sich explizit für die historischen Fakten und die Trainingsmethoden interessieren, bemängeln vielfach die Exkurse in Cat Warrens Privatleben. Die faktenorientierten LeserInnen scheinen auch kaum Probleme mit den vielen Personen zu haben, die die Autorin erwähnt, zitiert und interviewt. Allein in ihrer Danksagung zählt sie mehr als 200 Namen auf – die der Institutionen und der Hunde nicht gar nicht mitgerechnet. Die meisten davon kommen auch im Buch vor. Aus dieser Nummer war ich dann irgendwann raus. Wenn mehr als ein Dutzend Leute durch ein Buch wuseln, fühle ich mich überfordert.
Ich hatte beim Lesen das Gefühl, in einer Suppe von Informationen zu schwimmen. Wem es nichts ausmacht, sich das, was ihn interessiert, aus einer Überfülle von Fakten herauszuklauben, findet in diesem Buch eine Menge faszinierender Erkenntnisse. Für mich hatte es nicht die passende Struktur.
Ach ja ... und bei allem Respekt: Das deutsche Cover schaut schon sehr laienhaft aus!
Deutsches Cover: (c) Kynos Verlag
Das hier ist eines der englischsprachigen. Ein Deutscher Schäferhund wäre als Bildmotiv zwar passender gewesen, aber immerhin:
Foto: © Touchstone
Die Autorin
Cat (Catherine A.) Warren ist Professorin an der North Carolina State University, wo sie Wissenschaftsjournalismus lehrt. Mit ihrem Mann und ihren beiden Schäferhunden lebt sie in Durham, North Carolina. Mehr über sie auf www.CatWarren.com
https://www.amazon.de/Geruch-Todes-Einsätze-eines-Leichenspürhundes/dp/3954641496/ref