Kai Beisswenger - Finger im Spiel

  • Titel: Finger im Spiel

    Autor: Kai Beisswenger

    Verlag: p. Machinery Michael Haitel

    Erschienen: Dezember 2017

    Seitenzahl: 128

    ISBN-10: 3957651131

    ISBN-13: 978-3957651136

    Preis: 8.90 EUR


    Das sagt der Klappentext:

    Frank wartet im Gleisbett auf den nächsten Zug, der ihn ins Jenseits befördern soll. Unvermittelt ergreift er sein Handy und erkennt, wie kompliziert das Sterben ist, wenn ihm das Leben ständig ungefragt dazwischenfunkt. Eine mysteriös-fantastische Geschichte über das Schicksal, über Sinn und Unsinn des Lebens – wie es war und ist, wie es hätte sein können, wie es spielt und spielen könnte.


    Meine Meinung:

    Es ist nicht ganz einfach, etwas über diesen Roman zu sagen. Eine Geschichte die durchaus fasziniert, die aber auch zeigt, dass der Autor ohne Frage noch Potential hat. Nach oben geht da noch was.

    Die erzählte Geschichte ist facettenreich und spielt auf verschiedenen Ebenen. Und gerade da hätte man sich als Leser das eine oder andere Mal ein wenig innehalten gewünscht. Der Autor will viel, vielleicht zu viel auf einmal – und so kann man schon ab und an den Eindruck gewinnen, die Geschichte überhole sich selbst. Der Autor startet und will dann schnell an sein Ziel kommen. Manchmal schaden kleine Atempausen einfach nicht.

    Die handelnden Personen wirken glaubwürdig und authentisch und es ist dem Autor wirklich gut gelungen, hier die verschiedenen Stimmungen glaubhaft zu transportieren. Die Geschichte in sich selbst ist stimmig und nimmt den Leser mit auf eine rasante Reise.

    Und schon nach wenigen Sätzen merkt man: Da schreibt einer, der schreiben kann – der aber beileibe sicher noch mehr kann.

    Die Geschichte lässt den Leser nicht unberührt zurück. Menschliche Schicksale, Höhen wie Tiefen, werden hier überzeugend geschildert.

    Lesenswert – wenn auch mit einigen Knicken und leichten Beulen. Trotzdem habe ich beim Lesen nie das Gefühl von Langeweile gehabt. Im Ergebnis durchaus gelungen.

    6 Punkte für einen Roman von einem Autor, der, wenn er sein ganzes Potential abruft, durchaus ganz nach oben kommen kann.

    Beeindruckend das Titelbild von Sonja Graus.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Da ich die Schreibweise des Autors bereits kenne und schätze, habe ich dieses Buch ohne jegliches Vorwissen begonnen zu lesen. (Tatsächlich habe ich den Klappentext erst hinterher gelesen.) Ich wusste von vornherein, ich würde auf meine Kosten kommen und habe recht behalten. Dass die Thematik, ein "Was wäre wenn"-Szenario, dann auch noch genau meinen Geschmack trifft, war ein Glücksfall. In der Tat konnte ich meine Gedanken passagenweise in dem Buch wiederfinden, zu vielem habe ich genickt.


    Der Autor packt geschickt Leben und Schicksale verschiedener Menschen in dieses Buch, schildert Zustände, wie sie jeder kennt bzw. kennen könnte oder das bei anderen schon erlebt hat.


    Erwähnenswert, weil besonders, ist die Erzählstruktur, die mich an Paul Auster erinnert hat. Mehrere Geschichten werden ineinander gestapelt. So erfahren wir Details über einen Autor, der ein Buch geschrieben hat und ebenjenes Buch können wir im Buch ebenfalls lesen. Verschiedene Zeit- und Daseinsebenen fordern die Konzentration des Lesers. Auch deshalb, weil das Buch wie ein Destillat wirkt. Schmal, gemessen an Seiten, aber reichhaltig an Inhalt. Eine Essenz sozusagen. Was mich persönlich sehr freut, denn die Unsitte der Redundanz ist allerorten anzutreffen. Bestimmte Sachverhalte durch ständige Wiederholung für wichtig erklären zu wollen, ist kein Stilmittel, sondern Unvermögen. Jedenfalls in meinen Augen.


    Hier ist es mir ein Genuss, dass der Autor dem Leser auch das Denken zutraut und die Fähigkeit, Sätze schon beim ersten Mal wahrzunehmen und auf das Wiederkäuen verzichtet. Ich habe tatsächlich das Buch mehrmals beiseite gelegt, um das Gelesene sacken zu lassen, darüber zu reflektieren. Es handelt sich um gehaltvolle 130 Seiten, die mir weit mehr vorkamen, weil sie so dicht gewebt sind.


    Sprachlich ist der Roman ebenfalls qualitativ hochwertig gearbeitet.


    Ich freue mich schon auf weitere Bücher von Kai Beisswenger.


    Für einen besonderen Lesegenuss, den ich als erfrischend, anregend für die grauen Zellen und nachhaltig empfunden habe, gebe ich 10 von 10 Eulenpunkten.

  • Eines Tages beschloss Kai Beisswenger, dass es an der Zeit wäre, ein neues Buch zu veröffentlichen. Er spürte wieder dieses Kribbeln in den Fingern und außerdem hatte sich seinem Geiste die eine oder andere in der Öffentlichkeit unbemerkte Lebensweisheit offenbart und das politische Tagesgeschehen konnte auch nicht unkommentiert bleiben. Also flugs ans Werk, irgendwie würde er schon 100 Seiten zusammenbekommen – die magische Grenze ab der man sein Werk „Roman“ nennen durfte.


    Natürlich nahm er sich die Kritiken seiner Leser von Omega I und Omega II zu Herzen. Omega III sollte ein Knaller werden. Bessere Dialoge, mehr Gefühl eine nachvollziehbare, sich langsam entwickelnde Handlung mit klarem Spannungsbogen. Check. Check. Check. Am Ende von Kapitel 1 war er einigermaßen zufrieden, obwohl er zweifelte. Das Ganze mutete ein wenig an wie Cecilia Ahern oder Jojo Moyes.


    Es war also Zeit für etwas mehr Beisswenger. Also gut, wir führen eine Metaebene ein, einen krassen Stilbruch um den Leser nicht zu unterfordern. So eine Betrachtung aus dem Jenseits könnte das bisherige Geschehen vielleicht ein wenig aufpeppen. Außerdem könnte man dann so ein wenig Philosophie und Science Fiction unterbringen und das ganze bekäme einen Mystik-Touch (nur für die Kategorisierung um präsenter zu sein). Plötzlich gefiel ihm der Handlungsstrang nicht mehr. Aber es war zu schade um das erste Kapitel. Na gut, wir haben ja als Autor die Freiheit, die Finger im Spiel quasi. Erfinden wir doch mal schnell ein Paralleluniversum, für die Leute im Jenseits ist das ein Kinderspiel.


    Nachdem Kai sich den Schweiß abgewischt hatte, war es Zeit für das große Finale. Kapitel 3. Jetzt musste wirklich alles rein, was noch gefehlt hatte: Absurde Wendungen, Drama, Tote, ein sich überraschend wandelnder Charakter (der geläuterte Bösewicht ist immer ein Thema), Rückblick nach Jahrzehnten in verschieden konstruierten Ebenen. Das Puzzle war perfekt nur ein dem Autor ebenbürtiges Genie würde alles bis in letzte Detail entschlüsseln können, aber egal. Es gab genügend Zwischenebenen auf die sich der weniger bedarfte Leser zurückziehen konnte. Ooops aber eins fehlte noch, die Tagespolitik. Na ja so ein Kapitel lässt sich auch noch nachliefern, und voila, die 100 Seiten sind geschafft. Und alle Botschaften ans Volk sind untergebracht.


    Eine Lehre aus der bisherigen Omega-Erfahrung war für Kai, dass man das ganze vielleicht auch mal dem einen oder anderen Testleser vorab zum Probieren geben solle und sich – wenn auch schweren Herzens – das Feedback zu Herzen nehmen. Dieses war dann überraschend einhellig. Kapitel I – Wow, Kai bist du das? Kapitel II – Hm, na ja, was soll der Quatsch mit dem Jenseits? – Kapitel III, willkommen in Absurdistan, ja Kai, du bist es.


    Kai Beisswenger war ein wenig enttäuscht über diese Einschätzungen und er fragte sich, warum er das als einziger so anders sah. Trotzdem konsequent: Ab in die Tonne mit dem ganzen Zeug.


    Aber immerhin hatte er noch sein Leon-Ich, welches in solchen Situationen völlig cool blieb und dem zweifelnden Geist erst einmal den gesunden, fitnessgestählten Körper als Vorbild präsentieren würde. Also nix wie ab ins Studio, ein paar Gewichte gestemmt und ein paar Kilometer auf der Rolle runtergestrampelt.


    Plötzlich waren die Gedanken wieder frei. An der Theke lächelte ihn eine gepiercte Lady in Black mit ansehnlichem Hinterteil an. Natürlich verbot er sich als Beeinflusster der Genderbewegung jegliche Anzüglichkeit- außerdem wäre er dafür sowieso nicht der Typ – und außerdem war sie zu jung – und außerdem war er in festen Händen.


    Dann auf dem Heimweg fuhren seine Ideen Karussell und plötzlich ergab alles wieder einen Sinn. Schnell schrieb er seine Stimmung auf und packte sie als Rahmenhandlung rund um den Roman. Aber Mist, plötzlich hatte das ganze nichts mehr mit der Omega-Verschwörung aus dem Paralleluniversum zu tun. Na ja, so ein Titel lässt sich ja ändern. Es war zwar etwas bitter, 20 Seiten rauszustreichen, aber was solls. Immerhin konnte durch diese neue Meta-Ebene eine ganz andere Sinnhaftigkeit transportiert werden. Ich, der Autor, der Gott, der Puppenspieler habe immer die Finger im Spiel. Und nun war auch der neue Titel da. „Omega III“ hatte sowieso eher nach Margarine geklungen.


    Am nächsten Morgen war Kai immer noch begeistert. Aber - oh Schreck – es waren nur noch 90 Seiten. Was tun? Wie wäre es mit einem Prolog, der das Ganze im Rückblick von ein paar Jahren behandelt, Da ihm die sexuelle Komponente inzwischen etwas peinlich war, sollte er das im letzten Kapitel noch etwas abmildern auf seine Alterssituation beziehen und zusätzlich noch ein Statement zur aktuellen Diskussion im Literaturgeschäft und Verlagswesen unterbringen inklusive einer Tagträumerei Richtung Lottogewinn oder so.


    Jetzt waren seine Kritiker entwaffnet, indem er ihre Argumente vorführte. Es reichte, zu zeigen, dass er das alles verstanden und sich auf seine Art zu Herzen genommen hatte. Und gegen diese dritte Metaebene konnte ja nun keiner mehr etwas sagen, oder?