Ines Thorn---Die Spiegeltänzerin

  • Erst einmal allen Eulen, die die Spiegeltänzerin gelesen und sich dazu geäußert haben, ein herzliches Danke schön.


    Mit der Frage der Abtreibung habe ich mich lange beschäftigt. Ich komme ja aus der ehemaligen DDR, und wie ihr vielleicht wisst, war Abtreibung dort kein Thema. Ein großer Teil meiner Freundinnen/Bekanntinnen hat abgetrieben. Vielleicht wurde das Thema dort ein bisschen "großzügiger" gehandhabt, weil der religiöse Bezug nicht gegeben war. Ich muss noch einmal darüber nachdenken. Ich selbst bin mit 20 schwanger geworden. Mein Mann hat noch studiert, ich war mitten in der Ausbildung. Für eine Ostdeutsche war es trotz der äußeren Umstände relativ einfach, zu dieser Zeit ein Kind zu bekommen. Ich hatte den kleinen Mäkel mit in der Schule, der Kinderwagen stand neben mir, in den Pausen wurde gestillt, meine Hausarbeit habe ich verteidigt, während der kleine Mäkel zu meinen Füßen mit Bauklötzen gespielt hat. Konnte ich einmal nicht, so hat Mäkels Papa das Baby und Kleinkind mit in seine Hochschule genommen. Er hat Malerei studiert, und der Mäkel stand auf wackeligen Beinen an der Staffelei und hat auch "gemalt". Mit 18 Monaten kam der Mäkel in die Kinderkrippe, und ich hatte keine Minute dabei das Gefühl, eine Rabenmutter zu sein. Ich kann mich noch gut an einen Fasching erinnern, bei dem in der Garderobe sieben oder acht Kinderwagen mit schlafenden Säuglingen standen. Immer mal wieder haben die Mütter und Väter danach geguckt. Hat ein Kind geweint, war es gleichgültig, wem es gehörte, man hat gleich mal die Reihe rum gestillt und gewindelt. Jetzt ist der Mäkel 19 Jahre alt und als ich ihn neulich nach der Kindheit fragte, sagte er, er hätte immer, immer das Gefühl gehabt, von uns geliebt worden zu sein.


    Heute ist die Situation für junge Mütter sehr viel schwieriger. Vieles, was in der DDR möglich und normal war, ist es heute leider nicht mehr. Deshalb stellt sich die Situation der jungen Mütter und der Mütter in spe ganz anders dar. Ich glaube, ich habe in diesem Buch sehr viele meiner DDR-ERfahrungen in Bezug auf Mutterschaft einfließen lassen.
    Es fällt manchen sicher schwer, Utes Beweggründe für diesen Schritt nachzuvollziehen. Mir erschien und erscheint er noch immer bedenkenswert. Wenn man selbst noch nicht weiß, wer man ist, wo man hinmöchte, wen man liebt, wenn das Leben noch ein großes Rätsel ist, fällt die Entscheidung sicher schwer. Ich kann Frauen gut verstehen, die sagen, sie möchten noch kein Kind, weil sie sich dafür noch nicht verantwortlich genug fühlen. Natürlich ist es in solchen Fällen unstrittig besser, Verhütungsmittel zu verwenden, keine Frage.


    Ole würde ich heute sicher ein anders darstellen. Er ist nicht nur ein Schwein, er ist nicht schizophren. Er hat geglaubt, in Ute die Frau zu finden, die ihn - vorsicht! kitschiges Wort! - "erlöst", mit der er nach seinen Vorstellungen leben kann. Mag sein, dass diese Vorstellungen nicht für jede/n nachfühlbar sind. Die Sexualität ist nur eine Seite von ihm. Heute hätte ich bestimmt den anderen Seiten mehr Aufmerksamkeit zugewandt und Ole als einen Mann dargestellt, der in seiner Seele eine "dunkle" Seite hat (wie wir alle), ansonsten aber nicht schlechter ist als andere.


    Nochmals Danke schön für eure Beiträge und liebe Grüße

  • Zitat

    Original von geli73
    Wie gut, dass ich die Kritiken bzw. u.a. Battys Rezi vorher nicht gelesen hab, so dass ich unbeeinflusst lesen konnte.


    Heda! Ich fand das Buch nicht schlecht! Bloß, daß mir hier kein falscher Eindruck entsteht. ;-)


    Türmchen,
    Du bist durch? Fein! Ich sag nur: Coffeetime! Vielleicht ist ja auch Ronja mal wieder in der Stadt, dann können wir ihr das Buch ja weitergeben. ;-)


    Ines,
    "der kleine Mäkel"... *lächel* Ich habe mir das beim Lesen auch gedacht, daß aus dem kleinen Mäkel inzwischen ja schon ein Großer (bzw. eine Große) geworden ist.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Ich habe es nun auch ausgelesen und fand es sehr gut.
    Für Uti- Kirke hatte ich volles Verständnis, konnte ihre Gedanken oft nachvollziehen, auch wenn ich gelegentlich anders gehandelt hätte. Die Frage "ist es das was du willst" oder "soll das schon alles gewesen sein" kenne ich nur zu gut. ;-)


    Es war interessant ihre Wandlung zu verfolgen. Die 180° Wendung und die 90° zurück nachdem sie zur gesuchten Erkenntnis gefunden hatte.


    Der Stefan war mir sehr sympathisch. Auch wenn er anfangs nicht begriff was seine Frau will. Aber ich habe es auch schon erfahren wie es ist auf das Mutter-sein reduziert zu werden. Schrecklich! Und die anderen merken mitunter nicht mal wie verletzend es sein kann, denn sie wollen doch nur helfen. Aber wie im Buch zu erkennen, aus der falschen Richtung.


    Schön, wie er wieder auf sie zuging plötzlich seine Frau begriff und auch weiter in ihre Probleme Einblick finden will. In meinem persönlichen Ende schaffen die beiden es, sind ja gute Vorraussetzungen. ;-)


    Mich hat besonders Utes Kreativität begeistert und ich hoffte immer, dass sie die auch ausleben wird. Die Spiegel waren schöne Ideen. Besonders IHR Spiegel hat es mir angetan. erwischte mich dabei, dass ich beim lesen grübelte wie man solch einen Spiegel selbst machen könnte, wo ich nen Glaser finde, welche Farben nötig sind..... :grin So einen hätte ich auch gern und mal schauen ob ich mich irgendwann mal dran mache. So oder soähnlich. :grin


    Ole empfand ich nicht vorrangig als Mistkerl oder Schwein....nein, eher als ganz armes Würstchen. Ein Leben in Anonymität und ständig auf der Suche.



    Die Oma war eine ganz liebe und kluge Frau. Sie und ihre Freundin Hantje würde ich gern mal treffen. :-)


    Das Cover soll wohl Ute, zufrieden am Ziel in Holland zeigen. Aber, dazu kam es ja im Buch SO nie. Also nicht ganz passend. aber, das sind wir ja oft von Buchcover gewohnt. :-(


    Der Begriff Spiegeltänzerin ist für mich nicht unbedingt falsch. Denn sie tanzt ja in ihrer Entwicklung von einem Spiegelmotiv zum nächsten. Auch die Endfassung ist eine dreiteilige Entwicklung, in der sie auch in der Zukunft mal zur einen, mal zur anderen Seite tendieren wird.


    Was mir fehlte war, warum nun Constance sich anders besann. Sie fiel von einem Extrem ins andere. Was bewegte sie dazu? :wow


    Hat mir gut gefallen. Danke Ines. :wave

    _______________________
    Grüßle, Heaven


    Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen. (Goethe) ;-)

    Dieser Beitrag wurde bereits 3 Mal editiert, zuletzt von Heaven ()

  • Puh, Heaven,


    was für eine lange Mail. An dich und die anderen herzlichen Dank, dass ihr das Buch gelesen habt.


    Heaven, du hast dir ja unheimlich viele Gedanken gemacht. Ich habe das Buch damals, als 34jährige aus Sicht einer 30jährigen geschrieben. Vieles würde ich heute auch anders machen, aber ich bin froh, dass es so ist, wie es ist. Die Spiegeltänzerin ist mein zweitliebstes Buch von mir.


    Heaven, du hast die Ute-Kirke so gut verstanden und hast dich auch an der Abtreibung nicht gestört. Viele Frauen aus dem Westen haben sich daran gestoßen. Meinst du, man liest das Buch anders, wenn man - wie wir - aus dem Osten stammt?
    Sag, kannst du dich noch erinnern, ob bei uns damals Selbstverwirklichung auch so ein großes Thema war?


    Mit den Spiegeln, das war so eine Sache. Ich war ja damals noch ein gritzegrüner Schreibanfänger. Wochenlang habe ich an Spiegeln gebastelt und konnte mich zwischendrin gar nicht entscheiden, ob ich nicht lieber Spiegel als Bücher machen soll.


    Wenn du mal nach Frankfurt kommst, dann kann ich dich sehr gern mal mit Oma Margarete bekannt machen. Oma Margarete ist nämlich 1:1 MEINE Oma Margarete.


    Heaven, um auf deine Frage nach Constanze zu antworten, müsste ich das Buch noch einmal lesen. Ich habe es schlicht vergessen. Kannst du noch ein wenig warten?


    Grüße von Ines

  • Zitat

    Original von Ines


    Heaven, du hast die Ute-Kirke so gut verstanden und hast dich auch an der Abtreibung nicht gestört. Viele Frauen aus dem Westen haben sich daran gestoßen. Meinst du, man liest das Buch anders, wenn man - wie wir - aus dem Osten stammt?


    Ich glaube schon. Weil wir irgendwie doch ein anderes Leben führten, andere Werte zählten, ander Dinge wichtig waren.


    Zitat

    Original von Ines
    Sag, kannst du dich noch erinnern, ob bei uns damals Selbstverwirklichung auch so ein großes Thema war?


    Eine Ute hätte die Zeit gefunden. War ja ohne Kind. Männer waren bei uns doch recht selbsständig. :grin


    Aber als Mutter UND Ehefrau wohl kaum. Wir waren alle voll berufstätig. Halbtagsjobs gab es doch nur bei besonderen Gründen. Und Hausfrauen? Ich hab in all den DDR-Jahren nur eine einzige persönlich kennengelernt. Solche Frauen waren doch absolute Exoten. Aber die hätten die Zeit gefunden.
    Als Mutter bist du doch früh los, hast die Kinder in die Krippe oder Kita geschafft, zur Arbeit gedüst, nach Feierabend abgeholt, mit den Knirpsen in den nächsten Laden und ran an die Schlange um sich für Südfrüchte anzustellen, nach Hause, den Haushalt gemacht, zwischendrin mit den Kindern beschäftigt und abends......totmüe ins Bett gefallen. Naja, zumeist jedenfalls. ;-)


    Von daher hatten wohl viele Frauen Gedanken wie Ute, hätten gern mehr ihre Träume verwirklicht. Aber irgendwas war da immer im Wege. Das Leben verselbstständigte sich schnell und plätscherte vor sich hin. Der Staat machte Familien das Leben leichter. Ein Grund mehr sich doch schneller für Ehe und Kinder zu entscheiden.
    Was aber nicht gleichzusetzen mit "dem-Haushalt-und-Familie-ergeben" bedeutete. Denn als Frau hatte man schon gerade beruflich viele Möglichkeiten seinen Mann zu stehen,selbstbewusst zu sein, sich weiterzubilden, erfolgreich zu sein. Nur....die Träume bezogen sich da mitunter in einem anderen Bereich, in dem man nur schwer eindringen konnte. ;-)



    Vondaher waren auch die Überlegungen zu einer Abtreibung ganz andere. Ich will nicht sagen, dass man damit leichtfertiger umging. Aber die Gründe waren wohl oft wirtschaftlicher, rationaler oder "selbstsüchtiger". Und die Möglichkeiten wesentlich einfacher als heute. Früh und überhaupt Kinder zu bekommen war das normalste der Welt, aber dann kamen andere Dinge zu kurz.




    Zitat

    Original von Ines
    Mit den Spiegeln, das war so eine Sache. Ich war ja damals noch ein gritzegrüner Schreibanfänger. Wochenlang habe ich an Spiegeln gebastelt und konnte mich zwischendrin gar nicht entscheiden, ob ich nicht lieber Spiegel als Bücher machen soll.


    WOW! :wow Du hast selbst welche gemacht? Gibts auch wirklich diese Spiegetänzerin? Ein Bild davon?


    He, das war bestimmt ne Marktlücke und es ließen sich ein paar gute Kröten nebenbei verdienen. Oder zumindest als Tauschware. :grin





    Ja klaro. Aber interessieren täts mich wirklich, denn ich hatte irgendwie das Gefühl da fehlt was drin. ;-)

    _______________________
    Grüßle, Heaven


    Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen. (Goethe) ;-)

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Heaven ()

  • Jetzt fällt mir das Bsp. für anders lesen und verstehen ein....hab die ganze Zeit beim tippseln überlegt. :grin


    "Was denkst du?" von Kati Naumann.
    Ich hatte da teilweise andere Gedanken oder Einstellungen zum Buch als Leser aus den alten Bundesländern.

    _______________________
    Grüßle, Heaven


    Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen. (Goethe) ;-)

  • /me
    überlegt grad, ob sie sich diskriminiert fühlen soll


    :lache


    Ich fand die Spiegletänzerin auch supergut!!


    Nachdem ich endlich mühsamst ein Exemplar ergattert hatte.
    Ich mochte vor allem die Art, wie die Nebenfiguren gezeichnet waren, die Kollegen im Kaufhaus z.B.
    Die Geschichte an sich hat mir gefallen, weil sie gegen die Erwartungen geschrieben ist.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    /me
    überlegt grad, ob sie sich diskriminiert fühlen soll


    :lache


    .


    Üüüberhaupt nicht. Die Frage war ja nur nach ANDERS lesen und verstehen. , nicht ob besser oder schlechter. :knuddel1


    Hättest du es nicht so erwartet? :gruebel Ich wäre enttäuscht gewesen wenn es anders verlaufen wäre.

    _______________________
    Grüßle, Heaven


    Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen. (Goethe) ;-)

  • Ich hatte gehofft, daß es für Ute ausgeht.
    Es ist schon ein wenig anders geschrieben, aber ich habe so viele Romane in der Art gelesen und bin enttäuscht worden mit konventionellen Schlüssen.
    So war ich doppelt erfreut, daß das 'gegen-den-Strich' durchgehalten wurde.


    :wave

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Liebe Heaven,


    klar hatten wir wenig Zeit zur Selbstverwirklichung, keine Frage. Aber ich kann mich einfach nicht mehr daran erinnern, ob Selbstverwirklichung überhaupt ein Thema war. Ich kann mich nur noch an die "allseits bereite sozialistische Persönlichkeit" erinnern. Aber zählte Selbstverwirklichung zur sozialistischen Persönlichkeit?


    Ich kannte übrigens auch nur eine einzige Hausfrau! Himmel, was habe ich diese immer beneidet und gleichzeitig tat sie mir leid!

  • Nein, wirkliche Selbstverwirklichung war nicht erwünscht, denn dann hast du ja versucht ALLEIN zu denken und wolltest dir von niemanden reinreden lassen. Die allseitige Persönlichkeitsentwicklung sollte doch schon bitte in konformer Weise erfolgen, gell. :grin

    _______________________
    Grüßle, Heaven


    Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen. (Goethe) ;-)

  • Mir ist es gestern gelungen, das Buch im Internet zu erstöbern. :hop


    Ich hoffe sehnsüchtig, daß es auch ankommt. Besonders interessant finde ich das Spiegelmotiv...und ich bin auch aus dem Osten. *oute* ;-)


    Emily
    Wenn ich es denn bekomme und gelesen habe, kann ich es Dir gerne schicken. Du müßtest es mir dann bloß wieder zurückschicken.


    :wave

  • Nachdem es mir auch gelungen ist, das Buch zu "ere-bayen" bin ich schon mitten drin und könnte mich ohrfeigen, weil ich zu viel von diesem Thread hier gelesen habe. Trotzdem: ein gutes Thema, das mit der Selbstfindung und Kind ja oder nein, und nach einem ein wenig holprigen Anfang gefällt mir auch der Stil sehr gut.
    Bin schon gespannt, wie es ausgeht. :-)

    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das nicht allemal das Buch.
    Georg Christoph Lichtenberg