Liebe Freundinnen und Freunde der Phantastik, bitte merkt euch diesen Namen: Swantje Niemann. Der 21jährigen Autorin ist mit dem Roman „Drúdir – Dampf und Magie“ der komplexeste Debütroman im Bereich Phantastik (in diesem Fall steampunkige Urban High Fantasy) gelungen, den ich je gelesen habe.
Hier trifft Tolkien auf Steampunk, und dieser Vergleich ist nicht zu hoch gegriffen. Die Autorin versteht sich auf einen exzellenten, höchst ausgefeilten Weltenbau, von dem sich manch anderer, bereits erfahrene Phantastikautor noch eine Scheibe abschneiden könnte. Allein die faszinierende Stadt Schwarzspiegel zeigt das deutlich, aber auch die Technik und Magie in dieser Steamfantasy-Welt.
Herausragend finde ich, wie die Autorin in den politischen Verhältnissen ihrer Welt ein Spiegelbild unserer realen Gesellschaft erschaffen hat – im Gewand der Phantastik, versteht sich. Hier gibt es kein König- oder Kaiserreich, wie häufig in der vom Mittelalter inspirierten Phantastik, sondern eine Regierung mit Parteiensystem. Ein Blick in das Glossar am Ende des Buches zeigt diese Parteien (es folgt ein Zitat von S. 409 der Erstausgabe):
Parteien in der Union
GUU (Gerechte Umverteilung Unionweit) für Arbeiterrechte und größere Autonomie der Bundesstaaten
LF (Liberaler Fortschritt) – für Wirtschaft ohne staatliche Eingriffe
BdT (Bewahrer der Tradition) – für Wiedereinführung der Monarchie und Zentralisierung
ZSK (zwergische Stärke für Kiarva) – nationalistisch, für Expansion und Kolonialisierung
Hammerschwinger – extremer, gewaltbereiter Flügel der GUU
Expansionisten – extremer, gewaltbereiter Flügel der ZSK
Klappentext und eine Leseprobe gibt es hier auf Swantje Niemanns Webseite.
Auf dem Kontinent Kiarva hat die Technik Einzug gehalten, während Magie selten geworden ist und gefürchtet wird. Im Roman geht es um Intrigen, politische Verschwörungen, Verwicklungen aller Art, und die Mordfälle, die den magisch begabten Zwerg und Uhrmacher Drúdir besonders erschüttern, zum Einen, weil auch sein Freund Fragar unter den Opfern ist, zum anderen, weil er spezielle magische Fähigkeiten besitzt, die ich jetzt nicht spoilern möchte – all das, bildet hier nur den Anfang zu etwas im Herzen dieser Gesellschaft Verborgenem, welches die Charaktere aufdecken müssen.
Die Protagonisten dieses Romans sind weder strahlende Helden noch abgerissene Antihelden, hier gibt es kein Schwarz und Weiß, sondern jede Menge Grautöne, so dass sich Drúdir schließlich mit unerwarteten, ungewöhnlichen Verbündeten daran macht, das Rätsel um die Mordfälle zu lösen.
Der Autorin gelingt es, die Perspektive dieser sehr unterschiedlicher Charaktere sehr differenziert darzustellen (es gibt kapitelweise Perspektivwechsel), seien es Zwerge, Menschen, Elfen oder noch andere Wesen.
Ihre Actionszenen lesen sich so anschaulich-lebendig, als säße man im Kino in einer Superheldencomic-Verfilmung (mitsamt Zeitlupen und spannenden Zerstörungsmomenten oder Explosionen). Swantje Niemann trainiert übrigens die Kampfsportart Kendo, und ich gehe davon aus, dass sie entsprechende Kenntnisse mit eingebracht hat.
Auch wie die Magie in dieser Welt funktioniert und was sie bewirken kann – insbesondere auch in Verbindung mit steampunkiger Technik, all das habe ich mit Genuss und Staunen gelesen.
Übrigens: Das hier ist trotz der Automatendame auf dem Cover keine Romantasy. Zwar gibt es durchaus Charaktere, die einander anziehend finden, doch das spielt eher am Rande eine Rolle. Also ist dies auch ein Buch für alle jene, die keine oder nur sehr wenig Romantik in Fantasyromanen lesen wollen.
Das Finale kann ich nur als „episch“ beschreiben und im letzten Absatz des in sich abgeschlossenen Romans wird deutlich, dass Drúdirs Geschichte damit noch nicht beendet ist.
Die einzigen möglichen Kritikpunkte, die mir einfallen:
Am Anfang wird sehr viel erklärt (Stichwort Infodump), aber angesichts der Komplexität dieser Welt ist das auch notwendig. Wem es schwerfällt, angesichts dessen in die Geschichte zu finden, bitte trotzdem weiterlesen, denn der Roman wird zunehmend spannender und wartet mit einem epischen Finale auf.
Die Autorin geizt nicht mit Adjektiven (was ja in manchen Leser- und Autorenkreisen eher „out“ ist) und hält von der Erzählperspektive her eine gewisse Distanz zu den Figuren – dazu muss ich sagen, das sind beides Stilelemente, die mich persönlich überhaupt nicht stören. Ich erwähne das hier nur der Form halber.
Von Swantje Niemann dürfen wir gewiss in Zukunft noch Großes erwarten.
Fazit: Dieses Buch zählt für mich zu meinen persönlichen Highlights des Jahres. Das nächste Abenteuer dieses ungewöhnliches Zwerges und magisch begabten Uhrmachers erscheint im Februar 2019. Ich bin gespannt darauf.