Robert Menasse - Die Hauptstadt

  • Titel: Die Hauptstadt

    Autor: Robert Menasse

    Verlag: Suhrkamp

    Erschienen: September 2017

    Seitenzahl: 459

    ISBN-10: 351842758X

    ISBN-13: 978-3518427583

    Preis: 24.00 EUR


    Das sagt der Klappentext:

    In Brüssel laufen die Fäden zusammen - und ein Schwein durch die Straßen. Fenia Xenopoulou, Beamtin in der Generaldirektion Kultur der Europäischen Kommission, steht vor einer schwierigen Aufgabe. Sie soll das Image der Kommission aufpolieren. Aber wie? Sie beauftragt den Referenten Martin Susman, eine Idee zu entwickeln. Die Idee nimmt Gestalt an - die Gestalt eines Gespensts aus der Geschichte, das für Unruhe in den EU-Institutionen sorgt. David de Vriend dämmert in einem Altenheim gegenüber dem Brüsseler Friedhof seinem Tod entgegen. Als Kind ist er von einem Deportationszug gesprungen, der seine Eltern in den Tod führte. Nun soll er bezeugen, was er im Begriff ist zu vergessen. Auch Kommissar Brunfaut steht vor einer schwierigen Aufgabe. Er muss aus politischen Gründen einen Mordfall auf sich beruhen lassen; "zu den Akten legen" wäre zu viel gesagt, denn die sind unauffindbar. Und Alois Erhart, Emeritus der Volkswirtschaft, soll in einem Think-Tank der Kommission vor den Denkbeauftragten aller Länder Worte sprechen, die seine letzten sein könnten.


    Der Autor:

    Robert Menasse wurde am 21. Juni 1954 in Wien geboren. Menasse studierte in Wien, Salzburg und Messina Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft und promovierte 1980. Von 1981 bis 1988 arbeitete er an der Universität Sao Paulo in Brasilien als Assistent am Institut für Literaturtheorie. Seither ist der Schriftsteller und Essayist als freier Publizist tätig.


    Meine Meinung:

    Dieser Roman gewann den Deutschen Buchpreis 2017. In jedem Fall unterscheidet er sich wohltuend von seinen Vorgängern – auch wenn er ganz sicher nicht der „optimale, große Wurf“ gewesen ist. Menasse beschreibt bzw. versucht europäische EU-Wirklichkeit zu beschreiben. Und das macht er durchaus ordentlich. Ein kleine Portion Satire, angereichert mit einer Prise Zynismus und dazu ein großes Stück europäische Wirklichkeit. Und das Ergebnis ist dieser Roman.

    Es geht um die EU-Bürokratie, die ja schon hinlänglich und seit Jahrzehnten in den Medien beschrieben wurde, um das Absurde und Surreale dieser Bürokratie, einer Bürokratie die immer wieder ein wirklich vereintes Europa verhindert. Jeder kocht sein eigenes Süppchen, niemand ist bereit auch den eigenen Egoismus mal für ein gemeinsames schmackhaftes Menü zu opfern. Kleinstaaterei und Kleingeistigkeit wohin man schaut. Das hat Menasse gut herausgearbeitet. Was fehlt ist der Blick auf das große Ganze. Wie könnte es besser werden? Dieser Roman ist im Grunde eine Bestandsaufnahme ohne Blick in die Zukunft, ohne Visionen.

    In jedem Falle aber ein lesenswerter Roman, der aber vielleicht auch gar nicht in die Zukunft schauen wollte. 7 Punkte.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Die Hauptstadt von Robert Menasse ist ein Roman, den man eigentlich zweimal lesen müsste. Er verdient die doppelte Lektüre, denn erst, wenn man ihn beendet hat, weiß man, wie man die Facetten zusammensetzen muss, nein darf. Kernthema ist die Europäische Union.

    Inhalt

    Die Handlung ist verzwickt durch die Vielzahl der Romanprotagonisten, aber mit ein wenig Aufmerksamkeit dennoch leicht zu verstehen. Ein Mord geschieht im Hotel Atlas in Brüssel. Der zuständige Kriminalbeamte wird von dem Fall alsbald abgezogen, da höhere Interessen bestehen, mit anderen Worten, der Mord wird unterschlagen und vertuscht. Es gibt keine Leiche, keine Aufzeichnungen, kein rein gar nichts. Kommissar Brunfaut forscht nach. Das ist die Rahmenhandlung, wenn man so will, die man als Leser jedoch immer wieder aus dem Blick und dem Gedächtnis verliert, weil so viele andere Abläufe passieren. Da wäre eben die Europäische Kommission, deren Kulturabteilung ein anstehendes Jubiläum feiern möchte. Ein Schwein rennt durch Brüssel und bekommt mediale Aufmerskamkeit. Schweinefabrikanten haben eine Lobby gegründet, weil sie die Schweinsohren nach China verkaufen wollen. Das ist nicht EU-konform. In den Gremien und Untergremien der EU wird um Kompetenzen, um Jobs, um Posten und um Einfluß gerangelt. Es geht um Korruption, Vertuschung, Gemauschel..... Und letztendlich geht es um die Frage, was eigentlich der Gedanke eines vereinten Europas ist. Worauf ist Europa begründet? Hat der Nationalismus ausgedient, kann man ihn überwinden, hat die Europäische Idee Bestand, gar eine Zukunft und inwiefern spielt die blutige europäische Vergangenheit eine Rolle in dem Ganzen? Drittes Resümee: bei aller Gewitzheit und Ironie steckt doch ein ernstes Thema hinter allem!


    Meine Meinung

    Der Autor fabrizierte mit diesem Roman eine hervorragende Persiflage über aufgeblasenen, unnötigen und kostspieligen Bürokratismus sowie Kompetenzstreitigkeiten, die mit jeder Zeile amüsant zu lesen sind. Der Roman ist spritzig, lehrreich, manchmal böse. Ich musste oft lachen, manchesmal brüllen. Und irgendwann wollte ich beim Lesen des Romans alle in der EU-Kommission entlassen.

    Menasses Protagonisten sind lebendig und agil, karrieregeil, wunderbar skizziert, obwohl sie dem Plot untergeordnet sind, sie sind skurril, normal, seltsam, depressiv, aufgeblasen, eingebildet, ängstlich, von ihrer Bedeutung durchdrungen und sind letztlich doch nur arme Schweine, die bei Bedarf durchs Dorf getrieben werden, um im Schweinebild zu bleiben.

    Der Schluss lässt einige lose Enden übrig. Das macht zunächst etwas ratlos, aber dann ergibt es durchaus Sinn. Wie soll es keine losen Enden geben in einem Betrieb, der einst aus einer hehren Idee heraus entstanden ist, aber dann überbürokratisiert einfach nur ins Leere läuft, wie sollte dabei jedes Quäntchen einen Sinn ergeben und ein rationales Plätzchen finden. Sobald die Medien nicht mehr darüber berichten, werden die Ereignisse uninteressant, einfach vergessen, haben nie existiert oder werden zur Not übertüncht mit einem Staatsbegräbnis. Von mir eine klare Leseempfehlung. Vielen Dank Robert Menasse für dieses Lesevergnügen.9 Punkte