Juli Zeh: Leere Herzen
Luchterhand Literaturverlag 2017. 352 Seiten
ISBN-10: 3630875238
ISBN-13: 978-3630875231. 20€
Verlagstext
Sie sind desillusioniert und pragmatisch, und wohl gerade deshalb haben sie sich erfolgreich in der Gesellschaft eingerichtet: Britta Söldner und ihr Geschäftspartner Babak Hamwi. Sie haben sich damit abgefunden, wie die Welt beschaffen ist, und wollen nicht länger verantwortlich sein für das, was schief läuft. Stattdessen haben sie gemeinsam eine kleine Firma aufgezogen, "Die Brücke", die sie beide reich gemacht hat. Was genau hinter der "Brücke" steckt, weiß glücklicherweise niemand so genau. Denn hinter der Fassade ihrer unscheinbaren Büroräume betreiben Britta und Babak ein lukratives Geschäft mit dem Tod. - Als die "Brücke " unliebsame Konkurrenz zu bekommen droht, setzt Britta alles daran, die unbekannten Trittbrettfahrer auszuschalten. Doch sie hat ihre Gegner unterschätzt. Bald sind nicht nur Brittas und Babaks Firma, sondern auch beider Leben in Gefahr...
"Leere Herzen" ist ein provokanter, packender und brandaktueller Politthriller aus einem Deutschland der nahen Zukunft. Es ist ein Lehrstück über die Grundlagen und die Gefährdungen der Demokratie. Und es ist zugleich ein verstörender Psychothriller über eine Generation, die im Herzen leer und ohne Glauben und Überzeugungen ist.
Die Autorin
Juli Zeh, 1974 in Bonn geboren, studierte Jura in Passau und Leipzig. Schon ihr Debütroman "Adler und Engel" (2001) wurde zu einem Welterfolg, inzwischen sind ihre Romane in 35 Sprachen übersetzt. Ihr Gesellschaftsroman "Unterleuten" (2016) stand über ein Jahr auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Juli Zeh wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Rauriser Literaturpreis (2002), dem Hölderlin-Förderpreis (2003), dem Ernst-Toller-Preis (2003), dem Carl-Amery-Literaturpreis (2009), dem Thomas-Mann-Preis (2013) und dem Hildegard-von-Bingen-Preis (2015).
Inhalt
Offiziell betreibt Britta Söldner in Braunschweig eine kleine Praxis für Psychotherapie, Coaching und Ego-Polishing. Ungewöhnlich an ihrer Tätigkeit sind zunächst ein IT-Fachmann und ein eigener Serverraum. Wir befinden uns circa zwischen 2020 und 2030. In dieser verflixt nahen Zukunft weiß „niemand mehr, wofür oder wogegen er zu sein hat“. Angela Merkel ist im wohlverdienten Ruhestand; Frankreich scheint die EU verlassen zu haben. Das bedingungslose Grundeinkommen ist längst durchgesetzt, konnte aber offenbar die gesellschaftliche Spaltung nicht ungeschehen machen. Nicht alle Bürger können sich mit der Herrschaft einer Besorgte-Bürger-Partei abfinden. Burnout-Lebensläufe und Selbstmorde haben rapide zugenommen, obwohl das BBB-Regime seinen Untertanen Entscheidungen weitgehend abnimmt. Britta und Babak sind indessen konkurrenzlos erfolgreich in ihrer Branche. Sie bieten ein exaktes Scoring an, prüfen die Ernsthaftigkeit ihrer Kandidaten ähnlich gnadenlos wie die GSG9 ihre Bewerber und streichen am Ende einen fürstlichen Gewinn ein. Doch als in Leipzig ein Attentat aus dem Ruder läuft, spürt Britta, dass ihr auf ihrem ureigenen Spezialgebiet Konkurrenz droht. Wer hätte gedacht, dass es eine Frau sein wird, die sich der Macht der Algorithmen widersetzt.
Juli Zeh gibt mit ihrem spekulativen Politthriller Einblick in den Alltag zweier Paare, die jeweils ein grundschulpflichtiges Kind erziehen. Ähnlich wie in „Unterleuten“ seziert die Autorin gnadenlos die kleinbürgerliche Idylle bildungsbeflissener Eltern mit all ihren Lebenslügen. Soziales Geschwafel vom „5. Effizienzpaket“ verschlägt einem die Sprache mit seiner Nähe zu Politikern, deren wohltönende Projekte allein dem kleinen Mann in die Tasche greifen, oder zu einem Staat, der vom Zwangsumtausch seiner Besucher existierte. Spannend fand ich von der ersten Szene an das Rätseln, ob ich mich wirklich in der Zukunft befinde und wohin die ganze Chose führen soll. Zu nah an der Realität sind die Entwicklungen, um sich beim Lesen damit aus der Affäre zu ziehen, dass es sich hier um eine Utopie handelt. Brittas und Babaks zynisches Geschäftsmodell katapultiert den Leser gnadenlos mitten in die Gegenwart. Gerade weil ich nach „Unterleuten“ Schlimmeres, Zynischeres von Juli Zeh erwartet hatte, verblüfft mich ihre analytische Eleganz.
Fazit
Wie jemand sein Geld verdienen kann – und vor allem, wer die Zeche zahlt – das ist unbedingt lesenswert.